Das Fremde verstehen/Eurozentrismus

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1.1 Eurozentrismus: Europa und die Anderen

verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest
Foto: Eine Bauchtänzerin umringt von Studierenden der KSA in einem kurdischen Lokal in Kapstadt, Südafrika 2005, Severin Lenart

Aus analytisch-kritischer Sicht lässt sich zeigen, dass die europäischen Formen der Entdeckung von Fremdheit ihre arglose Selbstverständlichkeit verloren haben. Die Sozialwissenschaften unter Einschluss von Ethnolog/inn/en haben in den letzten Jahren der Beziehungsgestaltung an einer Entmystifizierung der romantischen Geschichte der großen Entdeckungen mit ihrer Suberzählung des kulturellen Kontaktes (die Geschichte der Begegnungen) mitgeschrieben. Daran werden die Modi des Fremderlebens[1] im Umgang mit eigener und fremder Andersartigkeit deutlich. Räumliche Expansion, geistige Vereinnahmung, Subsumtion in das eigene Weltbild und Unterordnung anderer Erfahrungswelten und Traditionen unter die Perspektivität unserer eigenen Geschichtsschreibung bestimmen die europäische Geistes- und Politikgeschichte. Aber der blinde, Jahrhunderte eingeübte Ethnozentrismus muss in einer immer begrenzter und ent-fremdeter werdenden Welt verknüpfter Lebenszusammenhänge und gegenseitiger Abhängigkeiten scheitern. Fremdheit lässt sich nicht mehr auf räumliche Distanz beschränken, da ehemals als ferne gedachte Lebenszusammenhänge in ein immer dichter werdendes Mosaik gepresst werden, in dem mentale und historische Distanzen überhaupt erst in Kontakt geraten. "Sie erscheint vielmehr als eine konfliktträchtige Zeitgenossenschaft von unterschiedlichen Bedeutungszusammenhängen, zwischen denen häufig eine unüberbrückbare Distanz liegt" (Schäffter 1991: 11).

Fremdheit ist daher als Beziehungsverhältnis zu verstehen, dass durch Nähe intensiviert wird. Dann erst erlangen Unterschiedlichkeiten soziale Bedeutung und bauen sich zu persönlichen, gruppenbezogenen, politischen, ökonomischen oder kulturellen Reibungsflächen auf. Jedes autonome Sinnsystem (Person, soziale Gruppe, gesellschaftliche Institution oder kulturelle Einheit) verfügt über eine eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie sind einander in Bezug auf ihre Temporalität fremd und existieren in verschiedenen Eigenzeiten. Diese Eigenzeiten verschränken sich im gegenseitigen Kontakt zu einer Art "Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem". Wenn die Grenzen zu Kontaktflächen werden wird Fremdheit virulent. Sie kann nicht als Eigenschaft (wie früher in der Ethnologie die "schriftlosen Völker" oder "die Naturvölker") verstanden werden, sondern als Beziehungsmodus. Daher ist Fremdheit immer ein relationaler Begriff, der nach einer Mitberücksichtigung der eigenen Anteile verlangt.

Verweise:
[1] Siehe Kapitel 1.2


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