Transformationen in afrikanischen Religionen/ATR
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5.1 Afrikanische Traditionelle Religionen (ATR)
verfasst von Manfred Kremser und Veronica Futterknecht
Die ethnischen Religionen Afrikas werden vor allem in der englischsprachigen Welt mit dem Dachbegriff "African Traditional Religion" (ATR) bezeichnet. Sie umfassen eine Vielzahl von religiösen Traditionen, die es in den verschiedensten Ausprägungen im Sub-Saharischen Afrika gibt.
Unter ihnen sind wohl die westafrikanischen Religionen der Yorùbá und der Fõ am bekanntesten geworden, da sie viele neue Religionen in Afroamerika hervorbrachten, die heute auch „Orisha/Vodou -Komplex“ genannt werden.
Dieser Ausdruck „Orisha/Vodou -Komplex“ wurde erst in jüngster Zeit als Überbegriff für die vielen regionalen Ausformungen der afrikanischen und afroamerikanischen Religionen geprägt, deren Ursprung in den Yorùbá -Kulturen Südwest-Nigerias (òrìsà) und Fõ -Kulturen Dahomeys und Togos (vodu) in Westafrika liegt (vgl. Kubik 1996).
Bei den Orishas wie bei den Vodus bzw. Lwas handelt es sich um transzendent/immanente spirituelle Wesenheiten, deren kulturspezifische Konzepte mangels adäquater Entsprechungen nur schwer in westliche Sprachen übersetzt werden können. So wurden sie bislang auf Deutsch meist als Götter bzw. Gottheiten übersetzt.
Über die universelle Dimension der Orisha sagt Ulli Beier (1991) in einem Interview: „Der Òrìsà ist nicht — wie der Heilige der Katholiken — ein Mittler zwischen Gott und den Menschen. Er ist Teil Gottes, ein Aspekt Gottes ... Die Yorùbá beherzigen die Tatsache, dass die Menschen vom Wesen her individuell verschieden sind und folglich jeder wieder auf andere Aspekte des göttlichen Wesens anspricht. Jeder soll den Òrìsà verehren, der zu seiner eigenen Persönlichkeit passt. Der Òrìsà ist dem Jung’schen Archetyp vergleichbar; die Anbetung des richtigen Òrìsà verhilft dem Gläubigen zur Definition und Stärkung der eigenen Identität. Sehr komplexe Persönlichkeiten können mehr als einem Òrìsà verbunden sein. Diese Grundauffassung geht einher mit großer Toleranz gegenüber dem Glauben anderer, auch außerhalb der Yorùbá -Religion. Sowohl der christliche als auch der moslemische Gott waren beide ursprünglich als weitere Òrìsà willkommen, als neu entdeckte Aspekte Gottes.“
Nach der Auslegung von Susanne Wenger (jener österreichischen Künstlerin, die in den 1950er Jahren die Initiative zur Renovierung der Heiligen Haine von Oshogbo/Nigeria ergriff und selbst in die Òrìsà -Religion der Yorùbá initiiert wurde) sind Òrìsà „exzessiv individualisierte sakral zielgerichtete Potentiale von elementar spirituell befruchtenden Kräften,,Götter‘, die wir aus innerer Schau der Sinne kennen und begegnen ... Die ,Götter‘ leben. Auch sie sind den Dimensionen der Zeit unterworfen, dem,Formgefühl‘ der Ära des Erkennenden entsprechend. Die spirituellen Räume des inspirierten Bewußtseins sind geprägt durch ,Modernität‘ — heilige und profane. Da das Sein der,Götter‘ Elementar-Wahrheit- Form-Individuation und als solche intensives Leben manifestiert, repräsentieren sie die Wirklichkeit an sich“ (Wenger, in Denk 1995: 18f).
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