Die Praxeologie Pierre Bourdieus/Kapitalformen

From Eksa
Jump to: navigation, search

Vorheriges Kapitel: 2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus

2.1 Kapitalformen

verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest
Foto: Bauern beim Silieren von Heuballen, Polen 2006, Matthäus Rest

Bei der Analyse von Herrschaftsweisen gilt es – nach Bourdieu (1987: 222ff.) – die Dichotomie zwischen Ökonomischem und Nichtökonomischem über Bord zu werfen. So wird symbolisches Kapital durch die entsprechende Verwendung der anderen Kapitalarten geschaffen; diese sind ineinander konvertierbar. Symbolische Dankesbezeugungen, Widmungen, Achtungserweise, moralische Verpflichtungen können Gegenleistungen für die Erhöhung des ökonomischen Kapitals darstellen. Ehrverhalten ist danach Politik. Sozialleistungen des Staates oder die Anhäufung von Luxusgütern scheinen mit der Logik der Ausbeutung und mit faktischer Herrschaft nur oberflächlich betrachtet nichts mehr zu tun zu haben; sie sind aber nicht nur Kapital an Glaubwürdigkeit und gutem Geschmack, sondern können als "Einzahlungen auf der Bank der öffentlichen Meinung" gedeutet werden.


Inhalt

2.1.1 Symbolisches Kapital

Symbolisches Kapital wird durch Anerkennung erworben. Es kann bei jeder Gelegenheit vorgeführt werden. Sogar auf dem Markt, als dem Inbegriff eines Ortes des ökonomischen Austausches. Auch auf dem Markt gilt das Ehrenkapital und Ansehen als Kreditwürdigkeit und Vertrauenskapital. Dank des Vertrauens, das die Inhaber von symbolischem Kapital besitzen, können sie anstelle von Geld bloß ihr Gesicht, ihren Namen, ihre Ehre auf den Markt bringen. Symbolisches Kapital bringt damit Kredit, Vorschuss, Diskont. Seine Zurschaustellung ist einer der Mechanismen, die dafür sorgen, dass Kapital zu Kapital kommt[1]. An anderer Stelle meint Bourdieu (1992: 153) noch deutlicher: "Symbolische Macht ist die Macht, Dinge mit Wörtern zu schaffen." Sie muss sich auf den Besitz von symbolischem Kapital stützen; dieses bildet einen Kredit. Es ist die Macht, die Anerkennung durchsetzen zu können.

Verweise:
[1] Siehe Kapitel 2.2.2


2.1.2 Ökonomisches Kapital

Unter ökonomischem Kapital subsumiert Bourdieu das unmittelbar und direkt in Geld konvertierbare Kapital, das sich besonders zur Institutionalisierung in Eigentumstiteln eignet. Kulturelles Kapital (z.B.: Bildung, Schriften, Gemälde etc.) ist nur unter bestimmten Vorraussetzungen in ökonomisches Kapital konvertierbar[1]; es wird häufig in Form von schulischen Titeln institutionalisiert. Das soziale Kapital besteht in sozialen Verpflichtungen oder "Beziehungen" (es verleiht im weitesten Sinn Kreditwürdigkeit) und ist grundsätzlich ebenfalls in ökonomisches Kapital konvertierbar; es kann vor allem in Adelstiteln institutionalisiert werden. Mit dieser Einsicht in die Logik des Kapitals (-einsatzes) und der Kapitalumwandlungsformen widerspricht Bourdieu (1983: 197) sowohl dem "Ökonomismus" (des orthodoxen Marxismus), der alle Kapitalformen für ökonomisch hält und daher die Wirksamkeit der anderen Kapitalformen (in der Lebenswelt) übersieht als auch dem "Semiologismus" des Strukturalismus, des symbolischen Interaktionismus und der Ethnomethodologie; diese Richtungen reduzieren die sozialen Austauschbeziehungen auf Kommunikationsphänomene und übersehen die ihnen innewohnenden (ökonomischen) Herrschaftsformen[2].

Verweise:
[1] Siehe Kapitel 2.2
[2] Siehe Kapitel 2.2.1


2.1.3 Kulturelles Kapital

Foto: Jugendliche spielen Carrom, ein Brettspiel, am Marktplatz von Num, Nepal 2008, Matthäus Rest

Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse oder Region hinterlässt beispielsweise Spuren in den Sprechweisen. Wer über eine bestimmte Kulturkompetenz (z.B.: Lesen, gute Rhetorik etc.) verfügt, hat einen Seltenheitswert, aus dem sich extra Profite ziehen lassen; er besitzt (inkorporiertes) Kulturkapital. Bei der Übertragung von Kulturkapital handelt es sich um die am besten verschleierte Form von erblicher Kapitalübertragung[1] (und damit einer Grundlage für Herrschaft und Macht). Durch Titel wird das inkorporierte Kulturkapital objektiviert und letztlich institutionalisiert. Es wird durch den Titel, zum Unterschied von einem Autodidakt, rechtlich garantiert (z.B.: akademischer Maler). Dieser Anerkennung durch ein Wort wohnt eine schöpferische Magie inne.

Verweise:
[1] Siehe Kapitel 2.2

2.1.4 Soziales Kapital

Foto: Männer beim Fällen eines Baums nahe Nautanwa, Indien 2008, Matthäus Rest

Unter sozialem Kapital versteht Bourdieu (1983: 189) diejenigen Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen: "Der Umfang des Sozialkapitals, das der einzelne besitzt, hängt demnach sowohl von der Ausdehnung des Netzes von Beziehungen ab, die er tatsächlich mobilisieren kann als auch von dem Umfang des (ökonomischen, kulturellen oder symbolischen) Kapitals das diejenigen besitzen, mit denen er in Beziehung steht." Für die Erhaltung bzw. den Ausbau der sozialen Beziehungen ist ständige Beziehungsarbeit in Form von Austauschakten erforderlich. Sozialkapital bewegt sich in der Logik des Kennens und Anerkennens und funktioniert daher immer als symbolisches Kapital. Die Verteilungsstruktur der verschiedenen Kapitalarten entspricht der Struktur der gesellschaftlichen Welt. Kapital ist akkumulierte Arbeit, entweder in Form von Materie oder in verinnerlichter, inkorporierter Form. Vor der Einsicht, dass diese Akkumulation Zeit benötigt, formuliert Bourdieu (1983: 183): "Die gesellschaftliche Welt ist akkumulierte Geschichte."


Nächstes Kapitel: 2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen


↑ Nach oben