Rituelle Körperhaltungen als Tore in die andere Wirklichkeit/Herkunft

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Vorheriges Kapitel: 2.1 Die Entdeckung der rituellen Körperhaltungen

2.2 Herkunft und Verbreitung der rituellen Körperhaltungen

verfasst von Susanne Jarausch

  • Abbildung: Vier Darstellungen zeigen die rituelle Körperhaltung „das Rufen der Tiere“: Ein Spindelgewicht, Cowichan (amerikanische NW-Küste) 19. Jh.; eine Felszeichnung aus Kalifornien; eine Tonfigur von Cochiti Pueblo, Neumexiko und eine Felszeichnung aus Korgsta, Schweden. (Goodman 1989: 75)
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Darüber, wie die Menschen im Lauf der Geschichte auf diese Haltungen kamen, wissen wir nichts. In den Mythologien finden wir dazu keine Angaben, sie erzählen uns jedoch, wie Rituale als Geschenke aus der anderen Wirklichkeit in Visionen geschaut oder in diese Wirklichkeit herübergeträumt wurden. Es liegt nahe, dass die Haltungen als religiöse Rituale ebensolche Geschenke, Offenbarungen aus der anderen Wirklichkeit sind.

Die meisten rituellen Körperhaltungen stammen aus den Kulturen der Jäger und Sammlerinnen und der Gartenbauer (jener Völkerschaften, die neben dem Jagen oder Fischen kleine Stücke Land bearbeiten und nicht wie die Ackerbauer offene Felder besitzen). Es sind Menschen, bei denen es keine Befehlsgewalt und hierarchische Ordnungen gibt, nicht einmal bei den Geistern. Das Verhalten wird vom Prinzip der Gegenseitigkeit bestimmt, die Ethik ist die der angemessenen Handlungsweise. Eine Ich-Identität, wie wir sie kennen, ist noch nicht in diesem Ausmaß ausgebildet, ein verbindendes Wir ist in der Gemeinschaft und auch mit der Umwelt tragend.

Ihre Rituale, so auch die rituellen Körperhaltungen, bilden eine Schutzmauer gegen die Welt der Ackerbauer mit ihrer Gespaltenheit in Gut und Böse und ihrer Angst vor allem Dämonischen. Bei den Ackerbauvölkern sind keine neuen Haltungen mehr aufgetaucht und die althergebrachten sind allmählich verschwunden. Eine Körperhaltung wird nicht mehr als konkrete Brücke zum Erleben der anderen Wirklichkeit gewertet, sondern als Symbol gewisser Glaubensinhalte. In dieser tiefgehenden Verschiebung des Religiösen versinkt das Geheimnis der Haltungen.

Ein und dieselbe Haltung ist oft weltweit in Darstellungen aus unterschiedlichen Zeitepochen zu sehen, von manchen, besonders den ältesten Haltungen, gibt es nur Einzelfunde.

Wie sich der Erlebnisinhalt dieser weltweit sehr häufigen Haltung aus der Jägerkultur, mit der das Wild angelockt wird, enthüllte, beschreibt Felicitas Goodman in ihrem Buch „Wo die Geister auf den Winden reiten“ (2007: 95-104).

Zwei Beispiele in den folgenden Abschnitten zeigen die weite Verbreitung und das Alter der Haltungen.

Inhalt

2.2.1 Der Bärengeist — eine der häufigsten Haltungen

Die Haltung mit dem Bärengeist[1], eine Heilhaltung, ist seit mindestens siebentausend Jahren auf der ganzen Welt sowohl bei den Jägerstämmen wie auch bei den Gartenbauvölkern und den nomadisierenden Hirten Sibiriens bekannt.

Sie ist eine der häufigsten Haltungen, auf den Kykladen allein wurden 34 dieser Haltungen gefunden. Die folgende Abbildung zeigt Darstellungen aus verschiedenen Kulturen:

  • Abbildung: Darstellungen aus verschiedenen Kulturen (Goodman 1989: 132,133) Abb. 25: Kreta 5000 bis 4000 v.u.Z., Abb. 26: Kalkbehälter aus Gold, Stamm der Quimbaya, Kolumbien präkolumbianisch, Abb. 27: Insel im Stillen Ozean (sonst keine Angaben), Abb. 28: Holzfigur, Pangwe (Fang), Gabon und Kamerun, Afrika, Abb. 29: Steinfigur, Rhea County, Tennessee, 1300 bis 1700 n.u.Z.,
  • Abb. 30a: Holzfigur von den Gilyaken an der Mündung des Amur, Sibirien, zeitgenössisch, Abb. 30b: Menhir, Saint-Germain-sur-Rance, Frankreich, 2000 v.u.Z., Abb. 30c: Walrosszahn, Eskimo, Banks Island, Northwest Territory, Kanada, 1800 bis 1850 n.u.Z, Abb. 30d: Sitka Puppe, Holz, amerikanische Nordwestküste, Abb. 30e: Uschebti, ein dienendes Wesen im Totenreich; blaue Fayance, Ägypten, Spätzeit.
  • Abbildung: Weltkarte aus Goodman 1989: 130,131

Verweise:
[1] Siehe Kapitel 2.4.1

2.2.2 Die Fanny — die älteste Haltung

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Die älteste rituelle Körperhaltung und zugleich auch älteste als weiblich erkennbare Darstellung, die bislang gefunden wurde, ist die 1988 von der österreichischen Archäologin Dr. Christine Neugebauer-Maresch in Stratzing/Krems-Rehberg entdeckte Venus vom Galgenberg (nach der bekannten Tänzerin auch Fanny genannt) mit 32.000 Jahren. Eine 7,2 cm große Figur aus grünlichem, stark glänzendem Schiefer.

Das Gewicht der Frau ruht auf dem durchgestreckten, linken Standbein, das rechte Bein ist in Kniehöhe leicht abgebogen. Der Oberkörper ist von den Hüften aufwärts leicht nach links gedreht, die linke Brust, der Kopf und der erhobene linke Arm sind in Seitenansicht dargestellt. Der rechte Arm ist seitlich am Körper von diesem getrennt und berührt dann den Oberschenkel. Als Fortsetzung ist neben dem rechten Bein ein länglicher Gegenstand, vielleicht ein Stab, angedeutet.

Der Winkel zwischen dem Kopf und dem hochgestreckten linken Arm misst 37 Grad, ein Winkel, der wie beim Mann von Lascaux[1] ein Indikator für eine Reise in die obere Welt ist. Bei der Fanny geht das Erleben jedoch darüber hinaus, es ist eine komplexe Seelenreise in alle drei Welten .

So wie es die Aufgabe der Schamanen war bzw. ist, erleben sich die Menschen in die Weiten des Kosmos fliegen, berühren die Muster der noch ungeformten Wirklichkeit, bringen die Energien auf die Erde und schaffen hier Gleichgewicht und Harmonie. Sie erleben sich als Weltenbaum, der in die unendlichen Weiten des Kosmos reicht und reisen in die obere und untere Welt.

„ (Ich wurde zu) einer sehr komplexen, multidimensionalen Matrix mitgenommen… einem äußerst komplizierten Muster. Ich fuhr den Linien nach und durch die Zwischenräume hindurch… Plötzlich explodierte ich in einen Lichtsamen… (Wenn ich einen Ton auf dieser anderen Ebene von mir gab), schien es zu einer Verschiebung, Wendung oder Verbindung zwischen Teilen der Matrix beizutragen, die zuvor noch nicht miteinander verbunden waren.“

„Ich versuchte mich zu konzentrieren. Die Versammlung (der Bäume) fand auf einer so tiefen Ebene statt – sie reichte in alle Tiefen und bis in die Sterne hinauf -, und ich begriff, dass die Bäume versuchten, sich nach einem Muster in den Sternen zu richten und dass ich das mit meinem eigenen Körper auch tun konnte – Körper, Bäume, Erde, Sterne, wenn alle in Übereinstimmung miteinander waren, konnte die Energie fließen. „Ist das alles?“ fragte ich. Eine etwas erstaunte, strenge Stimme sagte: „Wieso nicht? Das ist alles – diese Übereinstimmung mit einem großen Muster, damit die Energie durch alles fließen kann – darin liegt die Bedeutung aller Dinge.“ (B. Gore, 1996: 222-223)

„Ich wachse spiralig hinauf, werde sehr groß, es ist hell und klar. Mein Arm reicht wie ein riesiger Ast des Weltenbaums weit ins Universum, in seine Muster hinein. Ich bin in diesen Mustern und gleichzeitig spüre ich Energie durch den Arm herunter fließen. Dann gehen Energiestrahlen aus meinen Fingern nach oben und zeichnen Linien ins Universum. Wie Sternenstaub rieselt die neue Energie in meine erhobene Hand und durch mich hindurch in die Erde. Ich begreife, dass oben gleich unten ist, was oben sich bewegt, ohne dort eine Form anzunehmen, bewegt sich unten, sprießt in den Pflanzen, Tieren, allen Wesen auf der Erde. Es ist ein Tanz von Energie, ich tanze mit, wiege mich. Das Leben ist ein Tanz, die Verbindung von oben und unten. Eine spiralige Bewegung geht hinauf und hinunter und trifft sich mittig. Von dieser Mitte spüre ich eine unermessliche Liebe nach allen Seiten ausgehen, ein Ja zum Sein, klar und nüchtern. In dieser heilsamen und weisen Energie fühle ich mic

Verweise:
[1] Siehe Kapitel 2.1.1


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