Sozialwissenschaftliche Terminologie - Exempla/Struktur und Funktion

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Vorheriges Kapitel: 3.2 Institution und Kultur

3.3 Struktur und Funktion

Verfasst von Friedhelm Kröll und Nicole Pesendorfer

Foto: Uhr. Katja Jakob, [www.youthmedia.eu](http://www.youthmedia.eu), 2008

Seit langem werden die Begriffe "Struktur" und "Funktion" in den Sozialwissenschaften in einem konzeptiven Zusammenhang verwendet als zwei reziprok aufeinander bezogene, jeweils unterschiedlich betonte, Perspektiven der Erschließung sozialer Erscheinungen und Vorgänge.

Vgl. dazu auch die Strukturfunktionalistischen Erkenntnisstrategien[1].


Verweise:

[1] Siehe Kapitel 1.3

Inhalt

3.3.1 Struktur

  • Soziale Struktur verweist auf die Momente des Stabilen, Überpersönlichen, Geordneten (der Ordo), auf Ordnung und Gliederung des sozialen Raums und der sozialen Zeit. Feste, stabile Formen der Anordnung der Individuen: Positionsordnung, Statusordnung und Rollengefüge.
  • In der Analysenperspektive von sozialen Strukturen liegt der Akzent auf Statik, Anatomie von Gruppen, Kollektiven, Gesellschaften.
  • Soziale Strukturen können betrachtet werden in den Dimensionen horizontaler (Relationen, Beziehungen zwischen Elementen einer sozialen Einheit) und vertikaler Gliederung (Herrschaftsbeziehungen, soziale Schichtung und soziale Abhängigkeitsverhältnisse).
  • Soziale Strukturen können in der Perspektive von Mobilität untersucht werden.
  • Soziale Strukturen können auf der Makro-, Meso- und Mikro-Ebene (d.h. Gesamtgesellschaft, Einzelne Gesellschaften oder Kleingruppen) untersucht werden.
  • Soziale Strukturen sind aufzufassen als Kristallisationen von Positionen, Regeln und Ressourcen, von Institutionen und Netzwerken.
  • Soziale Strukturen besitzen überpersönlichen Charakter, werden aber von den gesellschaftlichen Individuen reproduziert.
  • Bei sozialen Strukturen ist der dynamische Aspekt zu beachten. Das Prozesshafte etwa in den Formen sozialer Umschichtungen.
  • Soziale Strukturen bezeichnen die soziales Verhalten prägenden Formen sowie die soziales Handeln ermöglichenden Formen. Sie bilden die Kristallisationen der Reproduktion des sozialen Lebens im Medium der sozialen Praxis.
  • Institutionen[1] sind in das Gefüge sozialer Strukturen eingewoben. Sie garantieren und legitimieren soziale Ordnung und soziale Veränderungen.
  • Strukturanalyse bezieht sich auf die Untersuchung der Anatomie, des inneren Aufbaus sozialer Gebilde.
  • Strukturanalyse befasst sich mit den Formen, Gliederungen und Mechanismen der Reproduktion einer sozialen Ordnung.


Verweise:

[1] Siehe Kapitel 3.2.1


3.3.2 Funktion

Es haben sich in vergangenen Dekaden eine Reihe von funktionalistischen, struktur- funktionalistischen[1] und systemtheoretischen Schulen rund um das Problem funktionalistischer Betrachtungen von Gesellschaft gebildet (vgl. Jetzkowitz/Stark 2003[2]). Dabei ist die Neigung zu Organismus-Analogien auffällig. So die Frage etwa: welche Organe (Institutionen) sind für den Erhalt und die Reproduktion eines sozialen Organismus (Gesellschaft) nötig? Funktionalistische Betrachtungsweisen von Gesellschaft tendieren dazu, die Frage nach dem Gleichgewicht einer sozialen Einheit eines Sozialsystems in den Mittelpunkt zu stellen.

Zur Problematik der Verwendung des Funktionsbegriffs:

Funktionsanalysen sind wissenschaftlich nur statthaft, wenn Klarheit darüber besteht, um welche Bezugsgrößen, die mit Zwecken verkoppelt sind, es sich handelt.

Zum Beispiel: wenn nach der Funktion der Institution "Schule" in einer Gesellschaft gefragt wird, so ist die Bezugsgröße woraufhin die Funktion der "Schule" geortet und untersucht werden soll: z.B. das Beschäftigungssystem. Es kann daran die empirische Untersuchungsfrage angeschlossen werden: Erfüllt das Schulsystem die Funktion, für das Beschäftigungssystem zweckdienlich auszubilden? Der Zweck also ist die Eingliederung von Schulabsolventen in das Beschäftigungssystem, die Funktion ist der Schule zugewiesen.

Für die sozialwissenschaftliche Theoriebildung ist festzuhalten, dass der Begriff der Funktion sich bezieht auf:

  • Bezugsgrößen, Zwecke, Institutionen/Handlungen, Leistungen/Beiträge, Folgen.

Merton[3] weist auf die Problematik der alltagssprachlichen Verwendung des Begriffs Funktion hin.

Einerseits wird Funktion als Ausdruck gebraucht für:

  • einen Beruf, Tätigkeit, Profession;
  • ein politisches Amt: Funktionär;
  • im mathematischen Sinne von Funktionsgleichungen;
  • im Sinne der Biologie: hier ist mit Funktion gemeint der Beitrag, den ein Element für die "vitalen oder organischen Prozesse zum Erhalt des Gesamtorganismus" leistet. In dieser Perspektive ist er zunächst von der Sozial- und Kulturanthropologie in die Sozialwissenschaften eingeführt worden.

Andererseits wird Funktion als Begriff durcheinander gebraucht mit:

  • Gebrauch, Nutzen, Zweck, Motiv, Absicht, Folgen.

Dieser Durcheinandergebrauch des Begriffs Funktion rührt daher, dass zwei Ebenen nicht oder nur unzureichend unterschieden werden, die aber für die funktionale Analyse auseinander gehalten werden müssen:

  • Die Ebene des Beobachters (der Wissenschaft, nach Luhmann: Beobachter zweiter Ordnung) von sozialen Handlungen, Vorgängen und Institutionen
  • Die Ebene des Beteiligten von sozialen Vorgängen und Institutionen.

Zur Verdeutlichung der Unterscheidung der Beobachter- von der Teilnehmerperspektive: Die soziale Funktion von Heiraten und Geburten ist die biologische Reproduktion einer Gesellschaft (Fertilitätsrate) - sozialwiss. Beobachtungsperspektive. Der Beweggrund, das Motiv von Heiraten kann Liebe und Kinderwunsch der Beteiligten sein - Teilnehmer-Perspektive

Die sozialwissenschaftliche Funktionsanalyse untersucht die Implikationen und Folgen der Beiträge/Leistungen sozialer Institutionen und kultureller Formen für jeweils anzugebende Bezugsgrößen/Zwecke. Dabei ist der Problembereich des Verhältnisses von Statik und Dynamik bzw. des sozialkulturellen Wandels einzubeziehen.

Zu beachten sich folgende Differenzierungen (nach Merton[3]):

Eine soziale Institution kann mehrfache soziale Funktionen (für bestimmte Gruppen funktional, für andere dysfunktional oder funktionslos; oder zugleich positive wie negative Funktionen) haben und ein- und dieselbe soziale Funktion kann von verschiedenen Institutionen erfüllt werden. Funktionsanalysen sind daher unter den Gesichtspunkten funktionaler Alternativen (Telefon statt Postkutsche), funktionaler Äquivalente (E-Mail statt Brief) und funktionaler Substitute (Handy statt face-to-face-Gespräch) zu untersuchen.


Verweise:

[1] Siehe Kapitel 1.3
[2] Siehe Kapitel 4.2
[3] Siehe Kapitel 4.1


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