Funktion und Sinn von Statistik/Formen

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Vorheriges Kapitel: 1.1 Qualitative und Quantitative Forschungsmethoden - Gegensatz oder Ergänzung?

1.2 Formen der Statistik

verfasst von Erwin Ebermann

Man unterscheidet im wesentlichen zwei verschiedene Formen der Statistik:

  • die deskriptive Statistik, bei der mit einfachen Maßzahlen und Grafiken Wesentliches über einen Untersuchungsgegenstand ausgedrückt werden soll, sowie
  • die schließende oder analystische Statistik, die sich im wesentlichen die Frage stellt, inwieweit das Gemessene als Abbild der Realität geeignet ist.

Vergleich anhand der Einkommenssituation in Bangladesh

Nehmen wir an, wir untersuchen die Einkommensituation in zwei benachbarten Dörfern in Bangladesh. Wir stellen in den beiden Dörfern ein bestimmtes Durchschnittseinkommen fest und drücken dies in einer Maßzahl aus, z.B. dem Median[1] oder dem Mittelwert[2]. Mittels eines Balkendiagramms[3] zeigen wir auch optisch, dass das Durchschnitseinkommen von Dorf A höher ist als das von Dorf B. Bisher sind wir immer noch im Bereich der deskriptiven Statistik geblieben.

Wenn wir uns nun allerdings die Frage stellen, ob der von uns festgestellte Einkommensunterschied zwischen den beiden Dörfern zufälliger Natur oder hoch signifikant[4] ist, dann geraten wir mit den entsprechenden Methoden (z.B. dem T-Test (Wikipedia)[5]) in den Bereich der schließenden Statistik.

Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.3.3
[2] Siehe Kapitel 3.3.2
[3] Siehe Kapitel 3.6.1.3
[4] Siehe Kapitel 1.3.2
[5] http://de.wikipedia.org/wiki/T-Test

Inhalt

1.2.1 Deskriptive Statistik

Die deskriptive Statistik hat zum Ziel, die wesentlichen Eigenheiten eines Untersuchungsgegenstandes zusammenzufassen und in wenigen Maßzahlen bzw. Diagrammen klar und verständlich zu beschreiben.

Die Aussagen der deskriptiven Statistik beziehen sich dabei immer nur auf die untersuchte Stichprobe. Die Darstellungsformen liegen in Maßzahlen, in Grafiken[1] und Tabellen. Häufige Maßzahlen der deskriptiven Statistik sind z.B. Mittelwerte[2] oder die Streuung einer Stichprobe[3] oder deren grafische Entsprechungen in Form z.B. von Kreis- oder Stabdiagrammen[4].

Beispiel: Vergleichende Dorfstudien in Mali

Wir untersuchen zwei Siedlungen in Mali in Westafrika. Wir befragen jeweils 50 Personen aus den beiden Siedlungen zu Einschätzungen eines in der Gegend lebenden Volkes. Wir halten nüchtern fest, wie diese Einschätzungen ausfallen. Wir können dann z.B. angeben, dass das rinderzüchtende Volk der Fulbe in Nkorongoji relativ negativ betrachtet wird, in der Stadt Kita hingegen eher positiv. Das sind nüchterne Beschreibungen = Deskriptionen.

Bei der deskriptiven Statistik untersuchen wir nicht, ob diese Unterschiede der Einschätzungen der Fulbe möglicherweise zufälliger Natur sein könnten (weil die Stichproben[5] zu klein waren; die Einschätzungsabstände zu klein; weil wir durch viel Pech trotz sorgfältiger Auswahl der Befragten im Ort Nkorongoji gerade an die Personengruppen geraten sind, welche aus historischen Gründen Fulbe negativ gegenüber stehen, während die Mehrheit eher positiv denkt usw.). Die Untersuchung der Wahrscheinlichkeit[6] der Unterschiede gehört zur Analytischen Statistik.


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.6
[2] Siehe Kapitel 3.3
[3] Siehe Kapitel 3.4
[4] Siehe Kapitel 3.6.1
[5] Siehe Kapitel 2.1.1
[6] Siehe Kapitel 1.3


1.2.2 Analytische Statistik

Die analytische (auch schließende oder deduktive[1] genannt) Statistik beschäftigt sich im Wesentlichen mit der Frage der Zufälligkeit statistisch gemessener Phänomene. So stellt man sich die Frage, inwieweit ein in einer Stichprobe gemessener Mittelwert[2] vom Mittelwert der Grundgesamtheit[3] abweichen[4] könnte; man stellt sich bei verschiedenen Stichproben die Frage, ob sie angesichts ihrer gemessenen Unterschiede noch zur gleichen Grundgesamtheit gehören können u.a. Hier wird also versucht, die untersuchte Stichprobe in einem größeren Ganzen einzuordnen, wobei auch der Untersuchung der Wahrscheinlichkeit von Zusammenhängen[5] bzw. Differenzen breiter Raum eingeräumt wird.

Beispiel 1: Sind Unterschiede (über-)zufällig?

In einem Ort A findet man bei 50 Befragten ein Durchschnittseinkommen von € 1300 ermittelt, im Ort B bei einer gleich großen Stichprobe[6] ein Durchschnittseinkommen von € 1765. Mit Methoden der analytischen Statistik könnten wir herausfinden, ob der Einkommensunterschied zwischen diesen beiden Stichproben die Verallgemeinerung erlaubt, dass die Bevölkerungen der beiden Orte tatsächlich unterschiedlich gut verdienen oder ob der gemessene Unterschied rein zufälliger Natur[7] sein könnte (weil die Befragten sich trotz aller Sorgfalt bei ihrer Auswahl gerade an diesem Punkt von ihren MitbewohnerInnen unterscheiden).

Beispiel 2: Ist ein gemessenes Ergebnis noch ’normal’?

Normalerweise sollten beim Roulette-Spiel in einem längeren Untersuchungszeitraum alle 37 Zahlen etwa gleich häufig auftreten. In einem Spielcasino kamen im Untersuchungszeitraum am Roulette-Tisch verschiedene Zahlen deutlich häufiger als andere vor. Mit den geeigneten (analytischen) Methoden der Wahrscheinlichkeitsrechnung ermittelt man, ob der Roulette-Tisch möglicherweise einseitig so beschaffen oder abgenützt ist, dass man wahrscheinlich auf Dauer mit unterschiedlichen Häufigkeiten rechnen muss oder ob die gemessenen Ergebnisse rein zufälliger Natur waren.


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 2.2 der Lernunterlage Einführung in die Empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie
[2] Siehe Kapitel 3.3
[3] Siehe Kapitel 2.1
[4] Siehe Kapitel 1.3.1
[5] Siehe Kapitel 3.5
[6] Siehe Kapitel 2.1.1
[7] Siehe Kapitel 1.3.2


Nächstes Kapitel: 1.3 Wahrscheinlichkeiten, nicht Gewissheit


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