Einige wissenschaftstheoretische Grundlagen der empirischen Sozialforschung/Begriffe

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Vorheriges Kapitel: 2.6 Arten von Theorien

2.7 Begriffsbildung, Begriffsdefinitionen und Begriffsrelationen

Verfasst von Ernst Halbmayer

In der empirischen Sozialforschung spielt neben den wissenschaftstheoretischen Positionen und den unterschiedlichen Arten von Theorien die Begriffsbildung, Begriffsdefinitionen sowie die Relationen zwischen den Begriffen eine zentrale Rolle.

Je nach Erkenntnisinteresse und gewählter Forschungsstrategie (Forschungsablauf [1]) stellt sich das Problem der Begriffsbestimmung auf unterschiedliche Art und Weise. Wenn man z.B. von existierenden Theorien ausgeht und diese zur Grundlage einer Untersuchung macht, so ist es notwendig, die in diesen Theorien und den davon abgeleiteten Hypothesen vorkommenden Begriffe zu definieren.

Wenn man hingegen die empirischen Daten als Ausgangspunkt der Theoriebildung nimmt, bzw. den kulturspezifischen Bedeutungsbereich bestimmter lokal verwendeter Begriffe bestimmen will, so wird man diese nicht im Vorfeld definitorisch bestimmen, sondern auf Basis des empirischen Materials eine Begriffsbildung vornehmen.

Die Begriffsbildung kann sich also sowohl auf emische wie auf etische Begriffe [2] beziehen und die Bedeutung des Begriffes sowohl deduktiv[3 festlegen, wie induktiv[4] erschließen.

Darüber hinaus werden verschiedene Begriffe in wissenschaftlichen Aussagen auch miteinander in Beziehung gesetzt. Solche Begirffsrelationen kommen unter anderem in Theorien [5], Klassifikationen [6], Typologien [7], Hypothesen und Taxonomien [8] zum Ausdruck.


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 4
[2] Siehe Kapitel 2.4
[3] Siehe Kapitel 2.2 der Lernunterlage Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie
[4] Siehe Kapitel 2.1 der Lernunterlage Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie
[5] Siehe Kapitel 2.6
[6] Siehe Kapitel 2.7.3.1
[7] Siehe Kapitel 2.7.3.3
[8] Siehe Kapitel 2.7.3.2


Inhalt


2.7.1 Die Begriffsdefinition

Begriffe sind zu definieren und eindeutig und einheitlich zu verwenden. Ein Begriff enthält dadurch eine offen gelegte Zuordnung bestimmter Merkmale.

Bei expliziten Definitionen wird der zu definierende Begriff (Definiendum) durch einen neuen Ausdruck (Definiens) ersetzt. Der zu definierende Begriff und der neue Ausdruck können ausgetauscht werden, d.h sie sind äquivalent. Dies ist bei impliziten oder partiellen Definitionen, die nur eine teilweise Definition des Begriffs darstellen, nicht der Fall.

Um Begriffe zu definieren kann man unterschiedlich vorgehen:

Erstens kann man eine Begriffsexplikation vornehmen und dadurch seinen Inhalt und Umfang bestimmen. Dies kann mittels analytischer Definition (einer theoretischen Bedeutungsanalyse) oder aber mittels empirischer Analyse (der beobachtbaren Ausprägungen des Begriffs) erfolgen, die einen bekannten Begriff durch andere Begriffe exakter definiert. Solche Definitionen finden sich oft in Wörterbüchern.

z.B. Waffen, alle physischen Mittel, die zur Bekämpfung von Zielen dienen und sowohl zum Angriff, wie auch zur Verteidigung eingesetzt werden.

z.B. Waffen, Hieb- und Stichwaffen, Schlagwaffen, Feuerwaffen, Waffen auf Basis von Spreng- und Splitterwirkung, chemische Waffen, biologische Waffen, atomare Waffen

Eine zweite wichtige Art der Definition sind Nominaldefinitionen. Hier soll ein neuer Begriff durch einen bekannten ersetzt werden.

z.B. eine Großstadt ist jede Siedlung mit mehr als 100 000 Einwohnern

z.B. eine kinderreiche Familie ist jede Familie mit drei oder mehr Kindern

Eine dritte zentrale Art der Definition, die insbesondere in der quantitativen Sozialforschung relevant ist und theoretische Begriffe empirisch fassbar macht, ist die operationale Definition. Operationale Definitionen sind im Normalfall partielle Definitionen.



2.7.1.1 Operationale Definition: Operationalisierung

Abbildung: Operationalisierung des Begriffs "Studienerfolg"
"Unter Operationalisierung versteht man die Schritte der Zuordnung von empirisch erfassbaren, zu beobachtenden oder zu erfragenden Indikatoren zu einem theoretischen Begriff. Durch Operationalisierung werden Messungen der durch einen Begriff bezeichneten empirischen Erscheinungen möglich." (Atteslander 2000: 50)

Im Zentrum einer operationalen Definition steht also das Anliegen, theoretische Begriffe empirisch fassbar bzw. messbar zu machen. So hat jeder ein Alltagsverständnis des theoretischen Begriffs "Soziale Ungleichheit". Was bedeutet es aber, wenn man soziale Ungleichheit empirisch fassbar machen will? Welche Variablen (ein in verschiedenen Ausprägungen vorhandenes Merkmal eines Untersuchungsgegenstandes) des Begriffs soziale Ungleichheit lassen sich benennen und welche davon will man in die Definition und Untersuchung mit aufnehmen?

Eine Operationalisierung dieses Begriffs könnte unter anderem auf folgende Merkmale (Variablen) stoßen:

Einkommen, Bildung, Geschlecht, Wohnsituation, etc.

Weiters muss man sich im Zuge einer Operationalisierung fragen, durch welche direkt beobachtbaren Variablen (Indikatoren) nun z.B. ein Merkmal, wie Einkommen, gemessen wird. Wird nach dem Familieneinkommen oder nach dem individuellen Verdienst gefragt, inwieweit werden andere Vermögenswerte (Erspartes, Immobilien etc.) oder nicht "offizielle" Einkommensquellen (z.B. Taschengeld, Zuwendungen von Verwandten) berücksichtigt?

Insgesamt werden im Zuge der Operationalisierung also theoretische oder abstrakte Begriffe, welche nicht direkt messbar sind, durch die Zuordnung von Indikatoren, die als Stellvertreter für den abstrakten Begriff fungieren, operationalisiert und dadurch messbar gemacht.

Dies lässt sich auch an folgendem Beispiel zum Begriff des Studienerfolgs veranschaulichen.

2.7.2 Die Begriffsbildung

Wenn man innerhalb der Kultur- und Sozialanthropologie die lokale Bedeutung von Begriffen erfassen will, so lässt sich dies nicht auf Basis analytischer Definition (einer theoretischen Bedeutungsanalyse) oder empirischer Analyse der beobachtbaren Ausprägungen des Begriffs alleine bewerkstelligen. Vielmehr geht es darum, den Bedeutungsgehalt zu bestimmen, mit dem ein bestimmter Begriff in einem spezifischen soziokulturellen Kontext assoziiert ist. Dazu ist es notwendig, festzustellen, was unter einen Begriff fällt, aber auch was seine Relationen zu anderen Begriffen sind. Dazu können unterschiedliche Verfahren eingesetzt werden.

Spradley (1979) benennt zu diesem Zweck in seiner Konzeption des ethnographischen Interviews[1] unterschiedliche Fragearten und Analysestrategien.

  • Kontrastfragen werden dazu eingesetzt, um heraus zu finden, was der Informant mit den verschiedenen Begrifflichkeiten meint, die er in seiner Sprache verwendet und wie sich diese von einander unterscheiden.
  • Das Ziel von strukturellen Fragen ist es herauszufinden, wie der/die InformantIn sein/ihr Wissen in bestimmten kulturellen Bereichen (domains) organisiert.


In weiterer Folge geht es dann um die semantischen Beziehungen zwischen den Begriffen (domain analysis), die Unterschiede zwischen den Begriffen (Komponentialanalyse) und die Feststellung der Relationen zwischen untergeordneten Begriffen und ihrer Beziehung zu einem übergeordneten Begriff bzw. Konzept (taxonomische Analyse [2]).

Auf einem etwas abstrakteren Niveau, welches nicht ausschließlich auf den lokalen Sinngehalt emischer Begrifflichkeiten abstellt, stellen auch die unterschiedlichen Strategien zu Entwicklung von Kodes[3 und Konzepten Verfahren der Begriffsbildung im Vorfeld der Entwicklung von Theorien dar.


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 5.1.2.2.4 der Lernunterlage Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie
[2] Siehe Kapitel 2.7.3.2
[3] Siehe Kapitel 5.2.3.5.3 der Lernunterlage Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie

2.7.3 Die Begriffsrelationen

Um zu wissenschaftlichen Aussagen zu komme, ist es notwendig, verschiedene Begriffe miteinander in Beziehung zu setzten. Bei diesen Beziehungen kann es sich um Äquivalenzbeziehungen im Sinne von Definitionen [1] handeln. Es können aber auch Beziehungen zwischen Begriffen hergestellt werden, die weder teilweise noch völlig deckungsgleich sein dürfen, wie dies bei Hypothesen [2] der Fall ist. Neben den Definitionen und Hypothesen existieren aber auch komplexere Formen von Begriffsrelationen, wie etwa Theorien [3], Klassifikationen, Typologien und Taxonomien.


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 2.7.1
[2] Siehe Kapitel 2.7.4
[3] Siehe Kapitel 2.6



2.7.3.1 Klassifikation

Die klassische Form der Klassifikation dient dazu, Ordnungen in einen Objektbereich zu bringen und diesen an Hand von Merkmalen zu strukturieren. Die einzelnen Elemente sind dabei durch bestimmte Merkmalsausprägungen charakterisiert. Bestimmte Merkmale bzw. Dimensionen der Elemente werden dabei in Klassen zusammengefasst. Eine einfache Art der Klassenbildung beruht darauf, festzustellen, ob ein bestimmtes Merkmal vorhanden ist oder nicht. Eine weitere kann sich darauf beziehen, in welchem Ausmaß ein Merkmal vorhanden ist (z.B. 0-10 Jahre, 11-20 Jahre etc). Auf dieser Basis lassen sich Elemente einzelnen Klassen zuordnen.

Die traditionelle Auffassung einer Klasse geht davon aus, dass diese durch die durchgehende Präsenz gewisser gemeinsamer Eigenschaften gekennzeichnet ist. Eine Klassifikation in diesem Sinne hat folgenden drei Anforderungen zu genügen:


Eindeutigkeit Das heißt, jedem Element des Forschungsgegenstandes muss die Ausprägung eines Merkmals zugeschrieben werden können.
Ausschließlichkeit Wenn für jedes Objekt nur eine und nicht mehrere Ausprägungen des Merkmals zutreffen.
Vollständigkeit Ist dann gegeben, wenn die ersten beiden Bedingungen erfüllt sind und kein Objekt ohne Merkmalsausprägung ist.


Eine komplexere Art von Klassifikation stellen Taxonomien [1] dar.

An dieser Art der Klassifikation wurde verschiedentlich Kritik geübt. So hat etwa Wittgenstein (1953, 1958) gezeigt, dass verbale Konzepte im Normalfall nicht auf dieser Basis konstruiert werden. Vielmehr handelt es sich um ein komplexes Netzwerk überlappender Ähnlichkeiten und Überschneidungen. Dabei können übergeordnete Ähnlichkeiten existieren aber auch solche, die sich nur auf gewisse Details beziehen. Wittgenstein hat dafür den Begriff der Familienähnlichkeiten verwendet. Auch in den Untersuchungsfeldern der Kultur- und Sozialanthropologie haben wir es selten mit Klassifikationen zu tun, die auf den Prinzipien der Eindeutigkeit, Ausschließlichkeit und Vollständigkeit beruhen.

Rodney Needham (1975) hat deshalb hat das Konzept der polythetischen Klassifikation in Anlehnung an Sneath (1962) in die Kultur- und Sozialanthropologie eingeführt. Solche Klassifikationen sind weder völlig ausschließlich, noch eindeutig. Das heißt, solche polythetischen Klassen beruhen zwar auf einer Ähnlichkeit, diese Ähnlichkeit beruht aber nicht auf einem einzigen Merkmal und die einzelnen Elemente, die unter eine solche Klassifikation subsumiert werden, können deshalb sehr unterschiedlich von einander sein. Eine solche polythetische Klassifikation führt Elemente zusammen, die die größte Anzahl gleicher Eigenschaften aufweisen, aber keine einzige dieser Eigenschaften ist notwendige Voraussetzung für die Klassenmitgliedschaft und sie ist kein hinreichendes Kriterium um ein Element einer Klasse hinzuzufügen.

So argumentiert Needham, dass etwa Abstammungssysteme keine Klasse im herkömmlichen Sinn darstellen. Er identifiziert vielmehr unterschiedliche Merkmale für Abstammungssysteme, wobei aber weder jede Gesellschaft alle diese Merkmale aufweisen muss, noch müssen alle Gesellschaften, die durch Abstammungssysteme charakterisiert sind, eines dieser Merkmale gemeinsam haben. Needham veranschaulicht dies wie folgt, wobei die Großbuchstaben (A,B,C) Abstammungssysteme und die Kleinbuchstaben ihre jeweiligen Eigenschafen bezeichnen. So gehören A und C zwar derselben Klasse im Sinne einer polythetischen Klassifikation an, haben aber keine der identifizierten Eigenschaften gemeinsam.


A p q r
B r s t
C t u v


Tabelle: Serielle Ähnlichkeiten unter Abstammungssystemen (nach Needham 1975: 351)


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 2.7.3.2



2.7.3.2 Taxonomie

Eine Taxonomie (v. griech. táxis „Ordnung“, -nómos „Gesetz“) ist eine in der Regel hierarchische Klassifikation von Elementen in begriffliche Gruppen (Klassen, Unterklassen etc.). Am bekanntesten sind vermutlich die biologischen Taxonomien der Lebewesen. z.B. des Homo sapiens sapiens als Teil des Tierreiches


Tabelle: Taxonomische Einordnung des homo sapiens sapiens, beruhend auf der Systematik der Primaten[1].
Kategorie Taxon des Homo sapiens sapiens
REICH Tierreich
Unterreich Metazoa (Vielzeller)
Abteilung Histozoa (Gewebetiere)
Unterabteilung Bilateria (Zweiseitig-Symmetrische)
STAMM (Phylum) Chordata (Chordatiere)
Unterstamm Vertebrata (Wirbeltiere)
KLASSE Mammalia (Säugetiere)
Unterklasse Theria (eigentliche Säuger)
Überordnung Eutheria (höhere Säugetiere)
ORDNUNG Primates (Herrentiere)
Unterordnung Simiae (Echte Affen)
Superfamilie (Überfamilie) Hominoidae (Menschenähnliche)
FAMILIE Hominidae (Menschenartige)
Unterfamilie Homininae
GATTUNG (Genus) Homo
Untergattung (Subgenus) -
ART (Spezies) sapiens
Unterart (Subspezies) sapiens


Die Kultur- und Sozialanthropologie macht insbesondere darauf aufmerksam, dass solche Kategoriensysteme eine raum-zeitliche Kulturgebundenheit aufweisen. Eine der Aufgaben, die sich im Zuge der empirischen Forschung stellt, ist die Frage, wie so genannte Alltagstaxonomien (folk taxonomies) organisiert sind. Diese kommen im alltäglichen Sprachgebrauch zum Ausdruck und sind Teil der lokalen soziokulturellen Konzeptionen der Welt.

Spradley (1979: 142ff) schlägt folgende Schritte für eine taxonomische Analyse von Alltagsbereichen vor:

1) Auswahl eines Bereiches für die taxonomische Analyse

2) Identifizierung eines angemessen Rahmens für die Analyse der alternativer Subkategorien auf Basis der zentralen semantischen Beziehung zwischen übergeordneten und einem untergeordneten Begriff

3) Suche nach möglichen Subkategorien der untergeordneten Begrifflichkeiten

4) Die Suche nach möglichen größeren, inklusiveren Bereichen, die den Bereich den man analysiert inkludieren

5) Konstruktion einer vorläufigen Taxonomie

6) Die Formulierung struktureller Fragen, um die taxonomischen Beziehungen zu verifizieren und neue Begrifflichkeiten zu eruieren

7) durchführen zusätzlicher struktureller Interviews

8) Konstruktion der vollständigen Taxonomie

Als Beispiel einer solchen Analyse kann man fragen welche Teile eines Bootes zum Thunfischfischen unterschieden werden und wie diese Unterscheidungen hierarchisch organisiert sind:

ad 1) Der Bereich einer taxonomischen Analyse sind die Teile eines Boot zum Tunfischfischen.

ad 2) Das Deck ist ein Teil des Bootes. "ist Teil des" ist die zentrale semantische Beziehung. Was sind alternative Subkategorien? Das heißt, was ist neben dem Deck noch Teil des Bootes? Zum Beispiel der Mast, der Maschinenraum, der Schraubentunnel (shaft alley, das ist jener Teil der vom Maschinenraum zum Vorsteven, einer Verlängerung des Rumpfes reicht, der die Antriebswelle beinhaltet).

ad 3) Was sind Subkategorien jener Kategorien, die Teil des Bootes sind?

ad 4) Was sind übergeordnete Kategorien des Tunfischbootes? Ist ein Tunfischboot Teil einer übergeordneten Kategorie von Booten?

etc...

Am Ende könnte man zu folgender Taxonomie dieses Bootes kommen:

Tabelle: Taxonomie eines Tunfischbootes (aus Spradley 1979: 139)


Verweise:
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Primaten#Systematik_und_Stammesgeschichte

Anmerkung: die Tabelle stammt ursprünglich von einer mittlweile defekten Seite (http://www.tierseiten.com/affen/affensystematik.html), weswegen hier alternativ auf Wikipedia verwiesen wird.



2.7.3.3 Typologie

Typologien und die von diesen unterschiedenen einzelnen Typen ordnen eine Vielzahl von Erscheinungen in überschaubare Gruppen. Sie ermöglichen es die Gruppen voneinander unterscheidbar zu machen.

Dabei wird eine Menge von Objekten "mit Hilfe von Merkmalen definiert, von denen man weder weiß ob sie hinreichend sind, noch, ob man eine vollständige Klassifikation vornehmen kann." (Friedrichs 1980: 89) Typologien sind ein Vorgriff auf explizite Theoriebildung.

Eine besondere Art der Typologie ist der Idealtypus nach Max Weber. Dabei handelt es sich um theoretische Konstrukte, die gezielt zentrale Aspekte von Phänomenen hervorheben, um diese gedanklich zu ordnen und unterscheiden zu können, auch wenn die Phänomene selbst in der Realität nie bzw. selten in dieser reinen idealtypischen Form auftreten. Bekannte Beispiele für solche idealtypischen Unterscheidungen sind etwa Max Webers Handlungstypen und die darauf aufbauenden idealtypischen Formen von Herrschaft. So unterscheidet Weberzwischen folgenden Handlungstypen:

  • das zweckrationale Handeln auf Basis der Abwägung von Mittel, Zweck und Folgen;
  • das wertrationale Handeln auf Basis des Glaubens an den Eigenwert einer bestimmten Art und Weise zu Handeln;
  • das traditionelle Handeln auf Basis eingelebter Gewohnheit;
  • Das affektuelle Handeln auf Basis von Gefühlslagen und Affekten;


oder aber in Bezug auf die Typen legitimer Herrschaft[1], die rationale (bürokratische), die traditionelle und die charismatische Herrschaft.


Verweise:
[1] http://www.uni-muenster.de/FNZ-Online/theorien/modernisierung/quellen/weber.htm

2.7.4 Hypothesen

Der Satz "Je mehr Studierende arbeiten müssen, um sich das Studium zu finanzieren, desto länger ist die Studiendauer." ist eine typische Hypothese.

Wodurch zeichnet sich eine Hypothese aus?

  • Eine Hypothese ist ein mit Begriffen formulierter Satz.
  • Sie ist eine Aussage, keine Frage, kein Befehl;
  • Eine solche Aussage enthält mindestens zwei semantisch relevante Begriffe.
  • Die Aussage ist nicht tautologisch. Ein Begriff darf den anderen weder völlig noch teilweise abdecken. (Im Gegensatz zu einer Definition [1])
  • Diese Begriffe sind durch einen logischen Operator (wenn - dann) verbunden.
  • Die Aussage ist widerspruchsfrei.
  • Die empirischen Geltungsbedingungen sind aufgezählt.
  • Die Begriffe sind auf Wirklichkeitsphänomene hin operationalisierbar.
  • Die Aussage ist falsifizierbar [2]. (siehe Atteslander 2000: 45f)

Was sind in der angeführten Hypothese die semantisch relevanten Begriffe? Studierende, arbeiten, Studiendauer

Der logische Operator ist je mehr - desto länger.

Die empirischen Geltungsbedingungen sind in dieser Hypothese aufgezählt. Sie gilt für Studierende, die sich durch Arbeit (zumindest teilweise) das Studium finanzieren müssen.

Dass die Begriffe auf Wirklichkeitsphänomene hin operationalisierbar sind, bedeutet, dass für jeden der Begriffe angegeben werden kann, wer bzw. was darunter fällt und wie dies gemessen werden kann. So muss z.B. festgelegt werden, was im Zuge der Untersuchung unter den Begriff "Studierende/r" verstanden wird. Handelt es sich dabei um Studierende an öffentlichen/privaten Universitäten, an Fachhochschulen, an Akademien etc.? Wo? In Österreich, in Wien, an bestimmten Bildungseinrichtungen etc. oder handelt es sich nur um Studierende bestimmter ausgewählter Studienrichtungen etc.?

Da im Zuge von Forschungsprojekten nicht alle aktuellen, vergangenen und zukünftigen Studierenden untersucht werden können, lässt sich eine solche Hypothese nicht bestätigen bzw. verifizieren. Dafür wäre die Kenntnis aller Fälle notwendig. Deshalb sollten nach Popper [3] Hypothesen falsifizierbar sein, d.h. durch neue empirische Erkenntnisse widerlegbar sein.


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 2.7.1
[2] Siehe Kapitel 2.2.1
[3] Siehe Kapitel 2.2.1


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