Profit-Organisationen - Ausgewählte Studien/Wittel

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Vorheriges Kapitel: 5.4 Wittel 1997 "Belegschaftskultur im Schatten der Firmenideologie"

5.5 Novak (1994) ’’Die Zentrale. Ethnologische Aspekte einer Unternehmenskultur"

Verfasst von Gerlinde Schein und Gertraud Seiser

Andreas Novak war einer der ersten EthnologInnen im deutschsprachigen Raum, der eine Organisation als Forschungsfeld wählte – in seinem Fall ein Einzelhandelsunternehmen in Süddeutschland, dem er das Pseudonym "Funktiona" gibt. Funktiona führt ihr Vertriebsnetz im Franchise-System, d.h. die Verkaufsstellen sind im Unterschied zu einem Filialsystem rechtlich und wirtschaftlich eigenständige Unternehmen, die von selbständigen Franchise-NehmerInnen geführt werden.

Novaks Ziel war es, eine Unternehmensstudie im Sinne einer traditionellen ethnologischen Monographie zu erstellen. Zu diesem Zweck verbrachte er 1991 sieben Monate in der Unternehmenszentrale, in der im Forschungszeitraum etwa 400 Personen beschäftigt waren. Mit teilnehmender Beobachtung und weitgehend offenen Interviews setzte er bewährte ethnographische Forschungsmethoden ein. 1994 legte er schließlich mit der Studie "Die Zentrale" die Ergebnisse seiner Feldforschung vor und dissertierte damit an der Universität Frankfurt am Main.

In seiner Dissertation geht Novak der Frage nach, "wie die Menschen in Gruppen [bei Funktiona] ihr Zusammenleben ordnen" (1994: 185). Als Überbegriff für diese Ordnung nimmt er "Kultur". Novak beschreibt, wie die "kulturellen Manifestationen" bei Funktiona miteinander verschränkt sind und wechselseitig voneinander abhängen, aber auch wie sie in Widerspruch zueinander stehen und wie sie sich verändern.

Literatur:

Novak, Andreas

1994 Die Zentrale. Ethnologische Aspekte einer Unternehmenskultur. Bonn: Holos

Website: Andreas Novak[1]

Verweise:
[1] http://www.andreas-novak.de


Inhalt


5.5.1 Novak (1994): Inhaltliche Gliederung

Die inhaltliche Gliederung der Studie "Die Zentrale" (Novak 1994) erinnert deutlich – ganz im Sinne des Autors – an eine traditionelle ethnologische Monographie.

Das erste Kapitel "Topographie" beleuchtet die Gebäude- und Bürogestaltung und die Sitzordnung bei Besprechungen. Novak bringt die topographischen Aspekte mit dem Führungsverständnis, mit Ideologie, Macht und Kontrolle in Verbindung.

So war es bei Funktiona beispielsweise üblich, dass bei Besprechungen die hierarchisch Höherrangigen eine "hierarchielose" Sitzordnung wählten, d.h. sie saßen meist an der Längsseite von Besprechungstischen. Diese Sitzordnung spiegelte das Führungsverständnis wider, "Hierarchien flach zu halten und Management durch Überzeugung, nicht durch Anordnung, auszuüben" (Novak 1994: 91).

Novak beschreibt jedoch auch, dass – und zwar vor allem bei abteilungsinternen Sitzungen – Führungskräfte in problematischen und krisenhaften Situationen an der Stirnseite Platz nahmen, um ihre Machtposition zu zeigen bzw. zu unterstreichen.

Foto: Sitzungszimmer (© hasensaft, 2005, Lizenz: CC BY-NC-ND Quelle)

Im Kapitel "Mythen und Ideologien" beschreibt und analysiert Novak u.a. die Gründungsgeschichte des Unternehmens Funktiona, d.h. die Erzählungen darüber, wie das Unternehmen gegründet wurde und welche Schwierigkeiten dabei auf welche Weise überwunden wurden. Die Gründungsgeschichte gibt Aufschluss über zentrale Aspekte der Ideologien, die im Unternehmen wirksam sind; sie legitimiert die Ideologien. Bei Funktiona sind dies vor allem "Verzicht auf Machtgehabe, offene und möglichst hierarchiefreie Kommunikation, unbedingte Leistungsideologie, die symbolisiert wird durch die schnörkellose Funktionalität [der Gebäude und Büros] etc." (Novak 1994: 120).

Die Aufbauorganisation von Funktiona beschreibt Novak im Kapitel "Sozialaufbau - Hierarchie - Bürokratie". Novak geht hier zudem der Frage nach der Funktion von Hierarchie und Bürokratie nach.

Im Kapitel "Rituale und Symbole" kritisiert Novak, wie undifferenziert "Ritual" in der Managementsprache verwendet wird. Er plädiert für eine Unterscheidung zwischen Ritual und Habitualisierung. Unter Habitualisierungen sind "wiederkehrende Handlungsmuster [zu verstehen], die miteinander interagierenden Personen die Möglichkeit geben, aufeinander zu reagieren"(Novak 1994: 157; vgl. Berger/Luckmann 1990).

Ritualisiertes Handeln hingegen tritt in Situationen auf, in denen Habitualisierungen nicht mehr ausreichen. Dies können Krisensituationen oder besondere Vorkommnisse sein. Rituale drücken die Ideologie einer Gruppe aus und haben eine hohe symbolische Bedeutung. Sie müssen vollzogen werden und folgen dabei einem festgelegten Handlungsablauf. Novak gibt als ein Beispiel eines Rituals bei Funktiona das Übergangsritual bei der Verleihung der Prokura an.

Das Kapitel "Ethnozentrische Aspekte" befasst sich mit den Beziehungen der Abteilungen untereinander. Novak meint, dass auch in Bezug auf Abteilungen Ethnozentrismus, "die Tendenz einer Gruppe (Ethnie), sich selbst in den Mittelpunkt (Zentrum) des Geschehens zu stellen" (1994: 142) zur Wirkung kommt. So sah sich beinahe jede Abteilung von Funktiona als zentral und damit besonders wichtig für das Unternehmen. Eine Ausnahme bildeten "junge" Abteilungen, die erst gegründet worden waren. Sie definierten sich und ihren Einfluss eher über die Sonderaufgaben, mit denen sie betraut waren.

Um Funktiona zu verstehen, ist es zum Beispiel bedeutsam zu wissen, dass und wie der Einkaufsabteilung die zentrale Stellung und Bedeutung für das Gesamtunternehmen durch den Vertrieb streitig gemacht wurde. Im Zentrum zu stehen war mit Macht verknüpft: der Vertrieb gewann, der Einkauf verlor Einfluss auf Unternehmensentscheidungen.

Im Ausblick seiner Studie plädiert Novak denn auch dafür, in der Organisationsforschung den Blick vor allem auf Abteilungen und deren Beziehungen zueinander zu richten. Nur auf diese Weise könnten ForscherInnen Organisationen – und wie sie sich verändern – verstehen (Novak 1994).


5.5.2 Jordan (2003): Universelle Komponenten von Kultur und Organisationskultur

Die US-amerikanische Anthropologin Ann Jordan erinnert in ihrem Buch "Business Anthropology" (2003) an eine traditionelle Perspektive der Kultur- und Sozialanthropologie: "A traditional view in anthropology is that every human culture includes a set of universal components: subsistence patterns, religion, an economic system, a political system, a language, social structure, and art." (Jordan 2003: 87)

Wird diese Perspektive auf Organisationen umgelegt, können entsprechende universelle Komponenten von Organisationskultur beobachtet werden (siehe Tabelle) (Jordan 2003: 84ff).


Universelle Komponenten von Kultur und Organisationskultur (nach Jordan 2003: 88):

Culture Organizational Culture
Patterns of subsistance Type of technology, division of labor
Religion and magic Values, goals, ceremonies, myths
Economic system Reward system
Political system Organizational structure, leadership behavior, power and politics, conflict management
Language and communication Communication
Social structure Group formation other than formal organizational structure
Art Organizational artifacts: dress, building type, logos


Literatur:

Jordan, Ann T.

2003 Business Anthropology. Prospect Heights: Waveland Press

Website: Ann Jordan[1]

Verweise:
[1] http://anthropology.unt.edu/facultybio-jordan.php

Nächstes Kapitel: 5.6 Ong (1987) "Spirits of Resistance and Capitalist Discipline. Factory Women in Malaysia"


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