Tranceforschung durch Felicitas Goodman/Glossolalie

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Vorheriges Kapitel: 4.1 Trancestudie unter Erika Bourguignon

4.2 Glossolalie — das Sprechen in der Trance

verfasst von Susanne Jarausch

Wenn Menschen, während sie in Trance sind, zu reden oder singen beginnen, verändert sich ihr stimmliche Ausdruck in charakteristischer Weise. In der Linguistik wird dies als Glossolalie bezeichnet, im Christentum als Sprechen in Zungen .

Es entsteht eine rhythmische, wie ein Versmaß pulsierende Vokalisation, die gewöhnlich aus Silben besteht, die an sich keine Bedeutung haben, wie etwa ‚siösiösiösiö’‚ ?ulalaladalalla’, wobei jede Silbe mit einem Konsonanten, bzw. Kehlverschlusslaut beginnt.

Hinweise auf dieses eigenartige Sprechen, das in religiösen Ritualen beobachtet wurde, fand Felicitas Goodman in der ethnographischen Literatur, die sie für ihre Untersuchung unter E. Bourguignon durchforschte. Ihr Interesse, auch als Linguistikerin war geweckt. Sie begann Tonbandaufnahmen mit Glossolalie aus verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen Muttersprachen zu untersuchen, auch jene aus ihrer Feldforschung bei den Pfingstgemeinden in Yucatán.

Es zeigte sich bei allen Aufnahmen ein einheitlich zugrundeliegendes Sprechmuster. Die Intonation, die Satzbetonung, die für jeden Bewusstseinszustand eine andere Kurve ergibt, war gesetzmäßig gleich bei allen Sprechern in Zungen. Die Kurve stieg an bis zu einer Betonungsspitze am Ende des ersten Drittels der Silbenfolge, um dann bis zum Schluss gleichmäßig abzusinken. (Goodman 1972)

Abbildung: Intonationskurven beim Sprechen in Zungen mit deutlichem Anfang, Höhepunkt und Ende:

  • Abb. 1a: Muttersprache Rungus-Dusun, Austronesisch, Nordborneo (3 Sprecheinheiten). (Goodman 1996: 20)
  • Abb. 1b: Muttersprache amerikanisches Englisch, Newark, Ohio, USA (1 Spercheinheit). (Goodman 1996: 18)
  • Abb. 1c: Muttersprache afrikanisches Englisch, Saint Kitts Island, Karibik (1 Sprecheinheit). (Goodman 1996: 19)

Zum Vergleich zwei Intonationskurven in anderen Bewusstseinslagen:

Beim Sprechen in der gewöhnlichen Bewusstseinslage (Abb.1d) hebt und senkt sich die aufgezeichnete Linie ohne erkennbare Regelmäßigkeit. Auch wenn in Hypnose gesprochen wird (Abb.1e), zeigt die Intonationskurve keine besondere sich wiederholende, sondern eine eher monotone Sprechweise zwischen den langen Pausen. (Goodman 1996: 14,15)

  • Abb. 1d
  • Abb. 1e

Felicitas Goodman kam zu dem Schluss, den sie auch in einer heute noch gültigen Studie festhielt, dass Glossolalie formal keine Sprache ist, sondern vielmehr eine Stimmgebung, die mit den physiologischen Veränderungen in der religiösen Trance einhergeht .

Daraus folgerte Felicitas Goodman, dass der Mensch im religiösen Ritual , vorausgesetzt es gibt eine körperliche Anregung, immer in den gleichen Bewusstseinszustand mit den gleichen Veränderungen der Körperfunktionen versetzt wird, ganz gleich, um welches religiöse Ritual es sich handelt und wo und bei welcher Gruppe es stattfindet.

Die Untersuchung ist eine Bestätigung dafür, dass alle Menschen die ererbte Fähigkeit besitzen, außer dem gewöhnlichen Bewusstseinszustand auch andere Bewusstseinszustände,

Inhalt

4.2.1 Feldforschung in Yucatán

Foto: Der Tempel der Pfingstgemeinde in Yucatan 1969 (Goodman 2001: 377)
Foto: Das Zungen-Sprechen während eines Gottesdienstes in der Pfingstgemeinde in Yucatan (Goodman 2001: 379)

Das, was allgemein als unverständliches, keineswegs beachtenswertes Kauderwelsch betrachtet wurde, erregte schon bei ihrer Forschung über Trance unter Erika Bourguignon das Interesse von Felicitas Goodman, zumal diese Sprechform während religiöser Rituale auftrat. Als Linguistikerin hatte sie begonnen diese Sprechform, Sprechen in Zungen oder Glossolalie genannt, bei englisch und spanisch sprechenden Pfingstgemeinden zu untersuchen.

Für ihre Feldforschungen besuchte Felicitas Goodman ab 1969 kleine charismatische Pfingstgemeinden in Yucatán / Mexiko, deren Muttersprache das Maya ist, welches nicht der indoeuropäischen Sprachfamilie angehört. Das Forschungsinteresse lag nun darin festzustellen, ob die Glossolalie hier andere Sprechmuster zeigen würde als jene aus einer englischen oder spanischen Sprache.

Immer wieder beobachtete sie den Ablauf der religiösen Zeremonie und nahm das Zungensprechen auf Tonband auf. Zu Beginn des Gottesdienstes sang die Kirchengemeinde zu einer fröhlichen Musik. Dabei standen die Menschen keineswegs still, sondern bewegten sich in gleichbleibender Abfolge immer einige Schritte vor und zurück, im selben Rhythmus dazu klatschend. Am Ende dieser Phase, die etwa 20 Minuten dauerte, trat auf ein bestimmtes Signal (link zu 1.3.2) (ein besonderes, kurzes Kirchenlied, bei dem der Herr um sein Feuer gebeten wird), eine Wende ein, die Menschen fielen in Trance und begannen in Zungen zu sprechen. Die Musik verstummte und das Stimmengewirr füllte ekstatisch die Kirche. Dabei konnten sich bei den Menschen die Gesichter röten, die Muskeln anspannen und die Hände zu zittern beginnen. Manche fielen auf die Knie und brachen in Tränen aus, andere hoben in wellenartigen Bewegungen immer wieder die Arme über den Kopf. Genauso plötzlich wechselten sie nach etwa weiteren 10 Minuten auf ein Signal hin wieder in den Alltagszustand über, und der Gottesdienst wurde unter Gesängen zu Ende geführt. Nachher berichteten die Menschen, dass der Heilige Geist in sie eingefahren sei und dann diese wunderbaren Silben aus ihnen herausgeströmt wären. Nun erlebten sie die Welt wieder strahlend, rein und in Harmonie.

Zungensprechen wurde als eine natürliche Fähigkeit erachtet und als krank wurden jene betrachtet, die das Zungensprechen nicht beherrschten.

Felicitas Goodman untersuchte die Tonbandaufnahmen im phonetischen Labor und verglich die Intonationskurve mit anderen Aufnahmen von Glossolalie aus anderen Kulturen mit anderen Muttersprachen. Bei allen Aufnahmen war die gleiche charakteristische Intonationskurve festzustellen. Sie unterschied sich deutlich von jenen in anderen Bewusstseinszuständen. Diese Feststellung lässt darauf schließen, dass bei allen Menschen in der Trance die gleichen körperlichen Veränderungen zu diesem Sprechmuster führen, unabhängig von ihrer Kultur und ihrer Muttersprache, dass somit die Fähigkeit zur Trance in allen Menschen angelegt ist.

Die Feldforschung in Yucatán nahm eine überraschende Wende. Auf die Vorhersage des Weltunterganges für den 1. September 1970, den ein Gemeindemitglied in einer Vision offenbart bekam, kam die Gemeinde im Folgejahr in eine Glaubenskrise, an der sie beinahe zerbrach. Bis 1986 verbrachte F. Goodman noch jedes Jahr einige Zeit mit den Frauen der Gemeinde. Diese 17 Jahre einer außergewöhnlichen Langzeit- Feldforschung bis zum Abebben des rituellen Geschehens und das Leben der Frauen in der Gemeinde hat sie in dem Buch „Maya Apocalypse: Seventeen Years with the Women of a Yucatán Village“ dokumentiert.

4.2.2 Rahmenbedingungen für das Eintreten in der Trance

Foto: Im Tempel der Pfingstgemeinde in Yucatán (Goodman 2001: 378)

Während ihrer Feldforschung konnte Felicitas Goodman beim Gottesdienst der Pfingstgemeinden in Yucatán wichtige Rahmenbedingungen für die Trance beobachten, die sie später in den Tranceversuchen[1] mit ihren Studenten in Ohio anwendete.

• Die Zeremonie fand in einem vom Alltäglichen getrennten Raum (Kirche) statt.

• Die TeilnehmerInnen sahen ihr Vorhaben als normal an und als etwas, worauf sie sich freudig einlassen konnten.

• Die Konzentration und geistige Ausrichtung wurde vor der Trance gesteigert, indem die Menschen Kirchenlieder sangen unter der Aufforderung des Priesters, den Alltag hinter sich zu lassen.

• Eine gleichförmige rhythmische Anregung (Singen, Klatschen, Musik, Schritte) induzierte die Trance (mit dem Zungensprechen).

• Auf ein Signal (ein corrito, ein bestimmtes kurzes Kirchenlied) wechselten die Menschen in den anderen Bewusstseinszustand über und kehrten auf ein weiters Signal wieder in den gewöhnlichen Bewusstseinszustand zurück.

Es bestand ein den TeilnehmerInnen gemeinsamer kultureller Hintergrund.

Verweise:
[1] Siehe Kapitel 2.1


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