Konsum in Zeiten der Globalitaet/Historisch

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4.3 Globalisierter Konsum als Ergebnis historischer Prozesse

Verfasst von Maria Dabringer

Beschäftigt man/frau sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit globalisierter Warenproduktion, -verteilung und -konsum ist es unerlässlich, sich nicht nur den derzeitigen globalen Vernetzungen von Konsumkultur zu widmen. Die lokal-historischen Entwicklungen und Rahmenbedingungen müssen selbstverständlich in die Analyse von aktuell praktiziertem Konsum einfließen.

Zu beachten ist dabei, dass in verschiedenen Gesellschaften immer viele differenzierte Formen von Güterkonsum existieren, abhängig von den jeweilig vorhandenen Ressourcen, gesellschaftlichen Verhaltensmustern, Sozialorganisation, Produktionsbedingungen, Gruppenzugehörigkeit, individueller Auswahl, Klassenbewußtsein oder ethnischer Zugehörigkeit etc.

Diese Differenzen sind Produkte historischer Entwicklungen, die es bei der Analyse von Konsum ebenfalls zu beachten gilt.


Inhalt

4.3.1 Nahrungskonsum in den Anden Lateinamerikas

Die unterschiedlichsten Faktoren beeinflussen heute den Nahrungsmittelkonsum im andinen Raum. Als Parameter dafür können erwähnt werden:

  • Ethnische Vielfalt innerhalb der Andenstaaten,
  • ökologisch vielfältige Rahmenbedingungen,
  • differenzierter Zugang zu Nahrungsmitteln durch soziale Schichtung (Polarisierung von Arm und Reich),
  • unterschiedliche Technologien, um Nahrungsmittel zu verarbeiten,
  • spezialisiertes Wissen über den Gebrauch von Nahrungsmitteln,
  • die Marginalisierung des ländlichen Produktionssektors
  • mangelnde Ausbildungsstrukturen sowie
  • die gleichzeitige Dominanz von Nahrungsmittelkonzernen bei der Gestaltung des "food systems".

All diese Aspekte der andinen Lebenswelt bedingen und beieinflussen eine Vielfalt von unterschiedlichen Konsumgewohnheiten innerhalb der Andenstaaten. Diese konkret-lokalen Bedingungen sind Ergebnis historischer Entwicklungen im andinen Raum.


4.3.2 Präkolonialer Nahrungskonsum

Das präkoloniale Amerika war geprägt von ruralem Leben der Bewohner/-innen : 90% der Bevölkerung lebte von der Landwirtschaft. Nahrungsmittel wurden gehandelt, und zwar indem im andinen Bereich Güter des Amazonas-Tieflandes und der Küste mit jenen des Hochlandes und den verschiedenen vertikal genutzten Höhenstufen getauscht wurden.

Das wirtschaftliche Leben war dynamisch organisiert und die einzelnen Ethnien und Gruppen lebten im ständigen Austausch miteinander. Archäologische Funde zeigen Veränderungen der materiellen Kultur durch Eroberungen, Zerstörung und immer wieder neue Kontakte zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. Viele gesellschaftliche Veränderungen beruhten auf Tribut- und Markttauschsystemen. "Gift giving" war ein bedeutender gesellschaftlicher Aspekt amerikanischer Kulturen (Bauer 2001:10f). Der Konsum von Gütern und Nahrungsmitteln wurde auch durch religiöse Riten unterstützt, eingeschränkt, sanktioniert und reguliert. Bestimmte Nahrungsmittel hatten auf Grund ihrer ernährungsphysiologischen Zusammensetzung besonderen Stellenwert und der Umgang mit selbigen war innerhalb des Jahreskreislaufs reguliert bzw. eingebunden in spezielle landwirtschaftliche Riten. (vgl. Sauer 1950, Lathrap 1975, Horkheimer 1960, Bollinger 1986, Dabringer 1996, Haller 2003).

Wichtige präkoloniale Nahrungsmittel im andinen Raum waren u. a. Mais (Zea mays), die Pseudocerealie "quínua" (Chenopodium quinoa), Amaranth (u.a. Amaranthus caudatus), verschiedene Bohnenarten, "chocho" (Lupinus mutabilis) oder "maní" (Erdnüsse, Arachis hypogaea). Knollenfrüchte wie "oca" (Oxalis tuberosa), "mashua" (Tropaeolum tuberosum), "yucca" (Manihot utilissima), die Kartoffel (Solanum tuberosum), Süßkartoffel (Ipomoea batatas) oder "ulluco" (Ullucus tuberosus). Sie bildeten in ihrer ernährungsphysiologischen Komplementarität "[...] the fundamental staple of ordinary people" (Bauer 2001:22). Kürbisarten und Obstsorten wie "chirimoya" (Annona cherimolia) oder "guanábana" (Annona muricata) wurden ebenfalls konsumiert. Als Gewürze verwendeten die Menschen unter anderen "paico" (Chenopodium ambrosioides) oder "ají" (Capsicum annuum). Kokablätter (Erythroxylon coca) waren fixer und integraler Bestandteil der Alltagskultur der Eliten im Inkareich, u. a. ermöglichte dieses Nahrungsmittel das Erbringen körperlicher Leistungen in den Höhenlagen der Anden (vgl. Bollinger 1986, Morales 1989). Das gesellschaftliche System zur Versorgung der Bevölkerung funktionierte insofern, als die Menschen von den produzierten Gütern ausreichend versorgt leben konnten und Überschüsse zu Zeiten der Inkaherrschaft für die Aufrechterhaltung von Tauschbeziehungen und damit für die Festigung sozialer und politischer Beziehungen verwendet wurden (Bauer 2001:44).


4.3.3 Konsum in Zeiten der Kolonialisierung

Seit der Invasion der Europäer/-innen im andinen Lateinamerika ab dem 16. Jahrhundert ist die materieller Kultur dieser Region geprägt durch den Import europäischer Güter (euroasiatische Getreidesorten, europäische Tierarten, etc.). Die europäische Kultur sollte damit implementiert werden.

Von den Städten ausgehend, überschwemmte eine neue Lebensweise nach und nach unterstützt durch die Missionierung Dörfer und die ländlichen Gebiete. Konsumgüter fanden Eingang in die lateinamerikanischen Gesellschaften, neue Unterschiede in Form von Klassen und Identitäten wurden mittels Zugang oder Nicht-Zugang zu Nahrungsmitteln erkannt und gelebt. Viele kulturelle Eigenheiten der präkolumbischen Bevölkerung wurden zerstört, der Konsum gewisser Nahrungsmittel systematisch verboten: Religiöser Fanatismus', koloniales Machtstreben, rassistische Vorurteile und teils "geschmackliche" Ressentiments förderten diese Entwicklung (vgl. Dabringer 2001). Gleichzeitig wurden Nahrungsmittel wie Kartoffeln, Tomaten, Mais u. a. Nahrungsmittel als Exotica nach Europa importiert (vgl. Warman 1995). Ein reger Warenaustausch mit "civilizing goods" (Bauer 2001:85ff) zwischen den Kontinenten hatte begonnen (vgl. Wolf 1986).(link) Betroffen waren meist nur die Eliten, die Nahrungsversorgung der "gemeinen" Bevölkerung "[...] continued [...] to depend primarily upon the ancestral diet of native foods" (Bauer 2001:12).


4.3.4 "Modernitätsbestrebungen" und Konsum im 19. Jahrhundert

Mit der Unabhängigkeit der lateinamerikanischen Staaten vom "Mutterland" Spanien im 19. Jahrhundert wurde "Modernität" zu einem der wichtigsten Schlagworte für die elitären Gesellschaftsschichten. Abgrenzung sowohl zu den indigenen Bevölkerungsgruppen als auch zu den sozial Benachteiligten, definiert über den Begiff "extranjerisación", (Bauer 2001:150) erfolgte über Güter und Nahrungsmittel aus Europa, Bauer nennt sie auch "modernizing goods".

"[...] it was to place one´s self at the peak of the historical moment, it was to be 'modern' " (Bauer 2001:12).

Die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts waren geprägt von einer Debatte um diese in Lateinamerika allseits gewünschte und ersehnte "Modernität". Die Rückbesinnung auf mestizische Identitätenbildung, auf "mestizo politics" und nationalistische Strömungen prägte das ablehnende Denken über die Nutzung materieller Güter aus Europa und dem Westen. Grundsätzlich abgelehnt, wurden die Güter jedoch weiterhin genutzt. Der in den 1920er Jahren aufkommende "indigenismo", der indigene Bevölkerung "entwickeln" und "modernisieren" wollte, unterstützte importsubstituierende Industriezweige westlichen Zuschnitts (diese produzierten "developing goods") und die Stärkung einer "national-mestizischen" Kultur "[...] to bring people perceived as Indian into a national political and material culture" (Bauer 2001:13).


4.3.5 Konsumgüter und exportoriertierter liberaler Kapitalismus

Seit den 1970er Jahre herrschte ein exportorientierter liberaler Kapitalismus vor, der mit seinen Konsumgewohnheiten und seinen weltweit sich verbreitenden Ideenwelten die Gesellschaft der lateinamerikanischen Großstadt Quito erreichte, seit Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem die Eliten. Erleichterte Handelsbedingungen und die Ansiedelung diverser US-amerikanischer und europäischer Nahrungsmittelkonzerne in, beispielsweise, Ecuador vergrößerten das Spektrum an Nahrungsmittel, die heute zum Verkauf stehen. "Global goods" überschwemm(t)en seit den 1970er Jahren den Markt. Die populäre materielle Kultur Lateinamerikas ist heute für Konsumenten/-innen besonders wichtig geworden.

"Today the pole of attraction is mainly the popular material culture of the United States, and the appeal of these goods reaches much deeper into Latin American society than before" (Bauer 2001:202).

Zugänglich ist die Massenware mittlerweile nicht mehr nur für die Eliten, wie das in den Jahrhunderten seit der Eroberung Amerikas der Fall war. Auch in den "barrios populares" (ärmere Siedlungsgebiete lateinamerikansicher Städte) sind gewisse "global goods" mittlerweile (meist in minderer, billigerer Qualität) erhältlich und somit allen Bevölkerungsschichten zugänglich. Doch nur theoretisch können sich alle KonsumentInnen diese "global goods" leisten, denn die sozialen Unterschiede und der effektive Zugang (= Erwerb) ist letztlich nur mit entsprechenden finanziellen Mitteln möglich.

Im Jahr 2001 verfügte die ecuadorianische Hauptstadt Quito über acht "shopping-centers", die größten davon hatten ca. 400 Einzelgeschäfte. Der Anglizismus "shopping" ist eines der frequentiertesten Wörter des städtisch-lateinamerikanischen Spanisch. Beonders interessant erweist sich die Auseinandersetzung mit Nahrungsmitteln als Konsumgüter, da sich hier die existentielle Notwendigkeit zu essen mit den globalen Strömungen, Trends und Moden vermischt.

Es wird deutlich, dass Güter und damit verbundene Ideologien und Moden, auch in den ärmsten Bevölkerungsgruppen, meist als wertvoller angesehen werden als die Qualität der Nahrungsmittel selbst (Bauer 2001:207).

Diese Entwicklungen paaren sich mit "the persuasive power of today´s media" (Bauer 2001:204) zu einem Ganzen. Der Einfluss der Medien erreicht heute in Ecuador fast alle Bevölkerunggruppen und tut das Seine, um die Konsumorientierung der Gesellschaft zu konsolidieren und den Erwerb der beworbenen Produkte für alle erstrebenswert zu machen.


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