Erkenntnisstrategien/Strukturfunktionalistische

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Vorheriges Kapitel: 1.2 Evolutionistische Erkenntnisstrategien

1.3 Strukturfunktionalistische Erkenntnisstrategien

Verfasst von Friedhelm Kröll und Nicole Pesendorfer

Foto: Steinfigur im Meer. Simon Brangs, [www.youthmedia.eu](http://www.youthmedia.eu), 2008

Strukturfunktionalismus entsteht als Gegenbewegung zum Evolutionismus[1], doch machen sich auch dort naturwissenschaftliche Modellvorstellungen geltend: Betrachtung von Gesellschaften in Analogie zu Organismen. Allerdings verschiebt sich der Akzent auf das Funktionieren eines gesellschaftlichen Ganzen.

Mit der zentralen Frage: "Wie ist soziale Ordnung möglich?" kommt es zu einer entscheidenden Wende: die Fundierung der Sozialwissenschaften auf der Grundlage der Betonung der Eigenart des Sozialen. Das spezifisch Soziale soll nicht länger als Anhängsel der Naturgeschichte betrachtet werden, das heißt:

Entnaturalisierung, d.h. Kulturalisierung der sozialwissenschaftlichen Denkweise.

Das menschliche, gesellschaftliche Leben ist zwar eingründet in die äußere und innere, leibliche Natur der Menschen, begründet aber im Wege des tätigen Stoffwechsels mit der Natur, eine Zweite Natur[2]. Zweite Natur meint: Kultur, Gesellschaft, Persönlichkeit als Kunstprodukte des menschlichen Handelns. In diesem Prozess bilden sich Formen des gesellschaftlichen Lebens aus, werden Strukturen[3] auskristallisiert. Um jene Strukturen zu gewährleisten, bedarf es verschiedener Funktionen[4] und Funktionskreise. Struktur und Funktion[5] sind im Strukturfunktionalismus aufeinander und auf die Idee der Bestandsgarantie sozialer Ordnung bezogen.

Die Werkgeschichte Emile Durkheims[6] zeigt die Wende vom evolutionistischen zum strukturfunktionalistischen Denken: vom Naturalismus zum Kulturalismus (im engeren Soziologismus) - vom Fokus der Entwicklung zu dem der Ordnung.

Durkheims[7] Interesse richtet sich auf:

  • das Problem der Stabilität gesellschaftlicher Ordnungen;
  • den Sachverhalt des überindividuellen Charakters der sozialen Wirklichkeit;
  • das Problem der Normativität des gesellschaftlichen Lebens, der Strukturen normregulierten Verhaltens und Handelns.

Talcott Parsons[8] Werk kombiniert Handlungstheorie und Strukturtheorie (vgl. Parsons: "Toward a General Theory of Action"[9]). Es geht dabei um den Versuch einer umgreifenden Sozialtheorie, fokussiert um das Problem der Stabilität sozialer Ordnungen.

Strukturfunktionalismus im Sinne Parsons heißt: kulturelle Objekte, soziale Erscheinungen, Verhalten und Handeln werden auf ihren funktionalen Beitrag für die Stabilität innerhalb eines Gesellschaftssystems analytisch befragt bzw. bewertet.

Im weiteren Verlauf verschiebt sich Parsons Akzent zur systemtheoretischen Modellbildung. Während in der ersten Phase des Parsonschen Strukturfunktionalismus Handeln unter dem funktionalen Gesichtspunkt des Stellenwerts für die gesellschaftliche Stabilität verhandelt wird, rückt der Handlungsaspekt in der zweiten Phase der Entwicklung seiner Sozialtheorie in den Hintergrund zugunsten des Primats der Idee sich selbst steuernder Systeme. Der Strukturfunktionalismus transformiert sich in Systemtheorie.

Niklas Luhmanns systemtheoretische Soziologie übernimmt von den älteren Beständen der sozialwissenschaftlichen Denkweisen (vgl. Luhmanns "Einführung in die Systemtheorie"[10]):

  • Primat des Standorts des Beobachters;
  • Primat des Ganzen über das Einzelelement;
  • Primat des Systems vor dem Handeln;
  • Primat des Systems vor dem Subjekt des Handelns.
  • in der Linie des Parsonschen Strukturfunktionalismus visiert Luhmann eine universalistische Theorie;
  • in Abhebung vom älteren, auf Statik gepolten Strukturfunktionalismus revitalisiert die Luhmannsche Sozialtheorie Denkmotive der Darwinschen Evolutionstheorie[11], insofern die Theorie offener Sozialsysteme darauf aus ist, den Aspekt der Veränderung von Systemen und Strukturen einzubeziehen.

Für diese Variante sozialwissenschaftlicher Erkenntnisstrategie ist kennzeichnend, dass der gesellschaftliche Lebensprozess nach dem Muster selbstgeregelter Systeme interpretiert wird und dass demzufolge die gesellschaftlichen Individuen tendenziell als eine vernachlässigenswerte Größe betrachtet werden. Dem Modell selbstgeregelter Systeme entspricht das subjektloser Sozialwissenschaften.


Verweise:

[1] Siehe Kapitel 1.2
[2] Siehe Kapitel 3.2.2
[3] Siehe Kapitel 3.3.1
[4] Siehe Kapitel 3.3.2
[5] Siehe Kapitel 3.3
[6] Siehe Kapitel 4.2
[7] http://agso.uni-graz.at/lexikon/klassiker/durkheim/12bio.htm
[8] http://agso.uni-graz.at/lexikon/klassiker/parsons/39bio.htm
[9] Siehe Kapitel 4.2
[10] Siehe Kapitel 4.2
[11] Siehe Kapitel 1.2


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