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Contents
- 1 5.2 Ailon-Souday/Kunda (2003) "The Local Selves of Global Workers. The Social Construction of National Identity in the Face of Organizational Globalization"
5.2 Ailon-Souday/Kunda (2003) "The Local Selves of Global Workers. The Social Construction of National Identity in the Face of Organizational Globalization"
Verfasst von Gerlinde Schein und Gertraud Seiser
Welche Bedeutung und welchen Einfluss hat nationale Identität im Kontext der Globalisierung von Unternehmen?
Galit Ailon-Souday und Gideon Kunda (2003) bieten mit ihrem Artikel "The local selves of global workers" einen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage.
Die empirische Basis für ihre Argumentation bildet ethnographisches Material aus dem in Tel Aviv angesiedelten High Tech-Unternehmen Isrocom (ein Pseudonym), das im Forschungszeitraum mit einem US-amerikanischen Konkurrenzunternehmen fusionierte.
Ailon-Souday und Kunda erkennen in nationaler Identität eine symbolische Ressource. Organisationsmitglieder können diese Ressource in den sozialen Kämpfen nutzen, die durch Globalisierungsprozesse in Organisationen ausgelöst werden.
Die AutorInnen stellen sich damit gegen den Trend innerhalb der Organisationsforschung, nationale Identität als objektive, kognitive Essenz zu betrachten. Sie zeigen stattdessen die soziale Konstruiertheit nationaler Identität auf. Organisationsmitglieder können wählen, wie sie nationale Identität definieren und wie (und wofür) sie sie im Unternehmen einsetzen.
Literatur:
Ailon-Souday, Galit, and Gideon Kunda
2003 The local selves of global workers. The social construction of national identity in the face of organizational globalization. Organization Studies 24: 1073-1096.
Inhalt
5.2.1 Ailon-Souday/Kunda (2003): Forschungsfeld und methodisches Vorgehen
Der Artikel von Galit Ailon-Souday und Gideon Kunda (2003) basiert auf den Ergebnissen einer einjährigen Feldforschung im israelischen High Tech-Unternehmen Isrocom (ein Pseudonym). Im Forschungszeitraum beschäftigte Isrocom rund 1000 Mitarbeiterinnen.
Isrocom war in Israel als ein besonders erfolgreiches israelisches Unternehmen bekannt. Anfang der 1980er Jahre in einem Bürogebäude in Tel Aviv gegründet, wuchs es zu einem Großunternehmen mit internationalen KundInnen und einem globalen Netz an Geschäftsniederlassungen heran.
Dennoch, betonen Ailon-Souday und Kunda, war Isrocom ein Unternehmen mit einem ausgeprägt lokalen Charakter. Fast alle der 1000 Beschäftigten waren Israelis, die in Israel lebten. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung sowie die Produktion waren in Tel Aviv angesiedelt. Marketing und Kundenservice wurden von der Zentrale aus gesteuert und international meist von Israelis umgesetzt. Isrocom galt als "one of the few Israeli high tech companies to fulfill the dream of international status" (aus einer israelischen Zeitschrift, zitiert nach Ailon- Souday/Kunda 2004: 1077). Ein Manager von Isrocom beschrieb das Unternehmen so: Isrocom verfolge einen Traum, "a dream ... to be like Ericsson: a company from a small country that conquers the global market" (Ailon-Souday/Kunda 2003: 1077).
Ende 1998 fusionierte Isrocom schließlich mit einem US-amerikanischen Konkurrenzunternehmen (Amerotech, ebenfalls ein Pseudonym). Rechtlich durch einen Aktientausch zwischen dem Mutterunternehmen Com und Amerotech zustande gekommen, wurde die Transaktion innerhalb von Isrocom und in der israelischen Presse als Akquisition interpretiert: "Isrocom kauft Amerotech".
Mit der Fusion veränderte sich der lokale Charakter von Isrocom. Die Büros in Tel Aviv konnten bspw. nun nicht mehr als Zentrale eines global agierenden Unternehmens gesehen werden. Wesentliche Entscheidungen wurden nicht mehr allein in Tel Aviv getroffen, und auch die Beschäftigtenstruktur sah plötzlich ganz anders aus: kaum die Hälfte der Beschäftigten waren Israelis (Ailon-Souday/Kunda 2003: 1076ff).
Die Forschung konzentrierte sich auf die israelische Perspektive in dieser internationalen Fusion, die us- amerikanische Seite blieb aus pragmatischen Gründen ausgespart.
Die ethnographische Forschung begann am ersten Tag der Fusion und endete ein Jahr später. An Methoden kam zum Einen teilnehmende Beobachtung zum Einsatz; und zwar bei Schulungen, internationalen Telefonkonferenzen und bei Besprechungen genauso wie bei informellen Begegnungen, z.B. in Kaffeepausen und im Aufzug. Darüber hinaus wurden mehr als 130 unstrukturierte Interviews mit MitarbeiterInnen aus den verschiedenen Aufgabenbereichen und Hierarchiestufen und gemeinsam mit den Beobachtungsdaten ausgewertet (Ailon-Souday/Kunda 2003: 1076ff).
5.2.2 Ailon-Souday/Kunda (2003): Ergebnisse
Der Fusionsprozess des israelischen Unternehmens Isrocom mit Amerotech war deutlich von zwei sozialen Kämpfen der Isrocom-MitarbeiterInnen geprägt. Sie kämpften um lokale Abgegrenztheit und um globalen Status.
Nationale Identität nahm in diesem Prozess drei Bedeutungen an.
- 1. Nationale Identität wurde in den alltäglichen Interaktionen als Mittel zur Abgrenzung vom Fusionspartner Amerotech eingesetzt. Die Isrocom-MitarbeiterInnen bezeichneten ihre KollegInnen von Amerotech pauschal als "Americans", "Jimmys" o.ä., machten sich über deren Verhaltens- und Ausdrucksweisen lustig, usw. Sie nutzten außerdem die hebräische Sprache, um die Grenze "zwischen den nationalen Identitäten" symbolisch zu betonen. In all diesen Interaktionen erscheint die Grenze als "natürlich", objektiv und unüberschreitbar.
- 2. Die Mitglieder von Isrocom sprachen von nationaler Identität oft im Sinne eines kollektiven Charaktertyps. Die israelische nationale Identität würde sich im Arbeitskontext vor allem positiv – und nur in geringerem Maße negativ – zeigen. Sie konstruierten sich auf diese Weise nicht nur als "anders als die AmerikanerInnen", sondern als "anders und besser" - fleißiger, zielorientierter, flexibler, ehrlicher und damit für das Unternehmen wertvoller - als ihre US-amerikanischen KollegInnen.
- 3. Die MitarbeiterInnen von Isrocom akzeptierten die in Israel weit verbreitete Haltung, die den USA ein höheres Prestige und Israel einen marginalen globalen Status zuschrieb. Aus ihrer Sicht unterstrich dies sogar ihre Leistung. Ailon-Souday und Kunda formulieren es so: "Since it was Israelis who were on the acquiring side, they had defeated the undefeatable, conquered the conquerers ... Accordingly, rather than evading the issue of the general superiority of Americans, members emphasized it, perceiving it as an aggrandizement of their organizational value and achievements" (Ailon-Souday/Kunda 2003: 1088).
5.2.2.1 Ailon-Souday/Kunda (2003): Auszüge aus den Forschungsnotizen
Beispiel 1 dokumentiert ein Gespräch zwischen Yossi und Rutti über einen Besuch einiger KollegInnen von Amerotech.
Yossi: ’There were all the Jimmys [plural of Jimmy] .. who came here around January or February.’
Rutti: ’When was Harold here with Rick?’
Yossi: ’The Harolds are still with us. They haven’t left yet.’ [Rutti laughs.]
Rutti: ’What was the name of the bold one.’
Yossi: ’Mike is a good name.’
Rutti: ’No, no ...’
Yossi: ’It doesn’t matter, why does it matter?’ (Auszug aus den Feldnotizen, Ailon- Souday/Kunda 2000: 1081)
Beispiel 2 schildert eine Situation, die sich beim Fest zum ersten Jahrestag der Fusion zutrug.
A young engineer at the table makes a small parody of the American handshake by fiercely tilting his friend’s hand, saying in English, ’very nice to meet you’ ... I ask a secretary who sits next to me what she is thinking about all this. She grins. With a cynical imitation of an American accent she says, ’Oh ... it is a great opportunity!’ (Auszug aus den Feldnotizen, Ailon-Souday/Kunda 2000: 1081)
5.2.2.2 Ailon-Souday/Kunda (2003): Auszüge aus den Interviews
MitarbeiterInnen von Isrocom fassten israelische Identität als Cluster kollektiver Eigenschaften, wie die folgenden Auszüge aus Interviews veranschaulichen.
- Most people [here] have 10 to 20 extra work hours a week. Managers have 30 to 40 extra hours a month. There are also people who work 260 hours a month. They work differently ... only 9.00 to 6.00. This is the Americans, this is their work style. In Israel we are crazy when it comes to work ... (Ailon-Souday/Kunda 2003: 1084)
- [Americans] are very submissive to authority. The word of the boss is the word of God. ... Our perception is that what the manager says is important and that is has to be seriously considered, but if he does not seem reasonable or if we think that he is wrong then it is legitimate to come out and say that it isn’t right, or that it doesn’t seem right. ... That is the Israeli character. It doesn’t exist as much in their character. (Ailon-Souday/Kunda 2003: 1085)
- The typical American is more bounded ... here everything is flexible, flexible schedules, contacts, everything. If something isn’t working I will get there and I will take care of it and over there everything is more rigid. (Ailon-Souday/Kunda 2003: 1085)
- We work here like we worked in the army. We have a goal and we have to accomplish it, the quicker the better. ... It is an Israeli characteristic. All of us together for a very clear, marked- off goal. For Americans the process is important, how things will be managed, ordered. The goal is clear but they don’t fight for it. They approach it, but they do not charge toward it. (Ailon- Souday/Kunda 2003: 1085)
- I think we are a little too pushy. We overrun them a little too much ... it doesn’t grant us the love and respect of the Americans ... there are times in meetings in which I simply squirm in my chair, in which I feel uncomfortable. I am Israeli born, a tzabar [native Israeli], but it still bothers me - our attitude and all that. (Ailon-Souday/Kunda 2003: 1087)
5.2.3 Ailon-Souday/Kunda (2003): Ausgewählte Schlussfolgerungen
Ailon-Souday und Kunda ziehen aufgrund der Analyse ihrer empirischen Daten mehrere Schlussfolgerungen:
- In vielen, wenn nicht allen, Fusionen spielen soziale Kämpfe um Abgegrenztheit und Status eine bedeutende Rolle. Isrocom ist diesbezüglich keine Ausnahme. Im Fall einer internationalen Fusion steht mit der nationalen Identität ein besonders machtvolles Instrument zur symbolischen Produktion von Differenz zur Verfügung.
- Organisationsmitglieder setzen ihre Konstruktion nationaler Identität ein, um soziale Ziele zu erreichen. Sie schaffen und nutzen positive Stereotype. Kulturvergleichende Management- und OrganisationsforscherInnen müssten diesen Aspekt mit berücksichtigen: "[...] national difference may be socially essentialized no less than it is a cognitive essence" (Ailon- Souday/Kunda 2003: 1090; Hervorhebung G.Sch.).
- Diese Einsicht müsse sich auch in der Praxis interkulturellen Trainings wieder finden, die Theorien und Modelle der kulturvergleichenden Management- und Organisationsforschung verwenden.
- Zielorientierung, Zeitdisziplin, persönliche Einsatzbereitschaft, Fleiß und Effizienz – kollektive israelische Eigenschaften (laut den MitarbeiterInnen von Isrocom) und global dominante Ideale zugleich. Die Grenze zwischen "uns" (Isrocom, Israelis) und "ihnen" (Amerotech, AmerikanerInnen) basiert stärker auf dem Gemeinsamen als auf dem Trennenden (vgl. Barth 1969). Die stereotypen Charakteristika werden als gegensätzlich verstanden, gerade weil sie aus einer einzigen Bedeutungswelt ("world of meaning") stammen (Ailon- Souday/Kunda 2003: 1091).
- Die Ergebnisse sprechen gegen die These, dass die Globalisierung von Unternehmen die symbolische Kraft nationaler Identität verringern und die Entstehung transnationaler Identitäten fördern würde (vgl. Hannerz 1996). Die MitarbeiterInnen von Isrocom verstanden sich als bessere Organisationsmitglieder gerade wegen – und nicht trotz– ihrer nationalen Identität (Ailon-Souday/Kunda 2003: 1089-1092).
Nächstes Kapitel: 5.3 Parker (2000) "Organizational Culture and Identity. Unity and Divison at Work"