Organisations- und Betriebsanthropologie - Annäherungen und Abgrenzungen/Anwendungsorientierung

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Vorheriges Kapitel: 1.1 Womit beschäftigt sich die Organisations- und Betriebsanthropologie?

1.2 Anwendungsorientierung der Organisations- und Betriebsanthropologie

Verfasst von Gerlinde Schein und Gertraud Seiser

Durch die Geschichte der Organisations- und Betriebsanthropologie ziehen sich sowohl anwendungsorientierte, teils "management-zentrische", als auch (gesellschafts-) kritische Forschungen. Marietta L. Baba kommentiert die Entwicklung:

During much of the 20th century, anthropologists were more or less partisans in the continuing struggle between these two classes of employees [management and workers] that coexist in business organizations. In Warner’s era, anthropologists were management centric in their views, following Mayo’s influence; Marxists held sway in the years between 1960 and 1980. [...] [A]nthropologists are no longer so polarized. [...] Thus, rather than focusing either on workers or managers and ignoring or caricaturing the other, anthropologists have tended to talk to both groups and include their voices in published work. (Baba 2006: 107)

In ihren Darstellungen der Geschichte und Entwicklungen der Organisationsanthropologie heben Ann T. Jordan (2003) und Marietta L. Baba (2006) eher die Anwendungs- und Problemlösungsorientierung, June Nash (1998) die gesellschaftskritische und politische Relevanz organisationsanthropologischer Forschung hervor. Alberto Corsín Jiménez spricht von Kritik als Aufgabe der Anthropologie und verortet die Debatten der Organisationsanthropologie innerhalb der großen Debatten der Gesamtdisziplin (2007: xxiv ff).

Die Anwendungsorientierung der US-amerikanischen Business Anthropology hängt mit der großen Anzahl von Anthropologie-AbsolventInnen zusammen. Seit 1946 haben 13.000 AnthropologInnen ihr Studium mit einem Ph.D. und 35.000 mit einem M.A. abgeschlossen (Baba 1994; Zahlen bis 2003 hochgerechnet). Die AbsolventInnenzahlen übersteigen seit 1970 auch in den USA die Anzahl der offenen Forschungs- und Lehrstellen an Universitäten und wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen (Baba 2006: 98). Der Einstieg in fachnahe Berufsfelder bzw. die Laufbahn als "practicing anthropologist" als Alternative zur akademischen Karriere liegt demnach nahe.

Marietta Baba berichtet von etwa 100 AnthropologInnen, die 1990 in den USA als "full time business practitioners" tätig waren (2006: 98). Aktuelle, verlässliche Zahlen liegen nicht vor. Ann T. Jordan bezieht sich auf einen Zeitungsartikel (Weise 1999) und meint, geschätzte 2.000 AnthropologInnen seien im Bereich der Business Anthropology aktiv (Jordan 2003: 2). Der Tätigkeitsbereich der praktizierenden Business Anthropologists ist vielfältig: Manche sind als ForscherInnen in großen Unternehmen angestellt (z.B. bei GM, IBM, Intel, Microsoft, Motorola, Xerox), andere in Geschäftsbereichen wie z.B. Marketing oder in Marktforschungs- oder Beratungsunternehmen tätig (Baba 2006: 98).

Organisiert sind die angewandten AnthropologInnen in den USA in der Society for Applied Anthropology (SfAA)[1] und der National Association for the Practice of Anthropology (NAPA)[2], in Großbritannien im Netzwerk The ASA Network of Applied Anthropologists (‘Apply’)[3].

Das Spannungsfeld zwischen dem, was sich innerhalb und außerhalb der Universitäten an Themen und Ergebnissen "verkaufen" lässt, ist bis heute nicht geklärt. Innerhalb der Universitäten wird wirtschaftsnahe Forschung oft als unethisch, zu wenig anthropologisch, zu wenig wissenschaftlich abgetan. Aus Sicht jener, die den Spagat zu den Wirtschaftswissenschaften machen oder in der Privatwirtschaft arbeiten, kommen dazu oft sehr sarkastische Kommentare:

Social anthropologists face a problem that there is nothing for them to do to earn a living but teach other people to be social anthropologists. This is not healthy. This problem seems to have arisen in large part because of the enduring primitivism of the subject. The smaller, the more exotic and the more materially empoverished the people of your study, the more prestigious was your work in academic circles; that was your reward. The punishment was that nobody outside academia cared: you had no knowledge to sell for which there was a large consumer demand. (Chapman 2001: 32)

Verweise:
[1] http://www.sfaa.net/
[2] http://www.practicinganthropology.org/
[3] https://www.theasa.org/networks/apply.phtml

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