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== 6.2 Inhaltsanalyse ==
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== 6.3 weitere ausgewählte Verfahren der Textanalyse ==
  
Bei der Inhaltsanalyse handelt es sich um eine '''Textanalysemethode''', die ursprünglich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in den USA zur '''Analyse von Massenmedien''' entwickelt wurde. Diese hat sich primär auf quantifizierbare Aspekte von Textinhalten ('''quantitative Inhaltsanalyse''') bezogen, erst später wurden auch Verfahren zur Durchführung '''qualitativer Inhaltsanalysen''' entwickelt. Insgesamt fokussiert die Inhaltsanalyse auf '''manifeste Kommunikationsinhalte''', mit dem '''Ziel von den Textmerkmalen auf den Kontext''' (auf den Autor, die Situation bzw. die Rezipienten) '''zu schließen'''.
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Neben den zur '''Analyse der Feldnotizen[1]''' angewandten Kodierstrategien werden auch innerhalb der Ethnographie unterschiedliche Traditionen der Textanalyse angewandt. Dazu gehören z.B.
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* '''struktural semiotische Analysen''', welche insbesondere der Analyse von Narrationen, Mythen und Märchen dient (Vladimir Propp, Claude Lévi-Strauss, Roland Barthes) und
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* die auf John Austins Theorie der Sprechakte zurückgehende '''Ethnographie des Sprechens''' (z.B. Dell Hymes, John Gumperz) im Rahmen einer linguistischen Anthropologie,
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* aber auch '''diskursanalytische und konversationsanalytische Verfahren'''.
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'''Verweise in diesem Kapitel:'''<br />
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[1] Siehe Kapitel 6.1<br />
  
  
 
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== 6.2.1 quantitative Inhaltsanalyse ==
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== 6.3.1 Strukturale Semiotik ==
  
Die Entwicklung der quantitativen Inhaltsanalyse steht wesentlich im Zusammenhang mit der Entwicklung der '''modernen Massenkommunikationsmedien''' wie Zeitung und Fernsehen. Die forschungsleitende Frage ist dabei &quot;'''Wer sagt was zu wem mit welcher Wirkung?'''&quot;. Ziel ist es dabei, Aussagen über die Verfasser der Nachricht, die Empfänger derselben, sowie die Wirkung bzw. Rezeption der Kommunikation zu erforschen. &quot;Am Beginn inhaltsanalytischer Forschung stand zweifelsohne ein einfaches, behavioristisch orientiertes Reiz- Reaktions-Modell der Kommunikation, welches eine asymmetrische Beziehung zwischen Sender, Stimulus und Rezipient konstruiert.&quot; (Titscher et al. 1998: 76) Um diese kausal konzipierten Zusammenhänge der Beeinflussung der Rezipienten mittels Nachrichten zu erforschen, werden innerhalb der '''quantitativen Inhaltsanalyse''' die Kommunikationsinhalte möglichst präzise gemessen. Diese Messung bezieht sich zum Beispiel auf die '''Häufigkeit''' von Wörtern pro Text oder die '''Größe''' von Texten in Zeitschriften. Dieses '''Auszählen, Bewerten und In-Beziehung-Setzen von Textelementen''' spielte insbesondere auch eine zentrale Rolle in der politischen Propagandaforschung.
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Unter strukturaler Semiotik fallen eine Reihe von Analysemethoden, die sich auf '''Theoriekonzeptionen der Semiotik''' (die allgemeine Lehre von den Zeichen, Zeichensystemen und Zeichenprozessen) und des '''Strukturalismus''' beziehen.
  
Ein zentrales Moment jeder Inhaltsanalyse ist ihr '''Kategoriensystem''', mit dessen Hilfe jede Analyseeinheit '''kodiert''' werden muss. Diese Kategorien werden mit Hilfe '''operationaler Definitionen[1]''' von Variablen, also '''a priori''' auf '''deduktivistische Weise[2]''' festgelegt. Das heißt, das Kategoriensystem wird im Unterschied zur Ethnographie, zur Grounded Theory, aber auch zur qualitativen Inhaltsanalyse bereits im Vorfeld der Untersuchung ausgearbeitet. Nach dem Kodieren werden mittels quantitativer Verfahren Häufigkeiten und Zusammenhänge zwischen einzelnen Variablen berechnet. Lamnek (2005: 505) nennt unterschiedliche Formen der quantitativen Inhaltsanalyse, wie zum Beispiel die Frequenzanalyse, die Dokumentenanalyse, die Valenzanalyse, die Intensitätsanalyse, die Kontingenzanalyse und die Bedeutungsfeldanalyse. Für eine Darstellung der unterschiedlichen inhaltsanalytischen Verfahren und Analyseebenen (syntaktisch, semantisch, pragmatisch) siehe Merten (1983).
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Zu den Wegbereitern gehören der US-Amerikaner Charles Sanders Peirce (1839 - 1914), der Schweizer Linguist Ferdinand de Saussure (1857 - 1913), der russische Folklorist Vladimir Propp (1895 - 1970), der französische Strukturalist Claude Lévi- Strauss (geb. 1908) sowie der poststrukturalistische Philosoph und Literaturkritiker Roland Barthes (1915 - 1980).
  
Die '''quantitative Inhaltsanalyse wurde''' dahingehend '''kritisiert''', dass sie folgende vier Dimensionen zu wenig berücksichtige:
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Innerhalb der Kultur- und Sozialanthropologie wurden diese Verfahren insbesondere zur '''Analyse standardisierter Erzählformen''', wie '''Mythen und Märchen[1]''', eingesetzt.
  
* &quot;den ''Kontext'' von Textbestandteilen
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Roland Barthes hat die strukturale Semiotik weiterentwickelt und u.a. auch auf moderne Mythen des Alltags (1967) angewandt (vgl. Mader 2008: 174ff).
* ''latente'' Sinnstrukturen
 
* markante ''Einzelfälle''
 
* das, was im Text ''nicht'' vorkommt&quot; (Mayring 2002: 114).
 
  
Aus dieser Kritik entwickelte sich die qualitative Inhaltsanalyse.
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Die beiden klassischen Verfahren der strukturellen kulturanthropologischen Mythenanalyse wurden von '''Vladimir Propp''' und '''Claude Lévi-Strauss''' entwickelt. Während Vladimir Propp’s '''syntagmatische Mythenanalyse[2]''' primär am sequentiellen Handlungsablauf der Erzählung und der in ihr vorkommenden Akteure interessiert ist, fokussiert die '''paradigmatische Mythenanalyse[3]''' von Claude Lévi- Strauss auf allgemeine Regelsysteme des menschlichen Denkens, welche u.a. in strukturellen Oppositionspaaren zum Ausdruck kommen und die sich auch in den mythischen Erzählungen realisieren. Es stehen hier die Strukturen des menschlichen Denkens im Zentrum und nicht der sequentielle Handlungsablauf einer Erzählung.
  
  
  
 
'''Verweise in diesem Kapitel:'''<br />
 
'''Verweise in diesem Kapitel:'''<br />
[1] Siehe Kapitel 2.7.1.1<br />
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[1] http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-18.html<br />
[2] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-6.html<br />
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[2] http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-413.html<br />
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[3] http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-411.html<br />
  
  
 
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== 6.2.2 qualitative Inhaltsanalyse ==
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== 6.3.2 Ethnographie des Sprechens - linguistische Anthropologie ==
  
Die qualitative Inhaltsanalyse wurde '''in kritischer Abgrenzung zur quantitativen Inhaltsanalyse''' entwickelt. Innerhalb des deutschsprachigen Raums steht die qualitative Inhaltsanalyse insbesondere mit dem von '''Philipp Mayring''' entwickelten Verfahren in Zusammenhang. Mayring zu Folge ist der Anspruch der qualitativen Inhaltsanalyse folgender: Sie &quot;will Texte systematisch analysieren, indem sie das Material schrittweise mit theoriegeleitet am Material entwickelten Kategoriesystemen bearbeitet&quot; (Mayring 2002: 114). Mayring konzipiert ein '''allgemeines Ablaufmodell der qualitativen Inhaltsanalyse''', welches er wie folgt veranschaulicht:
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Die Ethnographie des Sprechens wurde als Teil der linguistischen Anthropologie von '''Dell Hymes''' (geb. 1927) entwickelt. Diese baut auf John Austins (1911-1960) '''Theorie der Sprechakte''' auf und versteht die '''linguistische Anthropologie als einen Teilbereich der Kulturanthropologie''', im Gegensatz zur Ethnolingusitik bzw. der anthropologischen Linguistik, welche sich primär an Methoden und Theorien der Linguistik orientieren.
  
<span class="imgbox imgcenter" style="width:396px; .word-wrap:break-word; ">[[File:images/ksamethoden-91_1.jpg|396x407px|Abbildung: inhaltsanalytisches Ablaufmodell]]<span class="imgcaption">Abbildung: allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell nach Mayring (1988: 49)</span> </span>
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Insgesamt werden in der Ethnographie des Sprechens die '''Kommunikationsmuster als Teil kulturellen Wissens und Verhaltens''' verstanden. Es geht also nicht um die strukturalen Aspekte standardisierter Erzählungen, sondern um die '''soziokulturelle Dimension der Sprechakte'''. Die Betonung liegt auf der '''deskriptiv-ethnographischen Dokumentation''' der Sprachverwendung und der Beschreibung von Sprechweisen, die das soziale Leben bestimmter '''Sprachgemeinschaften''' (speech-communities) konstituieren und reflektieren. Es geht darum, Sprechakte innerhalb von Einflussbeziehungen, d.h. '''im Rahmen der Struktur des sozialen Verhaltens''' (die Sprechsituation, der Äußerungskontext), zu verorten, wobei die '''kommunikative Kompetenz''' der SprecherInnen eine zentrale Rolle spielt.
  
Im Zentrum des qualitativen inhaltsanalytischen Vorgehens steht also die '''Entwicklung eines Kategoriensystems''', welches in einem '''Wechselverhältnis zwischen Theorie (der Fragestellung) und dem konkreten Material''' entwickelt wird. Die Kategorisierungsdimensionen und das Abstraktionsniveau werden jedoch vorab festgelegt und mit theoretischen Erwägungen und dem Ziel der Analyse begründet (Mayring 2002: 115f). Innerhalb dieser Festlegungen wird das konkrete Kategoriensystem an Hand des vorliegenden Materials entwickelt.
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Zu den zentralen Fragestellungen gehören, '''welche Sprechmuster in welchen gesellschaftlichen Kontexten verfügbar''' sind und '''wie, wo und wann''' sie ins Spiel kommen. Wer spricht mit wem, wann und wo, in welchem Stil und in welchem Sprachcode über welche Angelegenheit? Die wichtigsten Analyseeinheiten sind '''Sprechsituationen''', '''Sprechereignisse''' und '''Sprechakte''', wobei Sprechakte innerhalb kulturell spezifischer Sprechereignisse analysiert werden und die Analyse des soziokulturellen Kontextes ein Kernbestandteil der Methode ist.
  
Im Weiteren unterscheidet Mayring drei verschiedene inhaltsanalytische Analyseverfahren: die '''Zusammenfassung''', die '''Explikation''' und die '''Strukturierung'''.
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Die linguistische Anthropologie ist insbesondere innerhalb der US-amerikanischen Anthropologie verankert. Zu den wichtigsten Vertretern gehören u.a. AutorInnen wie John Gumperz, Joel Sherzer, Greg Urban, Ellen Basso und Bambi Schieffelin.
  
  
 
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== 6.2.2.1 Zusammenfassende Inhaltsanalyse ==
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== 6.3.3 Diskurs- und konverstationsanalytische Verfahren ==
  
<span class="imgbox imgright" style="width:365px; .word-wrap:break-word; ">[[File:images/ksamethoden-92_1.jpg|365x550px|Abbildung: zusammenfassende Inhaltsanalyse]]<span class="imgcaption">Abbildung: Ablaufmodell zusammenfassender Inhaltsanalyse nach Mayring (1988: 55)</span> </span>
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Unter den Begriffen diskurs- und konversationsanalytische Verfahren werden eine ganze Reihe sowohl methodisch, wie theoretisch unterschiedlich ausgerichteter Techniken subsumiert. Insbesondere der Begriff der Diskursanalyse umfasst kein einheitliches und klar definiertes Feld. Dies liegt unter anderem daran, dass bereits '''der Begriff des Diskurses selbst unterschiedlich verstanden''' werden kann.
  
Ziel der '''zusammenfassenden Inhaltsanalyse''' ist es, &quot;das Material so zu reduzieren, dass die '''wesentlichen Inhalte erhalten''' bleiben [und] durch Abstraktion ein überschaubares Corpus zu schaffen, das immer noch ein '''Abbild des Grundmaterials''' ist&quot; (Mayring 1988: 53; 2002: 115).
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So findet etwa im Rahmen der Kritischen Theorie der '''Frankfurter Schule''' ein '''normativer Diskursbegriff''' Verwendung, der einen herrschaftsfreien Diskurs der gleichberechtigten Aushandlung ins Zentrum stellt.
  
Die inhaltsanalytische Zusammenfassung spielt auch eine wichtige Rolle bei der '''induktiven[1]''' '''Kategorienbildung'''. Dabei werden nicht nur wie beim '''offenen Codieren[2]''' abstrakte Konzepte mit Textstellen verbunden, sondern Kategorien mittels '''Paraphrasen, Generalisierungen und Reduktionen''' erarbeitet, wie es auch im '''folgenden Ablaufmodell''' der zusammenfassenden Inhaltsanalyse zum Ausdruck kommt.
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Im Gegensatz dazu fokussiert die US-amerikanische '''ethnomethodologische Tradition''' (Garfinkel) in ihrem Diskursbegriff auf den '''Ablauf''', die Themenorganisation und die Rollen in '''face- to-face-Gesprächen'''. Diese Mikro-Analysen von interpersonellen Gesprächen werden in der Literatur im Gegensatz zur Diskursanalyse als '''Konversationsanalyse''' bezeichnet. Für eine ethnographische Anwendung der Konversationsanalyse siehe etwa Moerman (1988).
  
Folgende tabellarische Aufstellung veranschaulicht das '''Verhältnis von Paraphrase, Generalisierung und den mittels Reduktion (Streichungen) gewonnenen Kategorien''', die Teil des zu entwickelnden Kategoriensystems sind und für die weiteren Formen der Inhaltsanalyse genutzt werden.
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Der '''(post)strukturalistische Diskursbegriff''', in Anschluss an Foucault, stellt hingegen die Frage, '''wie gesellschaftliche Interaktion''' '''Gegenstände, Themen, Begriffe etc. konsituiert''' und wie sich diese, im Sinne einer '''historischen Diskursanalyse''', im Laufe der Zeit verändern.
  
Im Rahmen des folgenden Beispiels wurde das Abstraktionsniveau des Reduktionsdurchganges wie folgt festgelegt: &quot;Es sollten möglichst allgemeine aber fallspezifische (pro Lehrer) Äußerungen über die Referendarzeit sein.&quot; (Mayring 1988: 58) In der mittleren Hauptspalte werden die einzelnen Paraphrasen auf dieses Abstraktionsniveau hin generalisiert. Doppelte oder unwichtige Äußerungen werden gestrichen und in der letzen Spalte werden Kategorien genannt, die aus den übrig gebliebenen Äußerungen &quot;durch Bündelung, Integration und Konstruktion zu neuen Äußerungen fallspezifisch zusammengestellt&quot; (ebd.) wurden.
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Nicht-diachron-historische sondern synchrone Weiterentwicklungen der Diskursanalyse stellen die unterschiedlichen Ansätze der so genannten '''kritischen Diskursanalyse''' dar. Diese beziehen sich neben Michel Foucault insbesondere auf Theorien von Antonio Gramsci und der Frankfurter Schule, d.h. des Neomarxismus.
  
<span class="imgbox imgcenter" style="width:827px; .word-wrap:break-word; ">[[File:images/ksamethoden-92_2.jpg|827x530px|Abbildung: Beispiel Reduktionsdurchgang]]<span class="imgcaption">Abbildung: Beispiel für einen Reduktionsdurchgang im Rahmen der zusammenfassenden Inhaltsanalyse (aus Mayring 1988: 59)</span> </span>
 
  
Die '''Reduktionsschritte''' im Rahmen der zusammenfassenden Inhaltsanalyse lassen sich wie folgt veranschaulichen:
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== 6.3.3.1 historische Diskursanalyse ==
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Die '''historische Diskursanalyse''' geht auf Foucault zurück und beschäftigt sich mit '''Diskursformationen''', die unterschiedliche Texte durchziehen. Es geht im Unterschied zur '''Hermeneutik[1]''' nicht darum, einen Text in seiner Ganzheit zu verstehen und zu interpretieren, sondern darum, '''wie gesellschaftliche Interaktion''' '''Gegenständen, Themen, Begriffen etc. konsituiert''' und wie sich diese, im Sinne einer &quot;Archäologie des Wissens&quot;, '''im Laufe der Zeit verändern'''.
  
<span class="imgbox imgcenter" style="width:508px; .word-wrap:break-word; ">[[File:images/ksamethoden-92_3.jpg|508x474px|Abbildung: Materialreduzierung]]<span class="imgcaption">Abbildung: Materialreduzierung durch die Zusammenfassung (aus Mayring 1988: 68)</span> </span>
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'''Zentrale Fragestellungen''' sind
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* die kommunikative Konstitution von Wirklichkeit,
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* Veränderungen dieser Wirklichkeitskonstruktionen,
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* das soziale Wissen bestimmter Gruppen oder der Gesamtgesellschaft
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* diskursive Machtwirkungen: Was darf gesagt werden? Was darf nicht gesagt werden?
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Der Diskurs im Sinne Foucaults trägt dazu bei, Gesellschaft zu konstituieren und er legt die Möglichkeiten des Sagbaren fest. D.h. '''Diskurse konstituieren''' gleichzeitig '''Ausschließungsmechanismen in Form von Verboten, Grenzziehungen, Theorien, Doktrinen und Ritualen''', welche das Sagbare unter gewissen sozialen und historischen Bedingungen eingrenzen. Unter solchen Bedingungen, die Foucault '''Möglichkeitsbedingungen''' nennt, werden jeweils nur bestimmte Dinge als wahr angenommen und diese wirken '''prägend auf zukünftige diskursive Ereignisse'''. Foucault geht es um die '''Rekonstruktion dieser diskursiven Voraussetzungen''' und deren '''Transformationen'''.
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Dabei unterscheidet er zwischen '''Ereignissen''' (spontane Elemente in einer Äußerung), die zu '''Serien''' (Keimzellen diskursiver Formationen) werden können. Durch die '''Verdichtung''' von Serien können neue '''diskursive Strukturen mit spezifischer Regelhaftigkeit''' entstehen, die selbst wieder Möglichkeitsbedingungen des Sagbaren konstituieren.
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Weiterführende Literatur:
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Foucault, Michel (1973): Die Archäologie des Wissens. Suhrkamp, Frankfurt am Main.
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Foucault, Michel (1976): Überwachen und Strafen. Suhrkamp, Frankfurt am Main.
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Foucault, Michel (1989): Sexualität und Wahrheit. Suhrkamp, Frankfurt am Main. 3 Bände.
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Foucault, Michel (1991 [1970]): Die Ordnung der Diskurse. Fischer, Frankfurt am Main.
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'''http://evakreisky.at/onlinetexte/nachlese_diskurs.php[2]'''
  
  
  
 
'''Verweise in diesem Kapitel:'''<br />
 
'''Verweise in diesem Kapitel:'''<br />
[1] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-5.html<br />
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[1] Siehe Kapitel 2.3.1<br />
[2] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-119.html<br />
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[2] http://evakreisky.at/onlinetexte/nachlese_diskurs.php<br />
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== 6.3.3.2 kritische Diskursanalyse ==
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So wie unter der Diskursanalyse an sich ist auch bei der '''kritischen Diskursanalyse''' (KDA) keine einheitliche und homogene Methode zu verstehen, vielmehr werden unter diesem Begriff unterschiedliche Verfahren subsumiert. Neben Michel Foucault stellen insbesondere Antonio Gramsci und die Frankfurter Schule, d.h. der Neomarxismus, den theoretischen Hintergrund der kritischen Diskursanalyse dar.
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Wodak veranschaulicht die '''allgemeinen Prinzipien der kritischen Diskursanalyse''' in acht Punkten (1996: 17-20), die wie folgt zusammengefasst werden können:
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# Die kritische Diskursanalyse '''beschäftigt sich mit sozialen Problemen''' und nicht mit Sprache oder Sprachgebrauch per se. Im Zentrum steht der linguistische Charakter sozialer und kultureller Prozesse und Strukturen.
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# Die KDA '''untersucht diskursiv konstituierte Machtbeziehungen''' in Diskursen als auch Macht über den Diskurs.
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# Gesellschaft und Kultur werden einerseits diskursiv geschaffen und konstituieren andererseits in einem dialektischen Verhältnis den Diskurs. '''Sprachgebrauch reproduziert/transformiert Gesellschaft und Kultur sowie die Machtbeziehungen'''.
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# '''Sprachgebrauch kann ideologisch sein'''.
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# Diskurse sind historisch und '''nur kontextuell/situativ zu verstehen'''.
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# Die '''Verbindung zwischen Text und Gesellschaft wird mittels eines soziopsychologischen Modells''' des Textverstehens '''erklärt''', welches als Vermittlungsinstanz dient.
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# Diskursanalyse versteht sich sowohl als i'''nterpretativ wie auch erklärend'''.
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# '''Diskurs wird als Form sozialer Handlung konzipiert''' und die kritische Diskursanalyse versteht sich als sozialwissenschaftliche Richtung.
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&quot;Die Zielsetzung der kritischen Diskursanalyse ist es die meist nicht bewusste gegenseitige Beeinflussung von Sprache und sozialer Struktur bewusst zu machen&quot; (Titscher et al. 1998: 181). Dies geschieht z.B. im Rahmen der Vorurteilsforschung (Rassismus, Sexismus), des Sprachgebrauchs in Organisationen, etc.
  
  
 
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== 6.2.2.2 Explikative Inhaltsanalyse ==
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== 6.3.3.3 Einige methodische Anweisungen ==
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Ganz allgemein formuliert beruht die Durchführung einer '''Diskursanalyse[1]''' auf der '''Festlegung einer Fragestellung''' (des zu untersuchenden Diskursthemas) und des den Diskurs konstituierenden '''Praxisfeldes''' (z.B. zentrale Akteure, Medien, Institutionen).
  
<span class="imgbox imgright" style="width:421px; .word-wrap:break-word; ">[[File:images/ksamethoden-93_1.jpg|421x566px|Abbildung: explizierende Inhaltsanalyse]]<span class="imgcaption">Abbildung: Ablaufmodell explizierender Inhaltsanalyse nach Mayring 1988: 70</span> </span>
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Auf Basis dieser Voraussetzung wird der zu untersuchende '''Textkorpus''' anhand von Schlüsselwörtern des Themas und damit verbundenen Inhaltsaspekten festgelegt und begründet. Es handelt sich dabei um eine explizite und '''begründete Auswahl''' und Begrenzung des Korpus, entlang von zentralen Akteuren, wichtigen Medien und Institutionen, innerhalb eines gewählten Untersuchungszeitraums und nicht um ein repräsentatives '''Sample[2]''' im statistischen Sinne.
  
Ziel der '''explikativen Inhaltsanalyse''' &quot;ist es, '''zu einzelnen fraglichen Textteilen''' (Begriffen, Sätzen, ...) '''zusätzliches Material heranzutragen''', das das Verständnis erweitert, das die '''Textstelle erläutert, erklärt, ausdeutet'''&quot; (Mayring 1988: 53; 2002: 115). Dafür muss festgelegt werden, wo nach zusätzlichem Material gesucht wird, um fragliche Textstellen zu explizieren.
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So ein Korpus kann mittels unterschiedlicher Strategien analysiert werden.
  
Mayring unterscheidet hier eine &quot;'''engen&quot; Textkontext''' und versteht darunter das direkte Textumfeld der interpretationsbedürftigen Textstelle und einen &quot;'''weiten&quot; Textkontext''', welcher über den Text hinausgehende Informationen über den Autor, Adressaten, Interpreten, kulturelles Umfeld, etc. umfassen können (Mayring 2002: 117f). Mayring versteht die Explikation auch als Kontextanalyse der fraglichen Textteile.
 
  
Ziel dieser Analyse ist die '''Formulierung so genannter explifizierender Paraphrasen''', welche Formulierungen beinhalten, die die '''fragliche Textstelle erklären'''. Diese entstehen &quot;im Allgemeinen dadurch, dass das gesammelte Material zusammengefasst wird (...). Wenn jedoch Widersprüche im Material auftauchen, müssen alternative Paraphrasen formuliert werden&quot; Mayring 1988: 71).
 
  
Im letzten Schritt der explikativen Inhaltsanalyse muss im '''Gesamtzusammenhang''' '''überprüft''' werden, '''ob eine sinnvolle Explikation erreicht wurde''', falls dies nicht der Fall ist, muss neues und zusätzliches Material herangezogen werden. Insgesamt ergibt sich daraus folgendes Ablaufmodell der explizierenden Inhaltsanalyse.
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'''Verweise in diesem Kapitel:'''<br />
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[1] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/ksamethoden/ksamethoden-98.html<br />
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[2] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-8.html<br />
  
  
 
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== 6.2.2.3 Strukturierende Inhaltsanalyse ==
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== 6.3.3.3.1 Grob- und Feinanalysen ==
  
Ziel der '''strukturierenden Inhaltsanalyse''' ist es, &quot;eine bestimmte Struktur aus dem Material herauszufiltern. Das können '''formale Aspekte, inhaltliche Aspekte oder bestimmte Typen''' sein; es kann aber auch eine '''Skalierung''', eine Einschätzung auf bestimmten Dimensionen angestrebt werden (Mayring 2002: 118). Diese Form der '''Analyse''' '''geht vom erstellten Kategoriensystem aus''' und legt in einem ersten Schritt der Definition der Kategorien fest, welche Textbestandteile unter eine Kategorie fallen. In einem zweiten Schritt '''identifiziert''' es an Hand konkreter Textstellen '''Ankerbeispiele''' für die jeweilige Kategorie und drittens werden '''Codierregeln''' '''formuliert''', welche eindeutige Zuordnungen zwischen den einzelnen Kategorien ermöglichen.
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Im Allgemeinen kann man zwischen Grob- und Feinanalyse unterscheiden.
  
<span class="imgbox imgcenter" style="width:506px; .word-wrap:break-word; ">[[File:images/ksamethoden-94_1.jpg|506x695px|Abbildung: strukturierte Inhaltsanalyse]]<span class="imgcaption">Abbildung: Ablaufmodell strukturierender Inhaltsanalyse nach Mayring 1988: 77; 2002: 120)</span> </span>
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Die '''Grobanalyse''' kann sich sowohl auf die Abfolge des Diskurses (diachron), als auch auf bestimmte Inhalte und Positionen (synchron) beziehen.
  
Mayring betrachtet dieses Modell allerdings als zu allgemein und unterscheidet verschiedene '''Formen der Strukturierung''', die unterschiedlichen Zielen folgen.
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Bei der Abfolge des Diskurses stehen die thematischen Diskursstränge und ihre unterschiedlichen Ebenen im Zentrum der Aufmerksamkeit, sowie die unterschiedlichen Phasen und Sequenzen in der Diskursabfolge.
  
* Die '''formale Strukturierung''' will die '''innere Struktur des Materials nach formalen Strukturierungsgesichtspunkten''' herausfiltern. Dabei ist es notwendig das Kriterium der Strukturierung, nach dem der Text analysiert werden soll, im Vorfeld genau zu bestimmen. Mayring (1988: 78f) unterscheidet folgende vier Arten von Kriterien:
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Bei der synchronen Analyse geht es um die Rekonstruktion unterschiedlicher Positionen an Hand von Streitfragen, konkurrierenden Auffassungen, Auslassungen sowie häufig vorkommenden Allgemeinpositionen.
* '''syntaktische Kriterien''', die die Struktur der sprachlichen Formulierungen, z.B. Besonderheiten im Satzbau, Abweichungen, Brücken etc. aufdecken wollen,
 
* '''thematische Kriterien''', welche die inhaltliche Struktur, die thematische Abfolge und inhaltliche Gliederung sichtbar machen,
 
* '''semantische Kriterien''', die die Beziehung zwischen einzelnen Bedeutungseinheiten, etwa im Sinn eines semantischen Netzwerkes, rekonstruieren
 
* und '''dialogische Kriterien''', welche die Abfolge einzelner Gesprächsbeiträge und Gesprächsschritte analysieren.
 
* Die '''inhaltliche Strukturierung''' will Material zu bestimmten Themen und Inhaltsbereichen extrahieren und zusammenfassen.
 
* Die '''typisierende Strukturierung''' will auf einer Typisierungsdimension einzelne markante Ausprägungen im Material finden und diese genauer beschreiben.
 
* Die '''skalierende Strukturierung''' will zu einzelnen Dimensionen Ausprägungen in Form von Skalenpunkten definieren.
 
  
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Neben einer solchen Grobanalyse existieren eine Reihe unterschiedlicher Anweisungen zur Durchführung diskursanalytischer '''Feinanalysen''' (siehe z.B. unterschiedliche Strategien der kritischen Diskursanalyse in Titscher et al. 1998: 182ff; Jäger 2004). Im Folgenden werden einige ausgewählte Aspekte genannt, auf die sich solche Feinanalysen beziehen können, ohne damit jedoch den Anspruch zu verbinden hier deren methodische Umsetzung vermitteln zu können.
  
Insgesamt beruht die strukturierende Inhaltsanalyse auf '''drei zentralen Schritten''':
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Auf der '''Textebene''' kann nach Inhalt und Form (der Organisation) des Textes gefragt werden. Dazu gehören sowohl linguistische Aspekte des Textes (Phonologie, Grammatik, Vokabular, Semantik) aber auch die Textorganisation, d.h. die Makrostruktur des Textes und bestimmter Textgattungen.
  
1) Die '''Definition der Kategorien''', wobei explizit definiert wird, welche Textbestandteile unter eine Kategorie fallen.
+
Auf der '''Ebene der argumentativen bzw. diskursiven Praxis''' stehen z.B. Fragen nach
  
2) Die '''Identifikation von Ankerbeispielen''' für die jeweilige Kategorie.
+
* den Diskursen der Differenz (Wir/Sie- Diskurs) und deren sprachliche Realisierung,
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* den Strategien und Techniken der Argumentation, Rechtfertigung und Beschuldigung (Schwarz/Weiß-Malerei, Opfer/Täter-Umkehr, Abschieben von Schuld etc.),
 +
* sowie den Formen der Versprachlichung auf Textebene (Vergleiche, Zitate, irreale Szenarien etc.), Satzebene (rhetorische Fragen, Anspielungen, Metaphern etc.) und Wortebene (Vagheiten, Verharmlosungen etc.)
  
3) Die '''Festlegung von Kodierregeln''', um eindeutige Zuordnungen bei Abgrenzungsproblemen zwischen Kategorien zu ermöglichen. (Mayring 2002: 118f)
+
  
Diese Regeln werden in einem '''Kodierleitfaden''' zusammengefasst.
+
im Zentrum.
  
Die strukturierende Inhaltsanalyse eignet sich insbesondere für die '''theoriegeleitete Analyse von Textmaterial'''.
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Auf der '''Ebene der sozialen Praxis''' steht das Verständnis des Kontextes des Diskurses, sowie die Konfrontation der getätigten Aussagen mit überprüfbaren Daten und Fakten im Zentrum der Analyse, welche die Spezifität und Selektivität der Aussagen deutlich machen soll.
  
  
 
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Revision as of 12:11, 31 October 2019


6.3 weitere ausgewählte Verfahren der Textanalyse

Neben den zur Analyse der Feldnotizen[1] angewandten Kodierstrategien werden auch innerhalb der Ethnographie unterschiedliche Traditionen der Textanalyse angewandt. Dazu gehören z.B.

  • struktural semiotische Analysen, welche insbesondere der Analyse von Narrationen, Mythen und Märchen dient (Vladimir Propp, Claude Lévi-Strauss, Roland Barthes) und
  • die auf John Austins Theorie der Sprechakte zurückgehende Ethnographie des Sprechens (z.B. Dell Hymes, John Gumperz) im Rahmen einer linguistischen Anthropologie,
  • aber auch diskursanalytische und konversationsanalytische Verfahren.


Verweise in diesem Kapitel:
[1] Siehe Kapitel 6.1



6.3.1 Strukturale Semiotik

Unter strukturaler Semiotik fallen eine Reihe von Analysemethoden, die sich auf Theoriekonzeptionen der Semiotik (die allgemeine Lehre von den Zeichen, Zeichensystemen und Zeichenprozessen) und des Strukturalismus beziehen.

Zu den Wegbereitern gehören der US-Amerikaner Charles Sanders Peirce (1839 - 1914), der Schweizer Linguist Ferdinand de Saussure (1857 - 1913), der russische Folklorist Vladimir Propp (1895 - 1970), der französische Strukturalist Claude Lévi- Strauss (geb. 1908) sowie der poststrukturalistische Philosoph und Literaturkritiker Roland Barthes (1915 - 1980).

Innerhalb der Kultur- und Sozialanthropologie wurden diese Verfahren insbesondere zur Analyse standardisierter Erzählformen, wie Mythen und Märchen[1], eingesetzt.

Roland Barthes hat die strukturale Semiotik weiterentwickelt und u.a. auch auf moderne Mythen des Alltags (1967) angewandt (vgl. Mader 2008: 174ff).

Die beiden klassischen Verfahren der strukturellen kulturanthropologischen Mythenanalyse wurden von Vladimir Propp und Claude Lévi-Strauss entwickelt. Während Vladimir Propp’s syntagmatische Mythenanalyse[2] primär am sequentiellen Handlungsablauf der Erzählung und der in ihr vorkommenden Akteure interessiert ist, fokussiert die paradigmatische Mythenanalyse[3] von Claude Lévi- Strauss auf allgemeine Regelsysteme des menschlichen Denkens, welche u.a. in strukturellen Oppositionspaaren zum Ausdruck kommen und die sich auch in den mythischen Erzählungen realisieren. Es stehen hier die Strukturen des menschlichen Denkens im Zentrum und nicht der sequentielle Handlungsablauf einer Erzählung.


Verweise in diesem Kapitel:
[1] http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-18.html
[2] http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-413.html
[3] http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-411.html



6.3.2 Ethnographie des Sprechens - linguistische Anthropologie

Die Ethnographie des Sprechens wurde als Teil der linguistischen Anthropologie von Dell Hymes (geb. 1927) entwickelt. Diese baut auf John Austins (1911-1960) Theorie der Sprechakte auf und versteht die linguistische Anthropologie als einen Teilbereich der Kulturanthropologie, im Gegensatz zur Ethnolingusitik bzw. der anthropologischen Linguistik, welche sich primär an Methoden und Theorien der Linguistik orientieren.

Insgesamt werden in der Ethnographie des Sprechens die Kommunikationsmuster als Teil kulturellen Wissens und Verhaltens verstanden. Es geht also nicht um die strukturalen Aspekte standardisierter Erzählungen, sondern um die soziokulturelle Dimension der Sprechakte. Die Betonung liegt auf der deskriptiv-ethnographischen Dokumentation der Sprachverwendung und der Beschreibung von Sprechweisen, die das soziale Leben bestimmter Sprachgemeinschaften (speech-communities) konstituieren und reflektieren. Es geht darum, Sprechakte innerhalb von Einflussbeziehungen, d.h. im Rahmen der Struktur des sozialen Verhaltens (die Sprechsituation, der Äußerungskontext), zu verorten, wobei die kommunikative Kompetenz der SprecherInnen eine zentrale Rolle spielt.

Zu den zentralen Fragestellungen gehören, welche Sprechmuster in welchen gesellschaftlichen Kontexten verfügbar sind und wie, wo und wann sie ins Spiel kommen. Wer spricht mit wem, wann und wo, in welchem Stil und in welchem Sprachcode über welche Angelegenheit? Die wichtigsten Analyseeinheiten sind Sprechsituationen, Sprechereignisse und Sprechakte, wobei Sprechakte innerhalb kulturell spezifischer Sprechereignisse analysiert werden und die Analyse des soziokulturellen Kontextes ein Kernbestandteil der Methode ist.

Die linguistische Anthropologie ist insbesondere innerhalb der US-amerikanischen Anthropologie verankert. Zu den wichtigsten Vertretern gehören u.a. AutorInnen wie John Gumperz, Joel Sherzer, Greg Urban, Ellen Basso und Bambi Schieffelin.



6.3.3 Diskurs- und konverstationsanalytische Verfahren

Unter den Begriffen diskurs- und konversationsanalytische Verfahren werden eine ganze Reihe sowohl methodisch, wie theoretisch unterschiedlich ausgerichteter Techniken subsumiert. Insbesondere der Begriff der Diskursanalyse umfasst kein einheitliches und klar definiertes Feld. Dies liegt unter anderem daran, dass bereits der Begriff des Diskurses selbst unterschiedlich verstanden werden kann.

So findet etwa im Rahmen der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule ein normativer Diskursbegriff Verwendung, der einen herrschaftsfreien Diskurs der gleichberechtigten Aushandlung ins Zentrum stellt.

Im Gegensatz dazu fokussiert die US-amerikanische ethnomethodologische Tradition (Garfinkel) in ihrem Diskursbegriff auf den Ablauf, die Themenorganisation und die Rollen in face- to-face-Gesprächen. Diese Mikro-Analysen von interpersonellen Gesprächen werden in der Literatur im Gegensatz zur Diskursanalyse als Konversationsanalyse bezeichnet. Für eine ethnographische Anwendung der Konversationsanalyse siehe etwa Moerman (1988).

Der (post)strukturalistische Diskursbegriff, in Anschluss an Foucault, stellt hingegen die Frage, wie gesellschaftliche Interaktion Gegenstände, Themen, Begriffe etc. konsituiert und wie sich diese, im Sinne einer historischen Diskursanalyse, im Laufe der Zeit verändern.

Nicht-diachron-historische sondern synchrone Weiterentwicklungen der Diskursanalyse stellen die unterschiedlichen Ansätze der so genannten kritischen Diskursanalyse dar. Diese beziehen sich neben Michel Foucault insbesondere auf Theorien von Antonio Gramsci und der Frankfurter Schule, d.h. des Neomarxismus.



6.3.3.1 historische Diskursanalyse

Die historische Diskursanalyse geht auf Foucault zurück und beschäftigt sich mit Diskursformationen, die unterschiedliche Texte durchziehen. Es geht im Unterschied zur Hermeneutik[1] nicht darum, einen Text in seiner Ganzheit zu verstehen und zu interpretieren, sondern darum, wie gesellschaftliche Interaktion Gegenständen, Themen, Begriffen etc. konsituiert und wie sich diese, im Sinne einer "Archäologie des Wissens", im Laufe der Zeit verändern.

Zentrale Fragestellungen sind

  • die kommunikative Konstitution von Wirklichkeit,
  • Veränderungen dieser Wirklichkeitskonstruktionen,
  • das soziale Wissen bestimmter Gruppen oder der Gesamtgesellschaft
  • diskursive Machtwirkungen: Was darf gesagt werden? Was darf nicht gesagt werden?


Der Diskurs im Sinne Foucaults trägt dazu bei, Gesellschaft zu konstituieren und er legt die Möglichkeiten des Sagbaren fest. D.h. Diskurse konstituieren gleichzeitig Ausschließungsmechanismen in Form von Verboten, Grenzziehungen, Theorien, Doktrinen und Ritualen, welche das Sagbare unter gewissen sozialen und historischen Bedingungen eingrenzen. Unter solchen Bedingungen, die Foucault Möglichkeitsbedingungen nennt, werden jeweils nur bestimmte Dinge als wahr angenommen und diese wirken prägend auf zukünftige diskursive Ereignisse. Foucault geht es um die Rekonstruktion dieser diskursiven Voraussetzungen und deren Transformationen.

Dabei unterscheidet er zwischen Ereignissen (spontane Elemente in einer Äußerung), die zu Serien (Keimzellen diskursiver Formationen) werden können. Durch die Verdichtung von Serien können neue diskursive Strukturen mit spezifischer Regelhaftigkeit entstehen, die selbst wieder Möglichkeitsbedingungen des Sagbaren konstituieren.


Weiterführende Literatur:

Foucault, Michel (1973): Die Archäologie des Wissens. Suhrkamp, Frankfurt am Main.

Foucault, Michel (1976): Überwachen und Strafen. Suhrkamp, Frankfurt am Main.

Foucault, Michel (1989): Sexualität und Wahrheit. Suhrkamp, Frankfurt am Main. 3 Bände.

Foucault, Michel (1991 [1970]): Die Ordnung der Diskurse. Fischer, Frankfurt am Main.

http://evakreisky.at/onlinetexte/nachlese_diskurs.php[2]


Verweise in diesem Kapitel:
[1] Siehe Kapitel 2.3.1
[2] http://evakreisky.at/onlinetexte/nachlese_diskurs.php



6.3.3.2 kritische Diskursanalyse

So wie unter der Diskursanalyse an sich ist auch bei der kritischen Diskursanalyse (KDA) keine einheitliche und homogene Methode zu verstehen, vielmehr werden unter diesem Begriff unterschiedliche Verfahren subsumiert. Neben Michel Foucault stellen insbesondere Antonio Gramsci und die Frankfurter Schule, d.h. der Neomarxismus, den theoretischen Hintergrund der kritischen Diskursanalyse dar.

Wodak veranschaulicht die allgemeinen Prinzipien der kritischen Diskursanalyse in acht Punkten (1996: 17-20), die wie folgt zusammengefasst werden können:

  1. Die kritische Diskursanalyse beschäftigt sich mit sozialen Problemen und nicht mit Sprache oder Sprachgebrauch per se. Im Zentrum steht der linguistische Charakter sozialer und kultureller Prozesse und Strukturen.
  2. Die KDA untersucht diskursiv konstituierte Machtbeziehungen in Diskursen als auch Macht über den Diskurs.
  3. Gesellschaft und Kultur werden einerseits diskursiv geschaffen und konstituieren andererseits in einem dialektischen Verhältnis den Diskurs. Sprachgebrauch reproduziert/transformiert Gesellschaft und Kultur sowie die Machtbeziehungen.
  4. Sprachgebrauch kann ideologisch sein.
  5. Diskurse sind historisch und nur kontextuell/situativ zu verstehen.
  6. Die Verbindung zwischen Text und Gesellschaft wird mittels eines soziopsychologischen Modells des Textverstehens erklärt, welches als Vermittlungsinstanz dient.
  7. Diskursanalyse versteht sich sowohl als interpretativ wie auch erklärend.
  8. Diskurs wird als Form sozialer Handlung konzipiert und die kritische Diskursanalyse versteht sich als sozialwissenschaftliche Richtung.

"Die Zielsetzung der kritischen Diskursanalyse ist es die meist nicht bewusste gegenseitige Beeinflussung von Sprache und sozialer Struktur bewusst zu machen" (Titscher et al. 1998: 181). Dies geschieht z.B. im Rahmen der Vorurteilsforschung (Rassismus, Sexismus), des Sprachgebrauchs in Organisationen, etc.



6.3.3.3 Einige methodische Anweisungen

Ganz allgemein formuliert beruht die Durchführung einer Diskursanalyse[1] auf der Festlegung einer Fragestellung (des zu untersuchenden Diskursthemas) und des den Diskurs konstituierenden Praxisfeldes (z.B. zentrale Akteure, Medien, Institutionen).

Auf Basis dieser Voraussetzung wird der zu untersuchende Textkorpus anhand von Schlüsselwörtern des Themas und damit verbundenen Inhaltsaspekten festgelegt und begründet. Es handelt sich dabei um eine explizite und begründete Auswahl und Begrenzung des Korpus, entlang von zentralen Akteuren, wichtigen Medien und Institutionen, innerhalb eines gewählten Untersuchungszeitraums und nicht um ein repräsentatives Sample[2] im statistischen Sinne.

So ein Korpus kann mittels unterschiedlicher Strategien analysiert werden.


Verweise in diesem Kapitel:
[1] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/ksamethoden/ksamethoden-98.html
[2] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-8.html



6.3.3.3.1 Grob- und Feinanalysen

Im Allgemeinen kann man zwischen Grob- und Feinanalyse unterscheiden.

Die Grobanalyse kann sich sowohl auf die Abfolge des Diskurses (diachron), als auch auf bestimmte Inhalte und Positionen (synchron) beziehen.

Bei der Abfolge des Diskurses stehen die thematischen Diskursstränge und ihre unterschiedlichen Ebenen im Zentrum der Aufmerksamkeit, sowie die unterschiedlichen Phasen und Sequenzen in der Diskursabfolge.

Bei der synchronen Analyse geht es um die Rekonstruktion unterschiedlicher Positionen an Hand von Streitfragen, konkurrierenden Auffassungen, Auslassungen sowie häufig vorkommenden Allgemeinpositionen.

Neben einer solchen Grobanalyse existieren eine Reihe unterschiedlicher Anweisungen zur Durchführung diskursanalytischer Feinanalysen (siehe z.B. unterschiedliche Strategien der kritischen Diskursanalyse in Titscher et al. 1998: 182ff; Jäger 2004). Im Folgenden werden einige ausgewählte Aspekte genannt, auf die sich solche Feinanalysen beziehen können, ohne damit jedoch den Anspruch zu verbinden hier deren methodische Umsetzung vermitteln zu können.

Auf der Textebene kann nach Inhalt und Form (der Organisation) des Textes gefragt werden. Dazu gehören sowohl linguistische Aspekte des Textes (Phonologie, Grammatik, Vokabular, Semantik) aber auch die Textorganisation, d.h. die Makrostruktur des Textes und bestimmter Textgattungen.

Auf der Ebene der argumentativen bzw. diskursiven Praxis stehen z.B. Fragen nach

  • den Diskursen der Differenz (Wir/Sie- Diskurs) und deren sprachliche Realisierung,
  • den Strategien und Techniken der Argumentation, Rechtfertigung und Beschuldigung (Schwarz/Weiß-Malerei, Opfer/Täter-Umkehr, Abschieben von Schuld etc.),
  • sowie den Formen der Versprachlichung auf Textebene (Vergleiche, Zitate, irreale Szenarien etc.), Satzebene (rhetorische Fragen, Anspielungen, Metaphern etc.) und Wortebene (Vagheiten, Verharmlosungen etc.)


im Zentrum.

Auf der Ebene der sozialen Praxis steht das Verständnis des Kontextes des Diskurses, sowie die Konfrontation der getätigten Aussagen mit überprüfbaren Daten und Fakten im Zentrum der Analyse, welche die Spezifität und Selektivität der Aussagen deutlich machen soll.