Soziales Handeln/Handlung und Struktur

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3.5 Vom Verhältnis von Handlung und Struktur

verfasst von Theresa Fibich und Rudolf Richter
Grafik: Dualität der Struktur, Quelle: T. Fibich

Eine Frage, die in der Soziologie immer wieder diskutiert wird, ist die Frage auf welcher Ebene soziologische Fragestellungen behandelt werden sollen: auf der strukturellen also der Makroebene - oder auf der Mikroebene, die die Handlungen der Individuen in den Fokus nimmt? Damit ist ein Grundproblem der Soziologie angesprochen: das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Dies kann an zwei Klassikern festgemacht werden. ' Karl Marx[1] ' (1818-1883) beispielsweise trat dafür ein, dass die Handlungen der Individuen rein aus der Struktur heraus erklärbar wären, was einen Zugang auf der Makroebene erfordert. John Stuart Mill (1806-1873) hingegen argumentiert, dass Gesellschaft nur durch die Betrachtung der einzelnen Individuen betrachtet werden kann. Menschen handeln, Individuen orientieren sich in ihrem Handeln an den Handlungen anderer. Es entstehen Strukturen.

Moderne soziologische Theorien versuchen dieses Problem von verschiedenen Seiten zu lösen. Sie beschäftigen sich entweder stärker mit strukturellen Fragen (Strukturfunktionalismus, Systemtheorie) oder mit den handelnden Individuen (interpretative Soziologie). Manche theoretische Ansätze wollen eine Verbindung zwischen beiden Bereichen modellieren, wie etwa der symbolisch- materialistische Ansatz von Pierre Bourdieu[2] (1930-2002) oder auch die Strukturierungstheorie von Anthony Giddens

Anthony Giddens[3] (*1938) löst die genannte Problematik auf, in dem er von einer Dualität der Struktur spricht. Abels (2009b: 168) fasst dies folgendermaßen zusammen:

  • „Die Akteure handeln und schaffen durch ihr Handeln Bedingungen des weiteren Handelns – für sich und für die anderen, also Strukturen;
  • Aber sie handeln unter dem Eindruck der Strukturen, die vorher schon bestanden, mit dem Gepäck ihrer Sozialisation und in Reaktion auf das Handeln der anderen. Handeln ist also strukturiert.“

Trotzdem ist bis heute die Frage des Zusammenhangs zwischen Individuum und Gesellschaft nicht gelöst. Neuere ethnographisch vorgehende Richtungen meinen, die Frage sei falsch gestellt. Sie konzentrieren sich auf die tatsächlichen Handlungen, beobachten, wo und wie Wechselwirkungen zustande kommen und dadurch Soziales entsteht. Sie bestechen durch genaue Beschreibung, ohne allgemeine theoretische Modelle von Gesellschaft zu entwickeln. Prominent vertreten ist dieser Ansatz in der Akteur-Netzwerktheorie Bruno Latours (*1947). Die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft ist weiterhin unbeantwortet und bleibt ein breites Betätigungsfeld soziologischer Theoriebildung und empirischer Untersuchungen.

Verweise:
[1] http://agso.uni-graz.at/lexikon/klassiker/marx/30bio.htm
[2] http://agso.uni-graz.at/lexikon/klassiker/bourdieu/06bio.htm
[3] http://agso.uni-graz.at/lexikon/klassiker/giddens/18bio.htm


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