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− | '''Clifford Geertz[1]''' leitete innerhalb der Ethnographie die so genannte '''interpretative Wende''' ein, aus der auch eine '''Veränderung des Objektverständnisses''' und eine '''Neubestimmung des ethnographischen Tuns''' resultiert. Er vollzieht damit eine Wende zur '''Hermeneutik[[Einige_wissenschaftstheoretische_Grundlagen_der_empirischen_Sozialforschung/Nicht-Positivismus#2.3.1 Die Hermeneutik| [2]]]'''. Seine Grundannahme ist, dass der Mensch der Welt immer einen '''Sinn''' verleiht, die Welt also immer schon '''interpretiert''' ist. Bei den Interpretationen der lokalen InformantInnen und jenen der Kultur- und SozialanthropologInnen handelt es sich also nur um '''Interpretationen auf unterschiedlichen Ordnungsebenen[3]'''. Die '''Erschließung dieses Sinns''' '''bzw. der Bedeutung''' wird zum '''zentralen Moment der interpretativen Ethnographie''', aber auch der Auffassung von Kultur, die Geertz seinen Überlegungen zu Grunde legt. Er schreibt: "Ich meine mit Max Weber, dass der Mensch ein Wesen ist, das in selbst gesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe" (Geertz 1983: 9). Diese Bedeutungen sind den Angehörigen einer Gesellschaft sozial verfügbar und dem/der FeldforscherIn, der/die sich diese aneignen will, zugänglich. Geertz legt seinen Untersuchungen also einen '''nicht-subjektivistischen Bedeutungsbegriff''' zu Grunde. "Bedeutung ist etwas Öffentliches." (Geertz 1983: 18) | + | '''Clifford Geertz[[Der_Prozess_der_Datenerhebung/Prozess#5.2.1.4.1 Clifford Geertz|[1]]]''' leitete innerhalb der Ethnographie die so genannte '''interpretative Wende''' ein, aus der auch eine '''Veränderung des Objektverständnisses''' und eine '''Neubestimmung des ethnographischen Tuns''' resultiert. Er vollzieht damit eine Wende zur '''Hermeneutik[[Einige_wissenschaftstheoretische_Grundlagen_der_empirischen_Sozialforschung/Nicht-Positivismus#2.3.1 Die Hermeneutik| [2]]]'''. Seine Grundannahme ist, dass der Mensch der Welt immer einen '''Sinn''' verleiht, die Welt also immer schon '''interpretiert''' ist. Bei den Interpretationen der lokalen InformantInnen und jenen der Kultur- und SozialanthropologInnen handelt es sich also nur um '''Interpretationen auf unterschiedlichen Ordnungsebenen[[Der_Prozess_der_Datenerhebung/Prozess#5.2.1.4.2 Theoretische Grundannahmen, Methoden und Techniken der interpretativen Anthropologie|[3]]]'''. Die '''Erschließung dieses Sinns''' '''bzw. der Bedeutung''' wird zum '''zentralen Moment der interpretativen Ethnographie''', aber auch der Auffassung von Kultur, die Geertz seinen Überlegungen zu Grunde legt. Er schreibt: "Ich meine mit Max Weber, dass der Mensch ein Wesen ist, das in selbst gesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe" (Geertz 1983: 9). Diese Bedeutungen sind den Angehörigen einer Gesellschaft sozial verfügbar und dem/der FeldforscherIn, der/die sich diese aneignen will, zugänglich. Geertz legt seinen Untersuchungen also einen '''nicht-subjektivistischen Bedeutungsbegriff''' zu Grunde. "Bedeutung ist etwas Öffentliches." (Geertz 1983: 18) |
Aus dieser Orientierung rücken die '''kulturellen Artikulationsweisen und Objektivierungen''' sowie die '''symbolischen Dimensionen des sozialen Handelns''' ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Es geht also '''nicht um reine Verhaltensbeobachtung''', sondern um eine '''bedeutungstheoretische Fundierung sozialer Handlungen''' und Prozesse. | Aus dieser Orientierung rücken die '''kulturellen Artikulationsweisen und Objektivierungen''' sowie die '''symbolischen Dimensionen des sozialen Handelns''' ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Es geht also '''nicht um reine Verhaltensbeobachtung''', sondern um eine '''bedeutungstheoretische Fundierung sozialer Handlungen''' und Prozesse. | ||
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Daraus folgt auch, dass die '''ethnologische Forschung''' nach Geertz '''nicht primär eine Sache der Beobachtung''' ist, '''sondern''' vielmehr eine der '''Interpretation und Analyse des Beobachteten.''' Hauptteil der ethnographischen Beschreibungen sind nicht konkrete Verhaltensweisen, sondern die darin enthaltenen '''Bedeutungsstrukturen'''. Die ethnographische Analyse besteht im Herausarbeiten dieser Bedeutungsstrukturen und dem Bestimmen ihrer gesellschaftlichen Tragweite. Was tut also der Ethnograph? Er "’schreibt’ den sozialen Diskurs ’nieder’, ''er hält ihn fest''" und es ist seine Aufgabe "dem Ganzen" (Geertz 1987: 28) eine vermutete Bedeutung zu verleihen und diese zu bewerten. Kurz: Geertz zu Folge besteht die Untersuchung von Kultur darin, Vermutungen über Bedeutungen anzustellen, diese Vermutungen zu bewerten und aus den besten Vermutungen erklärende Schlüsse zu ziehen. Es handelt sich also um eine '''kontextgebundene, mikroskopische und kulturrelativistische Herangehensweise'''. | Daraus folgt auch, dass die '''ethnologische Forschung''' nach Geertz '''nicht primär eine Sache der Beobachtung''' ist, '''sondern''' vielmehr eine der '''Interpretation und Analyse des Beobachteten.''' Hauptteil der ethnographischen Beschreibungen sind nicht konkrete Verhaltensweisen, sondern die darin enthaltenen '''Bedeutungsstrukturen'''. Die ethnographische Analyse besteht im Herausarbeiten dieser Bedeutungsstrukturen und dem Bestimmen ihrer gesellschaftlichen Tragweite. Was tut also der Ethnograph? Er "’schreibt’ den sozialen Diskurs ’nieder’, ''er hält ihn fest''" und es ist seine Aufgabe "dem Ganzen" (Geertz 1987: 28) eine vermutete Bedeutung zu verleihen und diese zu bewerten. Kurz: Geertz zu Folge besteht die Untersuchung von Kultur darin, Vermutungen über Bedeutungen anzustellen, diese Vermutungen zu bewerten und aus den besten Vermutungen erklärende Schlüsse zu ziehen. Es handelt sich also um eine '''kontextgebundene, mikroskopische und kulturrelativistische Herangehensweise'''. | ||
− | Aus dem mikroskopischen Modell der Geertz’schen Ethnographie folgt, dass die untersuchte Mikroebene immer im Licht der allgemeinen Kultur und kulturellen Bedeutungen interpretiert wird (Jonesville-ist-die-USA bzw. der '''Hahnenkampf[4]''' ist ein Ausdruck der balinesischen Kultur). | + | Aus dem mikroskopischen Modell der Geertz’schen Ethnographie folgt, dass die untersuchte Mikroebene immer im Licht der allgemeinen Kultur und kulturellen Bedeutungen interpretiert wird (Jonesville-ist-die-USA bzw. der '''Hahnenkampf[[Der_Prozess_der_Datenerhebung/Prozess#5.2.1.4.2.1 Beispiel für eine dichte Beschreibung|[4]]]''' ist ein Ausdruck der balinesischen Kultur). |
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− | [3] | + | [[Der_Prozess_der_Datenerhebung/Prozess#5.2.1.4.2 Theoretische Grundannahmen, Methoden und Techniken der interpretativen Anthropologie|[3] Siehe Kapitel 5.2.1.4.2 der Lernunterlage ''Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/> |
− | [4] | + | [[Der_Prozess_der_Datenerhebung/Prozess#5.2.1.4.2.1 Beispiel für eine dichte Beschreibung|[4] Siehe Kapitel 5.2.1.4.2.1 der Lernunterlage ''Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/> |
Latest revision as of 14:24, 24 September 2020
Vorheriges Kapitel: 5.2 Methodische Entwicklungen durch die Culture und Personality School
5.3 Dichte Beschreibung und interpretative Ethnographie
Verfasst von Ernst Halbmayer
Clifford Geertz[1] leitete innerhalb der Ethnographie die so genannte interpretative Wende ein, aus der auch eine Veränderung des Objektverständnisses und eine Neubestimmung des ethnographischen Tuns resultiert. Er vollzieht damit eine Wende zur Hermeneutik [2]. Seine Grundannahme ist, dass der Mensch der Welt immer einen Sinn verleiht, die Welt also immer schon interpretiert ist. Bei den Interpretationen der lokalen InformantInnen und jenen der Kultur- und SozialanthropologInnen handelt es sich also nur um Interpretationen auf unterschiedlichen Ordnungsebenen[3]. Die Erschließung dieses Sinns bzw. der Bedeutung wird zum zentralen Moment der interpretativen Ethnographie, aber auch der Auffassung von Kultur, die Geertz seinen Überlegungen zu Grunde legt. Er schreibt: "Ich meine mit Max Weber, dass der Mensch ein Wesen ist, das in selbst gesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe" (Geertz 1983: 9). Diese Bedeutungen sind den Angehörigen einer Gesellschaft sozial verfügbar und dem/der FeldforscherIn, der/die sich diese aneignen will, zugänglich. Geertz legt seinen Untersuchungen also einen nicht-subjektivistischen Bedeutungsbegriff zu Grunde. "Bedeutung ist etwas Öffentliches." (Geertz 1983: 18)
Aus dieser Orientierung rücken die kulturellen Artikulationsweisen und Objektivierungen sowie die symbolischen Dimensionen des sozialen Handelns ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Es geht also nicht um reine Verhaltensbeobachtung, sondern um eine bedeutungstheoretische Fundierung sozialer Handlungen und Prozesse.
An dieser Unterscheidung schließt auch die Differenz von dünner und dichter Beschreibung an, welche Geertz in Anlehnung an Ryle (1971) an Hand eines zwinkernden Jungens veranschaulicht. Eine dünne Beschreibung beschreibt bloß, was der Junge tut (schnell das rechte Augenlid bewegen), während eine dichte Beschreibung diese Tätigkeit im kulturellen Kontext interpretiert und versucht die kulturellen Kategorien des Verständnisses dieser Tätigkeit zu identifizieren. So kann es sich bei dem Zwinkern bloß um ein Nervenleiden handeln, aber auch um ein "bißchen Verhalten, ein wenig Kultur und - voilá - eine Gebärde" (ebd.: 11). Es kann also ein Kode zwischen Freunden sein, mittels dem eine bestimmte Nachricht absichtlich an eine ausgewählte Person, nach gesellschaftlich festgelegten Regeln, übermittelt wird, ohne dass die anderen Anwesenden davon wissen. Es kann sich aber auch um eine Parodie handeln, die das Zwinkern eines Anderen lächerlich macht, oder aber um eine Probe, wenn der Junge vor einem Spiegel steht und das Zwinkern übt. In all den Fällen geht es um bestimmte kulturelle Bedeutungen des Zwinkerns und bestimmte Interpretations- bzw. Auslegungsmöglichkeiten dieses Verhaltens. Dichte Beschreibungen beinhalten die Bedeutungsebenen des Verhaltens.
Forschungstechnisch geht es Geertz also um die Deutung von Symbolsystemen und nicht primär um Empathie mit den Beforschten. Es geht ihm nicht darum, den Standpunkt der Anderen einzunehmen, vielmehr will er die kulturell verfügbaren Handlungsorientierungen aufdecken. Seine Analyse des sozialen Handelns fokussiert auf die Handlungsorientierung und die damit verbundenen Bedeutungen, nicht aber - etwa im Gegensatz zu Pierre Bourdieu - auf die Handlungspraxis. Ganz im Sinne einer nicht- positivistischen und hermeneutischen Tradition fordert Geertz eine Wissenschaft, die nicht nach Gesetzen sucht, sondern interpretiert und Bedeutungen finden will.
Daraus folgt auch, dass die ethnologische Forschung nach Geertz nicht primär eine Sache der Beobachtung ist, sondern vielmehr eine der Interpretation und Analyse des Beobachteten. Hauptteil der ethnographischen Beschreibungen sind nicht konkrete Verhaltensweisen, sondern die darin enthaltenen Bedeutungsstrukturen. Die ethnographische Analyse besteht im Herausarbeiten dieser Bedeutungsstrukturen und dem Bestimmen ihrer gesellschaftlichen Tragweite. Was tut also der Ethnograph? Er "’schreibt’ den sozialen Diskurs ’nieder’, er hält ihn fest" und es ist seine Aufgabe "dem Ganzen" (Geertz 1987: 28) eine vermutete Bedeutung zu verleihen und diese zu bewerten. Kurz: Geertz zu Folge besteht die Untersuchung von Kultur darin, Vermutungen über Bedeutungen anzustellen, diese Vermutungen zu bewerten und aus den besten Vermutungen erklärende Schlüsse zu ziehen. Es handelt sich also um eine kontextgebundene, mikroskopische und kulturrelativistische Herangehensweise.
Aus dem mikroskopischen Modell der Geertz’schen Ethnographie folgt, dass die untersuchte Mikroebene immer im Licht der allgemeinen Kultur und kulturellen Bedeutungen interpretiert wird (Jonesville-ist-die-USA bzw. der Hahnenkampf[4] ist ein Ausdruck der balinesischen Kultur).
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 5.2.1.4.1 der Lernunterlage Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie
[2] Siehe Kapitel 2.3.1
[3] Siehe Kapitel 5.2.1.4.2 der Lernunterlage Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie
[4] Siehe Kapitel 5.2.1.4.2.1 der Lernunterlage Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie
Nächstes Kapitel: 5.4 Postmoderne Kritik, literal turn und die Krise der Repräsentation