Die Herausbildung der kultur- und sozialanthropologischen Forschungsmethoden/Institutionalisierung

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1.1 Zur Institutionalisierung der Kultur- und Sozialanthropologie

Verfasst von Ernst Halbmayer

Die akademische Institutionalisierung der Kultur- und Sozialanthropologie (KSA) fand hauptsächlich im Laufe des 19. Jahrhunderts statt und vollzog sich auf drei Ebenen:

  • anthropologischen Gesellschaften
  • Museen
  • der universitären Verankerung der Disziplin

Im Vergleich zu anderen Sozialwissenschaften (z.B. Soziologie, Politikwissenschaft, Publizistik), hat sich die KSA bzw. Völkerkunde früh als eigenständige Wissenschaftsdisziplin im akademischen Kontext etabliert.

Die frühe Relevanz der Kultur- und Sozialanthropologie stand insbesondere mit der europäischen Expansion und dem Kolonialismus in Zusammenhang und der damit einhergehenden Konfrontation, Transkulturation und (partiellen) Integration nicht-industrialisierter Gesellschaften in die sich herausbildende Weltgesellschaft. Im Gegensatz dazu fokussierte die Soziologie auf die sich industrialisierende euro-amerikanische Gesellschaft und den resultierenden Folgen des Kapitalismus, wie Landflucht, Verstädterung, Zuspitzung sozialer Gegensätze und die „soziale Frage“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Die frühe Institutionalisierung der Völkerkunde lässt sich auch an der Universität Wien verdeutlichen. Von den Studienrichtungen, die heute an der Fakultät für Sozialwissenschaften angesiedelt sind, wurde die „Völkerkunde“ als erste universitär verankert. Bereits 1912 gab es an der Universität Wien eine Professur für Anthropologie und Ethnographie, die der Arzt Rudolf Pöch innehatte. 1929 kam es zur Trennung in 2 eigenständige Institute, in jenes für physische Anthropologie und in das Institut für Völkerkunde (siehe Geschichte des Instituts[1]).

Ein Vorläufer des heutigen Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaften wurde 1939, also im Dritten Reich, als Institut für Zeitungswissenschaft gegründet. Für das Institut galt es im Allgemeinen - ganz im Sinne des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, Goebbels - die "Dienstfähigkeit und Relevanz der Zeitungswissenschaft für die nationalsozialistische Presselenkung zu sichern." (Duchkowitsch 1989: 166).

Das Institut für Volkskunde wurde in Wien 1961 gegründet, davor bestand von 1939 bis 1945 das "Institut für germanisch deutsche Volkskunde", dessen Leiter Wolfram 1945 zwar suspendiert wurde, jedoch ab 1961 erneut die Professur am Institut für Volkskunde antrat.

Im Gegensatz dazu wurde der erste Lehrstuhl für Soziologie in Wien an der Fakultät für Rechts- und Staatswissenschaftern erst nach dem Krieg 1950 eingerichtet. Als eine eigenständige Studienrichtung existiert die Soziologie erst seit 1966.

Die Grundlage für das Fach der Politikwissenschaft entstand im Jahr 1968 mit einer ersten Professur für Philosophie der Politik- und Ideologiekritik am Institut für Philosophie, 1971 wurde ein Institut für Theorie der Politik gegründet.


Verweise:
[1] https://ksa.univie.ac.at/institut/geschichte/]

Inhalt

1.1.1 Die Herausbildung ethnographischer Museen

Aus den ethnographischen Sammlungen, die im Rahmen von Expeditionen und kolonialistischen Unternehmungen zusammen getragen wurden und die Teil der so genannten Wunderkammern der Kaiser und Könige waren, wurden im Zuge des 19. Jahrhunderts eigene Museen gegründet, die auch für die Öffentlichkeit zugänglich wurden. Zu Beginn waren ethnographische Sammlungen oft noch Teil breiter angelegter naturhistorischer Museen, doch im Laufe der Zeit entstanden zunehmend eigene anthropologische Museen.

Wichtige früh etablierte anthropologische Museen waren zum Beispiel das 1849 gegründete Museum in Basel, das Königliches Museum für Völkerkunde in Berlin (1873) und das als Wiener Museum für Völkerkunde gegründete Weltmuseum[1]. Die Ursprünge des Museums für Völkerkunde Wien reichen ins Jahr 1806 zurück. Damals wurde mit dem Erwerb eines Teils der Cookschen Sammlungen eine eigene "k.k. Ethnographische Sammlung" im kaiserlichen Hofnaturalienkabinett eingerichtet. Seit 1876 wurden die Bestände in der Anthropologisch- Ethnographischen Abteilung des Naturhistorischen Museums verwaltet. 1928 erfolgte schließlich die Gründung eines eigenen Museums für Völkerkunde, welches nun Teil des Kunsthistorischen Museums ist.


Verweise:
[1] https://www.weltmuseumwien.at/

1.1.2 Die Herausbildung anthropologischer Gesellschaften

Weiters kam es zur Gründung eigener anthropologischer Gesellschaften. Einige prominente Vereinigungen sind etwa:

  • die Société des Observateurs de l´Homme (1799) und die Société Ethnologique de Paris (1839) in Frankreich,
  • die Aborigines Protection Society (1837), die Ethnological Society of London (1844) und die Anthropological Society of London (1863) in Großbritannien
  • die Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Frühgeschichte[1] (1869) und die Anthropologische Gesellschaft[2] in Wien (1870) im deutschsprachigen Raum
  • sowie die Anthropological Society of Washington (1879) in den USA.

Diese Gesellschaften vereinten Vertreter, die heute unterschiedlichen Fachdisziplinen angehören. Sie versammelten insbesondere physische Anthropologen und jene Gelehrten, die eher an Kultur und Gesellschaft interessiert waren. Die bis heute existierende anthropologische Gesellschaft in Wien, vereint in sich nach wie vor jene Disziplinen, deren Erkenntnissinteresse auf den Menschen gerichtet ist: physische Anthropologie, Ur- und Frühgeschichte, Volkskunde und Völkerkunde. Auch die größte Organisation von Fachvertretern die US-amerikanische American Anthropological Association[3] sieht "anthropology as the science that studies humankind in all its aspects, through archeological, biological, ethnological, and linguistic research." (AAA Statement of Purpose[4])


Verweise:
[1] http://www.bgaeu.de/
[2] http://ag-wien.org/
[3] http://www.aaanet.org
[4] http://www.aaanet.org/about/Governance/Satement-of-Purpose.cfm

1.1.3 Die universitäre Verankerung der Disziplin

Darüber hinaus kam es zur Etablierung eigener anthropologischer Lehrstühle und Institute innerhalb der Universitäten. 1869 wurde in Berlin Adolf Bastian (1826 – 1905) der erste Universitätsdozent für Völkerkunde in Deutschland. Edward B. Tylor erhielt 1883 den ersten anthropologischen Universitätsposten im Vereinigten Königreich an der Universität von Oxford, wo er 1895 zum Professor für Anthropologie wurde. Der Deutsche Franz Boas[1] erhielt seine erste akademische Position in den USA an der Clark University in Worcester Mass. 1896 wurde er Lektor für physische Anthropologie und 1899 Professor für Anthropologie an der Columbia University.

In den USA wurden hauptsächlich allgemeine Anthropologiedepartments gegründet, die sich am so genannten „four field approach“ orientierten und die zum Teil bis heute die Fächer Kulturanthropologie, Linguistik, physische Anthropologie und Archäologie verbinden. Im Allgemeinen ist es aber zu einer disziplinären Trennung zwischen der physischen Anthropologie (Humananthropologie) und der Kultur- und Sozialanthropologie gekommen. Die Situation im deutschsprachigen Raum zeichnet sich darüber hinaus durch eine Trennung von Volks- und Völkerkunde aus. Die Trennung von Volks- und Völkerkunde ist eine Folge der Romantik (Herder: Natur- und Kulturvölker) u. des deutschen Nationalismus: In der Volkskunde stand lange Zeit die Beschäftigung mit den eigenen ländlichen Wurzeln, der eigenen Kultur, von Bräuchen, der Sprache und der Sammlung von Märchen (Gebrüder Grimm), Volksliedern, materieller Kultur etc. im Zentrum.


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 5.2.1.1.1 der Lernunterlage Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie


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