Die Diskurstheorie von Juergen Habermas/Faktizitaet

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3.4 Faktizität und Geltung

verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest

Die Rationalität veständigungsorientierten Handelns wirkt nicht normativ, liefert keine verbindliche Orientierung des Handelns. Im Begriff der kommunikativen Vernunft findet sich bei Habermas keine Anleitung mehr zu einer normativen Theorie des Rechts und der Moral. Ihr kommt ein heuristischer Wert für die Rekonstruktion des Geflechts meinungsbildender und entscheidungsvorbereitender Diskurse zu, in das die rechtsförmig ausgeübte demokratische Herrschaft eingebettet ist. Die rechtsstaatlichen Kommunikationsformen der politischen Willensbildung, der Gesetzgebung und der richterlichen Entscheidungspraxis sind somit als ein prozessualer Bestandteil der Rationalisierung der Lebenswelten in modernen, unter dem Druck systemischer Imperative stehenden Gesellschaften zu lesen. In dieser theoretischen Rekonstruktionsweise liegt auch ein kritischer Maßstab, der die Praktiken einer unübersichtlichen Verfassungswirklichkeit beurteilbar machen könnte (Habermas 1992: 19-20).

Am Spannungsverhältnis zwischen Faktizität und Geltung spalten sich Politik- und Rechtstheorie, wobei sich die eine wissenschaftstheoretische Position den normativistischen (dem Sollen vor dem Sein den Vorrang gebenden) Ansätzen verbunden sieht, während die andere Seite den objektivistischen Ansätzen[1] verhaftet ist. Dagegen hilft nur ein Offenhalten für alle methodischen Standorte (Teilnehmer vs. Beobachter) und theoretischen Zielsetzungen (sinnverstehende Explikation und begriffliche Analyse vs. Beschreibung und empirische Erklärung), verschiedene Rollenperspektiven (Richter, Politiker, Gesetzgeber, Klient, Staatbürger) und forschungspragmatische Einstellungen (Hermeneutiker, Kritiker, Analytiker etc.). Unter funktionalen Gesichtpunkten lässt sich begründen, warum die Gestalt der prinzipiengeleiteten Moral auf das positive Recht angewiesen ist. Dem kann sich der diskurstheoretische Ansatz nicht entziehen. Die Theorie des kommunikativen Handelns ordnet dem Recht einen zentralen Stellenwert zu und bildet daher den geeigneten Kontext für eine Diskurstheorie des Rechts. Habermas entscheidet sich bei diesem Vorgehen für einen rekonstruktiven Ansatz, der die beiden Perspektiven der soziologischen Rechts- und der philosophischen Gerechtigkeitstheorie in sich aufnimmt. Denn die Theorie des kommunikativen Handelns nimmt die Spannung zwischen Faktizität und Geltung schon in ihre Grundbegriffe auf (ebd.: 21-22).

Daher bejaht sie den internen Zusammenhalt zwischen Gesellschaft und Vernunft: die Beschränkungen und Zwänge, unter denen sich die Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens vollzieht, bleiben mit der Idee einer bewussten Lebensführung (wie auch immer) vermittelt. Wie allerdings lässt sich die Reproduktion der Gesellschaft auf so einem fragilen Boden wie dem transzendierender (von einem Bereich in den anderen übergehender) Geltungsansprüche erklären? Das (insbesondere positive) Recht bietet sich dafür an. Dessen Rechtsnormen ermöglichen nämlich hoch artifizielle Gemeinschaften von gleichen und freien Rechtsgenossen; deren Zusammenhalt beruht gleichermaßen auf der Androhung von Sanktionen wie auf der Unterstellung eines rational motivierten Einverständnisses. Sprache wird im Begriff des kommunikativen Handelns als ein universales Medium der Verkörperung von Vernunft begriffen. Mit ihrem verständigungsorientierten Gebrauch erfüllt sie die (illokutionäre) Funktion der Handlungskoordinierung. Durch diese theoretische Sicht zieht die Spannung zwischen Faktizität und Geltung in den Modus der Handlungskoordinierung ein und stellt somit hohe Anforderungen an die Aufrechterhaltung sozialer Ordnungen: "Lebenswelt, naturwüchsige Institutionen und Recht müssen die Instabilitäten einer Vergesellschaftung auffangen, die sich über die Ja-/Nein- Stellungnahmen zu kritisierbaren Geltungsansprüchen vollzieht" (ebd.: 23).

Verweise:
[1] Siehe Kapitel 2.3.1.2


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