Werte und Normen/Wertewandel

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2.4 Wertewandel

verfasst von Theresa Fibich und Rudolf Richter

Werte und Normen sind von Menschen geschaffen und daher auch einem Wandel unterworfen. So wäre es noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen, dass eine Frau und ein Mann ohne Trauschein in Österreich im selben Hotelzimmer übernachten, dass Schlagen keine geeignete Erziehungsmaßnahme ist usw. Zwei Forscher, die sich intensiv mit dem Thema Wertewandel vor dem Hintergrund des steigenden Wohlstands in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt haben, sind zum einen Ronald F. Inglehart (*1934), der einen Wandel von materialistischen Werten (physiologische Grundbedürfnisse, Leistung, Pflichterfüllung) zu postmaterialistischen Werten (Autonomie, antizipatives Engagement etc.) beobachtete und zum anderen Helmut Klages (*1930), der im Anschluss daran (auch mit Kritik an Inglehart) eine Zunahme von Selbstentfaltungswerten und einen Rückgang von Pflicht- und Akzeptanzwerten (vgl. Peuckert 2006: 354) beobachtete.

Inhalt

2.4.1 Ronald F. Inglehart: Materialistische und postmaterialistische Werte

Inglehart (*1934) geht in den 70er/80er Jahren davon aus, dass sozioökonomische Veränderung innerhalb einer Gesellschaft auch die Wertpräferenzen verändern und somit einen Wertewandel herbeiführen. Gleichzeitig würde ein Wertewandel wiederum die Struktur einer Gesellschaft verändern. Ausgehend von der Bedürfnispyramide nach Maslow (1970 [1954]) nimmt er eine Reihenfolge von Werten an, die von der Abdeckung der physiologischen Bedürfnisse wie Hunger und Durst bis hin zur Selbstverwirklichung reicht. Weiter geht er davon aus, dass auch das soziale Umfeld, in dem man aufwächst, entscheidenden Einfluss auf die eigene Werthaltung hat. Um diese Annahmen zu überprüfen, formulierte er zwei Hypothesen (Inglehart 1989: 92):

  • Mangelhypothese: „Die Prioritäten eines Menschen reflektieren sein sozioökonomisches Umfeld: den größten subjektiven Wert misst man den Dinge zu, die relativ knapp sind.“
  • Sozialisationshypothese: Die grundlegenden Wertvorstellungen eines Menschen spiegeln „weithin die Bedingungen wider, die in seiner Jugendzeit vorherrschend waren.“

Die Hypothesen bestätigten sich. Inglehart beobachtete in seinen Untersuchungen einen Wandel von materialistischen Werten (Absicherung von physischen Grundbedürfnissen, ökonomische Absicherung, Sicherheitsbedürfnisse etc.) zu postmaterialistischen Werten (Bedürfnis nach Zugehörigkeit, politische Freiheit, intellektuelle und ästhetische Befriedigung, Selbstverwirklichung etc.). Personen aus wohlhabenden Familien zeigten überwiegend postmaterialistische Ziele. Materialisten befanden sich hauptsächlich in älteren Generationen (Kriegskohorten). Die Nachkriegskohorten zeigten postmaterialistische Ziele (Inglehart 1989: 101 ff). Inglehart selbst nannte dies „The Silent Revolution“ (1977).

Die Ergebnisse von Inglehart wurden viel zitiert aber auch kritisiert. Die These sei übertrieben, die Fragen seien falsch gestellt worden und hätten nichts mit den Handlungen der Befragten zu tun (vgl. Abels 2009: 42). Unter den Kritikern war auch Helmut Klages[1] (*1930).

Verweise:
[1] Siehe Kapitel 2.4.2


2.4.2 Helmut Klages: Selbstentfaltungswerte

Klages beobachtet (ähnlich wie Inglehart[1]) einen Wertewandel in den Industriegesellschaften und zeigt dies anhand des Wandels von Erziehungszielen im Zeitraum zwischen 1951 und 1998 in der BRD (Klages 2001: 730). Klages (1992: 12ff) kritisiert Inglehart allerdings stark. Klages meint, dass sich die von Inglehart formulierten materialistischen und postmaterialistischen Ziele nicht zwingend gegenseitig aufheben und folglich nicht auf einer Dimension liegen. Klages spricht von einem Wandel von Pflicht- und Akzeptanzwerten hin zu Selbstentfaltungswerten, wobei sich diese nicht gegenseitig ausschließen, sondern „unabhängige Dimensionen des Werteraums [sind], die in der gesellschaftlichen Wirklichkeit verschiedene Kombinationen eingehen können“ (Klages 2001: 728). „Es sei vielmehr so, dass Werte flexibel und situationsangemessen gehandhabt würden“ (Abels 2009b: 49). Eltern würden einerseits ihren Kindern viele Freiheiten und Rechte einräumen, aber gleichzeitig die Meinung vertreten über deren Beruf, Bildung und Verhalten Einfluss nehmen zu wollen (Klages 1998: 118f).

Verweise:
[1] Siehe Kapitel 2.4.1


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