Die Herausbildung der kultur- und sozialanthropologischen Forschungsmethoden

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1. Die Herausbildung der kultur- und sozialanthropologischen Forschungsmethoden

Verfasst von Ernst Halbmayer

Die Kultur- und sozialanthropologischen Forschungs- und Arbeitsmethoden zeichnen sich durch einen großen Pluralismus und eine vergleichsweise lange Entwicklung aus. Diese Entwicklung erfolgte unter anderem entlang unterschiedlicher nationalsprachlicher Entwicklungslinien, so dass man z.B. von deutschsprachigen, britischen, französischen, US-amerikanischen aber auch russischen (u.a.) Traditionen innerhalb der Wissenschaftsdisziplin sprechen kann. (siehe Barth et al. 2005) Innerhalb dieser einzelnen Entwicklungslinien kam es zu unterschiedlichen Zeitpunkten auch zu verschiedenen Auffassungen, was den Kern der Wissenschaftsdisziplin ausmacht. Dies kommt in unterschiedlichen methodischen Ausrichtungen und Auffassungen, wie Ethnographie zu betreiben sei, zum Ausdruck. Auf einer Metaebene zeigt sich diese Vielfalt auch in den unterschiedlichen Bezeichnungen der Disziplin[1], wie Anthropologie, Kulturanthropologie und Sozialanthropologie, aber auch in den Begrifflichkeiten Völkerkunde, Ethnologie bzw. Ethnographie, die aus jeweils unterschiedlichen Positionen und zu verschiedenen Zeitpunkten verwendet wurden.

Damit wird nicht nur eine Wissenschaftsdisziplin unterschiedlich bezeichnet, sondern es steht die Ausrichtung dieser Disziplin selbst zur Debatte. Was heute unter dem Begriff „Kultur- und Sozialanthropologie“ zusammengefasst wird, umfasst unterschiedliche fachliche Ausrichtungen, die sich u.a. rund um folgende Schnittstellen positionieren:

Eine Schnittstelle, nämlich jene zwischen Kultur- und Sozialwissenschaft, kommt bereits im Doppelnamen der Kultur- und Sozialanthropologie und ihrem jeweiligen Naheverhältnis zur britischen bzw. US-amerikanischen Tradition zum Ausdruck. Hier reproduziert sich die Differenz zwischen Kultur- und Sozialwissenschaften.

Eine zweite Schnittstelle kommt in der Frage zum Ausdruck, ob und in wie weit Kultur- und Sozialanthropologie primär an zeitlichen, diachronen Abfolgen und Entwicklungen interessiert ist und damit als eine historisch orientierte Wissenschaft verstanden werden kann, oder aber primär auf synchrone Analysen kultureller und sozialer Zusammenhänge zu bestimmten Zeitpunkten abstellt. Nach dem Evolutionismus des 19. Jahrhunderts spielte die historische Ausrichtung insbesondere in der deutschsprachigen Ethnologie (Diffusionismus, Kulturkreislehre, Ethnohistorie) und der US- amerikanischen Anthropologie (historischer Partikularismus) eine zentrale Rolle, während sich die britische und die französische Tradition auf unterschiedliche Art und Weise einem funktionalistischen bzw. strukturalistischen sozialwissenschaftlichen Paradigma verpflichtet fühlten.

Eine dritte Schnittstelle, die bis heute - insbesondere im US-amerikanischen Kontext – diskutiert wird, ist die prinzipielle Unterscheidung zwischen „scientists“ und „humanists“. Diese verweist auf die bereits von Dilthey eingeführte Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften und die damit einhergehende Differenz zwischen „harten“, an die Naturwissenschaften angelehnten Verfahren und Erklärungen und „weichen“, interpretativen und verständnisorientierten Methoden. Innerhalb der Kultur- und Sozialanthropologie kommt dieser Gegensatz auch in der Unterscheidung von emisch und etisch[2] zum Ausdruck.

Die jeweilige Positionierung des Faches bzw. einer Forschung entlang dieser Schnittstellen kommt nicht nur in unterschiedlichen theoretischen Orientierungen, sondern auch in der Methodik der wissenschaftlichen Vorgangsweise und den angewandten und eingesetzten methodischen Verfahren zur Fragenbeantwortung zum Ausdruck.

Verweise:
[1] Siehe Kapitel 1.2
[2] Siehe Kapitel 2.4

Inhaltsverzeichnis

Weitere Kapitel dieser Lernunterlage

2. Einige wissenschaftstheoretische Grundlagen der empirischen Sozialforschung
3. Projektentwicklung: von der Idee zum Forschungsprojekt
4. Forschungsablauf
5. Ausgewählte Weiterentwicklungen der ethnographischen Feldforschung
6. Strategien der Datenanalyse


Nächstes Kapitel: 1.1 Zur Institutionalisierung der Kultur- und Sozialanthropologie


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