Einige wissenschaftstheoretische Grundlagen der empirischen Sozialforschung/Theorien

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2.6 Arten von Theorien

Verfasst von Ernst Halbmayer

Eine Theorie ist eine Menge logisch miteinander verknüpfter Aussagen, die einen bestimmten Ausschnitt der Welt erklären.

Diesen Aussagen liegen immer auch nicht weiter hinterfragte Axiome zugrunde, die bei wissenschaftlichen Theorien auf deren wissenschaftstheoretische Positionen verweisen. Deshalb ist es möglich auf einer allgemeinen Ebene zwischen z.B. positivistischen und idealistischen, materialistischen oder phänomenologischen, essentialistischen oder konstruktivistischen Theorien zu unterscheiden.

In Bezug auf konkrete Forschungsvorhaben können etablierte Theorien einen Ausgangspunkt darstellen, von dem aus Hypothesen abgeleitet und Erhebungsinstrumente für die Überprüfung derselben entwickelt werden. Neben dieser theorieprüfenden Vorgangsweise kann es aber auch das Ziel insbesondere qualitativer Forschungsvorhaben sein, Theorien und Hypothesen aus den empirischen Daten zu entwickeln (siehe z.B. Grounded Theory[1). Theorien als logisch miteinander verknüpfte Aussagen können auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus angesiedelt sein. Rene König (1973) hat z.B. folgende Arten von Theorien nach aufsteigendem Abstraktionsgrad unterschieden:

Abbildung: Abstraktionsgrad von Theorien (aus Atteslander, Peter 2000: 37)
  • Beobachtung empirischer Regelmäßigkeiten:

Die bloße Beobachtung empirischer Regelmäßigkeiten beschränkt sich zumeist auf die rein deskriptive Feststellung von Erscheinungen, die noch keine theoretische Erklärung über deren Entstehung beinhalten.

  • Entwicklung von ad-hoc Theorien:

Diese erlauben räumlich und zeitlich beschränkte Aussagen über bestimmte Phänomene, ohne daraus Erkenntnisse allgemeinerer Art abzuleiten.

  • Theorien mittlerer Reichweite:

Der Begriff Theorien mittlerer Reichweite stammt von Robert Merton[2] und bezieht sich auf klar abgegrenzte Aspekte der sozialen Realität. Diese Theorien gelten nicht für alle Gesellschaften und für alle Bereiche einer Gesellschaft, sondern beanspruchen Gültigkeit für ausgewählte Bereiche sozialer Realität. Dabei handelt es sich um die innerhalb der Sozialwissenschaften am häufigsten verwendeten und angestrebten Theorien.

  • Theorien höherer Komplexität:

Bei Theorien höherer Komplexität handelt es sich um allgemeine Aussagen, die in der Praxis aber aufgrund ihres Abstraktionsniveaus zumeist schwer oder kaum Gegenstand empirischer Forschung und Überprüfung sein können.

Nicht jede Theorie, die einen bestimmten Ausschnitt der Welt erklärt, beruht auf der systematischen empirischen Beobachtung von Regelmäßigkeiten und/oder auf der logischen Widerspruchsfreiheit ihrer Aussagen. Dennoch kann es sich dabei um eine Menge von Aussagen handeln, die einen bestimmten Ausschnitt der Welt erklären auf empirischen Erfahrungen beruhen und alltagsweltliche Orientierungshilfen und Erklärungen zur Verfügung stellen. In diesem Fall sprechen wir von mehr oder weniger elaborierten Alltagstheorien. Diese können innerhalb der Kultur- und Sozialanthropologie zum Gegenstand der Untersuchung werden und bieten einen zentralen Zugang zu lokalen Weltbildern, Normen und Moralvorstellungen. Die Untersuchung von Alltagstheorien kann aber auch Stereotype und Vorurteile gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen deutlich machen.


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 5.2.3.5.3.3.1 der Lernunterlage Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie
[2] Siehe Kapitel 2.1.3.1.3 der Lernunterlage Einführung in die Organisations- und Betriebsanthropologie


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