Difference between revisions of "Einführung in die Kinship Studies"
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<blockquote>„I believe that kinship is really the most difficult subject of social anthropology...“ (Malinowski 1930: 20)</blockquote> | <blockquote>„I believe that kinship is really the most difficult subject of social anthropology...“ (Malinowski 1930: 20)</blockquote> | ||
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Für diese Fragen sind in der Theoriengeschichte des Faches sehr unterschiedliche Lösungen gefunden worden. Die meisten dieser Ansätze sind nicht richtig oder falsch per se; bei entsprechendem Forschungsinteresse liefern sie Antworten auf bestimmte Fragen und lassen andere unbeachtet. Sie reflektieren die historische Entwicklung der Kultur- und Sozialanthropologie ebenso wie unterschiedliche Epistemologien in diversen Spannungsfeldern wie etwa Kultur versus Struktur, Verstehen versus Erklären, Individuum versus Gesellschaft usw.<br /> | Für diese Fragen sind in der Theoriengeschichte des Faches sehr unterschiedliche Lösungen gefunden worden. Die meisten dieser Ansätze sind nicht richtig oder falsch per se; bei entsprechendem Forschungsinteresse liefern sie Antworten auf bestimmte Fragen und lassen andere unbeachtet. Sie reflektieren die historische Entwicklung der Kultur- und Sozialanthropologie ebenso wie unterschiedliche Epistemologien in diversen Spannungsfeldern wie etwa Kultur versus Struktur, Verstehen versus Erklären, Individuum versus Gesellschaft usw.<br /> | ||
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+ | [[Kinship_als_Forschungsfeld#1. Kinship als Forschungsfeld|1. Kinship als Forschungsfeld]]<br /> | ||
+ | [[Was_ist_Verwandtschaft?#2. Was ist Verwandtschaft?|2. Was ist Verwandtschaft?]]<br /> | ||
+ | [[Geschichte_der_Kinship_Studies#3. Geschichte der Kinship Studies|3. Geschichte der Kinship Studies]]<br /> | ||
+ | [[Neuere_Entwicklungen#4. Neuere Entwicklungen|4. Neuere Entwicklungen]]<br /> | ||
+ | [[Deskriptive_Darstellung_genealogischer_Beziehungen#5. Deskriptive Darstellung genealogischer Beziehungen|5. Deskriptive Darstellung genealogischer Beziehungen]]<br /> | ||
+ | [[Grundlegende_Konzepte#6. Grundlegende Konzepte|6. Grundlegende Konzepte]]<br /> | ||
+ | [[Terminologische_Systeme#7. Terminologische Systeme|7. Terminologische Systeme]]<br /> | ||
+ | [[Deszendenz#8. Deszendenz|8. Deszendenz]]<br /> | ||
+ | [[Allianz#9. Allianz|9. Allianz]]<br /> | ||
+ | [[Übungsaufgaben#10. Übungsaufgaben|10. Übungsaufgaben]]<br /> | ||
+ | [[Literatur#11. Literatur|11. Literatur]]<br /> | ||
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[[Kinship_als_Forschungsfeld#1. Kinship als Forschungsfeld|1. Kinship als Forschungsfeld]]<br /> | [[Kinship_als_Forschungsfeld#1. Kinship als Forschungsfeld|1. Kinship als Forschungsfeld]]<br /> | ||
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<sup>Verfasst von Wolfgang Kraus</sup> | <sup>Verfasst von Wolfgang Kraus</sup> | ||
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Am Beispiel des Forschungsfeldes der Kinship Studies zeigt sich ein grundlegendes Problem für eine Wissenschaft, die den Anspruch vertritt, unterschiedliche kulturelle Konzeptionen untersuchen zu können, ohne dabei unkritisch die eigenen kulturgebundenen Auffassungen auf andere zu projizieren. Sind die Konzepte, die für Deskription, Analyse und Vergleich zur Anwendung kommen, ausreichend „kulturfrei“, um unterschiedliche kulturelle Erscheinungformen zu erfassen, ohne dabei bestimmte Konzeptionen gegenüber anderen zu privilegieren? Oder reproduzieren wir, wenn wir von Verwandtschaft sprechen, nur unbewußt unser eigenes Verständnis und verwechseln dies mit einer formalen und kulturell neutralen Sichtweise? Solche Fragen lassen sich in vielen Forschungszusammenhängen stellen; sie haben dazu geführt, dass es unter den Begriffsdefinitionen und theoretischen Konzepten im Bereich der Kinship Studies nur wenige gibt, die nicht debattiert und in Frage gestellt worden wären.<br /> | Am Beispiel des Forschungsfeldes der Kinship Studies zeigt sich ein grundlegendes Problem für eine Wissenschaft, die den Anspruch vertritt, unterschiedliche kulturelle Konzeptionen untersuchen zu können, ohne dabei unkritisch die eigenen kulturgebundenen Auffassungen auf andere zu projizieren. Sind die Konzepte, die für Deskription, Analyse und Vergleich zur Anwendung kommen, ausreichend „kulturfrei“, um unterschiedliche kulturelle Erscheinungformen zu erfassen, ohne dabei bestimmte Konzeptionen gegenüber anderen zu privilegieren? Oder reproduzieren wir, wenn wir von Verwandtschaft sprechen, nur unbewußt unser eigenes Verständnis und verwechseln dies mit einer formalen und kulturell neutralen Sichtweise? Solche Fragen lassen sich in vielen Forschungszusammenhängen stellen; sie haben dazu geführt, dass es unter den Begriffsdefinitionen und theoretischen Konzepten im Bereich der Kinship Studies nur wenige gibt, die nicht debattiert und in Frage gestellt worden wären.<br /> | ||
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+ | [[Kinship_als_Forschungsfeld#1. Kinship als Forschungsfeld|1. Kinship als Forschungsfeld]]<br /> | ||
+ | :[[Kinship_als_Forschungsfeld#1.1 Unterschiedliche Forschungstraditionen|1.1 Unterschiedliche Forschungstraditionen]]<br /> | ||
+ | :[[Kinship_als_Forschungsfeld#1.2 Ist Kinship gleich Verwandtschaft?|1.2 Ist Kinship gleich Verwandtschaft?]]<br /> | ||
+ | :[[Kinship_als_Forschungsfeld#1.3 Zum Nutzen von Verwandtschaft|1.3 Zum Nutzen von Verwandtschaft]]<br /> | ||
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== 1.1 Unterschiedliche Forschungstraditionen == | == 1.1 Unterschiedliche Forschungstraditionen == | ||
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In anderen Gesellschaften können die formellen und informellen Dimensionen von Verwandtschaft ganz anders strukturiert sein. Es ist auch möglich, dass diese Unterscheidung weniger deutlich oder überhaupt nicht getroffen werden kann.<br /> | In anderen Gesellschaften können die formellen und informellen Dimensionen von Verwandtschaft ganz anders strukturiert sein. Es ist auch möglich, dass diese Unterscheidung weniger deutlich oder überhaupt nicht getroffen werden kann.<br /> | ||
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<sup>Verfasst von Wolfgang Kraus</sup><br /> | <sup>Verfasst von Wolfgang Kraus</sup><br /> | ||
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Das Verhältnis von Biologie und Kultur [[Was_ist_Verwandtschaft?#2.1 Biologie und Kultur|[> 2.1]]], das für das Fach einst klar erschien, ist allerdings neu problematisiert worden, seit ab den 1970er Jahren kritische Stimmen einwendeten, dass die scheinbar kulturell neutrale genealogische Perspektive der Kultur- und Sozialanthropologie einen eurozentrischen biologistischen bias aufweise. Sie beruhe auf kulturellen Annahmen über die biologische Grundlage von Verwandtschaft, die in manchen anderen Gesellschaften keine Entsprechung hätten [[Neuere_Entwicklungen#4.1 Die kulturalistische Kritik|[> 4.1]]]. Ob ein Verständnis verwandtschaftlicher Konzeptionen und Praktiken nur in der internen Logik des jeweiligen kulturellen Kontextes möglich ist oder ob es auf der Basis universell anwendbarer komparativer Konzepte erlangt werden kann, das ist die große Frage, der sich die Kinship Studies heute nicht mehr entziehen können.<br /> | Das Verhältnis von Biologie und Kultur [[Was_ist_Verwandtschaft?#2.1 Biologie und Kultur|[> 2.1]]], das für das Fach einst klar erschien, ist allerdings neu problematisiert worden, seit ab den 1970er Jahren kritische Stimmen einwendeten, dass die scheinbar kulturell neutrale genealogische Perspektive der Kultur- und Sozialanthropologie einen eurozentrischen biologistischen bias aufweise. Sie beruhe auf kulturellen Annahmen über die biologische Grundlage von Verwandtschaft, die in manchen anderen Gesellschaften keine Entsprechung hätten [[Neuere_Entwicklungen#4.1 Die kulturalistische Kritik|[> 4.1]]]. Ob ein Verständnis verwandtschaftlicher Konzeptionen und Praktiken nur in der internen Logik des jeweiligen kulturellen Kontextes möglich ist oder ob es auf der Basis universell anwendbarer komparativer Konzepte erlangt werden kann, das ist die große Frage, der sich die Kinship Studies heute nicht mehr entziehen können.<br /> | ||
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+ | <div class="eksa_toc"> | ||
+ | [[Was_ist_Verwandtschaft?#2. Was ist Verwandtschaft?|2. Was ist Verwandtschaft?]]<br /> | ||
+ | :[[Was_ist_Verwandtschaft?#2.1 Biologie und Kultur|2.1 Biologie und Kultur]]<br /> | ||
+ | :[[Was_ist_Verwandtschaft?#2.2 Grundlegende anthropologische Perspektiven|2.2 Grundlegende anthropologische Perspektiven]]<br /> | ||
+ | :[[Was_ist_Verwandtschaft?#2.3 Eine Definition von Verwandtschaft|2.3 Eine Definition von Verwandtschaft]]<br /> | ||
+ | :[[Was_ist_Verwandtschaft?#2.4 Umfassendere Definitionen|2.4 Umfassendere Definitionen]]<br /> | ||
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== 2.1 Biologie und Kultur == | == 2.1 Biologie und Kultur == | ||
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<sup>Verfasst von Wolfgang Kraus</sup><br /> | <sup>Verfasst von Wolfgang Kraus</sup><br /> | ||
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+ | [[Geschichte_der_Kinship_Studies#3. Geschichte der Kinship Studies|3. Geschichte der Kinship Studies]]<br /> | ||
+ | :[[Geschichte_der_Kinship_Studies#3.1 Morgan und seine Zeitgenossen|3.1 Morgan und seine Zeitgenossen]]<br /> | ||
+ | :[[Geschichte_der_Kinship_Studies#3.2 Die Weiterentwicklung|3.2 Die Weiterentwicklung]]<br /> | ||
+ | :[[Geschichte_der_Kinship_Studies#3.3 Verwandtschaft im Funktionalismus|3.3 Verwandtschaft im Funktionalismus]]<br /> | ||
+ | :[[Geschichte_der_Kinship_Studies#3.4 Verwandtschaft im Strukturalismus|3.4 Verwandtschaft im Strukturalismus]]<br /> | ||
+ | :[[Geschichte_der_Kinship_Studies#3.5 Verwandtschaftsterminologie|3.5 Verwandtschaftsterminologie]]<br /> | ||
+ | :[[Geschichte_der_Kinship_Studies#3.6 Cross-Cultural-Forschung|3.6 Cross-Cultural-Forschung]]<br /> | ||
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== 3.1 Morgan und seine Zeitgenossen == | == 3.1 Morgan und seine Zeitgenossen == | ||
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<sup>Verfasst von Wolfgang Kraus</sup><br /> | <sup>Verfasst von Wolfgang Kraus</sup><br /> | ||
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+ | [[Neuere_Entwicklungen#4. Neuere Entwicklungen|4. Neuere Entwicklungen]]<br /> | ||
+ | :[[Neuere_Entwicklungen#4.1 Die kulturalistische Kritik|4.1 Die kulturalistische Kritik]]<br /> | ||
+ | :[[Neuere_Entwicklungen#4.2 Feministische Anthropologie und Gender-Perspektive|4.2 Feministische Anthropologie und Gender-Perspektive]]<br /> | ||
+ | :[[Neuere_Entwicklungen#4.3 Neue Reproduktionstechnologien|4.3 Neue Reproduktionstechnologien]]<br /> | ||
+ | :[[Neuere_Entwicklungen#4.4 Aktuelle Perspektiven auf Verwandtschaft|4.4 Aktuelle Perspektiven auf Verwandtschaft]]<br /> | ||
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== 4.1 Die kulturalistische Kritik == | == 4.1 Die kulturalistische Kritik == | ||
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<sup>Verfasst von Wolfgang Kraus</sup> | <sup>Verfasst von Wolfgang Kraus</sup> | ||
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An der impliziten Bevorzugung rechtlich relevanter Beziehungen zeigt sich ein bias der genealogischen Methode, der sich gut aus einer in den Kinship Studies lange vorherrschenden Orientierung auf die rechtliche Rolle von Verwandtschaft erklären läßt. Insofern wird die klassische genealogische Methode den heutigen Perspektiven auf Verwandtschaft nur teilweise gerecht. Im Zuge des kritischen Hinterfragens konventioneller anthropologischer Ansätze ist auch die genealogische Methode einer grundlegenden Kritik [[Deskriptive_Darstellung_genealogischer_Beziehungen#5.6 Kritik an der genealogischen Methode|[> 5.6]]] unterzogen worden. Ihre Anwendung auf aktuelle Forschungsprobleme sollte daher im Bewusstsein dieser Kritik erfolgen.<br /> | An der impliziten Bevorzugung rechtlich relevanter Beziehungen zeigt sich ein bias der genealogischen Methode, der sich gut aus einer in den Kinship Studies lange vorherrschenden Orientierung auf die rechtliche Rolle von Verwandtschaft erklären läßt. Insofern wird die klassische genealogische Methode den heutigen Perspektiven auf Verwandtschaft nur teilweise gerecht. Im Zuge des kritischen Hinterfragens konventioneller anthropologischer Ansätze ist auch die genealogische Methode einer grundlegenden Kritik [[Deskriptive_Darstellung_genealogischer_Beziehungen#5.6 Kritik an der genealogischen Methode|[> 5.6]]] unterzogen worden. Ihre Anwendung auf aktuelle Forschungsprobleme sollte daher im Bewusstsein dieser Kritik erfolgen.<br /> | ||
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+ | [[Deskriptive_Darstellung_genealogischer_Beziehungen#5. Deskriptive Darstellung genealogischer Beziehungen|5. Deskriptive Darstellung genealogischer Beziehungen]]<br /> | ||
+ | :[[Deskriptive_Darstellung_genealogischer_Beziehungen#5.1 Rivers und die genealogische Methode|5.1 Rivers und die genealogische Methode]]<br /> | ||
+ | :[[Deskriptive_Darstellung_genealogischer_Beziehungen#5.2 Kurznotation von Verwandtschaftsverhältnissen|5.2 Kurznotation von Verwandtschaftsverhältnissen]]<br /> | ||
+ | :[[Deskriptive_Darstellung_genealogischer_Beziehungen#5.3 Grafische Notation|5.3 Grafische Notation]]<br /> | ||
+ | ::[[Deskriptive_Darstellung_genealogischer_Beziehungen#5.3.1 Grundlegende Zeichen|5.3.1 Grundlegende Zeichen]]<br /> | ||
+ | ::[[Deskriptive_Darstellung_genealogischer_Beziehungen#5.3.2 Weitere Darstellungskonventionen|5.3.2 Weitere Darstellungskonventionen]]<br /> | ||
+ | ::[[Deskriptive_Darstellung_genealogischer_Beziehungen#5.3.3 Ergänzende Zeichen|5.3.3 Ergänzende Zeichen]]<br /> | ||
+ | :[[Deskriptive_Darstellung_genealogischer_Beziehungen#5.4 Komplexe grafische Darstellungen|5.4 Komplexe grafische Darstellungen]]<br /> | ||
+ | :[[Deskriptive_Darstellung_genealogischer_Beziehungen#5.5 Unterschiedliche Formen von Genealogie|5.5 Unterschiedliche Formen von Genealogie]]<br /> | ||
+ | :[[Deskriptive_Darstellung_genealogischer_Beziehungen#5.6 Kritik an der genealogischen Methode|5.6 Kritik an der genealogischen Methode]]<br /> | ||
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== 5.1 Rivers und die genealogische Methode == | == 5.1 Rivers und die genealogische Methode == | ||
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Als Arzt und Psychologe war Rivers zunächst an genetischen und nicht an sozialen Zusammenhängen interessiert. Im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen zur Farbwahrnehmung bei den Bewohnern der Torresstraßen-Inseln begann er, Genealogien zu sammeln, um die Vererbung physiologischer Eigenschaften zu untersuchen. Er entdeckte jedoch rasch die Möglichkeiten, die das Sammeln weitreichender genealogischer Daten für eine anthropologische Beschäftigung etwa mit Verwandtschaftssystemen und Heiratsformen bot (Rivers 1900: 78). Eine seiner Schussfolgerungen lautet: <blockquote>„The great value of the genealogical method is that it enables one to study abstract problems, on which the savage’s ideas are vague, by means of concrete facts, of which he is a master“ (Rivers 1900: 82).</blockquote><br /> | Als Arzt und Psychologe war Rivers zunächst an genetischen und nicht an sozialen Zusammenhängen interessiert. Im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen zur Farbwahrnehmung bei den Bewohnern der Torresstraßen-Inseln begann er, Genealogien zu sammeln, um die Vererbung physiologischer Eigenschaften zu untersuchen. Er entdeckte jedoch rasch die Möglichkeiten, die das Sammeln weitreichender genealogischer Daten für eine anthropologische Beschäftigung etwa mit Verwandtschaftssystemen und Heiratsformen bot (Rivers 1900: 78). Eine seiner Schussfolgerungen lautet: <blockquote>„The great value of the genealogical method is that it enables one to study abstract problems, on which the savage’s ideas are vague, by means of concrete facts, of which he is a master“ (Rivers 1900: 82).</blockquote><br /> | ||
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Die grafische Darstellungsweise, die Rivers 1900 verwendete (Abb. 2), unterscheidet sich von den heute gebräuchlichen > Konventionen, aber sie enthält, wie Fischer anmerkt, bereits die wichtigsten Prinzipien der heute üblichen Darstellungen – ein Beleg für den anhaltenden Einfluss Rivers’ auf die genealogische Methode (Fischer 1996: 118).<br /> | Die grafische Darstellungsweise, die Rivers 1900 verwendete (Abb. 2), unterscheidet sich von den heute gebräuchlichen > Konventionen, aber sie enthält, wie Fischer anmerkt, bereits die wichtigsten Prinzipien der heute üblichen Darstellungen – ein Beleg für den anhaltenden Einfluss Rivers’ auf die genealogische Methode (Fischer 1996: 118).<br /> | ||
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|Mann | |Mann | ||
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|Frau | |Frau | ||
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− | |[[File: | + | |[[File:K05.png|frameless]] |
|Person undefinierten Geschlechts (nach Fischer 1996: 20) | |Person undefinierten Geschlechts (nach Fischer 1996: 20) | ||
|- | |- | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K06.png|frameless]] |
|Person undefinierten Geschlechts (nach Stone 1998: 7) | |Person undefinierten Geschlechts (nach Stone 1998: 7) | ||
|- | |- | ||
Line 417: | Line 511: | ||
<br /> | <br /> | ||
{| | {| | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K07.png|frameless]] |
|Frau bzw. Mann verstorben | |Frau bzw. Mann verstorben | ||
|- | |- | ||
Line 425: | Line 519: | ||
<br /> | <br /> | ||
{| | {| | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K08.png|frameless]] |
|Filiation | |Filiation | ||
|- | |- | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K09.png|frameless]]] |
|Beispiel 1 | |Beispiel 1 | ||
|- | |- | ||
Line 438: | Line 532: | ||
<br /> | <br /> | ||
{| | {| | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K10.png|frameless]] |
|Geschwisternschaft | |Geschwisternschaft | ||
|- | |- | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K11.png|frameless]] |
|Beispiel 2 | |Beispiel 2 | ||
|- | |- | ||
Line 451: | Line 545: | ||
<br /> | <br /> | ||
{| | {| | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K12.png|frameless]] |
|Heiratsbeziehung | |Heiratsbeziehung | ||
|- | |- | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K13.png|frameless]] |
|Heiratsbeziehung | |Heiratsbeziehung | ||
|- | |- | ||
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<br /> | <br /> | ||
{| | {| | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K14.png|frameless]] |
|Ehe geschieden | |Ehe geschieden | ||
|- | |- | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K15.png|frameless]] |
|Ehe geschieden | |Ehe geschieden | ||
|- | |- | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K16.png|frameless]] |
|Beispiel 3 | |Beispiel 3 | ||
|- | |- | ||
Line 478: | Line 572: | ||
<br /> | <br /> | ||
{| | {| | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K17.png|frameless]] |
+ | |Beispiel 4 | ||
+ | |- | ||
|} | |} | ||
<br /> | <br /> | ||
Line 489: | Line 585: | ||
Darstellung:<br /> | Darstellung:<br /> | ||
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− | [[File: | + | {| |
+ | |[[File:K18.png|frameless]] | ||
+ | |Beispiel 5 | ||
+ | |} | ||
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In einem solchen Diagramm sollte die senkrechte Linie, die zu Tom führt, nicht durchgezogen, sondern etwas versetzt gezeichnet werden. Dies zeigt, dass die Verbindung zwischen Tom und seinen Eltern keinedirektere ist als die zu seinen Geschwistern, und hilft bei komplexen Diagrammen, Verwechslungen mit zufälligen Kreuzungen von Linien zu vermeiden. Der Eindeutigkeit halber sollte bei solchen zufälligen Kreuzungen, die keinen Informationsgehalt vermitteln – etwa wenn sich eine Filiationsbeziehung mit einer Heiratsbeziehung schneidet – eine kleine Brücke eingebaut werden:<br /> | In einem solchen Diagramm sollte die senkrechte Linie, die zu Tom führt, nicht durchgezogen, sondern etwas versetzt gezeichnet werden. Dies zeigt, dass die Verbindung zwischen Tom und seinen Eltern keinedirektere ist als die zu seinen Geschwistern, und hilft bei komplexen Diagrammen, Verwechslungen mit zufälligen Kreuzungen von Linien zu vermeiden. Der Eindeutigkeit halber sollte bei solchen zufälligen Kreuzungen, die keinen Informationsgehalt vermitteln – etwa wenn sich eine Filiationsbeziehung mit einer Heiratsbeziehung schneidet – eine kleine Brücke eingebaut werden:<br /> | ||
<br /> | <br /> | ||
{| | {| | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K19.png|frameless]] |
− | | Überschneidung verschiedener Verbindungen | + | |Überschneidung verschiedener Verbindungen |
|- | |- | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K20.png|frameless]] |
− | | Beispiel 6 | + | |Beispiel 6 |
|- | |- | ||
|} | |} | ||
Line 507: | Line 606: | ||
<br /> | <br /> | ||
{| | {| | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K21.png|frameless]] |
− | | Ego (weiblich) | + | |Ego (weiblich) |
|- | |- | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K22.png|frameless]] |
− | | Ego (männlich) | + | |Ego (männlich) |
|- | |- | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K23.png|frameless]] |
− | | Beispiel 7 | + | |Beispiel 7 |
|- | |- | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K24.png|frameless]] |
− | | Beispiel 8 | + | |Beispiel 8 |
|- | |- | ||
|} | |} | ||
Line 528: | Line 627: | ||
<br /> | <br /> | ||
{| | {| | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K25.png|frameless]]] |
− | | Beispiel 9 | + | |Beispiel 9 |
|- | |- | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K26.png|frameless]] |
− | | Beispiel 10 | + | |Beispiel 10 |
|- | |- | ||
|} | |} | ||
Line 539: | Line 638: | ||
<br /> | <br /> | ||
{| | {| | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K27.png|frameless]] |
− | | Beispiel 11 | + | |Beispiel 11 |
|- | |- | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K28.png|frameless]] |
− | | Beispiel 12 | + | |Beispiel 12 |
|- | |- | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K29.png|frameless]] |
− | | Beispiel 13 | + | |Beispiel 13 |
|- | |- | ||
|} | |} | ||
Line 553: | Line 652: | ||
<br /> | <br /> | ||
{| | {| | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K30.png|frameless]] |
− | | Beispiel 14 | + | |Beispiel 14 |
|- | |- | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K31.png|frameless]] |
− | | Beispiel 15 | + | |Beispiel 15 |
|- | |- | ||
|} | |} | ||
Line 564: | Line 663: | ||
<br /> | <br /> | ||
{| | {| | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K32.png|frameless]] |
− | | Beispiel 16 | + | |Beispiel 16 |
|- | |- | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K33.png|frameless]] |
− | | Beispiel 17 | + | |Beispiel 17 |
|- | |- | ||
|} | |} | ||
Line 577: | Line 676: | ||
<br /> | <br /> | ||
{| | {| | ||
− | |[[File: | + | |[[File:K34.png|frameless]] |
− | | Filiationsbeziehung | + | |Filiationsbeziehung |
|- | |- | ||
|} | |} | ||
Line 594: | Line 693: | ||
<br /> | <br /> | ||
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Ein Beispiel wäre diese anonymisierte persönliche Genealogie, die das genealogische Wissen von „Eva Schnur“ darstellt.<br /> | Ein Beispiel wäre diese anonymisierte persönliche Genealogie, die das genealogische Wissen von „Eva Schnur“ darstellt.<br /> | ||
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In solchen komplexen Diagrammen kann, wenn sie über viele Generationen reichen, die Zeitachse auch horizontal statt vertikal angelegt werden (vgl. Barnes 1967: 121). Die Grundregel, dass Filiation durch eine vertikale und Ehe sowie Geschwisterschaft durch horizontale Linien dargestellt werden [[Deskriptive_Darstellung_genealogischer_Beziehungen#5.3.1 Grundlegende Zeichen|[> 5.3.1]]], ist in diesem Fall umgekehrt. Die Generationenabfolge wird dann statt von oben nach unten von links nach rechts gelesen.<br /> | In solchen komplexen Diagrammen kann, wenn sie über viele Generationen reichen, die Zeitachse auch horizontal statt vertikal angelegt werden (vgl. Barnes 1967: 121). Die Grundregel, dass Filiation durch eine vertikale und Ehe sowie Geschwisterschaft durch horizontale Linien dargestellt werden [[Deskriptive_Darstellung_genealogischer_Beziehungen#5.3.1 Grundlegende Zeichen|[> 5.3.1]]], ist in diesem Fall umgekehrt. Die Generationenabfolge wird dann statt von oben nach unten von links nach rechts gelesen.<br /> | ||
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Ein anderer Anwendungszweck als jener der persönlichen Genealogie sind schematische Darstellungen, die sich nicht auf konkrete Personen beziehen. Sie dienen dazu, formale Zusammenhänge anschaulich zu machen. Das folgende Diagramm zeigt alle logisch möglichen Kintypen [[Terminologische_Systeme#7. Terminologische Systeme|[> 7]]] der näheren Blutsverwandten Egos sowie (in den Generationen 0 und +1) deren EhepartnerInnen. Ein Diagramm dieser Art ist keine Genealogie im eigentlichen Sinn (vgl. Fischer 1996: 87); es eignet sich dagegen gut z.B. für einen Überblick über die Verwandtschaftstermini, die in einer bestimmten Sprache verwendet werden.<br /> | Ein anderer Anwendungszweck als jener der persönlichen Genealogie sind schematische Darstellungen, die sich nicht auf konkrete Personen beziehen. Sie dienen dazu, formale Zusammenhänge anschaulich zu machen. Das folgende Diagramm zeigt alle logisch möglichen Kintypen [[Terminologische_Systeme#7. Terminologische Systeme|[> 7]]] der näheren Blutsverwandten Egos sowie (in den Generationen 0 und +1) deren EhepartnerInnen. Ein Diagramm dieser Art ist keine Genealogie im eigentlichen Sinn (vgl. Fischer 1996: 87); es eignet sich dagegen gut z.B. für einen Überblick über die Verwandtschaftstermini, die in einer bestimmten Sprache verwendet werden.<br /> | ||
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− | [[File: | + | [[File:K40.png|frame|center|Abb. 2. Egos nähere Blutsverwandte und deren EhepartnerInnen (in Anlehnung an Schusky 1965: 10)]]<br /> |
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Eine besonders abstrahierte Form solcher schematischer Darstellungen bilden die Modelle der Struktur von Heiratssystemen, die auf der „Präferenzheirat“ (Lévi-Strauss 1993) mit bestimmten Verwandten beruhen.<br /> | Eine besonders abstrahierte Form solcher schematischer Darstellungen bilden die Modelle der Struktur von Heiratssystemen, die auf der „Präferenzheirat“ (Lévi-Strauss 1993) mit bestimmten Verwandten beruhen.<br /> | ||
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Wenn Sie die Abschnitte 5.3.1 bis 5.3.3 durchgearbeitet haben, dann sollten Sie jetzt imstande sein, eine Genealogie Ihrer eigenen Verwandtschaft (so wie in Abb. 1 oben) zu zeichnen. Sie sollten mindestens bis zu Ihren Großeltern zurückgehen und nach Möglichkeit auch deren Geschwister und alle ihre Nachkommen erfassen. Sie werden sehen, dass Sie für eine übersichtliche Darstellung auf einer Seite höchstwahrscheinlich mehr als einen Versuch brauchen werden. Detaillierte Anweisungen für die Erstellung der eigenen und anderer Genealogie gibt Fischer (1996).<br /> | Wenn Sie die Abschnitte 5.3.1 bis 5.3.3 durchgearbeitet haben, dann sollten Sie jetzt imstande sein, eine Genealogie Ihrer eigenen Verwandtschaft (so wie in Abb. 1 oben) zu zeichnen. Sie sollten mindestens bis zu Ihren Großeltern zurückgehen und nach Möglichkeit auch deren Geschwister und alle ihre Nachkommen erfassen. Sie werden sehen, dass Sie für eine übersichtliche Darstellung auf einer Seite höchstwahrscheinlich mehr als einen Versuch brauchen werden. Detaillierte Anweisungen für die Erstellung der eigenen und anderer Genealogie gibt Fischer (1996).<br /> | ||
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− | Für diese Aufgabe ist eine Überprüfung leider nicht möglich. Sie können jedoch anhand der Übungsaufgaben [> 10; | + | Für diese Aufgabe ist eine Überprüfung leider nicht möglich. Sie können jedoch anhand der Übungsaufgaben [[Übungsaufgaben#10. Übungsaufgaben|[> 10;]]] zugleich Ihre Beherrschung des Handwerkszeugs der genealogischen Methode und Ihr Verständnis diverser technischer Begrifflichkeiten überprüfen.<br /> |
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== 5.5 Unterschiedliche Formen von Genealogie == | == 5.5 Unterschiedliche Formen von Genealogie == | ||
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+ | ::[[Grundlegende_Konzepte#6.1.3 Nichtgenealogische Verwandtschaft|6.1.3 Nichtgenealogische Verwandtschaft]]<br /> | ||
+ | :[[Grundlegende_Konzepte#6.2 Kategorien von Verwandtschaftsverhältnissen|6.2 Kategorien von Verwandtschaftsverhältnissen]]<br /> | ||
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Latest revision as of 09:58, 13 October 2020
Einführung in die Kinship Studies
Verfasst von Wolfgang Kraus„I believe that kinship is really the most difficult subject of social anthropology...“ (Malinowski 1930: 20)
Diese Online-Lernunterlage versteht sich als eine grundlegende Einführung in das Forschungsfeld der kultur- und sozialanthropologischen Kinship Studies. Im Gegensatz zu anderen Arten der wissenschaftlichen Auseinandersetzung geht es hier folglich nicht um eine kritische Sichtung und Bestandsaufnahme, um die persönliche Interpretation oder um eine in sich schlüssige theoretische Position. Stattdessen sollen die Grundbegriffe zur Beschreibung, Darstellung und Analyse verwandtschaftlicher Zusammenhänge vermittelt und in ihrer Einbettung in unterschiedliche Theorietraditionen dargestellt werden. Die Akzente, die dabei gesetzt werden, sind notwendigerweise selektiv und daher auch subjektiv.
Die anthropologischen Kinship Studies befassen sich mit der empirischen und kulturvergleichenden Untersuchung von Verwandtschaftsbeziehungen sowie mit den kulturellen Konzeptionen von Verwandtschaft. Sie haben in der Geschichte und Entwicklung der Kultur- und Sozialanthropologie über lange Zeit einen Kernbereich von Forschung und Theorienbildung dargestellt. J. A. Barnes stellte 1971 fest: „The study of kinship has been the central and distinctive feature of social anthropology ever since Morgan...“ (Barnes 1971: xxi). In den darauffolgenden Jahren hat diese Feststellung zwar einen Großteil ihrer Allgemeingültigkeit verloren. Aber auch heute bildet, mit veränderten Perspektiven und Fragestellungen, die Beschäftigung mit Verwandtschaft einen wichtigen Forschungsbereich innerhalb des Faches.
Vor allem seit den 1970er Jahren sind die meisten Grundannahmen der älteren Kinship Studies einer kritischen Überprüfung unterzogen worden. Diese Lernunterlage geht zwar auf diese Debatten ein; sie stellt aber nicht die daraus entwickelten neueren Perspektiven in den Vordergrund, sondern bietet in erster Linie einen historischen Überblick und führt in das fachspezifische Handwerkszeug zur Beschreibung und Analyse verwandtschaftlicher Beziehungen ein. Sie konzentriert sich daher auf die „klassischen“ Kinship Studies, versucht dies aber im Bewusstsein der an ihnen geübten Kritik zu tun. Wo also Begriffsdefinitionen oder deskriptive Werkzeuge auf Annahmen aufbauen, die heute nicht mehr unhinterfragt gelten, soll dies nach Möglichkeit kommentiert werden.
Wenn sich an Fragen der Verwandtschaftsanthropologie immer wieder zentrale theoretische Debatten entzündeten, so hat dies sicherlich damit zu tun, dass sich in diesem Forschungsfeld wichtige Grundfragen des anthropologischen Verständnisses sozialer und kultureller Zusammenhänge mit besonderer Deutlichkeit stellen. Womit soll sich eine anthropologische Betrachtung verwandtschaftlicher Beziehungen befassen? Mit expliziten Regeln und Normen, wie sie etwa im Bereich der Heiratswahl artikuliert werden? Mit der sprachlich-konzeptuellen Ordnung von Verwandtschaftsverhältnissen, die in Verwandtschaftsterminologien zum Ausdruck kommt? Mit impliziten kulturellen Deutungsmuster und Sinnzusammenhängen, die sich die handelnden Personen im Alltag kaum bewusst machen, oder mit den diesen Ordnungen zugrundeliegenden Denkstrukturen? Oder geht es um das beobachtbare Verhalten zwischen Personen, die von den Akteuren als verwandt verstanden werden? Wie hängen die erstgenannten kulturellen Faktoren miteinander zusammen, wie bestimmen sie das beobachtbare Verhalten? Was ist der Stellenwert mehr oder weniger objektivierbarer nichtkultureller Faktoren in diesen Zusammenhängen?
Für diese Fragen sind in der Theoriengeschichte des Faches sehr unterschiedliche Lösungen gefunden worden. Die meisten dieser Ansätze sind nicht richtig oder falsch per se; bei entsprechendem Forschungsinteresse liefern sie Antworten auf bestimmte Fragen und lassen andere unbeachtet. Sie reflektieren die historische Entwicklung der Kultur- und Sozialanthropologie ebenso wie unterschiedliche Epistemologien in diversen Spannungsfeldern wie etwa Kultur versus Struktur, Verstehen versus Erklären, Individuum versus Gesellschaft usw.
Kapitel dieser Lernunterlage
1. Kinship als Forschungsfeld
2. Was ist Verwandtschaft?
3. Geschichte der Kinship Studies
4. Neuere Entwicklungen
5. Deskriptive Darstellung genealogischer Beziehungen
6. Grundlegende Konzepte
7. Terminologische Systeme
8. Deszendenz
9. Allianz
10. Übungsaufgaben
11. Literatur
Inhaltsverzeichnis
- 1.1 Unterschiedliche Forschungstraditionen
- 1.2 Ist Kinship gleich Verwandtschaft?
- 1.3 Zum Nutzen von Verwandtschaft
- 2.1 Biologie und Kultur
- 2.2 Grundlegende anthropologische Perspektiven
- 2.3 Eine Definition von Verwandtschaft
- 2.4 Umfassendere Definitionen
3. Geschichte der Kinship Studies
- 3.1 Morgan und seine Zeitgenossen
- 3.2 Die Weiterentwicklung
- 3.3 Verwandtschaft im Funktionalismus
- 3.4 Verwandtschaft im Strukturalismus
- 3.5 Verwandtschaftsterminologie
- 3.6 Cross-Cultural-Forschung
- 4.1 Die kulturalistische Kritik
- 4.2 Feministische Anthropologie und Gender-Perspektive
- 4.3 Neue Reproduktionstechnologien
- 4.4 Aktuelle Perspektiven auf Verwandtschaft
5. Deskriptive Darstellung genealogischer Beziehungen
- 5.1 Rivers und die genealogische Methode
- 5.2 Kurznotation von Verwandtschaftsverhältnissen
- 5.3 Grafische Notation
- 5.4 Komplexe grafische Darstellungen
- 5.5 Unterschiedliche Formen von Genealogie
- 5.6 Kritik an der genealogischen Methode
- 6.1 Grundarten verwandtschaftlicher Verbindung
- 6.2 Kategorien von Verwandtschaftsverhältnissen
- 6.3 Familie und Haushalt
- 6.4 Postmaritale Residenz
Nächstes Kapitel: 1. Kinship als Forschungsfeld