Tranceforschung durch Felicitas Goodman/Die Schamanin im Labor

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Vorheriges Kapitel: 4.2 Glossolalie — das Sprechen in der Trance

4.3 Die Schamanin im Labor — Untersuchungen zur Trance mit rituellen Körperhaltungen

verfasst von Susanne Jarausch

Was im Menschen während des religiösen Erlebens vor sich geht, hat Felicitas Goodman seit Beginn ihres Studiums in Ohio interessiert. Bei ihren Untersuchungen der Glossolalie[1] 1972 hat sie bereits erkannt, dass in der religiösen Trance Veränderungen der Körperfunktionen auftreten, die bei allen Menschen gleich sind. Weitere Untersuchungen deckten ein unerwartetes und z.T. dramatisches Geschehen auf.

Laboruntersuchungen unter Prof. Kugler in München (1983) und weitere in Zusammenarbeit mit Prof. Guttmann in Wien (1987) brachten Aufschluss oder zumindest einen sehr eindrücklichen Einblick in das komplexe biologische Geschehen bei der Trance. Paradoxe Phänomene, die in anderen Bewusstseinszuständen nicht auftraten, charakterisierten die Trance als einen außergewöhnlichen Zustand hochwacher Entspanntheit.

„Wenn die Schamanin ins Labor geht“ lautet der Titel der Tonbandabschrift eines von Felicitas Goodman und Giselher Guttmann 1991 an der Universität Wien gehaltenen Vortrages, in welchem die Forschungsergebnisse über die biologischen Veränderungen während der Trance zur Sprache kamen. Der Titel drückt aus, wie konsequent Felicitas Goodman die beiden, in der westlichen Welt oft getrennt gehaltenen Bereiche von direktem Erleben und wissenschaftlicher Forschung zusammenbrachte.

In der sterilen, kühlen Laborathmosphäre, inmitten von Messgeräten, baute sie einen rituellen Raum auf, lud die Geistwesen mit der traditionellen Mehlgabe ein und rasselte 15 Minuten, während die teilnehmenden ProbandInnen mit den vorher am Kopf angebrachten Elektroden – sozusagen verkabelt – auf Trancereise gingen. Die Geistwesen ließen sich nicht abschrecken und die schillernde Vielfalt der anderen Wirklichkeit wurde im Ritual auch unter Laborbedingungen zugänglich. Die Ergebnisse der Messungen waren überraschend.

Verweise:
[1] Siehe Kapitel 4.2

Inhalt

4.3.1 Endokrinologische Untersuchungen München 1983

Erste Pilotstudien zu den biologischen Veränderungen in der Trance wurden 1983 unter Prof. Kugler an der psychiatrischen Klinik der Universität München durchgeführt und brachten unerwartete Ergebnisse.

Unter Anleitung von F. Goodman begaben sich die TeilnehmerInnen in einer liegenden Position auf die Reise in die Unterwelt. Während dieser Trancereise wurden ihnen in regelmäßigen Abständen Blutproben entnommen, deren endokrinologische Untersuchung folgendes Bild ergab:

• Bei Absinken des Blutdrucks wurde gleichzeitig ein Ansteigen der Pulsfrequenz festgestellt. Dieses außergewöhnliche gegenläufige Phänomen erregte Aufsehen, da es normalerweise nur bei einem lebensbedrohlichen Schockzustand oder beim Verbluten auftritt, in der Trance aber keineswegs als bedrohlich empfunden wird.

• Der Spiegel der Stress auslösenden Hormone (Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol) im Blutserum sank ab und gleichzeitig wurden

ß-Endorphine (körpereigene Opiate mit schmerzstillender und euphorisierender Wirkung) im Gehirn ausgeschüttet.

Die letzten beiden Werte erklären den entspannten, ruhigen und ausgeglichenen Zustand, von dem nach der Trance berichtet wird und das enorme, noch länger anhaltende Wohlgefühl - die Ekstase der Schamanen oder auch die Süße des Erlebens, von der die deutschen Mystiker immer wieder berichten.

Bei EEG-Messungen zeigten sich langsame Theta-Wellen, was sich in der späteren Untersuchung durch Prof. G. Guttmann in Wien bestätigte.

Von dieser damals vielversprechenden Untersuchung liegen leider kaum Dokumentationen vor. Die Ergebnisse sollten jedoch zu weiterer Forschung inspirieren.


4.3.2 Neurophysiologische Untersuchung Wien 1987

Abbildung: Die drei Diagramme zeigen das Gleichspannungspotential während veränderter Bewusstseinszuständen (Guttmann, Goodman, Korunka 1988)

Durch die Begegnung mit Prof.Dr. Giselher Guttmann 1987, dem damaligen Leiter des Psychologischen Instituts Wien, ergab sich für Felicitas Goodman die Gelegenheit zu einer neurobiologischen Annäherung an das Phänomen der Trance.

Guttmann et al. untersuchten in einer Pilotstudie verschiedene Bewusstseinszustände, u.a. Schlaf, Hypnose und Trance nach Goodman in Bezug auf zwei unterschiedliche hirnphysiologische Kennwerte, das kortikale Gleichspannungspotential (DC-Potential) — die batterieähnliche Aufladung der Großhirnrinde — und das Hirnstrombild der Gehirnwellen.

Zum Verständnis der Vorgänge in der Trance sind hier alle drei Beispiele angeführt.


Schlaf:

Während das DC-Potential im Wachzustand nur im Bereich von durchschnittlich 20 Mikrovolt schwankte, war im Schlaf ein Abfallen der Aufladung um bis zu 4000 Mikrovolt festzustellen. Die „Batterie Großhirnrinde“ entleerte sich.



Trance:

In der Trance nach Goodman kam es zu einer Gleichspannungsverschiebung um etwa 2000 Mikrovolt – ähnlich wie im Schlaf – nur in anderer Richtung. Ein Zustand extremer Aktivierung – wacher als hellwach. Diese enorme Aufladung der Gehirnrinde konnte in keinem anderen Bewusstseinszustand festgestellt werden.


Hypnose:

In der Hypnose zeigte sich keine Potentialänderung . Aus der Sicht des DC- Potentials entsprach die Hypnose einem normalen Wachzustand.

Abbildung: Hirnstrombild während der Trance nach F. Goodman (Guttmann, Goodman, Korunka 1988)






Überraschend war, dass bei der Goodman-Trance gerade im Zustand allerhöchster Aktivierung, meist gegen Ende der Trance-Phase, langsame Theta-Wellen auftraten, wie sie für einen mitteltiefen Schlafzustand typisch sind.

Die Trance mit rituellen Körperhaltungen nach Goodman ist nicht mit dem Zustand der Hypnose vergleichbar, für den ebenfalls der Begriff Trance verwendet wird, und der im DC-Potential dem Wachzustand mit normaler Aktiviertheit gleicht. Sie unterscheidet sich auch wesentlich vom Schlaf, der von einer kortikalen Desaktivierung begleitet wird.

Die Trance erwies sich als ein von allen anderen Bewusstseinslagen abweichender Zustand, der durch eine gleichzeitige Desaktivierung (langsame Theta-Wellen) und Aktivierung (Aufladung der Großhirnrinde) gekennzeichnet ist und für welchen Guttman den Begriff „paradoxical arousal“ geprägt hat – ein Zustand entspannter Hochspannung oder hochgespannter Entspanntheit.


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