Difference between revisions of "Sozialwissenschaftliche Terminologie - Exempla/Institution und Kultur"

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Revision as of 11:11, 18 August 2020

Vorheriges Kapitel: 3.1 Handeln und Norm

3.2 Institution und Kultur

Verfasst von Friedhelm Kröll und Nicole Pesendorfer

Der Terminus Institution umfasst sowohl den Aspekt des zuständlichen Resultats, der verfestigten Struktur sowie den des Prozesses. Zur unterscheidenden Verdeutlichung wird hier der Aspekt der Prozesshaftigkeit mit dem Terminus Institutionalisierung bezeichnet, der der strukturellen Verfestigung mit dem der Institution.

Das Problem der Institutionen ist im Lichte der Doppelfrage zu verhandeln:

Wie ist gesellschaftliches Leben möglich?

Wie ist soziale und kulturelle Ordnung möglich?

Der Terminus Kultur hat sich sowohl in der Alltags- wie in der wissenschaftlichen Kommunikation zu einer Art "Allerweltsbezeichnung" entwickelt. In der sozialwissenschaftlichen Perspektive erscheint es sinnvoll, den Begriff als Differenz- und Komplementärbegriff zu dem der Natur zu pointieren.

Inhalt

3.2.1 Institution

Institutionals sozialwissenschaftlicher Terminus:

Unter einer Institution ist ein Aggregat von Normen zu verstehen. Soziale Institutionen sind zu unterscheiden von den faktischen sozialen Interaktionen.

Institutionen regulieren die sozialen Interaktionen zwischen Menschen, die in bestimmte Positionen gestellt sind (soziale Position), denen ein bestimmter Status beigemessen wird (sozialer Status) und mit denen bestimmte Pflichten und Rechte verknüpft sind (soziale Rolle).

Institutionen verleihen als strukturierte Aggregate Stabilität und Ordnung für Gesellschaften und bilden den Rahmen des gesellschaftlichen Lebens.

Institutionen (Norm-Aggregate) sind in der sozialen Lebenswelt bezogen auf empirische Assoziationen von Menschen, d.h. auf Vereinigungen, Zusammenschlüsse gesellschaftlicher Individuen. Schlüssel-Institutionen: u.a. Familie, Ehe, Nachbarschaft.

Beispiel: Familie als soziale Institution: Positionsbeschreibungen, Statusbeschreibungen und Rollenbeschreibungen für Vater, Kind(er) oder sonstige Verwandte, d.h. Norm-Aggregate zur Regulierung der Beziehungen zwischen Eltern und Kindern oder zwischen Geschwistern.

Institutionen können zu Organisationen formalisiert sein, bis zur rechtlichen Fixierung (Verrechtlichung) von Institutionen ("Betrieb", "Universität", Familie als Objekt des "Familienrechts"). Nichtformalisierte Institution: z.B. Freundschaft.

Die Institution kompensiert den Mangel an Instinkt, vgl. A. Gehlen: "Wie die tierischen Gruppen und Symbiosen durch Auslöser und durch Instinktbewegungen zusammengehalten werden, so die menschlichen Gruppen durch Institutionen".

Institutionen sind zwar zählebig, unterliegen dennoch dem soziokulturellen Wandel[1].

Charakteristika:

  • Stabilisierungs- und Entlastungsfunktionen: Institutionen stabilisieren sowohl die sozialen Interaktionen wie die individuelle Lebensführung.
  • Institutionen gründen in Gewohnheiten und Habitualisierungen, d.h. in Traditionen.
  • Institutionen sind via Sozialnormen bzw. Rechtsvorschriften sanktionsgestützt.
  • Institutionen sind mit Legitimation versorgt. Die Basislegitimation bilden Gewohnheiten, Traditionen.
  • Wenn Institutionen porös werden, steigt der Bedarf an (sekundären) Legitimationshilfen.
  • Institutionen bilden eigene Symbolwelten aus.
  • Institutionen bilden Transzendenzen ins Diesseits: Gruppen und Kollektive vergegenständlichen sich in Institutionen, in deren Traditionen und Symbolen.
  • Institutionen übersteigen die Grenzen der Einzelindividuen (Sozialität) und sorgen für soziale Verstrebungen über Generationen hinweg (Intergenerativität). In Institutionen ist das soziale Gedächtnis gespeichert.
  • Die Institutionen der Arbeit, Herrschaft und Familie besitzen einen Erfüllungswert für eine kontinuierte Bewältigung des gesellschaftlichen Lebens.
  • Sind Institutionen einmal zur Bewältigung von Problemen und Herausforderungen des gesellschaftlichen Lebens initiiert, verselbständigen sie sich gegenüber den Menschen: Sie gewinnen überpersönliche Macht, Geltung, Autorität.
  • Die Menschen handeln nicht nur von ihren Bedürfnissen her, sondern sie verhalten sich in und zu den Institutionen.
  • Institutionen sorgen via Gewohnheitsbildung, Habitualisierung, Normierung[2] und Orientierung für die Verinnerlichung ihrer Imperative: innerer Kompass der Lebensführung.
  • Institutionen beschreiben die Regulative des sozialen Raums (Struktur[3]) und der sozialen Zeit (Rhythmus): z.B. Werktag - Sonntag; Arbeitszeit - arbeitsfreie Zeit etc.
  • Institutionen garantieren feste Formen des Soziallebens in den interaktiven Dimensionen von Kommunikation und Kooperation.
  • Institutionen bilden die Voraussetzung für die Fortentwicklung von sozialen Formen und Gebilden zu Organisationen und Systemen.
  • Institutionen garantieren eine hohe und imperative Selektivität in Bezug auf Situationen, Symbole, Objekte, Instrumente.
  • Institutionen sorgen dafür, dass das Passende bzw. das Richtige getan wird bzw. das zum Scheitern verurteilte vorweg unterlassen wird.


Verweise:

[1] Siehe Kapitel 3.5.2
[2] Siehe Kapitel 3.1.3
[3] Siehe Kapitel 3.3.1


3.2.2 Kultur

In seinen "Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie" hat Hegel die Eigenart des Geistes - die Eigenart der menschlichen Kultur - in Differenz zur Natur gesetzt: "Die Natur ist, was sie ist."

Hingegen ist die Kultur die Tat des Menschen:

  • in Gestalt der vergegenständlichten, materiellen Kultur
  • in Gestalt "sich zu wissen", d.h. Kultur zugleich als Prozess der Selbstthematisierung, Selbstbeschreibung und Selbstbestimmung.

Hieraus hat die Philosophische Anthropologie[1] als Eigenart der Kultur herausgestellt: den Modus der Indirektheit.

Die Menschen leben im Medium von Vermittlungen. Die Sphäre der Indirektheit der menschlichen Existenz kann als Kultur angesprochen werden.

Sinnvoll ist es, in sozialwissenschaftlichen Theorie- und Forschungszusammenhängen von Kultur im Plural zu sprechen: Kulturen. Im Plural wird die Idee der Vielfalt und Ebenbürtigkeit der Kulturen erinnert. Kontrapunkt zu einer tiefsitzenden Tradition, die jeweils eigene Kultur zur Kultur überhaupt zu küren und Fremdkulturen als "primitiv" abzuwerten, oder ihnen gar den Status von Kultur ("Barbaren", "Wilde") abzusprechen. Wird Kultur im Singular verwendet, dann sinnvollerweise im Fundierungszusammenhang der Philosophischen Anthropologie zur Konzeptualisierung der Verschränkung von Kultur und Natur.

Die Kultursphäre steht beim Menschen an der Stelle der tierischen Umwelt und zählt zu dessen quasi-natürlichen Lebensbedingungen. "Natürlich" heißt dabei: Zweite Natur als objektive, vom Menschen erzeugte Kultur, als sozial wirksame Wirklichkeit.

  • Weil der Mensch von Natur aus Kulturwesen ist, verschränken sich in den Humanwissenschaften Kulturwissenschaften und Humanbiologie: Der Mensch ist biologisch zum soziokulturellen Management gezwungen.
  • Konzeptive Ideen zur Aufgliederung der Kultur bzw. Kulturprozesse in analytische Dimension:
  • Objektive und Subjektive Kultur;
  • Materielle und Geistige Kultur;
  • Klassen-, schicht-, milieuspezifische Kulturen;
  • Majoritätskulturen, Gegenkulturen, Subkulturen etc.;
  • Kultur als vergegenständlichtes Resultat und
  • Kultur als Praxis/Prozess.
  • Die sozialwissenschaftlich interessierenden Dimensionen der Eigenart des Kulturellen, von Kultur lassen sich weiter ausdifferenzieren.

Unter Kultur kann verstanden werden:

  • Inbegriff der Sachmittel (Werkzeuge, Technik), Vorstellungsmittel (Phantasie, Planung, Technologie), Institutionen[2] ("Sozialmittel", "Sozialmilieu", mit denen die Gesellschaft sich erhält: Arbeitsteilung, Familie, Gruppen, Organisationen, Normen)
  • Inbegriff aller darauf fundierten Folge- bzw. Anschlussinstitutionen: von Magie und Ritualen bis hin zu den modernen Systemen und Superstrukturen, den ökonomisch- technisch-wissenschaftliche Komplexen
  • Inbegriff der Sinn- und Subsinnwelten
  • Inbegriff der symbolischen Ordnung
  • Inbegriff der Wertorientierungen; Wertressourcen:
  • Im deutschsprachigen Raum erst in den letzten Jahrzehnten, gilt Kultur zudem als Inbegriff der sozialen Formen des Lebens ("way of life") und der sozialen Modi der Performance, Selbstdarstellung, Selbstpräsentation von Menschen im Everyday-life, im Alltag. Kurz: Inbegriff der Alltagskulturen
  • Die Momente der Sachmittel, Anschlussinstitutionen, Sinnwelten, symbolischen Ordnungen, der Wertorientierungen und überhaupt des "way of life", der Alltagskulturen verdichten verfugen sich jeweils zu: Typen kultureller Kristallisationen.


Verweise:

[1] Siehe Kapitel 3.1.2
[2] Siehe Kapitel 3.2.1


Nächstes Kapitel: 3.3 Struktur und Funktion


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