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Latest revision as of 09:56, 13 October 2020
5 Neomarxismus
Verfasst von Gertraud Seiser und Elke Mader
Im Zentrum einer Politischen Ökonomie aus marxistischer Perspektive steht das Konzept der Produktionsweise. Daraus ergeben sich einerseits die Fokussierung auf Produktion und andererseits die Betonung der Bedeutung von Geschichte. Die Politische Ökonomie ist Teil einer "'broad Enlightenment metanarrative of progress'" (Robotham 2005: 41). Einzelne Gesellschaften werden in einem breiteren Kontext der sozialen Evolution untersucht.
Außerhalb der kommunistischen Länder kann bis in die 1960er Jahre nicht von einer marxistischen Anthropologie gesprochen werden. Haupthindernis war das Wissen, dass das Evolutionsschema, das Marx und Engels von Morgan übernommen hatten, falsch ist und niemand in den Geruch kommen wollte, Unsinn zu schreiben. Zudem waren insbesondere in der Zwischenkriegszeit marxistische Ansätze an westlichen Universitäten verpönt (Graeber 2001: 24).
In Frankreich änderte sich dies durch den Philosophen Louis Althusser in den 1960er Jahren. Er plädierte für eine flexiblere Begrifflichkeit rund um das Marx'sche Konzept der Produktionsweisen. Dies wurde von Sozialanthropologen wie Meillassoux[1], Terray[2] und Godelier[3] aufgegriffen und ausgebaut.
Aus dieser marxistischen Perspektive heraus argumentierten sie, dass sowohlFormalisten wie Substantivisten[4]unrecht hätten, da beide den Ausgangspunkt für ökonomisches Handeln im Austausch und der Distribution sehen.
Um eine Gesellschaft zu verstehen, müsse man zu allererst verstehen, wie sie es schafft, über die Zeit hinweg weiter zu bestehen, wie sie sich selbst reproduziert. Wie wird eine Gesellschaft durch verschiedene Arten produktiver Handlungen ständig neu geschaffen, und wie sind die grundlegenden Formen von Ausbeutung und Ungleichheit in den sozialen Verhältnissen verankert, durch die sich die Menschen reproduzieren?
Diese Fragestellungen sind sehr verschieden von funktionalistischen Ansätzen, die viele Formalisten und Substantivisten gemeinsam hatten. Diese gingen von "einer Gesellschaft" aus, und stellten sich dann die Frage, wie diese Gesellschaft zusammen gehalten wird. Geschichte hatte für sie wenig Bedeutung. Marxistische Ansätze, die sich mit Produktionsweisen auseinander setzen, wollen immer auch die Geschichte der Produktionsweisen, wie sich bestimmte Formen von Ausbeutung und Herrschaft entwickelt haben, nachzeichnen (vgl. Graeber 2001: 24; Robotham 2005).
In den USA gingen insbesondere Schüler des Neoevolutionisten und Kulturökologen Julian Steward (link) der Frage nach der Geschichte nicht-industrieller Produktionsweisen nach. Anthropologen wie Eric Wolf[5] oder Sidney Mintz[6] stellten dabei die Verflechtungen der kapitalistischen mit nicht-kapitalistischen Produktionsweisen in den Vordergrund.
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 5.2.1
[2] Siehe Kapitel 5.2.3
[3] Siehe Kapitel 5.2.2
[4] Siehe Kapitel 3.3
[5] Siehe Kapitel 5.3.1
[6] Siehe Kapitel 5.3.2
Inhaltsverzeichnis
- 5.1 Neomarxismus in Frankreich und in den USA: ein Vergleich
- 5.2 Französische VertreterInnen
- 5.3 VertreterInnen in den USA
- 5.3.1 Eric Wolf
- 5.3.1.1 "Die Völker ohne Geschichte" Kulturelle Verflechtungen und Politische Ökonomie
- 5.3.1.1 "Die Völker ohne Geschichte" Kulturelle Verflechtungen und Politische Ökonomie
- 5.3.2 Sidney Mintz
- 5.3.3 Sidney Mintz und Eric Wolf: Verflechtungen, Politische Ökonomie und Konstruktion von Bedeutung
- 5.3.4 Immanuel Wallerstein: Weltsystemtheorie und Dependenz
- 5.3.5 Ökonomische und kulturelle Verflechtungen: Weltsystem, Globalisierung und Diversität
- 5.3.1 Eric Wolf
- 5.4 Bibliographie und weiterführende Literatur
Weitere Kapitel dieser Lernunterlage
1 Vorläufer
2 Marxismus, historischer Materialismus, Evolutionismus
3 Neoklassik oder Rational Choice
4 Institutionalismus und Substantivismus
5 Neomarxismus
Nächstes Kapitel: 5.1 Neomarxismus in Frankreich und in den USA: ein Vergleich