Konsum in Zeiten der Globalitaet/Homogen-Heterogen

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4.1 Globaler Konsum: Weltweite Einheitlichkeit versus lokale Differenzierung?

Verfasst von Maria Dabringer
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Konsumgewohnheiten sind weltweit nicht einheitlich, sie sind differenziert ausgeprägt und den lokalen Bedürfnissen und Geschmäckern angepasst. Weltweit werden Konsumgewohnheiten durch Medien und Kommunikationsmittel ähnlich dargestellt und transportiert. Nichtsdestotrotz entsteht eine Vielfalt an kulturellen Ausformungen, die alles andere als homogen zu bezeichnen sind (Braidenbach & Zukrigl 2000:46ff).

Es wird sichtbar, dass Waren und Güter, die über staatliche Grenzen hinweg weltweit Verbreitung finden, von Gesellschaften in das eigene Weltbild integriert werden. Fremdes wird "domestiziert", angepasst und adaptiert. Neue kultur- und sozialanthropologische Konsumforschung wendet sich eben diesen Strategien zu und betrachtet sie für Gesellschaften als Mittel zur "[...] Selbstdefinition und Selbsterhaltung [...] und nicht als oberflächliche, hedonistische Gleichmacherdroge" (Breidenbach & Zukrigl 2000:58).

Die globale Ausbreitung einheitlicher Konsummuster und gleichzeitig auftretender lokaler Adaptionsleistungen in verschiedenen Gesellschaften beschreiben das "Homogenization Paradigm[1]"und das "Creolization Pardigm[2]", die innerhalb der Kultur- und Sozialanthropologie thematisch eingebracht und diskutiert werden. Sie beschäftigen sich damit, welche neuen Konsumkulturen dabei im "Süden" entstehen, ob westliches Konsumverhalten schlichtweg kopiert wird und ob durch diese "kulturelle Globalisierung" eine Homogenisierung der Verhaltensweisen weltweit vorangetrieben wird.

Hinzu kommt, dass seit dem Jahre 2002 eine Milliarde hungerleidender Menschen ein Hinweis darauf sind, dass Konsumverhalten und die grundsätzliche Möglichkeit, Güter oder Nahrungsmittel überhaupt konsumieren zu können, von der Selbstverständlichkeit der menschlichen Bedürfnisbefriedigung zu einem Privileg geworden sind. Die Analyse des vergesellschafteten Konsums macht Differenzen in vielerlei Hinsicht sichtbar.

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 4.1.1
[2] Siehe Kapitel 4.1.2

Inhalt

4.1.1 These der "Globalen Homogenisierung"

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Die Sozial- und Kulturanthropologie der 1990er Jahre versuchte zu erkunden, welche neuen gesellschaftlichen Strukturen in Ländern des "Südens" entstehen, wenn sich bestimmte, meist westliche Strukturen und Gewohnheiten global ausbreiten. Es stellt sich die Frage, ob westliches Verhalten schlichtweg kopiert wird und ob durch diese kulturelle Globalisierung eine Homogenisierung der Verhaltensweisen weltweit vorangetrieben wird. Besonderes Augenmerk wird dabei den Konsumgewohnheiten geschenkt.

Ausgehend von diesen Fragestellungen entstand das "Global Homogenization Paradigm". Sie bezeichnet einen Effekt, der durch die Verteilung von bestimmten "globalen Gütern" in alle Teile der Welt entsteht: Demnach werden kulturelle Differenzen zunehmend geringer, wenn lokal verwendete Produkte durch global vermarktete ersetzt werden, die meist aus dem Westen stammen. Somit kommt es zu einem weiteren Prozess der Kolonialisierung (oder Re-Kolonialisierung) der nicht-westlichen Welt durch jene Institutionen, die eine weltweite Vermarktung erst möglich machen. Durch diese "Globalisierung von Konsum" ergibt sich u. a. eine Vereinheitlichung von Männer- und Frauenbildern, die mit der Angleichung von Geschmack, Verhalten und Wertorientierungen gekoppelt ist (Wichterich 1998:198).

Ulf Hannerz (1992:217) bezeichnet dies als "cocacolonization of the world". Die Entstehung dieses Begriffes lässt sich auf die weltweite Verbreitung des "softdrinks" Coca Cola zurückführen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts steht der Werdegang dieses Getränkes repräsentativ für eine solche Entwicklung und kann, "as a central symbol of 'cultural imperialism'" (Hannerz 1992:217) angesehen werden.

Der Lebensstil der USA und Wohlstand wurden über seinen Konsum ebenso suggeriert wie das Image eines weltoffenen, universellen und transkulturellen Produktes. Der "american dream" ist im Konsum von Coca Cola ebenso enthalten wie die damit verknüpfte Ideologie der "Freien Welt" und eines uneingeschränkten, selbstbestimmten Konsum ("consumer democracy"). Mit dem Slogan "Coke offers a taste of Freedom" transportiert diese Form des Kulturtransfers auch oft genug seine politische Bedeutung (Howes 1996:3ff, Bauer 2001:207ff, Beck 1997:80ff).

Die kultur- und sozialanthropologische Konsumforschung ist bestrebt, diese Homogenisierungs- oder McDonaldisierungsthese durch Fallstudien zu widerlegen und die Besonderheiten der Adaptierungen "neuer" Konsumgüter hervorzuheben (vgl. Spittler 2002:17ff). In der kulturwissenschaftlichen Forschung geht man mittlerweile davon aus, dass Globalisierung und Massenproduktion kultureller Symbole keine kulturelle Vereinheitlichung herbeizwingt, eine absolute globale Kultur nicht im Entstehen begriffen ist (Beck 1997:100).

4.1.2 These der "Kreolisierung"

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Eine Auseinandersetzung mit den lokalen Strukturen von Konsum im "Süden" zeigte, dass "neue" Produkte innerhalb einer Gesellschaft angepasst werden, dass sie anders als "ursprünglich" gedacht verwendet und angewandt werden, "a new cultrual setting or 'local reality' " (Howes 1996:5) entsteht. Denn bei jeder Form der Globalisierung geht es vor allem auch um Lokalisierung: aus der "Dialektik kultureller Globalisierung" (Beck 1997:85) entwickeln sich hybride Formen der Konsumkultur, die sich durch die spezielle Adaptierung der "annehmenden" Bevölkerung kennzeichnen. Neue Güter oder Medien

"[...] do not have the power to drive members of the group to abandon themselves to the novelties. The desire to posses 'the new' does not operate as something irrational or independent of the collective culture to which these people belong" (García Canclini 2001:43).

Bestehende Formen von Konsum werden dabei verändert, umgeformt und je nach Brauchbarkeit und Kontextualisierung in das soziale Leben integriert. Diese Veränderungen werden unter dem Begriff "Creolization Paradigm" zusammengefasst. Der Terminus "Kreolisierung" stammt aus der Linguistik. Als Kreolisch (Mischformen aus Kolonialsprache und afrikanischen Sprachen) wurden ursprünglich die im Zuge der Kolonialisierung neu entstandenen Sprachen in der Karibik und Westafrika bezeichnet (Breidenbach & Zukrigl 2000:85). Der Begriff der Kreolisierung versucht, "Vermischungen, Widersprüchen und durchlässigen Grenzen von Bedeutungssystemen gerecht zu werden" (Breidenbach & Zukrigl 2000:85).

Im Kontext von Konsumgewohnheiten beizeichnet der Begriff den Prozess, bei dem es zu einer Rekontextualisierung von Gütern kommt, die eigentlich aus anderen kulturellen Kontexten stammen.

"[...] Untersuchungen zur Aneignung importierter Güter belegen, dass die Übernahme fremder Güter nicht als Überwältigtwerden oder als passive Hinnahme angesehen werden kann, sondern dass diesem Prozess ein aktives Handeln entspricht" (Spittler 2002:18).

Dieser Prozess wird auch Hybridisierung (link) genannt (Howes 1996:5ff, García Canclini 1997, Spittler 2002). Dabei werden die mit den Produkten verknüpften ursprünglichen Ideologien nicht unbedingt mitgenommen: Es entstehen neue Identitäten für ein Produkt und es kommt zu einer Rekontextualisierung desselben.

Die Marke Inka Kola formierte sich beispielsweise als peruanisch-nationalistische Alternative zu den importierten "softdrinks" wie Coca Cola. Inka-Kola wurde zu einem Symbol nationalen Stolzes. Die Idee des "softdrinks" wurde aufgenommen, angepasst und mit anderen Ideologien versehen. Es kann als Beispiel für den Prozess der Kreolisierung oder "appropriation[1]" gelten.

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 4.1.2.1


4.1.2.1 "Appropriation" oder Aneignung von Gütern


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Unter "appropriation" oder Aneignung verstehen Kultur- und Sozialanthropologen/-innen (unter ihnen Gerd Spittler) "vor allem den Akt der kulturellen Interpretation und Umdeutung" (2002:16). Spittler plädiert für eine zusätzliche, für ihn wichtige Untersuchung des Prozesses der "in Besitznahme" von Gütern durch Menschen und die damit verbundene Interaktion der Menschen miteinander, die der Rekontextualisierung vorausgeht. Diese Prozesse werden manchmal als eine Art "zweite Produktion" verstanden, bei der Bedeutungen "umgearbeitet" werden (Hess & Lenz 2001b:24).

So entstehen neue, Gruppen (oder auch Nationen) symbolisierende Konsummuster, die oftmals jenseits der Klassen ideologische Zugehörigkeiten repräsentieren. Viele der heute international vom Norden in den Süden (und umgekehrt) transferierten Produkte beinhalten eine Vielzahl von ideologischen Kontexten, die mit diesen Gütern von den Menschen mitkonsumiert werden (Carrier 2004 [1996]:129).

Eng mit diesem Konzept verknüpft ist das von Roland Robertson formulierte Phänomen der "Glokalisierung". Er versteht das Lokale als einen Aspekt des Globalen. Ein "clash of localities" bedingt, dass lokale Kulturen unter globalen Einflüssen neu bestimmt werden müssen. Widersprüchliche Elemente werden dabei in ihrer Einheit begriffen (Beck 1997:90ff, Robertson 1998). Christa Wichterich argumentiert ebenso in dieser Linie: Sie verweist darauf, dass der globalisierte Markt lokale Elemente aufsaugt und daraus "Gewinne" abschöpft. In diesem Wechselspiel von Massenangeboten und Freizeitkonsum finden Retraditionalisierungstendenzen und Nationalstolz als "Gegenmodelle" ihren Raum (Wichterich 1998:201-205).

Diese Sichtweisen haben der Konsumforschung Aufschwung verliehen. Das drückt für Spittler (2002) nicht nur das Interesse an fremden Einflüssen in den verschiedenen kulturellen Kontexten aus, sondern führt zu einer Neubewertung von Konsum, jenseits kritischer Stellungnahmen zu Schlagwörtern wie "Konsumrausch" oder "Konsumabhängigkeit".

4.1.2.2 Hybridisierung


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Als hybrid verstandene kulturelle Konzepte werden in der kulturwissenschaftlichen Forschung vor allem für die Analyse von Bereichen "in der Schwebe zwischen verschiedenen Positionen", von Vermischungen und Kreuzungen mehrerer Kontexte verwendet (z. B. Lebenswelten von Migranten/-innen) (Hess & Lenz 2001b:27).

Das Phänomen der "Hybridisierung" wird oftmals auch mit den Begriffen Kreolisierung (link), Synkretismus oder im Kontext der Forschungen zu Lateinamerika mit "mestizaje" gleichgesetzt. García Canclini verweist darauf, dass Synkretismus meist Verbindungen unterschiedlicher religiöser Tendenzen ausdrückt und das Phänomen der "mestizaje" (link Glossar) auf kulturelle "Mischformen" hinweist und der Kategorie "race" einen besonderen Stellenwert einräumt. Er verwendet deshalb für seine Auseinandersetzung mit Konsumgewohnheiten den Begriff der Hybridisierung (García Canclini 1997:11, Note 1).

Problematisch ist der Begriff "hybrid" insofern, als er die Gefahr in sich birgt, spezifische Lebenswelten als "außerhalb" einer bestimmten kulturell dominanten Wir-Gruppe aufzufassen und damit (im Fall von Migranten/-innen) einmal mehr rassistische Ausgrenzung zu betreiben (Hess & Lenz 2001b:27). Feministische lateinamerikanische Literatur setzt sich kritisch mit dieser Verquickung des Themas "Migration" und Hybridität als Konzept für neue (multiple) Identitätskonstruktionen auseinander (Gutiérrez Rodriguez 2001).

Für den lateinamerika-studinischen Kontext von Konsumgewohnheiten behandelt der Soziologe Néstor García Canclini (1997) das Thema hybrider Formen soziokulturellen Zusammenlebens und sieht in ihnen "Modernes" und "Traditionelles" vermischt. Die Opposition dieser Begriffe lehnt er ab. Die im Zuge von Kategorisierungen stattfindende Reduktion menschlicher Gesellschaften weist García Canclini ebenfalls zurück, auch wenn er die Dreiteilung von Gesellschaften in die Bereiche "cultured", "popular" und "mass-based" als Ausgangsbasis für seine Analysen akzeptiert (vgl. García Canclini 1997:3ff):

"It is necessary to deconstruct that division into three levels [...] and verify if its 'hybridization' can be understood using the tools of disciplines [Kunst, Geschichte, Volkskunde, Soziologie und Anthropologie, Kommunikation, etc. Anm. d. Verfasserin] that are studied separately" (García Canclini 1997:2).

Er sieht in der multidisziplinären Analyse der Modernisierung Lateinamerikas eine Chance, weniger das Substituierende, Homogenisierende von Modernisierung hervorzuheben, sondern die "renovation whereby diverse sectors take responsability for the 'multitemporal heterogeneity' of each nation" (García Canclini 1997:3).

Städte fungieren dabei als Schnittpunkte unterschiedlicher kultureller Tendenzen. Traditionelles Kunsthandwerk und seine Bedeutung für den nationalstaatlichen Markt stehen im Mittelpunkt seiner Analysen. In seinen Studien hybrider Kontexte

Interessieren ihn auch jene "oblique powers", die zwischen Institutionen innerhalb der Nationalstaaten wirken, besonders jene Beziehungen zwischen beispielsweise demokratischen Bewegungen und paternalistischen Regimen.

4.1.3 Globale Waren - lokale Aneignungen

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Für den Umgang mit Gütern oder Waren sind nicht nur deren Produktion und Distribution von vorrangiger Bedeutung, sondern auch andere Faktoren. Gerd Spittler (2002) erarbeitet für den Umgang mit Waren relevante Punkte:

  • Die Analyse von materiellem Gebrauch und gesellschaftlicher Deutung von Dingen sind wichtige Komponenten sozialanthropologischer Forschung. Spittler betont, dass die Interaktionen von Menschen bei der Verwendung von Dingen und des Konsums (in all seinen Facetten) von Gütern besondere Beachtung erlangen sollte.
  • Vor allem jene KundInnen, die Waren tauschen oder kaufen, haben bedeutenden Einfluss auf die zu untersuchenden Prozesse des Konsums.
  • Spittler (2002:25) versteht unter globalen Waren "Waren, die nicht für einen regional begrenzten Kundenkreis produziert werden, sondern tendenziell für die ganze Welt". Deshalb wird die Warenzirkulation "globaler Waren" nicht durch den Herkunftsort bestimmt, sondern durch die Fokusierung auf die (eigentlich unbekannten) potentiellen KundInnen, die damit erreicht werden möchten. Globaler Warenvertrieb bringt gleichzeitig eine Anhängigkeit der KonsumentInnen von global agierenden ProduzentInnen mit sich. Diese Situation bedingt, dass sich die ProduzentInnen nicht an konkreten lokalen Begebenheiten orientieren, was eine zunehmende Distanz des Produktionsbereichs vom Konsumptionsbereich mit sich. (link Delokalisation des Nahrungssystems). Lokale Trends und Moden können bei der Produktion nicht berücksichtigt werden. (Spittler 2002 26ff) Vielmehr werden Trends und Moden durch globale Waren mitbestimmt.
  • Globale Waren können in lokalen Kontexten Interesse für andere kulturelle Gegebenheiten erzeugen. Bilder, Ideen und auch Klischees werden über die global vermarkteten Waren erzeugt und implementiert.
  • Globale Waren sind nicht allein ein Phänomen des vorherrschenden globalen Kapitalismus. Weltweit gibt es Waren, die seit Jahrhunderten über weite Strecken gehandelt und getauscht werden (z.B. Tee, Stoffe, Edelsteine, Salz, etc.). Bei der Analyse lokaler Konsumgewohnheiten ist die historische Dimension immer miteinzubeziehen, denn auch Phänomene wie die "Globalisierung" sind Produkt historischer Entwicklungen, die es zu beachten gilt. (link Wolf Elke)
  • Sozial- und kulturanthropologische Studien zu Konsum widmen sich seit einigen Jahren den lokalen Strukturen von Konsumverhalten, wobei sie sich zunehmend globalen Fragestellungen und ihrer Bedeutung für den lokalen Kontext öffnen. Spittler plädiert für eine weitere Öffnung der disziplinären Diskussion. Er meint, dass es notwenig ist "diese lokale Perspektive zu verlassen und die Interaktionen als Verflechtungen zu untersuchen" (Spittler 2002:28).


4.1.3.1 Das Verhältnis Produktion-Konsumption: Delokalisation des Nahrungssystems


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Bei der Betrachtung von Konsum ergibt sich in Analysen oft eine (ungewollte) Verquickung mit dem lokalen Kontext der Stadt. Städtisches Leben steht in engem Zusammenhang zur "Konsumgesellschaft", weil sich die Möglichkeiten zu konsumieren und einen Ausdruck für Lebensgestaltung mittels Konsumgewohnheiten zu finden, in der Stadt verdichten. Diese städtische Konsumlastigkeit ist eng verknüpft mit Entwicklungen, die sich gleichzeitig im ländlichen Bereich ergeben.

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Der ländliche Sektor vieler Nationalstaaten wird zunehmend marginalisiert. Ländliche Produktionsstrukturen zerfallen weltweit. Staatliche Investitionen betreffen Infrastrukturen, städtisches Siedlungsgebiet und Industrien. Menschen migrieren vom Land in die Stadt, suchen bessere Ausbildungs- und Gesundheitsversorgung fern ländlicher Gebiete. Gleichzeitig übernehmen immer größere, global vernetzte Agrarunternehmen die produktiven Aufgaben einer zuvor bäuerlichen Ökonomie. Die Nahrungsmittelversorgung vieler Staaten liegt in der Folge nicht mehr in Händen der bäuerlichen Bevölkerung, sondern in jenen der Nahrungsmittelimporteure. Dieses als "Delokalisation des Nahrungssystems" (Pelto & Pelto 1985 zit. nach Montanari 2003:335) bezeichnete Phänomen spielt für die Essens- und Konsumkultur der Gegenwart eine bedeutende Rolle. Revolutionäre technische Entwicklungen und ein zunehmender Verstädterungsprozess haben seit Ende des 19. Jahrhunderts die Bindung zwischen Nahrung, der Nahrungsherstellung oder --produktion und dem Wohnort der Menschen zusätzlich schwächer werden lassen. Der direkte Bezug zu den Produktionsbedingungen geht dabei verloren. Technisierung sowie das Delegieren des Produktionsprozesses an die verarbeitende Nahrungsmittelindustrie schafft Distanz zu demselben. Die Beziehung zwischen Produzent/-in und Konsument/-in ist "[...] accentuated nowadays by the spatial and technological distance between producers and consumers" (García Canclini 2001:46). Verstärkt wird im Prozess kapitalistischer Warenproduktion (link) die Abhängigkeit von eben diesem. Neokoloniale Beziehungen von "Mutter"-Ländern zu ehemaligen Kolonien werden über wirtschaftliche Beziehungen aufrecht erhalten und die Verwandlung der Nahrungssysteme in Ländern des Südens unter diesem Einfluss vorangetrieben. (Montanari 2003:335f). Gleichzeitig kommt es zu einer Integration von kulturellen Konzepten und Waren --- die Herkunft von Gütern spielt dabei keine Rolle mehr --- und der selbstverständliche Gebrauch und das "Zuweisen" eines Platzes im kulturellen Kontext sorgen dafür, dass nach Herkunft und "Ursprünglichkeit" nicht mehr gefragt wird (Breidenbach und Zukrigl 2000:138).

Der neoliberale Trend hat nicht nur der US-amerikanischen und europäischen Warenproduktion ein Hoch beschert, sondern auch erreicht, dass gewisse "traditionelle" Produkte (beispielsweise indigenes Kunsthandwerk in Mexiko) eine nie da gewesene Produktionshochblüte erleben. Auf der Suche nach Einkommensmöglichkeiten arbeiten viele Frauen und Männer im Kunsthandwerkssektor und schaffen somit einen weiteren importsubstituierenden Sektor. In lateinamerikanischen Staaten wie Mexiko sollte damit auch der rurale Sektor gestützt werden, um das Phänomen der Landflucht und den Verstädterungsprozess einzudämmen. Gleichzeitig stärkte diese Entwicklung nationales Bewusstsein und fügte sich somit perfekt in das hegemoniale System des Kapitalismus' "[...] because they contribute to social cohesion and the ability of the society to reproduce itself" (Bauer 2001:216).

Abhängig sind diese speziellen Produktionszweige vor allem vom internationalen Tourismus für den sie letztlich produzieren.

Generell betrachtet: Je weiter der Produktionssektor (auch im Lebensmittelbereich) vom Konsumsekt

4.1.4 Die kulturelle Biographie der Dinge - Igor Kopytoff

Igor Kpytoff wurde 1930 in Mukden/ China geboren und studierte Anthropologie in den USA mit anschließenden Feldstudien u. a. bei den Suku im nordwestlichen Kongo, den Mbato der Elfenbeinküste und den Aghem in Kamerun. Derzeit lehrt er als Professor für Anthropologie an der University of Pennsylvania. Seine anthropologischen Schwerpunkte liegen im Speziellen bei den Themen Sozialstruktur und politische Organisation von Gesellschaften, Religionen und Transformationsprozesse derselben, Sklaverei als gesellschaftliches Phänomen mit speziellem Fokus auf die Sklaverei in Afrika als kulturell-historisches Phänomen.

Literaturliste und detaillierte Daten: University of Pennsylvania: https://web.archive.org/web/20170601211048/http://www.sas.upenn.edu/~kopytoff/[1] [27.08.2005]

"For the economist, commodities simply are. That is, certain things and rights to things are produced, exist and can be seen to circulate through the economic system as they are being exchanged for money. This view, of course, frames the commonsensical definition of a commodity: an item with use value that also has exchange value. [...] From a cultural perspective, the production of commodities is also a cultural and cognitive process: commodities must be not only produced materially as things, but also culturally marked as being a certain kind of thing. Out of the total range of things available in a society, only some of them are considered appropriate for marking as commodities." (Kopytoff 1986:64)

Verweise:

[1] https://web.archive.org/web/20170601211048/http://www.sas.upenn.edu/~kopytoff/


4.1.4.1 Der "Lebensweg" einer Ware


Menschen vor Hütte (Quelle: Schulpartnerschaft mit Nicaragua https://web.archive.org/web/20050506212247/http://www.petrinum.ac.at/history/20002001/20001005/default.htm[2] [27.08.2005])

Die biographische Forschung in der Kultur- und Sozialanthropologie gibt wichtige Aufschlüsse über Individuum und Gesellschaft: Sie zeigt nicht nur individuelle Lebenswege, sondern gibt auch Einblick in das Verhältnis einzelner Personen mit ihrem sozialen Umfeld und zeigt erwünschte und unerwünschte, als Erfolg oder als Versagen bewertete Biographien. Die Biographien von Personen und ihre Bewertungen sind stark vom kulturellen Bedeutungsgefüge abhängig, in dem eine Person lebt. Eine erfolgreiche gesellschaftliche Karriere sieht in Indien anders aus als bei den Inuit/Eskimo oder in Mitteleuropa. Darüber hinaus werden andere Gruppenzugehörigkeiten[1] (z.B. soziale Schicht, Geschlecht) wirksam.

Kopytoff schlägt vor, Biographien von Dingen zu erstellen, die ihren "Lebensweg" verfolgen und verschiedenen Stadien, Kontexte und Bedeutungen eines Dings untersuchen. Als ein Beispiel führt er die Biographie einer Hütte bei den Suku in Zaire an: Die Lebenspanne einer Hütte beträgt dort ca. 10 Jahre, ihre typische Biographie beginnt damit, dass sie von einem Paar bewohnt wird, oder - in einem polygynen Haushalt

  • von einer Frau mit ihren Kindern. Wenn die Hütte älter wird, so

verändert sich ihre Funktion: Sie wird zu einem Gästehaus oder dem Haus für eine Witwe, zu einem Aufenthaltsraum für Jugendliche, zu einer Küche und schließlich - falls sie nicht schon vollständig von Termiten zerfressen ist - zu einem Stall für Ziegen oder Hühner.

Biographien von Dingen geben nicht nur Aufschluss über diverse Möglichkeiten ihrer Verwendung in verschiedenen Stadien ihrer Existenz, sie zeigen auch Prozesse der "commodification" (der Entstehung von Warencharakter) in bestimmten sozialen und ökonomischen Zusammenhängen. Dabei zeigt sich, dass in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Dinge als Ware betrachtet werden (vgl. Tauschsphären - link). Dies betrifft in besonderem Maße den Menschen: Welche Teile oder Aspekte eines Menschen als "verkäuflich" gelten - die ganze Person (Sklavenhandel - link), Arbeitskraft, Organe, Sexualität, besondere physische oder künstlerische Fähigkeiten (z.B. SportlerInnen oder SchauspielerInnen unter Vertrag) - ist von verschiedenen kulturellen und historischen Kontexten abhängig und wird immer wieder anders bewertet.

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 3.3
[2] https://web.archive.org/web/20050506212247/http://www.petrinum.ac.at/history/20002001/20001005/default.htm

4.1.4.2 Ein Auto in Afrika


Biographien von Dingen auch geben auch Einblick in die Veränderungen, die ihre Funktion und Bedeutung im Zuge von "Reisen" durch verschiedene Kulturen erfahren (Kopytoff 1986).

"Biographies of things can make salient what might otherwise remain obscure. For example, in situations of culture contact, they can show what anthropologists have so often stressed: that what is significant about the adoption of alien objects - as of alien ideas - is not the fact that they are adopted, but the way they are culturally redefined and put to use. The biography of a car in Africa would reveal a wealth of cultural data:

the way it was acquired, how and from whom the money was assembled to pay for it, the relationship of the seller and the buyer, the uses to which the car is regularily put,the identity of is most frequent passengers and of those who borrow it,the frequency of borrowing,the garages to which it is taken and the owner's relation to the mechanics,the movement of the car from hand to hand over the years,and in the end, when the car collapses, the final dispositions of its remains.

All these details would reveal an entirely different biography from that of a middle-class American, Navajo, or French peasant car." (Kopytoff 1986:67)

Verweise:

[1] https://web.archive.org/web/*/http://royprince.com/photo/images/car-in-weldt_lg.jpg

4.1.5 "Fremde" Waren und ihre Bewertungen: Zwischen Kuriositätenkabinett und göttlicher Macht

Die Zirkulation von Waren, ihre Rezeption und Verwendung hängt sowohl von internationalen Kreisläufen als auch von lokalen kulturellen und ökonomischen Gefügen ab (vgl. auch Wolf 1986, Mintz 1987 - links).

Marshall Sahlins (1988) zeigt in einer historischen Untersuchung wie im späten 18. und 19 Jahrhundert vier verschiedene Gesellschaften (China, Hawaii, die Kwakuitl (link), und Großbritannien) auf den Kontakt mit dem Kapitalismus und seiner Warenwelt reagierten. Sahlins zeigt dabei am Beispiel Chinas, dass keineswegs alle nicht-westliche Kulturen vom Westen und seinen Gütern überwältig waren und diese Güter für äußerst begehrenswert und nützlich hielten. China zeigte sich bis zum 19. Jahrhundert, als der Widerstandswille durch den Opiumkrieg (link) gebrochen wurde, gänzlich unbeeindruckt von westlichen Waren. In einem Memorandum des chinesischen Kaisers an den englischen Gesandten aus dem Jahr 1793 heißt es dementsprechend: "Wir haben Raffinessen noch nie besonders geschätzt, und wir haben auch nicht den geringsten Bedarf an den Waren ihres Landes."

Sahlins erklärt diese Reaktion vor dem Hintergrund der chinesischen Machtstrukturen und Zivilisationstheorien. Fremde Objekte wurden dabei als Kuriositäten betrachtet und als eine Art Tribut, nicht als Handelsgut interpretiert (also aus dem Warenkreislauf ausgeschlossen - vgl. Kopytoff 1986 - link). Das mit westlichen Objekten bestückte kaiserliche Kuriositätenkabinett war bereits voll.

Eine andere Form des Umgangs mit und der Bewertung von fremden Gütern zeigt das Beispiel Hawaii: Hier eigneten sich die herrschenden Häuptlinge westliche Waren als Ausdruck göttlicher Macht an und sie wurden in Machtkämpfen der Häuptlinge untereinander als Prestigeobjekt eingesetzt. Das ständige Streben nach neuen fremden Objekten, um die lokalen Hierarchien aufrechtzuerhalten, führte letzendlich zu Verschuldung und wirtschaftlichem Niedergang. (Sahlins 1988, vgl. Breidenbach und Zukrigl 1998: 48-49)

In China und Hawaii unterschied sich demnach das soziale Leben der (fremden) Dinge wesentlich voneinander und von ihrem Herkunftsland:

  • Zum einen kommt eine unterschiedliche Politik des Wertes im Sinne von Appadurai[1] (1986) zum Tragen.
  • Zum anderen erfahren die Waren verschiedene Formen der kulturellen Kontextualisierung und der Zuschreibung von Bedeutungen im Sinne einer Biographie der Dinge[2] und der Prozesshaftigkeit ihres Warencharakters (Kopytoff 1986).

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 3.3.2
[2] Siehe Kapitel 4.1.4


Nächstes Kapitel: 4.2 Kosmopolitischer Konsum


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