Themenbereiche der KSA/Gender
Vorheriges Kapitel: 3.8 Medienanthropologie
Contents
- 1 3.9 Gender-Anthropologie
3.9 Gender-Anthropologie
verfasst von Elke Mader
Die Gender-Anthropologie ist eine relativ junge Forschungsrichtung, wenngleich etliche ihrer Fragestellungen in klassischen Themenfeldern der Kultur- und Sozialanthropologie[1] verwurzelt sind (z.B. Verwandtschaft, soziale Organisationsformen oder Ökonomische Anthropologie[2]). Sie formierte sich gemeinsam mit den interdisziplinären Gender-Studies seit circa 1970. In der Folge wird eine Reihe von ausgewählten Forschungsfeldern, theoretischen Perspektiven und Konzepten dargelegt.
Inhalt
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 1.1
[2] Siehe Kapitel 3.6
3.9.1 Anthropologie der Frauen
"Die feministische Kritik innerhalb der Sozialanthropologie erwuchs, wie in anderen Sozialwissenschaften, aus der spezifischen Sorge darüber, dass Frauen von der Disziplin nicht genug berücksichtigt werden." (Moore 1993: 88)
Henrietta Moore[1] bezeichnet die "Anthropologie der Frauen" bzw. die "ethnologische Frauenforschung" als Basis der Gender-Anthropologie. Sie markiert den Anfang der Entwicklung dieser Forschungsrichtung und stellt in vieler Hinsicht eine Wissenschaft von Frauen für Frauen dar. Besonders intensiv betrieben wurde sie in den 1970er- und 1980er-Jahren, in der Folge wurden ihre Schwerpunkte durch andere theoretische Ansätze ergänzt bzw. abgelöst (vgl. Hauser-Schäublin und Röttger-Rössler 1998: 11).
Ein Ziel der Frauenforschung ist eine Korrektur der männlichen Sichtweise - des male bias. Dies betrifft zum einen die kritische Auseinandersetzung mit vorliegenden ethnographischen Arbeiten[2] in Bezug auf ihre Aussagen zu und über Frauen. Zum anderen entstand auch die Forderung nach einer "weiblichen Ethnographie", womit eine Konzentration der Forschungstätigkeit von Frauen auf Frauen gemeint ist. Solche Studien können den Aussagen von Männern (Ethnographen und lokalen Gesprächspartnern) entgegengesetzt werden (vgl. Moore 1993: 90).
In diesem Kontext steht etwa das Buch von Carolyn Niethammer[3] Daughters of the Earth. The Lives and Legends of American Indian Woman (1977). Die Autorin verbindet Mythen, historische Prozesse, weibliche Lebenswelten und Lebensgeschichten der Native Americans[4]. Sie zeigt dabei einerseits die enge Verbindung von Weiblichkeit mit Spiritualität und Ritual, andererseits thematisiert sie generell die bislang oft wenig beachtete Welt der Frauen im indigenen Nordamerika.
Verweise:
[1] https://web.archive.org/web/20120309213959/http://www.henriettalmoore.com/
[2] Siehe Kapitel 1.3.1
[3] http://www.cniethammer.com/
[4] http://en.wikipedia.org/wiki/Native_Americans_in_the_United_States
3.9.2 Sex vs. Gender
Die Unterscheidung zwischen sex, dem biologischen Geschlecht, und gender, dem kulturell/sozial konstruierten Geschlecht beeinflusste nachhaltig die Theoriebildung der Gender-Anthropologie. Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre wiesen verschiedene Studien immer stärker darauf hin, dass Geschlecht keine biologische, sondern primär eine soziale[1] und kulturelle[2] Kategorie ist.
Was Geschlecht, was Mann- und Frau-Sein bedeutet und welcher Art die Beziehungen zwischen den Geschlechtern in verschiedenen Kulturen sind, stellt das Ergebnis kultureller und sozialer Prozesse dar. Das Ziel der Analyse liegt in diesem Zusammenhang darin, den Symbolgehalt, die kulturspezifischen Bedeutungen von Geschlecht aufzudecken. Diese Herangehensweise fasst Geschlecht bzw. Gender als kulturelles Bedeutungssystem auf, das einer symbolischen Analyse und Interpretation unterzogen wird (vgl. Hauser-Schäublin und Röttger-Rössler 1998: 14 f.).
Dieser Forschungsansatz lenkt die Aufmerksamkeit verstärkt auf gender meanings (Bedeutungen und Repräsentationen von Gender), vor allem auf die kulturelle Dimension von Geschlechteridentitäten, Geschlechterideologien und Beziehungen zwischen den Geschlechtern, und beeinflusst eine große Bandbreite von Studien zur Konstruktion und Bedeutung von Geschlecht.
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 1.1.9
[2] Siehe Kapitel 1.1.8
3.9.3 Geschlechtliche Arbeitsteilung
Seit den 1970er-Jahren bilden Fragen nach der genderspezifischen Zuordnung von verschiedenen Tätigkeiten und Handlungsräumen in unterschiedlichen kulturellen und sozialen Kontexten einen wichtigen Bereich der Gender-Anthropologie.
Diese Thematik, die an der Schnittstelle von Arbeit, Gesellschaft und Geschlecht angesiedelt ist, ist eng mit der Ökonomischen Anthropologie[1] und der Untersuchung verschiedener Subsistenzformen[2] verbunden. So zeigt zum Beispiel die Studie von Anja Fischer zu den Imuhar- NomadInnen[3] die Bedeutung von weiblichen und männlichen Handlungsräumen im Kontext der pastoralen Ökonomie in der Sahara (vgl. Fischer 2008).
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.6
[2] Siehe Kapitel 3.5.1
[3] Siehe die Lernunterlage Kel Ahaggar-NomadInnen
3.9.3.1 Geschlechtliche Arbeitsteilung und Cross-Cultural Studies
"A division of labour by the sexes has long been recognized by economists, sociologists, and behavioural scientists as (1) the original and most basic form of economic specialisation and exchange, and as (2) the most fundamental basis of marriage and the family and hence the ultimate source of all forms of kinship organization." (Murdock und Provost 1973: 203)
Frühe Impulse zur Analyse von geschlechtlicher Arbeitsteilung gingen von vergleichenden Studien aus, die generalisierte Schemata der Zuordnung von bestimmten Tätigkeiten zu Männern bzw. Frauen erstellten. Im Mittelpunkt des Interesses stand der Stellenwert der geschlechtlichen Arbeitsteilung für die Gesellschaftsorganisation. George Peter Murdock[1] und Caterina Provost (1973) ordneten die diversen Tätigkeiten und Handlungsfelder fünf Kategorien zu: exklusiv oder vorwiegend männlich, exklusiv oder vorwiegend weiblich und "swing" (wird von Männern oder Frauen oder von Beiden durchgeführt).
Auf der Basis von ethnographischen Datenbanken, den Human Relation Area Files[2], wurden in der Folge vergleichende und generalisierende Untersuchungen angestellt. So charakterisierte Murdock zum Beispiel die geschlechtliche Arbeitsteilung bei Gemeinschaften von Jäger- und SammlerInnen[3] auf Basis von Daten von 175 untersuchten Gesellschaften folgendermaßen:
- Bei 97% ist die Jagd auf die Männer beschränkt, bei den restlichen 3% ist sie hauptsächlich eine männliche Beschäftigung (aber nicht ausschließlich);
- Fischen ist in 93% der Fälle vorwiegend oder hauptsächlich Männerarbeit;
- Der Kampf wird von Männern monopolisiert, zwischen den Gruppen ist Kriegführung selten;
- Sammeln ist Frauenarbeit: bei 60% der Fallbeispiele ist das Sammeln ausschließlich auf die Frauen beschränkt und bei 32% ist Sammeln eine hauptsächlich weibliche Tätigkeit. Frauen betreuen die Kinder und die temporären Wohnstätten und die Vor- und Zubereitung der Nahrung gehört zu ihren Aufgaben. Sie produzieren Körbe, Bekleidung und vereinzelt werden Tongefäße hergestellt. (vgl. Andrej[4] 1998).
Verweise:
[1] http://en.wikipedia.org/wiki/George_Murdock
[2] https://hraf.yale.edu/
[3] Siehe Kapitel 3.5.1
[4] https://web.archive.org/web/20130703104639/http://elaine.ihs.ac.at/~isa/diplom/node12.html
3.9.3.2 Geschlechtliche Arbeitsteilung, Mythen und Rituale
Die genderspezifische Zuordnung von Arbeiten und Handlungsräumen ist Teil einer größeren gesellschaftlichen Gender-Ordnung und steht in Zusammenhang mit Status und Macht[1] sowie mit Religion und Weltbild[2].
So wird die geschlechtliche Arbeitsteilung häufig in Mythen[3] festgeschrieben, dabei werden auch Werte und Normen für die Arbeitsbereiche von Frauen und Männern dargelegt. Über eine Reflexion der Arbeitspraxis hinaus erzählen die Mythen oft von der Genese von geschlechtsspezifischen Kenntnissen (skills). Hier wird eine enge Verbindung zwischen diversen Handlungsfeldern, Gottheiten, spirituellen Kräften und Gender etabliert, die auf performativer Ebene in Ritualen[4] ihren Ausdruck findet (vgl. z.B. Puchegger-Ebner 2001 für die Tarahumara in Mexiko oder Mader 2008 für die Shuar in Ecuador).
Verweise:
[1] http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-1208.html
[2] Siehe Kapitel 3.1.4
[3] Siehe Kapitel 3.7
[4] http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-1365.html
3.9.4 Gender und Macht
In den 1970er-Jahren bildete die These von der universalen Dominanz des männlichen Geschlechts ein Leitthema der Gender-Anthropologie. Im Mittelpunkt vieler Untersuchungen standen universale Determinanten für die Geschlechter-Asymmetrie: Zur Diskussion stand die Frage, ob bzw. warum Frauen in allen Gesellschaften Männern untergeordnet sind.
Viele Studien suchten kulturvergleichend nach Kriterien für eine universale Geschlechter-Asymmetrie: Dabei wurden folgende strukturelle Gegebenheiten hervorgehoben:
- die produktive und reproduktive Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern
- eine stärkere Zuordnung der Frau zur Natur[1], des Mannes zur Kultur[2]
- die Zuordnung von Frauen zur häuslichen/privaten Sphäre, des Mannes zum politischen/öffentlichen Raum
Generelle Fragen nach Frauenmacht oder Männerherrschaft in einer Gesellschaft oder als universelle Kategorien werden mittlerweile nicht mehr gestellt. Vielmehr geht es zumeist um die Verortung von Machtfeldern von Männern und Frauen in einem kulturellen, sozialen und politischen Gefüge und um ihre komplexen Beziehungen zu anderen Gender-Fragen, etwa nach den Verflechtungen von Race, Class, Gender, nach pluralen Identitäten, spirituellen Kräften oder Konzeptionen von Körper und Geschlecht.
Diese Forschungsrichtung basiert unter anderem auf Arbeiten von Eleanor Leacock[3]. Sie analysierte zum Beispiel die Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen bei geschlechtsegalitären indianischen Gemeinschaften in Kanada (Naskapi) und ihre Veränderungen im Zuge des Kolonialismus[4]. Sie zeigt, dass hier Macht generell nicht auf eine zentrale Instanz - zum Beispiel einen Häuptling - konzentriert, sondern vielmehr auf mehrere Felder und Personen, auf Männer wie auch Frauen verteilt war (multifokale Macht).
Ilse Lenz[5] und Ute Luig[6] (1990) erweiterten diesen Ansatz und sprechen von geschlechtsspezifischen Machtfeldern. Solche Machtfelder gehen oft Hand in Hand mit Handlungsräumen, strukturellen Positionen im sozialen und politischen Gefüge oder strukturellen Positionen in Weltbild[7] und Ritual[8]. Auf diesen Machtkonzeptionen aufbauend prägte Lenz und Luig (1990) auch den Begriff der Geschlechtersymmetrie (vgl. auch Grubner u.a. 2003).
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.5
[2] Siehe Kapitel 1.1.4
[3] https://web.archive.org/web/20120731053943/http://www.indiana.edu/~wanthro/theory_pages/Leacock.htm
[4] Siehe Kapitel 3.3
[5] http://www.sowi.rub.de/lenz/profil.html.de
[6] https://web.archive.org/web/20151103074908/http://www.polsoz.fu-berlin.de/ethnologie/personenliste/luig/index.html
[7] Siehe Kapitel 3.1.4
[8] Siehe Kapitel 3.2
3.9.4.1 Komplementarität
Geschlechterbeziehungen werden häufig mit Begriffen assoziiert, die mit grundlegenden Prinzipien der sozialen Organisation verbunden sind (vgl. Grubner u.a. 2003). Dazu zählt die Komplementarität, die sich wechselseitig ausschließende aber einander ergänzende Aufgaben und Wirkungsfelder von Männern und Frauen bezeichnet. Komplementarität prägt in vielen Gemeinschaften das ökonomische Handeln und basiert auf einer komplexen geschlechtlichen Arbeitsteilung, zum Beispiel bei indigenen Kulturen in den Anden[1].
Komplementarität impliziert nicht automatisch eine Geschlechter-Egalität oder eine ausgewogene Bewertung von männlichen bzw. weiblichen Tätigkeitsbereichen; sie kann auch mit Hierarchie und asymmetrischen Geschlechter-Beziehungen einhergehen. In jüngerer Zeit gewinnt der Begriff der "Geschlechter-Parallelität" an Bedeutung, der getrennte, parallele Handlungsfelder bezeichnet.
Verweise:
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Anden
3.9.5 Gender und Differenz
Im Rahmen der Gender-Anthropologie nimmt die Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen von Differenz(en) seit den 1980er-Jahren immer größeren Raum ein. Der Differenz-Ansatz besagt grundsätzlich, dass Gemeinsamkeiten und Unterschiede bzw. Verschiedenheiten nicht nur zwischen den Geschlechtern bestehen, sondern auch innerhalb von Geschlechtergruppen. Henrietta Moore fordert in diesem Sinne, Differenzen nicht ausschließlich zwischen Kategorien (differences between), sondern auch innerhalb von Kategorien (differences within) zu untersuchen (vgl. Moore 1993).
In wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht steht der Differenz-Ansatz generell in Zusammenhang mit dem Aufbrechen von Einheiten und Verallgemeinerungen und dem Abschied von homogenisierenden Theorien. Er richtet sich dementsprechend gegen verschiedene universale Modelle von Geschlechterbeziehungen, etwa gegen die These einer universellen Unterordnung der Frau.
Die Beschäftigung mit verschiedenen Formen von Differenz(en) - etwa aufgrund von Lebenszyklus, sozialem Status, ökonomischen Ressourcen oder Zugehörigkeiten zu beruflichen oder ethnischen Gruppen - erlaubt zum Beispiel ein Verständnis der konkreten Vielfalt von Geschlechteridentitäten. Jeder Mensch verfügt über unterschiedliche Identitäten, die sich im Lauf des Lebens eines Individuums formieren, die es aber auch gleichzeitig in sich vereinigt. Als Kind, unverheiratetes Mädchen, Schwester, junge oder alte Mutter nimmt eine Frau im Lauf ihres Lebens verschiedene Geschlechterrollen ein. Solche Identitäten sind nicht starr oder unveränderlich, sondern werden mit der Zeit modifiziert (vgl. Arbeitsgruppe Ethnologie Wien 1989: 18 f., Hauser-Schäublin und Röttger-Rössler 1998: 17).
Brigitta Hauser-Schäublin[1] und Birgitt Röttger-Rössler[2] (1998: 18) sprechen von drei Dimensionen von Differenz: zwischen den Geschlechtern, innerhalb der Geschlechter sowie innerhalb von Individuen. Der Differenz-Ansatz wurde im Rahmen der Gender-Anthropologie auf verschiedene Themenfelder angewandt; dazu zählen unter anderem Differenzen zwischen Männern und/oder Frauen, die unterschiedlichen sozialen, ökonomischen und kulturellen Gruppen angehören.
Verweise:
[1] http://www.uni-goettingen.de/de/forschungsschwerpunkte/29495.html
[2] https://web.archive.org/web/20150803071755/http://www.polsoz.fu-berlin.de/ethnologie/personenliste/roettger-roessler/index.html
3.9.5.1 Intersektionalität
Im Mittelpunkt dieser Forschungsrichtung stehen "Überkreuzungen" (Intersektionen) - ein Ansatz, der Fragen nach Differenzen und multipIen Identitäten mit Fragen nach Machtverhältnissen[1] verbindet: Letztere betreffen sowohl die Geschlechterbeziehungen als auch diverse sonstige Formen von Macht in sozialen und politischen Gefügen.
Intersektionale Studien beschäftigen sich mit Verflechtungen von verschiedenen Ebenen von Ungleichheit: Dabei kommt dem Race, Class, Gender-Ansatz besondere Bedeutung zu. Dieses Konzept reflektierte zu Beginn vor allem die Perspektiven der "farbigen Frauen" (women of color) in den USA, und wurde in der Folge auf unterschiedliche kulturelle, historische und politische Verhältnisse angewandt.
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.9.4
3.9.6 "Doing Gender" und Gender Performance
"Gender is more what we do than what we are." (Judith Butler)
Im Sinne von Judith Butler[1] ist "...Geschlechtszugehörigkeit keineswegs stabile Identität eines Handlungsortes, von dem dann verschiedene Akte ausgehen; vielmehr ist sie eine Identität, die stets zerbrechlich in der Zeit konstituiert ist - eine Identität, die durch eine stilisierte Wiederholung von Akten zustande kommt. ... Zudem wird die Geschlechtszugehörigkeit durch Stilisierung des Körpers instituiert und ist also als die sachliche Art und Weise zu verstehen, in der verschiedenartige körperliche Gesten; Bewegungen, Inszenierungen die Illusion eines beständigen, geschlechtlich bestimmten Sein erzeugen." (Butler 2002)
Verweise:
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Judith_Butler
3.9.7 Gender in Mythen und Kino
Die Konstruktion von Männlichkeit und/oder Weiblichkeit, die Begründung sozialer und moralischer Normen für Männer und Frauen sowie ihre Liebesgeschichten und Machtverhältnisse[1] durchziehen alle Erzähltraditionen. Mythen und Spielfilme[2] beinhalten auf verschiedenen Ebenen signifikante Aussagen über Geschlechterbeziehungen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit solchen Themen liegt an der Schnittstelle zwischen der Anthropologie der Mythen[3], der Visuellen Anthropologie, der Filmwissenschaft und der Gender-Forschung.
Spielfilme können u.a. im Sinne der Konstruktion von Gender sowie als eine Form von "Doing Gender"[4] analysiert werden. Dabei kommt Stars als Ikonen von Männlichkeit oder Weiblichkeit besondere Bedeutung zu.
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.9.4
[2] Siehe Kapitel 3.7.2
[3] Siehe Kapitel 3.7
[4] Siehe Kapitel 3.9.6
3.9.7.1 Gender Images
"...if gender is a social construction then constructions of gender in film are not absolute and therefore are far more complex." (Nelmes 2003: 264)
Bilder bzw. Repräsentationen von Gender sind durchwegs mit anderen Elementen von (kulturspezifischen) Bedeutungssystemen verflochten. Sie stellen keine einheitlichen Vorstellungsbilder dar, sondern bringen verschiedene und oft auch widersprüchliche Bedeutungen und Bewertungen zum Ausdruck. Sie verweisen auf die Vieldeutigkeit (Polysemie) von Texten/Bildern/Filmen und unterliegen darüber hinaus verschiedenen Interpretationen/Leseweisen durch die LeserInnen oder BetrachterInnen.
Mythen und Spielfilme[1] skizzieren oft Entwürfe für geschlechtsspezifische Lebenswege und Lebenswelten, bilden das Verhältnis zwischen Männern und Frauen im Alltag jedoch keineswegs immer direkt ab. Vielmehr erzählen sie auch von einer verkehrten Welt, in der die normale (Geschlechter-)Ordnung auf dem Kopf steht oder überschreiten Grenzen und Regeln. In anderen Fällen bestärken Mythen oder Filme Geschlechterrollen und/oder Machtfelder.
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.7.2
3.9.7.2 Mythen, Liebe und Sexualität
Viele Ursprungsmythen berichten nicht nur von der Entstehung bzw. Erschaffung der Welt, sondern handeln auch vom Wirken von Gottheiten im Rahmen von gendered cosmologies: Darunter versteht man Weltbilder[1] bzw. Kosmologien, die bestimmte Gender-Verhältnisse festschreiben oder repräsentieren; sie sind durch enge Verflechtungen von Geschlecht, Landschaft[2] und Spiritualität gekennzeichnet.
Ursprungsmythen erzählen oft auch von der Genese von Sexualität (zum Beispiel bei Adam und Eva im Paradies) und vermitteln eine Reihe von Regeln, wie Beziehungen zwischen den Geschlechtern zu gestalten sind.
Die Liebe zwischen göttlichen bzw. mythischen Gestalten bildet oft das Vorbild für Konzepte von Liebe und Ehe im Alltagsleben der Gegenwart. Bekannte Beispiele hierfür sind im europäischen kulturellen Gefüge die mittelalterlichen Rittersagen oder im asiatischen Kontext die indischen Götter- und Heldenepen. So bildet etwa im Rāmāyana[3] die Beziehung zwischen Sita und Rama ein Modell für Liebesbeziehungen, auf das sowohl im Alltag als auch in verschiedenen Bereichen der zeitgenössischen Populärkultur - etwa im Kino - immer wieder Bezug genommen wird.
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.1.4
[2] Siehe Kapitel 3.5.9.1
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Ramayana
3.9.8 Literatur
Andrej, Isabella 1998: Matrilineare Gesellschaften.[1] Eine Untersuchung aus ethnologischer und historischer Sicht. Diplomarbeit. Universität Wien. [Zugriff: 19.04.2013]
Butler, Judith 2002: Performative Akte und Geschlechterkonstitution. In: Uwe Wirth (Hg.): Performanz: Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt/M.: Suhrkamp 301-320.
Fischer, Anja 2008: Nomaden der Sahara. Handeln in Extremen. Berlin: Reimer Verlag.
Grubner, Bärbel et al 2003: Einleitung. Egalität, Komplementarität, Parallelität und Hierarchie: Neues aus der Geschlechterforschung Lateinamerikas. In: Zuckerhut, Patricia, Bärbel Grubner und Eva Kalny (Hg.): Pop-Korn und Blut-Manio. Lokale und wissenschaftliche Imaginationen der Geschlechterbeziehungen in Lateinamerika. Frankfurt/M. u.a.: Peter Lang: 11-49.
Hauser-Schäublin, Brigitta und Birgitt Röttger-Rössler (Hg.) 1998: Differenz und Geschlecht. Neue Ansätze in der ethnologischen Forschung. Berlin: Reimer.
Kraus, Florian 2007: Männerbilder im Bollywood-Film: Konstruktionen von Männlichkeit im Hindi-Kino. Berlin: wvb Wissenschaftlicher Verlag.
Leacock, Eleanor 1989: Der Status der Frauen in egalitären Gesellschaften: Implikationen für die soziale Evolution. In: Arbeitsgruppe Ethnologie Wien (Hg.): Von fremden Frauen. Frausein und Geschlechterbeziehungen in nichtindustriellen Gesellschaften. Frankfurt/M.: Suhrkamp: 29-67.
Lenz, Ilse und Ute Luig 1990 (Hg.): Frauenmacht ohne Herrschaft. Geschlechterverhältnisse in nicht-patriarchalischen Gesellschaften. Berlin: Orlanda.
Mader, Elke 2008: Anthropologie der Mythen. Wien: WUV/Facultas.
Meigs, Anna 1990: Multiple Gender Ideologies and Statuses. In: Sanday, Peggy R. und R. G. Goodenough (Hg.): Beyond the Second Sex. New Directions in the Anthropology of Gender. Philadelphia: University of Pennsylvania Press: 101-112.
Moore, Henrietta 1993: Feminismus und Anthropologie: Geschichte einer Beziehung. In: Rippl, Gabriele (Hg.): Unbeschreiblich weiblich. Texte zur feministischen Anthropologie. Frankfurt/M.: Fischer: 88-103.
Murdock, George P. und Caterina Provost 1973: Factors in the Division of Labor by Sex: A Cross-Cultural Analysis. In: Ethnology, Vol. 12, No. 2: 203-225.
Niethammer, Carolyn 1977: Daughters of the Earth. The Lives and Legends of American Indian Woman. New York: Collier Books.
Nelmes, Jill 2003: An Introduction to Film Studies. London, New York: Routledge.
Overing, Joanna und Alan Passes (Hg.) 2000: The Anthropology of Love and Anger. The Aesthetics of Conviviality in Native Amazonia. London, New York: Routlegde.
Puchegger-Ebner, Evelyne 2001: Kultische Nutzung von Mais. Die Tesgüinada der Tarahumara und ihre Bedeutung für die soziale Stellung der Frauen. In: Ingruber, Daniela und Martina Kaller-Dietrich (Hg.): Mais. Geschichte und Nutzung einer Kulturpflanze. Frankfurt/M., Wien: Brandes & Apsel/Südwind: 161-182.
Rippl, Gabriele 1993: Feministische Anthropologie - Eine Einleitung. In: dies.(Hg.): Unbeschreiblich weiblich. Texte zur feministischen Anthropologie. Frankfurt/M.: Fischer: 9-26.
Verweise:
[1] https://web.archive.org/web/20130828074832/http://elaine.ihs.ac.at/~isa/diplom/diplom.html
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