Profit-Organisationen - Ausgewählte Studien/Parker

From Eksa
Jump to: navigation, search

Vorheriges Kapitel: 5.2 Ailon-Souday/Kunda 2003 "The Local Selves of Global Workers. The Social Construction of National Identity in the Face of Organizational Globalization"

5.3 Parker (2000) "Organizational Culture and Identity. Unity and Divison at Work"

Verfasst von Gerlinde Schein und Gertraud Seiser

Foto: Gasflamme (© PhotScot, 2007, Lizenz: CC BY-NC-ND Quelle )

Der britische Soziologe Martin Parker untersuchte drei Organisationen in Großbritannien, darunter ein Unternehmen, das er "Vulcan Industries" nennt. Die Ergebnisse legte er 1995 an der Staffordshire University als Dissertation vor; 2000 publizierte er sein Buch "Organizational Culture and Identity. Unity and Division at Work".

Ausgangspunkt von Parkers empirischer Forschung war es gewesen, technologischen Wandel in Organisationen zu untersuchen. Er konzentrierte sich aus zwei Gründen auf Kultur. "First, because it was a concept that interested me, and secondly, because it seemed to me that an adequate treatment of technology would require it to be embedded in cultural understandings and practices." (Parker 2000: 236, Hervorhebung G.Sch.)

Literatur:

Parker, Martin

1997 Dividing organizations and multiplying identities. In: Kevin Hetherington and Rolland Munro (eds.), Ideas of Difference. Social Ordering and the Labour of Division; pp. 114- 138. Oxford: Blackwell
2000 Organizational Culture and Identity. Unity and Division at Work. London: Sage

Website: Martin Parker[1]

Verweise:
[1] https://research-information.bris.ac.uk/explore/en/persons/martin-parker(f6702005-ada6-48dd-bc91-27b668a0f5a2).html


Inhalt

5.3.1 Parker (2000): Forschungsfeld Vulcan Industries und methodisches Vorgehen

Abbildung: Landkarte Großbritannien Quelle

Das Unternehmen "Vulcan Industries"

Das britische Unternehmen "Vulcan Industries" (ein Pseudonym) stellt Kochherde her. Es ist in einem großen Industrieballungszentrum angesiedelt und beschäftigte zur Zeit, als Parker dort forschte, rund 800 Menschen.

Gegründet 1826, war Vulcan Industries bis 1964 in Familienbesitz, als es von der Industrieholding BLC gekauft wurde. Mitte der 1980er Jahre wurde von Massenproduktion auf eine differenzierte Produktpalette umgestellt; Design und Marketing gewannen an Bedeutung. Außerdem wurde ein umfassenderes Finanzcontrolling und ein erfolgsabhängiges Entlohnungssystem eingeführt. Das Management von Vulcan Industries antwortete mit diesen Maßnahmen auf die wirtschaftliche Krise, die das Unternehmen seit Ende der 1970er Jahre durchlebte. Anfang der 1990er Jahre waren Produktionszahlen und Marktanteil deutlich gestiegen; dem Unternehmen ging es wirtschaftlich wieder besser.

Im Forschungszeitraum wurden bei Vulcan Industries zwei Innovationen geplant bzw. umgesetzt. Im Produktionsbereich wurde ein Just In Time[1] -Projekt (JIT) durchgeführt. Dieses Projekt zielte darauf ab, die Produktion auf Zwischenlager zu verringern. Die Finanzabteilung wiederum trieb die Einführung eines "Integrierten Computersystems" (ICS). Dieses IT-System sollte alle Informationen, die bis dahin in isolierten Systemen und Datenbanken gespeichert waren (z.B. je ein IT-System für den Einkauf, die Produktionskontrolle und für Löhne und Gehälter), miteinander verknüpfen.

Methodisches Vorgehen

Martin Parker führte teilstrukturierte Interviews mit Führungskräften aus der Produktion, der Technik, dem Marketing und anderen Abteilungen von Vulcan Industries. Er interviewte viele Personen mehrfach; den Großteil der Interviews zeichnete er auf Tonband auf.

Parker nutzte jede sich ihm bietende Möglichkeit zu beobachten.

I treated every visit as an opportunity to see the organization at work. If I had an interview I would arrive early and stay on long after the interview was concluded. This was, in a sense, the most useful time I spent since it enabled me to ’feel’ the organization. Waiting outside managers’ offices, often for long periods of time, and wandering around the factory or offices allowed me to take copious notes about noticeboards, clothing, noise, furniture and so on - small details that seemed to illuminate so much. (Parker 2000: 236)

In manchen Organisationen erhielt Parker die Genehmigung, beobachtend an Besprechungen teilzunehmen. Ob dies auch bei Vulcan Industries so war, geht aus seiner Darstellung nicht hervor (Parker 2000).

Verweise:
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Just-in-time-Produktion

5.3.2 Parker (2000): Ausgewählte Ergebnisse Vulcan Industries

Die von Parker befragten ManagerInnen beschrieben Vulcan Industries zunächst als "Familie" und "Familienbetrieb" und weniger als Division eines Konzerns. Sie bezogen sich u.a. auf die lange Tradition als Familienunternehmen (1826-1962), auf die Tatsache, dass der überwiegende Großteil der Beschäftigten aus der unmittelbaren Umgebung stammte und auf die gute informelle Kommunikation im Betrieb. Hohe Identifikation mit dem Unternehmen drückten sie rhetorisch als "becoming ’vulcanized’" und "being Vulcan through and through" aus.

Foto: Fabrikgebäude (© hugovk, Lizenz: CC BY-SA Quelle)

Im Verlauf des Forschungsprozesses wurde jedoch deutlich, dass auch bei Vulcan Industries Unterschiede eine wesentliche Rolle spielten.

  • Der Unterschied zwischen Produktions- und Angestelltenbereich tauchte am häufigsten auf. Zur Beschreibung wurde die Topographie des Firmengeländes herangezogen: Im höher gelegenen Bereich (intern "top site" genannt) befanden sich die Büros des Managing Director sowie die Abteilungen Marketing, Design, Finanzen, Verkauf und Datenverarbeitung. Die Produktionsgebäude ("bottom site") standen im niedriger gelegenen Teil des Geländes.
  • Die Trennlinie zwischen "top site" und "bottom site" wurde in den Interviews durch abwertende Bemerkungen über die jeweils anderen deutlich. Ein häufiger Vorwurf lief darauf hinaus, dass die anderen chaotisch seien und/oder das Geschäft nicht verstünden.
  • Auch die beiden damals laufenden Veränderungsprojekte wurden ausgesprochen unterschiedlich eingeschätzt. Für die Führungskräfte der "bottom site" war Just In Time (JIT) eine Möglichkeit, den Produktionsprozess effizienter zu gestalten. Aus Sicht der Führungskräfte der "top site" ging es bei JIT nur um Lagerhaltung (meinten manche) bzw. um eine Methode der Finanzkontrolle, wenn auch eine unverständliche (meinten andere). Vom Integrierten Computersystem (ICS) versprachen sie sich, das Unternehmen zentral steuern zu können. Die Führungskräfte der "bottom site" standen diesem Projekt ausgesprochen ablehnend gegenüber; für sie handelte es sich um eine "alien technology imposed from above and bottom site managers were simply hoping it would go away" (Parker 2000: 139).
  • Quer durch "bottom site" und "top site" zogen sich andere Unterschiede, die ebenfalls in der Bewertung der beiden Veränderungsprojekte zum Ausdruck kamen. Einer dieser Unterschiede war jener zwischen jungen und alten Ingenieuren. Auch hier war die wechselseitige Abwertung ausgeprägt. Die jungen Ingenieure verfügten über eine akademische Ausbildung und meinten von sich, einen frischen und systematischen Zugang zur Lösung von Problemen einzubringen. Die alten Ingenieure wiederum sahen in ihrer Erfahrung und ihrem praktischen Zugang zur Problemlösung die wertvolleren Kompetenzen.
  • Parker beschreibt anhand der Emailier-Abteilung und der Marketing-Abteilung einen weiteren Unterschied, auf den sich die Führungskräfte bezogen: Beinahe jede Abteilung sah sich selbst als anders und besser als die anderen Abteilungen.
  • Mittleres und oberes Management unterschieden sich in ihren Vorstellungen über Kommunikation, konkret über die Bedeutung informeller Kommunikation und ob/wie umfassend MitarbeiterInnen frühzeitig über Veränderung informiert werden sollten.
  • Die Dauer der Betriebszugehörigkeit schien Hinweise darauf zu geben, wie die Veränderungen des Unternehmens generell bewertet wurden (Parker 2000).

Zusammenfassend in den Worten von Martin Parker:

So, talk about technologies, communication and change [..] seemed to illustrate that divides were often more characteristic than unity. Understandings of technology were crucially shaped by the ’top- site/bottom- site’ distincton, with the added complexity of old engineers versus new engineers. Ideas about communication were very much related to the divides between groups of managers and, most importantly, that between managers and directors. Finally, attitudes toward change appeared to be partly a function of age - the longer the manager had been in post the more likely they were to be nostalgic about a valued past. (Parker 2000: 136)


5.3.3 Parker (2000): Organisationen - Einheit und Differenz

Martin Parker beginnt sein Buch (2000) mit einer kritischen Auseinandersetzung mit Organisationskultur-Konzepten. Er befasst sich sowohl mit der populären Managementliteratur der 1980er Jahre als auch mit den diversen Ansätzen der kritischen Organisationskulturforschung. Auf Basis seiner empirischen Forschung entwirft Parker ein gänzlich anderes Verständnis von Organisationskultur: er spricht von "fragmentierten Einheiten".

To put it simply, I suggest that organizational culture should be seen as ’fragmented unities’ in which members identify themselves as collective at some times and divided at others. (Parker 2000: 1)

Parker schließt damit einerseits an die gängige Konzeption von Organisationskultur an, die sie als ein konsensuales Ganzes bzw. als geteilte Werte, Glaubensätze, Normen, usw. sieht. In einem gewissen Sinn sei dies zutreffend, meint Parker. In jeder der von ihm untersuchten Organisationen teilten die Mitglieder gewissen Ideen, sprachliche Elemente und Vorstellungen von Kollektivität und Gemeinschaft. Sie waren sich auch darin einig, dass sich "ihre" Organisation von anderen unterscheidet.

Parker meint jedoch, "that my stories suggest that organizational cultures have multiple divides" (2000: 187). Die Organisationsmitglieder vertraten zum Teil sehr unterschiedliche Meinungen darüber, was die Organisation wie tun sollte, was wichtig und richtig sei – und welche Gruppe innerhalb der Organisation die richtige und welche die falsche Sicht auf die Organisation habe. Das empirische Material Parkers zeigt drei zentrale Trennlinien, die sich um diese Fragen durch Organisationen ziehen (Parker 2000).


5.3.4 Parker (2000): Trennlinien sind symbolische Ressourcen

Veränderungen in Organisationen rufen in den meisten Fällen mehr oder weniger deutlichen Widerspruch hervor; so auch in den drei von Parker untersuchten Organisationen.

Doctors, administrators, old engineers, old Head Office managers and so on were all sceptical about the justifications for change, or the new styles of management, or technologies and so on. I want to suggest here that the articulation of divisions within an organization were often centrally concerned with these responses to change. In that sense a member’s identifications were a crucial part of this contest, and a wide variety of identities could be articulated as for, or against, whatever changes were happening. (Parker 2000: 194)

Die Tabelle zeigt die drei zentralen Unterschiede, auf die sich u.a. die Führungskräfte von Vulcan Industries bezogen, wenn sie über das Unternehmen, über Technologien und die Veränderungen im Unternehmen sprachen.

Abbildung: Trennlinien in Organisationen nach Parker 2000: 188

Parker möchte diese Unterschiede bzw. Trennlinien als Identifikationsressourcen verstanden wissen, nicht als fixe Identitäten. Organisationsmitglieder können in einer gegebenen Situation eine oder mehrere dieser Ressourcen einsetzen, um ihre Positionen und Meinungen zu begründen. Sie argumentieren mit ihrer Hilfe bspw., welche Technologie im Unternehmen wie eingesetzt oder nicht eingesetzt werden sollte, und welche Praxis von zentraler Bedeutung für die Organisation ist oder sein sollte (z.B. Kontrolle durch das Management, Design eleganter Systeme, usw.) (Parker 2000; siehe auch Parker 1997).


Nächstes Kapitel: 5.4 Wittel (1997) "Belegschaftskultur im Schatten der Firmenideologie"


↑ Nach oben