Konsum als sozialer kultureller und interaktiver Prozess/Difference

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Vorheriges Kapitel: 3.2 Konsum und Klassenbewusstsein

3.3 Konsum als "marker of difference"

Verfasst von Maria Dabringer
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Die Nutzung bestimmter Objekte zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten kann zum Symbol für soziale Indikatoren (wie sozialen Status, ethnische Zugehörigkeit, Geschlechtlichkeit oder individuelle Identität etc.) werden. Diese Aspekte sind eng verknüpft mit Betrachtungen, die Klassenunterschiede innerhalb einer Gesellschaft bestimmen. Konsum(verhalten) wird als Zeichen von Unterschieden und Differenzen zwischen Gruppen und Klassen erkannt. Der Blick wird auf die symbolischen und ästhetischen Aspekte von Konsum gerichtet (vgl. Bourdieu 1999 [1987], Appadurai 1986a).

Im Unterschied zu materialistischen Ansätzen tritt der Zugang zu Gütern in den Hintergrund. Nach derzeitigen Auffassungen ist es die Aneignung der Güter selbst, die eine Differenzierung zwischen Menschen bewirkt. Die Entstehung von Gruppenidentitäten und die Abgrenzung von "anderen" werden durch Konsumgewohnheiten möglich, sind jedoch nicht immer zwingend damit verbunden. Vor allem für die Analyse der westlichen (Massen-)Konsumgesellschaft gewinnt dieser Zugang zunehmend an Bedeutung "[...] probably because mass consumption is so established in the West" (Carrier 2004 [1996]: 128).

Inhalt

3.3.1 Néstor García Canclini

Néstor García Canclini wurde 1939 in Argentinien geboren, absolvierte Studien der Soziologie in La Plata/Argentinien und Paris. Er lehrte in der Folge an den Universitäten La Plata, Buenos Aires, Neapel, Austin, Stanford, Barcelona und Sao Paulo. Derzeit ist er als Professor für Soziologie an der Universidad Autónoma Metropolitana in Mexiko City tätig und leitet dort das Studienprogramm für "Urban Culture".

Als seine wichtigsten Publikationen sind zu nennen:

1997: Hybrid Cultures. Stategies for Entering and Leaving Modernity, 4th edition. Minneapolis & London, University of Minnesota Press

2001: Consumers and Citizens. Globalization and Multicultural Conflicts. Minneapolis & London, University of Minnesota Press

2004: Diferentes, Desiguales Y Desconectados --- Mapas de la Interculturalidad. Barcelona, Gedisa Editorial

Canclini im Internet:

Interview mit Néstor García Canclini 2002 in Berlin:https://web.archive.org/web/20170529181341/http://www.mexartes-berlin.de/esp/02/canclini-print.html[2] [27.04.2005]

Biographisches Profil, Texte und Ressourcen im Netz https://web.archive.org/web/20191115073800/http://www.infoamerica.org/teoria/garcia_canclini1.htm[3] [27.04.2005]

Néstor García Canclini (2001) beschäftigt sich u. a. mit Konsumverhalten in Zeiten globalisierender Strömungen im Kontext Lateinamerikas und plädiert in seinen Ausführungen für eine multidisziplinäre Theorie von Konsum:

"[...] a global conceptualization of consumption that includes the communication and reception of symbolic commodities" (Garcia Canclini 2001:38)

Canclini führt verschiedene wichtige Aspekten von Konsum zusammen und versucht sie gemeinsam zu betrachten:

  • Er integriert in seinen Analysen jene ökonomische Sichtweisen[4], die er derzeit für essentiell hält.
  • Er beachtet gleichzeitig klassen- und gruppenkonstituierende Konsumgewohnheiten[5] ("consumption as marker of difference") in Gesellschaften.
  • Die individuellen, ästhetischen Präferenzen[6] finden bei ihm ebenso Beachtung wie
  • psychologische Faktoren, die das Individuum beim selektiven Konsum von Gütern leiten.

García Canclini hebt hervor, dass die Rationalität, mit der Menschen ihre sozialen Beziehungen schaffen, nicht vorwiegend auf dem eigentlichen "Kampf um die Produktionsmittel" (García Canclini 2001:40) selbst oder auf der Befriedigung von materiellen Bedürfnissen beruht. Vielmehr hebt García Canclini den Aneignungsprozess von Gütern hervor, der eine symbolische Differenzierung zwischen Menschen (oder Gruppen) ermöglicht. Daher betrachtet er Güterkonsum und wie dieser gesellschaftlich kommuniziert wird als "status marker".

Verweise:

[1] https://web.archive.org/web/20040819210356/http://www.conaculta.gob.mx/saladeprensa/2003/16jun/principal.html
[2] https://web.archive.org/web/20170529181341/http://www.mexartes-berlin.de/esp/02/canclini-print.html
[3] https://web.archive.org/web/20191115073800/http://www.infoamerica.org/teoria/garcia_canclini1.htm
[4] Siehe Kapitel 2
[5] Siehe Kapitel 3.3
[6] Siehe Kapitel 1.2


3.3.1.1 Néstor García Canclini und die Logik des Konsums


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Für eine sozialanthropologische Untersuchung von Konsum hält García Canclini die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Perspektiven besonders wichtig:

Er unterscheidet dabei dezidiert zwischen Gütern und Waren, die als "marker of difference" eingesetzt werden und jenen die zur Bedürfnisbefriedigung konsumiert werden:

"The logic that drives the appropriation of commodities as objects of distinction is not the same as the logic involved in the satisfaction of needs. It is defined, rather, by the scarcity of those commodities and the impossibility that others should have them" (Gacía Canclini 2001:40).

Er erkennt in den Aktionsfeldern der Menschen --- in Bezug auf ihr Konsumverhalten --- bestimmte Logiken.

Beispiele:

  • Technologische Produktentwicklungen erreichen im marktwirtschaftlichen Gefüge zu Beginn --- durch teure Preise --- nur wohlhabende Bevölkerungsgruppen, die sich Investitionen bzw. Anschaffungen dieser Art leisten können. Eliten und damit die Minorität der Bevölkerung setzt sich von den Nicht-Besitzenden ab, weil jene, die besitzen und diejenigen, die nicht besitzen die soziokulturelle Bedeutung der Güter akzeptieren und gemeinsam tragen. Ohne die Anerkennung dieser Umstände durch die Nicht-Besitzenden, erreicht der Besitz keine differenzierende Wirkung.
  • Kunsthandwerk oder religiöse Zeremonien, die zum geistigen und materiallen Besitz indigener Gruppen gehören, werden in unterschiedlichen Kontexten genutzt. Sie haben als materielle, kulturelle Repräsentation von Weltbildern besondere Bedeutung. Sie werden gleichzeitig als Symbole des Eigenen aber auch zur Abgrenzung ("marker of difference") von anderen Bevölkerungsgruppen verwendet. So kann das Wissen um die kulturelle Bedeutung materieller Güter als Mittel zur Diskriminierung bestimmter Gesellschaften missbraucht werden. Das geschieht durch Nutzung, Einordnung, Qualifizierung und Bewertung diese Güter und Symbole von außen.
"Consequently, we should acknowledge that consumption contributes to the integrative and communicative rationality of a society" (García Canclini 2001:40).

3.3.2 Arjun Appadurai --- Waren, deren politische Bedeutung & Konsum

Arjun Appadurai, Quelle: New School University --- Alumni News: https://web.archive.org/web/20051027065412/http://www.newschool.edu/admin/alumninews/spring05/indiachina.html[1] [12.07.2005]

Der Anthropologe Arjun Appadurai (*1949) wurde in Indien geboren. Er studierte Anthropologie u. a. in Chicago, wo er in der Folge auch unterrichtete. Er beschäftigt sich in seinen Studien intensiv mit Historischer Anthropologie, Globalisierungsdebatten und Medienanthropologie, ethnisch determinierten Gewaltkonzepten, mit Konsumgewohnheiten, Raumvorstellungen, mit Diskursen zur internationalen Zivilgesellschaft sowie mit Stadtforschungen in Südasien.

Als seine wichtigsten Publikationen sind zu nennen:

1986 (Hrsg.): The social life of things. Commodities in cultural perspective. Cambridge, Cambridge University Press

1991 (Hrsg.): Gender, genre, and power in South Asian expressive traditions. Philadelphia, Pennsylvania, University of Pennsylvania Press

1996: Modernity at large: cultural dimensions of globalization. Minneapolis, Minn. Univ. of Minnesota Press

2000: (Hrsg.): Globalization. Durham, NC, Duke Univ. Press

Appadurai im Internet:

South Asia Network of Economic Research Institutes: https://web.archive.org/web/20090503093835/http://www.saneinetwork.net/structure/rap/prof_arjun.asp[2] [27.04.2005]

In der Publikation "The Social Life of Things" (1996) beschäftigt er sich mit der Bedeutung von Waren, Dingen und deren soziokultureller Kontextualisierung. Im Zuge seiner Analysen (Appadurai 1999 [1996]:3-63) erschließt Appadurai aus anthropologischer Perspektive die Entstehung der Wertigkeit von Dingen und Waren[3] und beschreibt die enge Verquickung der Tauschbeziehungen zwischen Menschen oder Gruppen mit den Bereichen der Konsumption. Sowohl die politische Relevanz des Tauschens von Waren[4] als auch die gezielte Betrachtung der Dinge[5] selbst, die sich im Distributions- und Konsumptionsprozess ständig in Bewegung befinden, stehen dabei im Mittelpunkt.

Verweise:

[1] https://web.archive.org/web/20051027065412/http://www.newschool.edu/admin/alumninews/spring05/indiachina.html
[2] https://web.archive.org/web/20090503093835/http://www.saneinetwork.net/structure/rap/prof_arjun.asp
[3] Siehe Kapitel 3.3.2.2
[4] Siehe Kapitel 3.3.2.8
[5] Siehe Kapitel 3.3.2.1


3.3.2.1 "The Social Life of Things" --- Von Waren und den "Politics of value"


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Arjun Appaduai geht bei seiner Auseinandersetzung mit Waren und deren Gebrauch von zwei wichtigen Prämissen aus (Appadurai 1999 [1996]:3):

  • Ökonomischer Austausch erzeugt Wertigkeiten.
  • Der Wert wird durch die Waren ("commodities") verkörpert, die getauscht werden.

Für Appadurai ist wichtig, dass bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Dingen und Waren nicht nur die Formen und Funktionen des Tauschens behandelt werden, sondern dass die Dinge selbst, die getauscht werden, analysiert werden. Diese Perspektive verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Tauschprozessen und der Wertigkeit von Waren. Jene Elemente, die diese Bereiche miteinander verbinden, bezeichnet Appadurai als Politik ("politics") (1999 [1996]:3). Politik versteht er dabei in einem sehr breiten Sinn: Er bezeichnet Aneignungen von Gütern jeglicher Art, aber auch Formen von Beziehungen, Streitigkeiten, Konkurrenzen und Allianzen (in Bezug auf Machtverhältnisse) als politische Aktivitäten (Appadurai 1999[1996]:57).

"Politics [...] is what links value and exchange in the social life of commodities" (Appadurai 1999 [1996]:57).

In der Folge entwickelt er den Standpunkt, dass nicht nur Personen, sondern auch Waren "soziales Leben" besitzen: "the social life of things" (1999 [1996]:3).

3.3.2.2 Arjun Appadurai und Georg Simmel --- Der Wert von Waren


"Commodities can [...] be defined as objects of economic value" (Appadurai 1999 [1996]:3).
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Bei der Definition des Wortes Ware geht Appadurai auf Georg Simmel (1907) zurück:

Wert ist den Dingen nicht grundsätzlich immanent, er wird ihnen durch das Urteil von Subjekten zugeordnet. Ökonomische Objekte existieren für Simmel im Raum zwischen Nachfrage bzw. dem Verlangen und dem unmittelbarem Gebrauch derselben. Simmel definiert diesen Raum als Distanz. Diese existiert auch zwischen den Objekten und den Personen, die diese aneignen wollen. Sie wird in der Folge durch ökonomischen Tausch überbrückt, wobei der Wert von Objekten von beiden Teilen der Tauschbeziehung reziprok abhängig ist. (Appadurai 1999 [1996]:3).

Wünsche und das Begehren von Personen werden erfüllt, indem sie sich im Tauschprozess von anderen Objekten trennen, d. h. auf diese verzichten. Diese Objekte stellen für andere Personen gleichzeitig Wunschobjekte dar. Diese Formen des Austauschs mittels Verzicht (des einen) machen für Simmel gemeinsam mit dem entstehenden Gewinn (des anderen) das ökonomische Leben aus (Appadurai 1999 [1996]:4). Somit ist die Nachfrage nach Objekten die Basis für einen realen oder imaginierten Tausch. Nachfrage stiftet Wert, der Tausch setzt Parameter in Form von Nutzen und Knappheit. Darin sieht Simmel den Ursprung des Werts (ebd.).

Auf diesen Annahmen baut Appadurai auf. Für ihn ist davon ausgehend bedeutsam, unter welchen Bedingungen ökonomische Objekte in verschiedenen Wertekontexten, den sogenannten "regimes of value", unter Berücksichtigung der räumlichen und zeitlichen Komponenten zirkulieren. Wünsche, Begierden und die daraus resultierende Nachfrage sind dafür die Grundlage. Reziproker Verzicht, der daraus entstehende Gewinn sowie sich konstituierende Machtpositionen schaffen ökonomische Werte in spezifischen sozialen Situationen (Appadurai 1999 [1996]:4).

3.3.2.3 Waren, Institutionen und Wissen


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Arjun Appadurai konzentriert sich auf folgende Schwerpunkte:

  • Das Wesen von Waren: Er argumentiert dabei, dass Waren nicht - wie gemeinhin verstanden - von der modernen, industriellen Ökonomie monopolisiert sind. Er dekonstruiert die Annahme, dass Waren als materielle Repräsentation der kapitalistischen Produktionsweise (im Sinne Marx´s) angesehen werden (link Gerti). "Let us approach commodities as thing in a certain situation, a situation that characterize many different kinds of thing, at different points in their social lives" (Appadurai 1999 [1996]:13). In diesem Sinne plädiert Appadurai für eine Kontextualisierung von Waren nicht allein im Produktionsprozess, sondern für einen Fokus, der die Bereiche der Produktion, Distribution/Austausch und der Konsumption (Prozess wirtschaftlichen Handelns link Gerti) mit einschließt (ebd.).
  • Einen zweiten wichtigen Schwerpunkt bildet die Analyse von institutionellen und individuellen Strategien, die die wertschaffende Prozesse in Gesellschaften als politisch motiviert und instrumentalisiert aufzeigen. Werte werden geschaffen, um Institutionen, politische Motivationen oder Machtpositionen zu manifestieren (Appadurai 1999 [1996]:16ff).
  • Die Bedürfnisse nach und des Begehrens von Waren handelt Appadurai mittels Analyse von kurz- und langfristig existierenden Mustern bei der Warenzirkulation ab. Er zeigt damit, dass Konsumption ein entscheidendes Element für die Konstituierung sozialer Kontrolle und politischer Redefinitionsprozesse[1] darstellt (1999 [1996]:29ff).
  • Mit dem Zusammenhang von Waren und Wissen[2] beschäftigt sich Appadurai in einem weiteren Kapitel (1999 [1996]:42ff). Er zeigt, dass die Bereiche der "politics of value" auf das Engste mit den Kontexten des Wissens, des Wissensbesitzes und der Akkumulation desselben verbunden sind.

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 3.3.2.5
[2] Siehe Kapitel 3.3.2.3

3.3.2.4 Von Waren, Menschen und Ideen


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Appadurai entwickelt in Bezug auf die Analyse von Dingen und Objekten wichtige theoretische und methodologische Standpunkte:

  • Dinge haben ohne den direkten Bezug zu menschlichen Tätigkeiten, ohne menschliche Attribute keine Bedeutung. Folge dieser "formal truth" (Appadurai 1999 [1996]:5) ist es, dass die konkreten historischen Weiterentwicklungen von Dingen nur sehr begrenzt beschrieben bzw. beleuchtet werden können.
  • Appadurai entwickelt gleichzeitig die Position, dass Dinge für sich selbst stehen und Bedeutungen in ihre Form, ihren Gebrauch und ihre Weiterentwicklung eingeschrieben werden. Durch die Analyse dieser Weiterentwicklungen können Interpretationen des menschlichen Umgangs mit und Bewertungen von Dingen vorgenommen werden.
  • Methodologisch gesehen erzählen und beschreiben die "things-in-motion" (Appadurai 1999 [1996]:5) ihren eigenen sozialen und menschlichen Kontext. Über deren Analyse können daher die verschiedenen Gesellschaften erschlossen werden. Es ergibt sich also für eine theoretische Perspektive die Ansicht, dass Dinge von Menschen mit Bedeutungen versehen und damit sozialisiert werden.
"No social analysis of things (whether the analyst is an economist, an art historian, or an anthropologist) can avoid a minimum level of what might be called methodological fetishism. This methodological fetishism, returning our attention to the things themselves, is in part a corrective to the tendency to excessively sociologize transactions in things, a tendency we owe to Mauss [...]" (Appadurai 1999 [1996]:5).

3.3.2.5 Konsum als Ausdruck politischer und sozialer Kontrolle I


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Menschliche Bedürfnisse spielen für die Auseinandersetzung mit Konsum eine wichtige Rolle. In den Sozialwissenschaften wird die Auseinandersetzung mit selbigen oft als "mystery" (Appadurai 1999 [1996]:29f) bezeichnet. Das hat damit zu tun, dass im Begriff der "Bedürfnisse" mentale Aspekte (z. B. menschliches Begehren) und biologische Notwendigkeit aufeinandertreffen.

Der Konsumbegriff der westlichen Ökonomien unterstellt die Konsumbedürfnisse der Menschen generell als unendlich, als kulturungebunden und transkulturell wirksam, notwendig und fixiert (Appadurai 1999 [1996]:29f). Konsumverhalten wird deshalb oftmals ausschließlich als Reaktion auf bestimmte Einflüsse verstanden und nicht als aktives soziales Handeln.

Arjun Appadurai zeigt an Hand verschiedener regionaler Ethnien, bei denen sich ein rapider kultureller Wandel festmachen lässt, die kulturelle Komplexität von Konsum. Konsumgewohnheiten sind hierbei nicht nur eine mechanische Antwort auf manipulative gesellschaftliche Kräfte (z.B. die Werbung in westlichen Ökonomien), sondern für Appadurai sind diese kulturgebundene Phänomene, haben Funktionen für soziale Praktiken und Klassifikationen (Appadurai 1999 [1996]:29f). Gruppenzugehörigkeit, egalitäre ökonomische Strukturen und Machtbeziehungen bilden einen Rahmen von Werten, der die Adaptierung von "neuen" Kulturgütern reguliert und steuert. So zeigt sich die Regulierung von Bedürfnissen durch die Gesellschaft als Teil einer Strategie, die gesellschaftliche Normen --- auch unter Einfluss neuer Kulturgüterangebote --- erhalten kann und will (vgl. Gell 1999 [1996]:110ff). Bedürfnisse nach Güterkonsum sind somit nicht "natürlich gegeben", sind keine natürlich-mechanische Antwort auf die Erwerbbarkeit von Gütern und Beschaffung von Geldmitteln, sondern gelebte soziale Praxis. Das Angebot "neuer" Waren, die von außen in eine Gesellschaft hineingetragen werden, bedeutet nicht automatisch das Bedürfnis, diese auch sofort erwerben zu wollen.

"Demand is thus the economic expression of the political logic of consumption [...] I suggest that consumption is eminently social, relational, and active rather than private, atomic or passive" (Appadurai 1999 [1996]:30).

3.3.2.6 Konsum als Ausdruck politischer und sozialer Kontrolle II


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In Anlehnung an Mary Douglas entwickelt Arjun Appadurai die Idee der gesellschaftlichen Doppelfunktion von Konsum:

  • Konsum (und damit auch die vorangehenden Bedürfnisse der Menschen) ist die Möglichkeit in Interaktion mit anderen Menschen zu treten ("sending social messages") (Appadurai 1999 [1996]:31).
  • Konsumieren bedeutet jedoch auch gleichzeitig die Möglichkeit "social messages" zu erhalten ("receiving") (ebd.).

Appadurai leitet daraus zwei verschiedene Beziehungen ab, die ihm als essentiell erscheinen und sich auf die Wechselwirkung von Konsum und Produktion beziehen:

  • Bedürfnisse sind von sozialen und ökonomischen Kräften und Rahmenbedingungen abhängig.
  • Bedürfnisse haben --- in begrenztem Maße --- die Möglichkeit, diese sozialen und ökonomischen Kräfte zu beeinflussen.

Fallbeispiel: Die aristokratischen Bedürfnisse im premodernen Indien bestimmten in ihrem Einflussbereich die Produktion von Gütern und setzten Trends im Geschmack weiter Teile der Bevölkerung. Gleichzeitig richteten sich diese von den Eliten gesetzten Parameter nach den von Europa ausgehenden Trends und Moden. Somit bestimmt eine soziale Gruppe in ihrem Einflussbereich mit ihren Konsumgewohnheiten die Strukturen der Produktion und des Verbrauchs. Gleichzeitig wird die Gruppe selbst durch externe Konsumstrukturen selbst bestimmt und beeinflusst. Der Geschmack der Eliten hat somit strukturgebenden Charakter, der sich über politische Macht und soziale Kontrolle ausdrückt.

"The demand for commodities is critically regulated by this variety of taste-making mechanisms, whose social origin is more clearly understood (both by consumers and by analysts) in our own society than those distant from us. [...] However, demand is a socially regulated and generated impulse, not an artifact of individual whims or needs" (Appadurai 1999 [1996]:32).

3.3.2.7 Luxusgüter


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Einhergehend mit dem Aufkommen des frühen Kapitalismus, der Ausdehnung des europäischen Handels auf andere Kontinente, des Industriekapitalismus als auch der Bedeutung von Finanzkapital bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden bestimmte Güter zu "Luxusgütern", die den sogenannten "Neureichen" oder der Aristokratie vorbehalten waren.

Dieser "Luxus" ist in Arjun Appadurais Analysen Teil eines "special 'register' of consumption" (1986a:38). Er schlägt damit eine Erfassung von Konsumgewohnheiten und Gütern durch bestimmte Attribute vor.

Für (Luxus-)Güter gestaltet sich der gesellschaftliche Zugang für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich. Die Zugangmöglichkeiten zu Gütern stehen in unmittelbarem Zusammenhang zu dem von Appadurai formulierten "register of consumption". Luxus wird innerhalb dieses "Konsumverzeichnisses" durch folgende Attribute bestimmt (Appadurai 1986a:38):

  • Die Restriktion: Güter sind durch hohe Preise oder gesetzliche Bestimmungen zu Gunsten der Eliten regelmentiert und nur für wenige zugäglich.
  • Die Komplexität des Gütererwerbs: der Erwerb von Waren gestaltet sich zu komplex, um für alle Bevölkerungsgruppen mit gleichem Aufwand möglich zu sein. Mangel (u. a. an materiellen Gütern, Transportmöglichkeiten etc.) wird zum limitierenden Faktor für den Erwerb dieser Güter.
  • Die soziale Signalwirkung bestimmter Güter: Der Besitz und die Verwendung bestimmter Güter bringen sozialen Status und/oder Prestige zum Ausdruck (z. B. Seidengewänder, Juwelen, besondere Nahrungsmittel etc.)
  • Das spezialisierte Wissen: Für den Konsum von Gütern ist oftmals das Wissen um deren Gebrauch von Nöten. Dieses ist innergesellschaftlich sehr selten flächendeckend für alle Bevölkerungsgruppen gegeben. "Neue" Güter werden durch ihren physischen Aufbau ("design") gewissen Bevölkerungsgruppen vorenthalten, weil deren Gebrauch ein "Spezialwissen" erforderlich macht. Appadurai nennt das "regulation by fashion".
  • Der Grad an Verbundenheit von Mensch und Konsumgewohnheit: Als letztes Attribut nennt Appadurai die Beziehungen von Personen, Persönlichkeiten und Körper mit den Konsumgewohnheiten, der für den Konsum der Güter nötig ist. Diese Beziehung bestimmt die Fortführung oder Ablehnung von Konsumgewohnheiten durch den Menschen.


3.3.2.8 "Politics of value" I --- die politische Relevanz von Austausch und Konsum


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Die politische Relevanz, die durch Austausch und Bewertung von Gütern in Gesellschaften entsteht wird im alltäglichen Austausch von Gütern nicht immer sofort offensichtlich. Routine und gesellschaftliche Gewohnheiten lassen Austausch trivial und unspektakulär erscheinen.

Arjun Appadurai (1996) weist in seinen Ausführungen klar darauf hin, dass Formen des alltäglichen Austausches über gesellschaftliche Übereinkünfte geregelt werden. Somit wird bestimmt, was innergesellschaftlich erwünscht sein darf, auf welche Weise welche Güter "vernüftig" getauscht werden, auf welche Dinge für welchen "Gegenwert" verzichtet werden kann und wem es erlaubt ist auf welche Weise unter welchen Umständen möglichst effektiv und befriedigend zu "tauschen" (Appadurai 1999 [1996]:57).

"What is political about this process is not just the fact that it signifies and constitutes relations of privilege and social control. What is political about it is the constant tension between the existing frameworks (of price, bargaining, and so forth) and the tendency of commodities to breach these frameworks" (Appadurai 1999 [1996]:57).

Für Appadurai ist entscheidend, dass nicht alle Teile einer Gesellschaft in diesen Beziehungen --- innerhalb eines Wertsystems --- die gleichen Interessen verfolgen. Auch innerhalb bilateraler Austauschbeziehungen sind es die unterschiedlichen Interessen der Parteien, die diese Austauschbeziehung bestimmen. Dadurch ergibt sich der von Appadurai zitierte innergesellschaftliche Druck ("tension"), der permanent Veränderungen bedingt (ebd.).

3.3.2.9 "Politics of Value" II - Konsum & die Relevanz von Konkurrenz


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Ein wichtiges soziales Element stellen stellen für Appadurai jene Konkurrenzkämpfe dar, die über Wertigkeiten geführt werden ("tournaments of value"). Eliten konstituieren sich über eine "politics of fashion", über Tabus und Luxusgüter ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft. Sie positionieren sich damit in Opposition zu jenen, die diese Güter nicht im Austausch erwerben können. Diese Form der "politics" im Sinne Appadurais reguliert die Nachfrage.

Güter haben jedoch die Eigenschaft, die Grenzen von Gesellschaften oder kulturellen Gemeinschaften zu überschreiten, sie zu durchbrechen. Somit droht die politische Kontrolle der Güterzirkulation und des Gütergebrauchs unter ständigen Druck zu zerbrechen.

Appadurai entwickelt in seinen Analysen in der Folge die Position, dass jene, die innergesellschaftlich Macht ausüben und kontrollieren, immer auch die Stabilität von Wertigkeiten im Auge haben. Die "Mächtigen" haben die Intention "creating a closed universe of commodities and a rigid set of regulations about how they are to move" (Appadurai 1999 [1996]:57).

Innergesellschaftliche Veränderung bedeutet auch Veränderungen der Machtverteilung. Veränderungen im System des Güteraustauschs, der Nachfrage und der Verteilung tragen dazu bei. Gleichzeitig bedingen die Konkurrenzkämpfe der Mächtigen untereinander jedoch eine Ausweitung der verfügbaren Güterpalette und die Destabilisierung jener Muster, die ihre Macht absichern.

"So far as commodities are concerned, the source of politics is the tension between these two tendencies" (Appadurai 1999 [1996]:57).

Politik im Sinne Appadurais kann also die verschiedensten Formen annehmen: Sie dient der Unterscheidung von Menschen und Gruppen, von Wissenden und Unwissenden sowie dem eigenen "Zur-Schau-Stellen" derselben, dem Ausdruck von Authentizität und der Selbstidentifikation, der Kontrolle von Luxus und Überfluss und der Machtverteilung.

In den vielen verschiedenen Ausformungen, den "ups and downs" (ebd:57) der "politics of value" verortet Appadurai auch die Gründe für die "Launen der Nachfrage" nach Gütern, Dingen und Waren.

"It is in this sense that politics is the link between regimes of value and specific flows of commodities" (Appadurai 1999 [1996]:57).

In der Anerkennung dieser Erkenntnisse verortet Appadurai die Chance, die Beziehungen zwischen dem Produktionsprozess und dem Bereich der Politik zu erhellen:

"We are now in a better position to demystify the demand side of economic life" (Appadurai 1999 [1996]:58).


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