Themenbereiche der KSA/Medien

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Vorheriges Kapitel: 3.7 Anthropologie der Mythen

3.8 Medienanthropologie

verfasst von Philipp Budka
Die Medienanthropologie oder Anthropologie der Medien kann zu jenen Forschungszweigen der Kultur- und Sozialanthropologie[1] gezählt werden, die im 21. Jahrhundert massiv an Bedeutung und Relevanz gewonnen haben. Indikator für diesen Aufschwung ist die steigende Zahl an fachrelevanten Publikation (z.B. Bräuchler und Postill 2010), Veranstaltungen, Organisationen, Netzwerken (z.B. www.media-anthropology.net[2]) sowie Studiengängen und - schwerpunkten. (z.B. Masterstudiengang zu Visual and Media Anthropology der FU Berlin[3]).

Motivation für die Kultur- und Sozialanthropologie, sich an den interdisziplinär geführten medientheoretischen Debatten zu beteiligen, scheint einerseits die Ignoranz anderer Disziplinen gegenüber "nicht-westlichen" Medientechnologien und -nutzungsformen zu sein (vgl. Ginsburg et al. 2002). Die in der Kultur- und Sozialanthropologie übliche Einbeziehung einer kulturvergleichenden Perspektive erscheint jedoch sinnvoll, um etwa Fragen nach der Produktion von individueller und kollektiver Identität, der Konstruktion von Gemeinschaften oder der Verschiebung von Machtverhältnissen im Kontext von Medien befriedigend beantworten zu können.

Andererseits ist es einer Sozialwissenschaft wie der Kultur- und Sozialanthropologie im 21. Jahrhundert unmöglich Massenmedien und neue Medien- und Kommunikationstechnologien zu "übersehen". Zu sehr sind diese Medientechnologien mit dem Alltagsleben eines jeden Menschen verknüpft (vgl. Askew 2002). Ob das nun digitale Technologien sind, die Menschen individuell vernetzen und unterschiedliche Arten von Interaktion ermöglichen, oder Massenmedien, die ganze Nationalstaaten informieren und dabei nationale Identitäten beeinflussen.

In der Kultur- und Sozialanthropologie lässt sich die Forschung zu Medientechnologien grundsätzlich als Forschung zu menschlicher Kommunikation[4], die von Technologien mediatisiert wird, verstehen. Diese Mediatisierung - oder Medialisierung - von Kommunikation ist für die Kultur- und Sozialanthropologie besonders hinsichtlich ihrer Einbettung in soziokulturelle und historische Prozesse und Kontexte interessant: "The key questions for the anthropologist are how these technologies operate to mediate human communication, and how such mediation is embedded in broader social and historical processes" (Peterson 2003: 5).

In der Medienanthropologie geht es um die Mediatisierung von Kommunikation in unterschiedlichen soziokulturellen Kontexten und unter spezifischen historischen, politischen und ökonomischen Bedingungen.

Inhalt



Verweise:
[1] Siehe Kapitel 1
[2] https://easaonline.org/networks/media/
[3] http://www.master.fu-berlin.de/visual-anthropology/index.html?p=
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Kommunikation


3.8.1 Medientechnologien aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive

Abbildung: Unterschiedliche Medientechnologien, Ph. Budka

Auch in der Kultur- und Sozialanthropologie werden Versuche unternommen Medien zu definieren und in Kategorien einzuteilen. Diese Arbeitsdefinitionen sollen in erster Linie das wissenschaftliche Arbeiten mit Medientechnologien erleichtern. Grob lassen sich (Massen)Medien in folgende Kategorien einteilen:

1. "traditionelle" Medien, wie beispielsweise Theater;
2. Druckmedien, wie Zeitung und Buch;
3. elektronische Medien, wie TV und Radio, die mittlerweile auch digitale Medien wie Internettechnologien[1] beinhalten (vgl. z.B. Salzman 1996, Dracklé 1999).

Mark A. Peterson[2] (2003) konzipiert eine Typologie von Medien nach deren Eigenschaften. Dabei unterscheidet er:

1. ausstrahlende und sendende Medien, wie TV und Radio;
2. zirkulierende Medien, wie Zeitung und Buch;
3. dargestellte Medien, wie Poster und Plakat;
4. interaktive Medien, wie Internet oder World Wide Web Applikationen und Services.

Grundsätzlich sind Medien Kommunikationsmittel, die es Menschen erlauben auf unterschiedliche Art und Weise miteinander in Kontakt zu treten. Das kann sowohl verbal (sprachlich) oder non-verbal (körpersprachlich) als auch individuell und kollektiv geschehen.

In der Kultur- und Sozialanthropologie werden Medien nicht auf ihre Inhalte oder Botschaften reduziert. Im Versuch ein möglichst ganzheitliches Bild von Medienphänomenen zu erlangen, werden Kontexte und Bedingungen unter denen Medien produziert, verteilt und genutzt werden ebenso analysiert wie die technischen Aspekte von Medien. Medien beinhalten immer auch Technologien, die die Mediatisierung von Kommunikation erst ermöglichen. Es macht also Sinn nicht nur von Medien sondern von Medientechnologien zu sprechen.


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.8.6.4
[2] http://connectedincairo.com/mark-allen-peterson/

3.8.2 Medienethnographie


Wichtigste methodische Herangehensweise, um Medienphänomene zu erfassen, ist für die Medienanthropologie, wie für die Kultur- und Sozialanthropologie im Allgemeinen, die ethnographische Feldforschung[1]. Diese methodische Strategie zur empirischen Datenerhebung passt sich dabei sowohl dem Feld als auch den soziokulturellen Handlungsräumen der Menschen an (vgl. z.B. Kremser 1998, Marcus 1998) und kann sich also nicht allein auf Inhalte und deren Rezeption beschränken. Sie muss auch die physischen und sensorischen Dimensionen von Medientechnologien miteinbeziehen, weil über diese soziale Beziehungen hergestellt werden können.

Mark A. Peterson (2003: 8-9) identifiziert drei wichtige Aspekte in der ethnographischen Forschung zu Medientechnologien, die auch für ethnographische Feldforschung im Allgemeinen gelten:

1. (Medien)Ethnographie[2] beinhaltet eine dichte, kontextualisierte und detaillierte Beschreibung, in der Beobachtungen und Informationen kontinuierlich dokumentiert und reflexiv aufgearbeitet werden.
2. Ethnographische Medienforschung versucht, so genau wie möglich das Alltagsleben von Menschen festzuhalten.
3. Die ständige Anwesenheit des Ethnographen bzw. der Ethnographin im alltäglichen Leben von ForschungspartnerInnen bedeutet ein kontinuierlich reflexives Zusammentreffen zwischen Menschen, das nicht immer konfliktfrei ist. Medienethnographie ist eine sehr intime Forschungsstrategie Daten zu erheben und Wissen zu gewinnen, die Forschende mitten in das private und berufliche Alltagsleben von Menschen platziert.

Faye Ginsburg[3] und KollegInnen (2002: 19) verstehen Medienethnographie als eine Kategorie der Medienforschung, die den textuellen Inhalt von Medientechnologien zugunsten der Analyse der sozialen Kontexte ihrer Rezeption dezentralisiert. Anders ausgedrückt: Medieninhalte treten in einer Medienethnographie in den Hintergrund, während die soziokulturellen Kontexte, in denen Medien(inhalte) produziert und konsumiert werden, in den Vordergrund rücken. Weiters ist es ihrer Ansicht nach notwendig diese Definition um die physikalischen und sensorischen Eigenschaften von Medientechnologien zu erweitern. Es geht in einer Medienethnographie und damit allgemein in einem medienanthropologischen Forschungsprojekt also auch darum die Materialität von Kommunikation zu untersuchen.

Das bedeutet Medien (auch) als Technologien[4] zu begreifen. Über Medientechnologien entwickeln Menschen neue Beziehungen zu Zeit und Raum sowie zu Körper und Wahrnehmung. Und diese Verhältnisse verändern sich aufgrund medientechnologischer Entwicklungen permanent. Die "greifbare" Materialität von Medientechnologien und die damit verbundenen phänomenologischen Erfahrungen sind also wesentlicher Gegenstand medienethnographischer und medienanthropologischer Forschung (vgl. Ginsburg et al. 2002: 21).


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 1.3.1
[2] Siehe Kapitel 2.3 der Lernunterlage Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften
[3] https://web.archive.org/web/20120301033927/http://anthropology.as.nyu.edu/object/fayeginsburg.html
[4] Siehe Kapitel 3.8.5

3.8.3 Historische Entwicklung

Foto: Printmedien, Toronto, Ph. Budka

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts befassten sich einige wenige SozialwissenschafterInnen[1] - zumeist im Rahmen größerer Forschungsprojekte - auch mit Medien und deren gesellschaftlicher und kultureller Relevanz. Dabei versuchten sie Fragen zu beantworten und bedienten sich methodischer Instrumente, die durchaus der Kultur- und Sozialanthropologie[2] zugerechnet werden können (vgl. Peterson 2003).

In der historischen Entwicklung der Medienanthropologie lassen sich zwei Stränge unterscheiden:

1. Frühe medienanthropologische bzw. mediensoziologische Studien, die von SozialwissenschafterInnen durchgeführt wurden, die nicht ausgebildete Kultur- und SozialanthropologInnen waren, sich allerdings kultur- und sozialanthropologischer Fragestellungen und Forschungsmethoden bedienten.
2. Medienethnographische Forschungsprojekte, die von ausgebildeten Kultur- und SozialanthropologInnen durchgeführt wurden und die einerseits Medienphänomene konkret in den Fokus der Forschung stellten und andererseits Medientechnologien zumindest als Teil des ethnographischen Feldes behandelten.


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 2.17 der Lernunterlage Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften
[2] Siehe Kapitel 1.1


3.8.3.1 Frühe medienanthropologische Studien



Zu den frühen medienanthropologischen Studien kann Middletown[1] von Robert und Helen Lynd[2] (1929) gezählt werden. In dieser Arbeit analysieren die beiden AutorInnen unter anderem Massenmedien und Massenkommunikation in einer "typischen" US-amerikanischen Kleinstadt und fragen, welche Funktionen diese für die "Gemeinschaft" erfüllen. Dabei konzentrierten sie sich vor allem auf die Aspekte der Informationsbeschaffung sowie der Freizeitgestaltung. Die Lynds verstanden und untersuchten Medien als "Institutionen" im gesellschaftlichen Kontext. Als Datenerhebungsinstrumente dienten ihnen dabei teilnehmende Beobachtung im Feld und Interviews.

Eine weitere frühe medienanthropologische Studie ist jene von William Lloyd Warner[3], der im Gegensatz zu den Lynds ein ausgebildeter Kultur- und Sozialanthropologe war. Die Ergebnisse seiner Arbeit wurden in insgesamt fünf Büchern zwischen 1941 und 1959 unter dem Titel Yankee City[4] veröffentlicht. Auch hier liegt der Schwerpunkt der Fragestellung auf den Funktionsweisen, die Massenmedien und Massenkommunikation innerhalb einer Gemeinschaft in den USA erfüllen. Warner legte seinen Forschungsfokus allerdings auf Medienkonsumption als "symbolisches Verhalten" in Zusammenhang mit "sozialer Klasse". Er beschäftigte sich also damit, wie sich die Konsumption von Medien zwischen sozialen Klassen unterscheidet. Neben teilnehmender Beobachtung[5] und Interviews griff er methodisch auch auf das Instrumentarium der Inhaltsanalyse[6] zurück.


Verweise:
[1] http://en.wikipedia.org/wiki/Middletown_studies
[2] http://en.wikipedia.org/wiki/Robert_Staughton_Lynd
[3] http://en.wikipedia.org/wiki/W._Lloyd_Warner
[4] http://en.wikipedia.org/wiki/Yankee_City
[5] Siehe Kapitel 1.3.2
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Inhaltsanalyse


3.8.3.2 Frühe medienethnographische Projekte



Die wohl erste ausgebildete Kultur- und Sozialanthropologin, die sich schwerpunktmäßig mit Medien auseinandersetzte, war Hortense Powdermaker[1]. Zwischen 1946 und 1947 forschte sie zur Kulturindustrie Hollywoods. Die Ergebnisse dieser medienethnographischen Feldforschung wurden in dem Buch Hollywood - The Dream Factory[2] (1950) publiziert. Diese Studie ist die erste Ethnographie[3] über die Filmproduktionsindustrie und behandelt diese in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext. Powdermaker geht es in erster Linie um die sozioökonomischen Bedingungen, unter denen Filme damals produziert wurden. Für sie ist die ethnographische Analyse von Medienphänomenen wichtig, um moderne Gesellschaften und vor allem sozialen Wandel zu verstehen.

Kultur- und SozialanthropologInnen setzten sich auch in der sogenannten "culture at a distance" Forschungsrichtung mit Medienphänomen auseinander. Während des Zweiten Weltkrieges in den 1940er Jahren vom Office of Naval Research gegründet, zielte diese "Schule" der Kultur- und Sozialanthropologie vor allem auf ein besseres Verständnis von "nationalen Kulturen" ab. Die systematische Analyse von Medientexten und Medienprodukten sollte helfen die militärischen Feinde der USA besser verstehen zu lernen. Nach dem Krieg wurde dieser Forschungsschwerpunkt als Projekt "Columbia University Research in Contemporary Cultures" weitergeführt: "This project was designed to investigate the cultures of the modern nations with whom we were allied and with whom we were fighting, including Germany, Britain, Russia, France and Japan. Not the least of these was the United States itself." (Beeman[4] 2000)

An diesem Projekt beteiligten sich Kultur- und SozialanthropologInnen, die zu den renommiertesten des Faches zählen und deren Arbeit bis heute einflussreich bleibt: z.B. Ruth Benedict[5], Margaret Mead[6], Gregory Bateson[7] und Eric Wolf[8].


Verweise:
[1] http://en.wikipedia.org/wiki/Hortense_Powdermaker
[2] https://web.archive.org/web/20150514052413/http://astro.temple.edu/~ruby/wava/powder/table.html
[3] Siehe Kapitel 1.3.1
[4] https://web.archive.org/web/20080109082210/http://www.brown.edu/Departments/Anthropology/publications/Mead.htm
[5] http://en.wikipedia.org/wiki/Ruth_Benedict
[6] http://www.interculturalstudies.org/Mead/beeman.html
[7] http://en.wikipedia.org/wiki/Gregory_Bateson
[8] http://en.wikipedia.org/wiki/Eric_Wolf


3.8.3.3 Medienanthropologie und die Sozial- und Kulturwissenschaften



Abgesehen von Ausnahmen, wie der ethnographischen Untersuchung von Hortense Powdermaker zur Filmindustrie in Hollywood in den 1940er Jahren oder den zeitgleichen Filmdokumentanalysen von Margaret Mead[1] und Gregory Bateson, wurden Medien erst ab Ende der 1980er Jahre systematisch von Kultur- und SozialanthropologInnen untersucht (vgl. z.B. Ginsburg et al. 2002). Da dies zumeist im Rahmen eines nicht medienspezifischen Feldforschungkontextes geschah, schrieb Debra Spitulnik[2] noch 1993: "there is yet no "anthropology of mass media"." (Spitulnik 1993: 293)

Warum befasste sich die Kultur- und Sozialanthropologie[3] so lange kaum oder gar nicht mit Medientechnologien? Gründe für das Desinteresse vieler Kultur- und SozialanthropologInnen - besonders an den "Massenmedien" - waren einerseits die Fokussierung des Faches auf "soziokulturell einfache" und "regional abgelegene" Gemeinschaften, die zumeist nicht von modernen Medientechnologien erreicht wurden. Andererseits lässt sich eine allgemeine kulturpessimistische Sichtweise bezüglich Massenmedien und deren Wirkungsweisen feststellen, die lange vor allem in den Sozial- Geistes- und Kulturwissenschaften vorherrschte. Während des Zweiten Weltkrieges wurden etwa von den in die USA emigrierten Vertretern der Frankfurter Schule[4], Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, elektronischen Massenmedien vor allem gefährliche Eigenschaften wie die "Totalisierung" der Gesellschaft und die "Massifizierung" des Individuums zugeschrieben (vgl. Dracklé 1999). Diese Annahmen mündeten letztlich in einen Kulturpessimismus, der sich erst durch den Wechsel des analytischen Fokus von der bloßen Wirkung von Medien auf deren Rezeption abschwächte.

Eine entscheidende Rolle bei diesem Paradigmenwechsel spielten die Cultural Studies[5], die sich in den frühen 1970er Jahren in Großbritannien zu etablieren begannen. Theoretiker wie Karl Marx, Antonio Gramsci und Louis Althusser, die sich mit Macht, dominanten Ideologien und Strukturen befassten, beeinflussten Vertreter der Cultural Studies wie Stuart Hall[6] und David Morley[7] (z.B. 1986) und trugen wesentlich dazu bei, dass Menschen nicht mehr ausschließlich als passive MedienkonsumentInnen gesehen wurden, sondern vielmehr als aktive RezipientInnen, die die Medien und deren Botschaften mit unterschiedlichen Bedeutungen versehen und so auch in der Lage sind "Widerstand gegen dominante Ideologien" zu leisten (Dracklé 1999: 266; vgl. auch Askew 2002). Diese optimistischere Darstellung von sich frei entscheidenden MedienrezipientInnen wurde später vor allem nach Einbeziehung von empirischem Forschungsmaterial dafür kritisiert, dass sie den tatsächlichen Machtverhältnissen zwischen MedienproduzentInnen und -konsumentInnen zu wenig Bedeutung beimessen würde (vgl. z.B. Rojek 2003).

Der Einfluss der "modernen" Cultural Studies auf die Kultur- und Sozialanthropologie resultierte in einer verstärkten Beachtung von Massenmedien bzw. "Populärkulturen" und deren Inhalten als Forschungsfelder (vgl. Dracklé 1999). Die Gründe für das historisch gewachsene Interesse der Kultur- und Sozialanthropologie an Medien können also mit einem Wechsel sowohl des theoretischen als auch des geographischen Fokus innerhalb der Disziplin erklärt werden. Die theoretischen und methodischen Umwälzungen in den 1980er und 1990er Jahren (Postmodernismus und Repräsentationsproblematik) sowie die Verlagerung von ethnographischen Forschungsfeldern von abgelegenen Dorfgemeinschaften in den "Entwicklungsländern" in die urbanen Räume der Industriestaaten, die wesentlich stärker von Massenmedien durchdrungen sind, trugen maßgeblich zur Etablierung einer Medienanthropologie bei (vgl. Ginsburg et al. 2002).


Verweise:
[1] http://en.wikipedia.org/wiki/Margaret_Mead
[2] http://anthropology.emory.edu/home/people/faculty/vidali.html
[3] Siehe Kapitel 1.1
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Frankfurter_Schule
[5] http://en.wikipedia.org/wiki/Cultural_studies
[6] http://en.wikipedia.org/wiki/Stuart_Hall_%28cultural_theorist%29
[7] http://www.gold.ac.uk/media-communications/staff/morley/

3.8.4 Ausgewählte theoretische Konzepte und Zugänge


Die Medienanthropologie ist einerseits eng mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen[1] verwoben und übernimmt von diesen theoretische Konzepte und theoretische Vorgehensweisen (vgl. z.B. Bräuchler und Postill 2010). Andererseits trägt die Kultur- und Sozialanthropologie[2] mit ihren speziellen Konzepten und Methoden selbst zum Verständnis von Medienpraktiken bei (vgl. Rothenbuhler und Coman 2005).

Prominente theoretische Konzepte, die in der Medienanthropologie Verwendung finden, jedoch nicht der Kultur- und Sozialanthropologie entstammen, sind etwa:

1. Benedict Andersons[3] (1983) Konzept der "vorgestellten Gemeinschaft", das das Potential von Massenmedien zur Bildung von imaginierten Vergesellschaftungen - z.B. Nationalstaaten - aufzeigt.
2. Jürgen Habermas (1990 [1962]) theoretischer Abriss zur "Öffentlichkeit" und deren strukturellem Wandel[4].
3. Die Akteur-Netzwerk-Theorie[5], entwickelt unter anderem von Bruno Latour (2005) und John Law, die besonders geeignet scheint, Prozesse in technologisierten "Netzwerkgesellschaften" zu verstehen.

Altgediente Konzepte der Kultur- und Sozialanthropologie werden wiederum auch von MedienwissenschafterInnen, in ihren Versuchen moderne Medienphänomene theoretisch und analytisch fassbar zu machen, verwendet. Zu nennen wären hier etwa:

1. Diverse Theorien zu Ritual[6] und Ritualisierung (z.B. Couldry 2003);
2. Theorien zu Geben[7] und Tauschen (z.B. Bergquist 2003),
3. Überlegungen zur materiellen Kultur[8] (z.B. Horst und Miller 2012);
4. Theorien zur kulturellen, geschlechtlichen und ethnischen Identitätskonstruktion[9] (z.B. Bräuchler 2005);
5. Konzepte zu Vergemeinschaftungs- und Vergesellschaftungsformen[10] (z.B. Mader und Budka 2009).

Ein prominentes Beispiel für die konkrete Verschmelzung von medienanthropologisch-relevanten Theorien liefert Arjun Appadurai[11] (1996). Er verwendet sowohl Andersons "vorgestellte Gemeinschaften", um in seinen theoretischen Konzepten die Bedeutung von Imaginationen für die Bildung von transnationalen Medienlandschaften herauszuarbeiten, als auch Habermas' Verständnis von Öffentlichkeit, um eine "hypothetische Arena" (public culture) zu umreißen, die sich von Unterscheidungen in "erste", "zweite" und "dritte" Welt distanziert und eine "kulturelle Hierarchisierung"ablehnt (Kreff 2003: 130). In dieser public culture spielen Massenmedien wiederum eine bedeutende Rolle.


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.8.3.3
[2] Siehe Kapitel 1
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Benedict_Anderson
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Strukturwandel_der_%C3%96ffentlichkeit
[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Akteur-Netzwerk-Theorie
[6] Siehe Kapitel 3.2.5
[7] Siehe Kapitel 3.6.2.1
[8] Siehe Kapitel 3.8.6.4.1
[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Kulturelle_Identit%C3%A4t
[10] http://de.wikipedia.org/wiki/Vergesellschaftung_%28Soziologie%29
[11] Siehe Kapitel 3.4.6.7


3.8.4.1 Theorie der Praxis



Obwohl es keine einheitliche Theorie der Praxis oder allgemein gültige Definitionen für Handlungstheorien gibt, lassen sich in einem praxistheoretischen Umfeld sehr wohl ähnliche Ansätze feststellen. Hier können Arbeiten, erkenntnistheoretische Ansätze und Forschungsstrategien von einflussreichen Sozial- und Geisteswissenschaftlern wie Pierre Bourdieu[1], Michel Foucault[2], Michel de Certeau[3] oder Anthony Giddens[4] angeführt werden. So erweisen sich Bourdieus Handlungstheorie[5] (Bourdieu 1976), die darauf abzielt zwischen subjektivistischen und objektivistischen Erkenntnistheorien zu vermitteln, sowie die von ihm entwickelten Konzepte als besonders einflussreich; etwa als Strategie, Stellungen und Positionen in einer Sozialhierarchie zu deuten (vgl. Zips und Rest 2010).

Geschichte spielt bei praxistheoretischen Überlegungen eine wichtige Rolle. So betont etwa Sherry Ortner (2006: 9), bezugnehmend auf Marshall Sahlins[6], dass eine Theorie der Praxis immer eine zentrale historische Komponente hat: "A theory of practice is a theory of history". Vergangene Ereignisse und (persönliche) Geschichte sind für Handlungstheorien also von großer Bedeutung. So umschreibt etwa auch Bourdieu den Habitus als "zu Natur gewordene Geschichte", die einen wesentlichen Teil des unbewussten Selbst ausmacht (vgl. z.B. Zips und Rest[7] 2010).


Verweise:
[1] http://en.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu
[2] http://en.wikipedia.org/wiki/Michel_Foucault
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Michel_de_Certeau
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Anthony_Giddens
[5] Siehe Kapitel 2 der Lernunterlage Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Marshall_Sahlins
[7] Siehe Kapitel 2.3.2 der Lernunterlage Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)


3.8.4.1.1 Medientechnologien in einer Theorie der Praxis


Foto: "Wawatay" Redaktion, Sioux Lookout, Ontario, Kanada, Ph. Budka


Betrachtet man Medientechnologien aus Sicht einer Theorie der Praxis, verschiebt sich der analytische Schwerpunkt von Strukturen, Systemen, Individuen oder Interaktionen hin zu Medienpraktiken. Für die Analyse von Medienpraktiken ist wiederum die ethnographische Forschung zentral. Und so lässt sich eine enge Verbindung zwischen kultur- und sozialanthropologischen/ethnographischen Forschungsprojekten und praxistheoretischen Ansätzen erkennen (vgl. Bräuchler und Postill 2010).

Nach John Postill[1] (2010) trägt eine Theorie der Praxis in der Medienforschung vor allem in drei Bereichen zu einem Erkenntnisgewinn bei:

1. Medien im Alltagsleben verstehen: beispielsweise die Bedeutung von Medien für zeitliche Ordnung, Orientierung und Struktur.
2. Medien in Bezug zum menschlichen Körper analysieren: z.B. der Einfluss von Medien auf den Körper bzw. das Körperbild oder die Verbreitung und Popularisierung von sportlichen/körperlichen Aktivitäten mittels Medientechnologien (z.B. Base Jumping), was auch einen aktivistischen Charakter hat.
3. Phänomene der Medienproduktion untersuchen: beispielsweise Journalismus als soziales Feld im Bourdieuschen Sinn[2], als "Spielfeld" mit Regeln, Wettbewerb, etc.

Ein "Theorie der Praxis"-Ansatz in der Medienforschung versucht zu verstehen, wie Menschen Medien verwenden, um (ontologische) Sicherheit in einer "modernen" Welt[3] zu erlangen. Eine Handlungstheorie ist also in erster Linie als theoretisches Instrument zu verstehen. Dabei stehen Medienpraktiken in engem Zusammenhang mit Ritualen und performativen Praktiken, die sich wechselseitig beeinflussen. Insgesamt erlaubt eine Theorie der Praxis, Medienforschung in einen breiteren Kontext zu stellen, was zur Etablierung einer Soziologie oder Kultur- und Sozialanthropologie des Handels und Wissens beitragen kann.

Medien-orientierte Praktiken

Nick Couldry[4] (2010) ist der Ansicht, dass der Fokus in der Medienforschung auf Medienpraktiken gerichtet werden sollte, anstatt auf Medientexte, -inhalte oder die politische Ökonomie der Medien(produktion). Dabei versteht er Medien als Praxis und sieht Praxis in diesem Fall als ein offenes Set an Praktiken, das direkt oder indirekt in Verbindung zu Medien steht und an diesen orientiert ist. Couldry spricht deswegen auch von Medien-orientierten Praktiken, media-oriented practices. Von besonderem Interesse ist hier die Frage, wie sich unterschiedliche Praktiken in soziokulturellen Feldern durch Medienpraktiken verankern lassen. Oder anders ausgedrückt: Wie beeinflussen Medienpraktiken andere soziale Praktiken?

Medien-verbundene Praktiken

Mark Hobart[5] (2010) versteht Praktiken als soziale Aktivitäten beziehungsweise als Artikulationen, durch die sich Akteure erhalten und/oder verändern. Eine einheitliche Definition ist hier seiner Ansicht nach wenig sinnvoll, da eine solche zwangsweise eine eurozentristische Sichtweise implizieren würde. Wichtig hingegen sei es, die hierarchischen Verhältnisse von Praktiken mitzudenken. Im Gegensatz zu Couldry versteht Hobart Medienpraktiken nicht als an Medien orientierte Praktiken, sondern als Medien-verbundene Praktiken oder Praktiken, die in Bezug zu Medien stehen, media-related practices. Diese offene und erweiterbare Konzeptualisierung erlaubt etwa das Kochen von Essen, während man fernsieht, als Medien-verbundene Praktik zu verstehen. Medienpraktiken lassen sich so eng mit anderen sozialen Praktiken des Alltagslebens verknüpfen und in diesem Zusammenhang analysieren.


Verweise:
[1] https://web.archive.org/web/20120104091736/http://johnpostill.com/
[2] Siehe Kapitel 3.8.4.1
[3] Siehe Kapitel 3.4.5.8
[4] https://web.archive.org/web/20140601234720/http://www.lse.ac.uk/researchandexpertise/experts/profile.aspx?KeyValue=N.Couldry@lse.ac.uk
[5] http://www.soas.ac.uk/staff/staff31118.php


3.8.4.2 Ritualtheorien



Die kultur- und sozialanthropologische Bearbeitung des Verhältnisses von Ritualen und Medien[1] thematisiert und reflektiert die zunehmende Bedeutung von Medien in der gegenwärtigen globalisierten Welt sowie Veränderungen des Ritualbegriffs und der Ritualforschung in Bezug auf Medienpraktiken (vgl. Ritualdynamik[2] oder Ritualtransfer[3]).


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.2.5
[2] Siehe Kapitel 3.2.1.3
[3] Siehe Kapitel 3.2.1.4


3.8.5 Technologie im soziokulturellen Kontext

Foto: Satellitenschüsseln, Fort Severn, Ontario, Kanada, Ph. Budka

Seit den 1950er Jahren untersuchen Kultur- und SozialanthropologInnen neue und "moderne" Technologien und wie diese vor allem in "nicht-westlichen" Gemeinschaften verwendet und angeeignet werden (vgl. z.B. Godelier 1971, Pfaffenberger 1992, Sharp 1952). Doch wie unter anderem Arturo Escobar[1] (1994) meint, ist es schwierig diese Forschungsansätze und -befunde auf hochkomplexe technische Umgebungen in "modernen" Gesellschaften zu übertragen. Aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive bedeutet diese Transferschwierigkeit weder eine Hierarchisierung von soziotechnischen Systemen und damit verbunden von Gesellschaften, noch bedeutet dies eine Abwertung "nicht-moderner" oder "traditioneller" soziotechnischer Systeme. All diese Systeme - vom Töpfern in Indien bis zum Programmieren von Software in Kalifornien - sind hochkomplex und heterogen.

Es besteht allerdings dringender Bedarf an theoretischen Zugängen und weiteren empirischen Befunden, die zum Verständnis soziotechnischer Systeme in "modernen" Gesellschaften beitragen. Dieser Umstand wird beispielsweise von Bryan Pfaffenberger[2] (1992) in seiner Diskussion von soziotechnischen Systemen für eine Anthropologie der Technologie und Materiellen Kultur hervorgehoben.

Die Kultur- und Sozialanthropologie befasst sich zunehmend mit soziotechnischen Systemen in zeitgenössischen Gesellschaften (vgl. z.B. Rabinow 2008, Rabinow und Marcus 2008) - vor allem auch, weil immer wieder Fragen auftauchen, die scheinbar nur von der Kultur- und Sozialanthropologie beantwortet werden können, etwa nach der soziokulturellen und soziokulturell unterschiedlichen Bedeutung von Technologien (vgl. Pfaffenberger 1988, 1992). Schon Ende der 1980er Jahre wandte sich Pfaffenberger (1988: 23) sowohl gegen das, was er als "technologischen Somnambulismus" bezeichnete als auch gegen einen technologischen Determinismus - beides Beispiele für Extreme im Verständnis von Technologie im gesellschaftlichen Zusammenhang.

  • Technologischer Somnambulismus, umgangssprachlich als Schlafwandeln bekannt, weigert sich mehr oder weniger eine Verbindung oder einen kausalen Zusammenhang zwischen Technologie, Gesellschaft und Kultur zu erkennen. Für VertreterInnen dieser Sichtweise ist Technologie folglich neutral und losgelöst von - beispielsweise - körperlichen Produktions- und Fertigungspraktiken und deren soziokulturellen, politischen und ökonomischen Kontexten.
  • Technologischer Determinismus auf der anderen Seite versteht Technologie als die alles dominierende und diktierende Kraft, auch des sozialen Lebens. Für VertreterInnen dieses Technologieverständnisses besteht immer eine Verbindung zwischen Technologie und Gesellschaft. Technologie entwickelt hier eine handlungsmächtige Autonomie, die eng mit Produktionsweisen im kapitalistischen System in Zusammenhang steht und etwa zur Fetischisierung von technischen Artefakten führt.


Die Kultur- und Sozialanthropologie versucht zu verstehen, wie Technologie - beispielsweise in Form materieller Kultur oder als soziotechnisches System - (kulturell[3]) konstruiert und (sozial[4]) verwendet, genutzt und angeeignet wird. Ähnliche Ziele verfolgen auch Wissenschaftsforschung, Science and Technology Studies und sozialwissenschaftliche Technikforschung (vgl. z.B. Eglash 2006). Die Entwicklung und der Aufschwung digitaler (Medien)Technologien führen zu einer weiteren Differenzierung dieses Forschungsbereichs und zur Etablierung neuer Schwerpunkte.


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.8.6.2
[2] http://www.stswiki.org/index.php?title=User:Bryan
[3] Siehe Kapitel 1.1.8
[4] Siehe Kapitel 1.1.9


3.8.6 Digitale Medientechnologien als Forschungsfelder der Kultur- und Sozialanthropologie


In der Analyse von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) wird im sozial- und kulturanthropologischen Kontext gerne von "Cyberanthropology", "Anthropologie des Cyberspace" oder "Anthropologie der Cyberkultur" gesprochen (Budka und Kremser 2004, Knorr 2011). In letzter Zeit werden diese Begriffe allerdings zunehmend von der Bezeichnung "Digitale Anthropologie" abgelöst (Horst und Miller 2012).

Digitale Medientechnologien sind heute allgegenwärtig und Teil unserer sozialen und kulturellen Lebenswelten. Es ist also kein Wunder, dass auch die Kultur- und Sozialanthropologie[1] sich nun immer aktiver diesen Phänomenen zuwendet. Schließlich ist sie mit ihren elaborierten Methoden und Konzepten hervorragend geeignet digitale Medientechnologien und deren soziokulturelle Konstruktion, Bedeutung und Konsequenzen zu untersuchen (vgl. z.B. Escobar 1994, Horst und Miller 2012, Miller 2011, Pfaffenberger 1988, 1992).

Schon Ende der 1980er Jahre drängte z.B. Pfaffenberger (1988: 243) die Kultur- und Sozialanthropologie und generell die Sozialwissenschaften sich auf das menschliche Verhalten zu konzentrieren "in which people engage when they create or use a technology". Genau das versuchen die Forschungsrichtungen der Cyberanthropologie und der Digitale Anthropologie in ihrem Anspruch, komplexe soziotechnische Systeme und Phänomene in zeitgenössischen Gesellschaften zu verstehen. Dabei befassen sich Kultur- und SozialanthropologInnen in ihrer Analyse von neuen digitalen Medientechnologien mit soziokulturellen Phänomen, die traditionell intensiv in der Disziplin bearbeitet werden, z.B. Gender, Ethnizität, Religion[2], Mystifizierung[3] oder Tausch[4] (vgl. z.B. Budka und Kremser 2004, Horst und Miller 2012).


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 1.1
[2] Siehe Kapitel 3.1
[3] Siehe Kapitel 3.7
[4] Siehe Kapitel 3.6


3.8.6.1 Cyberanthropologie: Kybernetik und Cyberspace


Foto: Monitore, Linz, Ph. Budka


Die Bezeichnung "Cyberanthropologie" oder "Cyberanthropology"[1] lehnt sich an Wortschöpfungen wie "Cyberspace"[2], "Cyberculture" und "Cyberpunk" an, die der Science Fiction Literatur und damit der Populärkultur entstammen (Knorr 2011). Der Begriff "Cyberspace" beispielsweise wurde das erste Mal vom Science Fiction-Autor William Gibson[3] im Text Burning Chrome (1982) verwendet.

Das Präfix "Cyber" hat eine längere Geschichte und wurde durch den Mathematiker Norbert Wiener[4] Ende der 1940er Jahre populär. Er verwendete den Begriff "Cybernetics" - Kybernetik -, um einen Wissenschaftskomplex zu beschreiben, der sich mit Kommunikation und Kontrolle in künstlichen Systemen, wie Mensch-Maschine-Kommunikation oder Mensch-Computer-Interaktion, befasst (Wiener 1948). Das interdisziplinäre Forschungsprojekt der Kybernetik hatte auch Einfluss auf die Kultur- und Sozialanthropologie, indem Kommunikation und Technologie stärker in den Mittelpunkt anthropologischer Forschungsprojekte gestellt wurden, so beispielsweise in den Arbeiten von Claude Lévi- Strauss[5], Margaret Mead, Clifford Geertz und Gregory Bateson[6] (Axel 2006). Für Bateson (1972), beispielsweise, ist ein kybernetischer Ansatz wesentlich, um komplexe Systeme, menschliche und nicht-menschliche Interaktion, Kommunikation in und mit größeren Umgebungen und Ökologien und auch den menschlichen Geist zu verstehen (zu lernen).

In einer Cyberanthropologie wird der "Cyberspace" als soziokultureller Raum menschlicher Interaktionen verstanden, der durch digitale Informations- und Kommunikationstechnologien wie das Internet konstruiert und erhalten wird. Dieser Raum und die kulturellen Phänomene und sozialen Prozesse, die mit diesem verknüpft sind, scheinen wie geschaffen dafür, ethnographisch untersucht zu werden - um letztlich, wie David Hakken[7] (1999: 10) schreibt, diese neue Art und Weise Mensch zu sein zu verstehen. Denn trotz der großen Menge an Daten und neuen Methoden des Datensammelns sowie Formen der Sichtbarmachung, die durch digitale Medien ermöglicht und unterstützt werden, bleiben viele der "digitalen Welten" versteckt, verhüllt und schwierig zu entziffern (Coleman 2010). Ethnographische Langzeitforschung[8] ist deswegen notwendig, um Praktiken des alltäglichen digitalen Lebens zu erkennen und zu verstehen.


Verweise:
[1] https://web.archive.org/web/20110815002458/http://www2.fiu.edu/~mizrachs/CyberAnthropology.html
[2] http://en.wikipedia.org/wiki/Cyberspace
[3] http://en.wikipedia.org/wiki/William_Gibson
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Norbert_Wiener
[5] Siehe Kapitel 2.5
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Gregory_Bateson
[7] https://web.archive.org/web/20111220210129/http://www.soic.indiana.edu/people/profiles/hakken-david.shtml
[8] Siehe Kapitel 1.3.1

3.8.6.2 Anthropologie der Cyberkultur



Arturo Escobar[1] (1994) entwickelte das Konzept einer "Anthropologie der Cyberkultur", das die strukturellen Veränderungen, die neue IKT sowie Biotechnologien in den "modernen" Gesellschaften hervorrufen, analysieren soll: "As a new domain of anthropological practice, the study of cyberculture is particularly concerned with the cultural construction and reconstruction on which the new technologies are based and which they in turn help to shape" (Escobar 1994: 211). Während digitale Kommunikationstechnologien neue Formen von "Techno-Sozietät" hervorbringen, sind es Biotechnologien, wie Gentechnik, die in "Bio-Sozietät" resultieren, was letztlich eine neue Ordnung in der Produktion von Leben, Natur und Körper bedeutet (Escobar 1994, 1995). In beiden Sozietäten werden Natur und Kultur unter spezifischen politischen und ökonomischen Bedingungen neu definiert, neu gedacht und auch neu erfunden.

Für die Kultur- und Sozialanthropologie eröffnen sich nach Escobar (1994) drei große potentielle Forschungsprojekte, die zwar eng miteinander verknüpft sind, sich in ihrem Forschungsfokus aber unterscheiden:

1. Die soziale Produktion von "virtuellen" Technologien, die zu einer "post- körperlichen" Stufe in der menschlichen Entwicklung führen kann (vgl. Tomas 1991).
2. Eine Cyborg[2] Anthropologie kann sich den zusehends verschwimmenden Grenzen zwischen Mensch und Maschine widmen (vgl. Downey et al. 1995).
3. Im Rahmen einer Anthropologie der Cyberkultur[3] können kulturelle Diagnosen zu den Transformationen und Veränderungen erstellt werden, die durch die Entwicklung neuer Technologien in den Gesellschaften ausgelöst werden. Escobar (1994) sieht hier die Kultur- und Sozialanthropologie in der Pflicht kulturelle Diagnosen bezüglich biotechnischer und wissenschaftlicher Entwicklungen vorzunehmen.

Eine Anthropologie der Cyberkultur umfasst nach Escobar (1994, 1995) folgende ethnographischen Forschungsfelder[4], wobei sich die genannten Beispiele bewusst auf digitale Medientechnologien konzentrieren und Biotechnologien ausblenden (vgl. auch Hakken 1999):

1. Felder der Technologieproduktion wie etwa Computerlaboratorien, die Telekommunikationsindustrie und Softwarefirmen sowie Felder der Technologiekonsumption, beispielsweise Schulen, Büros, Privathaushalte.
2. Felder, die durch die Nutzung von IKT entstehen; soziale Online- Netzwerke, virtuelle Gemeinschaften sowie die unterschiedlichen Verhältnisse, die sich innerhalb dieser sozialen Umgebungen zwischen Sprachen, sozialen Strukturen und kulturellen Identitäten manifestieren.
3. Im Feld der politischen Ökonomie der Cyberkultur befassen sich Forschende mit dem Verhältnis von Information und Kapital sowie den damit verbundenen kulturellen Dynamiken. Hier können etwa die sich wandelnden politischen und ökonomischen Verhältnisse zwischen Industriestaaten und "Entwicklungsländern" untersucht werden.

Die Anthropologie der Cyberkultur - wie auch die Digitale Anthropologie - kann zur Dekonstruktion und zum kritischen Hinterfragen von Kategorien und Abgrenzungen beitragen, die oft als fest und unzerstörbaren gelten, z.B. Natur/Kultur oder Mensch/Maschine (Escobar 1995). Darüber hinaus kann nach Escobar (1994, 1995) das Konzept der Cyberkultur zur Erneuerung der Kultur- und Sozialanthropologie beitragen, ohne sich dabei wieder in Diskussionen über "das Andere" und "das Selbst" zu verfahren. Die Anthropologie der Cyberkultur scheint in der Lage die künstliche Dichotomie zwischen dem "modernen Selbst" und dem "primitiven Anderen" zu überwinden.

Aus der Anthropologie der Cyberkultur oder Cyberanthropologie entwickelte sich in den letzten Jahren ein neuer Forschungsbereich, der als "Digitale Anthropologie"[5] bezeichnet wird und der sich intensiv mit mittlerweile ubiquitären digitalen Medientechnologien und Internetservices auseinandersetzt (vgl. z.B. Horst und Miller 2012). Escobars Verdienst bleibt es, schon früh den Versuch unternommen zu haben, potentielle Forschungsprojekte und -felder zu identifizieren, zu klassifizieren und zur Diskussion zu stellen (Budka und Kremser 2004).


Verweise:
[1] http://en.wikipedia.org/wiki/Arturo_Escobar_%28anthropologist%29
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Cyborg
[3] http://en.wikipedia.org/wiki/Cyberculture
[4] Siehe Kapitel 1.3.1
[5] Siehe Kapitel 3.8.6.3

3.8.6.3 Digitale Anthropologie


Foto: "Internet", Wien, Ph. Budka


Die Digitale Anthropologie[1] zielt, wie die Kultur- und Sozialanthropologie an sich, darauf ab zu verstehen, was es bedeutet Mensch zu sein (Miller und Horst 2012). Daniel Miller[2] und Heather Horst[3] (2012: 3f.) identifizieren insgesamt sechs Prinzipien, die ihrer Ansicht nach die Grundlagen einer Digitalen Anthropologie als kultur- und sozialanthropologische Subdisziplin bilden:

1. Das "Digitale" intensiviert die dialektische Natur von Kultur. Dabei definieren Miller und Horst (2012: 3) "digital" als alles was sich auf einen binären Code reduzieren lässt, dabei aber weitere Differenzierungen und Besonderheiten zulässt und verbreitet.
2. Das Menschsein wird durch den Aufstieg des Digitalen nicht stärker mediatisiert. Das vor-digitale Zeitalter war keineswegs "realer" oder "authentischer" als das digitale Zeitalter.
3. Die Verpflichtung zu einer holistischen, also ganzheitlichen, Sichtweise ist ein weiteres Prinzip der Digitalen Anthropologie. Zu beachten ist hier, dass die ganzheitliche Erfassung einer "Kultur" oder eines soziokulturellen Phänomens ein Ideal ist, nach dem lediglich gestrebt werden kann (vgl. Marcus 1998).
4. Kultureller Relativismus und eine globale, kulturvergleichende Perspektive auf das Digitale sind essentiell. Hypothesen bezüglich der homogenisierenden Wirkung des Digitalen auf soziokultureller Ebene können so relativiert und widerlegt werden.
5. Digitale Kultur[4] ist doppel- oder mehrdeutig. Einerseits eröffnen sich neue Möglichkeiten, beispielsweise in der partizipativen Politik, andererseits verschließen sich auch Möglichkeiten, beispielsweise in der Privatsphäre.
6. Digitale Anthropologie (an)erkennt die Materialität digitaler Welten. Diese sind weder mehr noch weniger materiell als vor-digitale Lebenswelten. Das Digitale, wie jede Form materieller Kultur, wird zu einem konstitutiven Teil dessen, was uns zu Menschen macht. "Not only are we just as human within the digital world, the digital also provides many new opportunities for anthropology to help us understand what it means to be human" (Miller und Horst 2012: 4).

Die normative Materialität digitaler Welten bzw. die digitale Materialität lässt sich wiederum in drei Kategorien unterteilen:

1. Digitale Infrastruktur, Technologien und Objekte, die Nutzung und Anwendung erst ermöglichen. Das Internet beispielsweise besteht aus einem physikalisch fassbaren Netzwerk an Computern, das beschädigt und repariert werden kann.
2. Digitale Inhalte, die von digitalen Technologien kreiert, reproduziert, übertragen und verbreitet werden.
3. Digitale Kontexte, die für die Produktion, Nutzung und Anwendung digitaler Technologien relevant sind und diese beeinflussen, z.B. aufgrund von Veränderungen und Neuinterpretationen von Raum und Lokalität.

Erstaunlich ist für Miller und Horst (2012: 28) weniger die Geschwindigkeit, mit der digitale Technologien entwickelt werden, sondern vielmehr die Geschwindigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der diese technologischen Entwicklungen in die Gesellschaft integriert werden. Dabei werden auch gesellschaftliche Regeln und Normen für deren Gebrauch festgelegt und angewendet. Normativität zeichnet sich in diesem Zusammenhang weniger durch eine allgemeine, gesellschaftliche Akzeptanz * beispielsweise einer neuen Technologie gegenüber - aus, sondern vielmehr durch die moralische Eingliederung einer solchen in die jeweilige Gesellschaft.

Für die Digitale Anthropologie ist es nach Miller und Horst (2012) also wesentlich zu untersuchen, wie Dinge, Objekte und Artefakte so schnell alltäglich und banal werden. Die Materialität dieser Dinge ist dabei nicht getrennt von kulturellen Aspekten zu betrachten; beide sind von normativen Vorgaben innerhalb eines "genre of usage" beeinflusst (Miller und Horst, 2012: 29). Aus diesem Blickwinkel erscheint es daher zielführend, digitale Medientechnologien als materielle Kultur zu verstehen.


Verweise:
[1] http://en.wikipedia.org/wiki/Digital_anthropology
[2] http://www.ucl.ac.uk/anthropology/people/academic_staff/d_miller
[3] https://web.archive.org/web/20110208010411/http://heatherhorst.com/
[4] Siehe Kapitel 1.1.4

3.8.6.4 Kultur- und sozialanthropologische Internetforschung



Die Medientechnologie, die synonym für das digitale Zeitalter steht, ist das Internet[1] als weltweit größtes Computernetzwerk. Das "Internet" wird innerhalb der Sozialwissenschaften unterschiedlich verstanden: beispielsweise als "eigenständige Kultur" oder "Kulturen", welche sich durch diverse Formen von Interaktion innerhalb von Computernetzwerken konstituiert, oder auch als kulturelles Artefakt, das untersucht werden kann (vgl. z.B. Hine 2000).

Für die Anthropologen Daniel Miller und Don Slater[2] (2000: 14) ist das Internet kein monolithisches "Ding" sondern vielmehr eine ganze Reihe von Praktiken, Technologien sowie Repräsentations- und Interaktionsformen: "... a range of practices, software and hardware technologies, modes of representation and interaction that may or may not be interrelated by participants, machines and programs ...".

Das Internet[3], wie andere digitale Medientechnologien auch, ist nicht nur ein technisches Phänomen, sondern hat zweifelsohne soziokulturellen Charakter. Es verbindet Menschen (und Maschinen), es ermöglicht Kommunikation, Interaktion und Repräsentation usw. Internet Nutzungs-, Anwendungs- und Aneignungspraktiken in unterschiedlichsten soziokulturellen Kontexten sind daher Forschungsfelder, denen sich die Kultur- und Sozialanthropologie[4] unbedingt widmen muss.


Verweise:
[1] http://www.livinginternet.com/
[2] http://www.lse.ac.uk/researchAndExpertise/Experts/d.slater@lse.ac.uk
[3] http://www.internetsociety.org/internet
[4] Siehe Kapitel 1.1


3.8.6.4.1 Internet als materielle Kultur



Die erste holistische ethnographische Studie[1] über das Internet wurde von Daniel Miller und Don Slater (2000) Ende der 1990er Jahre auf der Karibikinsel Trinidad[2] durchgeführt. In dieser Untersuchung analysieren sie, wie Menschen einer bestimmten Kultur sich die neue kommunikative Umgebung Internet persönlich aneignen: "... how members of a specific culture attempt to make themselves a(t) home in a transforming communicative environment" (Miller und Slater 2000: 1). Unter anderem standen Fragen nach der Nutzung des Internet für spezifische lokale Bedürfnisse im Fokus sowie Fragen nach dem menschlichen Zurechtfinden mit dieser neuen Technologie und nach dem aktiven Formen derselben auf Basis konkreter Bedürfnisse und Vorstellungen.

Miller und Slater (2000: 193) kommen zu dem Schluss, dass das Internet im Fall von Trinidad eher als materielle Kultur zu verstehen ist als als Technologie, weil die Internettechnologien in unterschiedliche Formen alltäglicher Praktiken eingebettet sind. Zu diesen Alltagspraktiken zählen ökonomische Praktiken wie das Etablieren von webbasierten Geschäftsmodellen oder das Arbeiten mittels Internetservices, soziale Praktiken der Identitätskonstruktion, des Netzwerkens und Kommunizierens, beispielsweise mit Familienmitgliedern in der Diaspora, sowie religiöse Praktiken[3], wie das Unterstützen einer Kirche Online.

Materielle Kultur steht hier in engem Zusammenhang mit Konsumption[4] und deren soziokulturellen Implikationen. Der erste Schritt in einem Prozess der Konsumption ist die Transformation eines Objekts von einer unpersönlichen Ware zu einer Sache mit bestimmter (persönlicher) Bedeutung für KonsumentInnen und deren Lebenswelt (vgl. z.B. Appadurai 1986, Carrier 1998). Genau das ist nach Miller und Slater (2000, 2003) mit dem Internet in Trinidad geschehen. Das globale Computernetzwerk Internet[5] wurde im Prozess alltäglicher Nutzung und kontinuierlicher Aneignung von einem unpersönlichen Ding zu einer Sache mit persönlicher Bedeutung für die Menschen auf Trinidad.


Verweise:
[1] Siehe Kapitel 1.3.1
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Trinidad_%28Insel%29
[3] Siehe Kapitel 3.1.6
[4] Siehe die Lernunterlage Konsumption
[5] http://www.internetsociety.org/internet/how-internet-evolving

3.8.6.4.2 Facebook aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive


Foto: "Social Media Menü", Amsterdam, Ph. Budka


Zehn Jahre nach der Ethnographie über das Internet kehrte Daniel Miller[1] (2011) nach Trinidad zurück, um ein anderes digitales Medienphänomen zu untersuchen: Facebook. Mit weltweit fast einer Milliarde NutzerInnen ist Facebook[2] das größte und dominierende soziale Online-Netzwerk (vgl. z.B. Internet World Stats[3] 2012). Menschen erstellen in Facebook persönliche Profile, sie teilen mit Freunden und Familie Geschichten und Fotos, sie netzwerken, sie bilden Gruppen zu bestimmten Themen und Zwecken, sie unterstützen Ideen und Aktivitäten anderer NutzerInnen und sie kommunizieren mittels Chat und Text-Nachrichten.

Mittels einer ethnographischer Fallstudie und einer Methode, die Miller (2010, 2011) "extreme reading"[4] von Facebook nennt, entwickelt er eine anthropologische Theorie von Facebook. Wie in seiner ersten Studie zu Internet in Trinidad[5] und seinem Ansatz, Technologie als materielle Kultur zu verstehen, treu bleibend, konzentriert sich Miller wieder auf die lokale Interpretation dieses Medienphänomens.

Auch das soziale Online-Netzwerk Facebook erweist sich im ethnographischen Fall Trinidad als eine Ansammlung regionaler und lokaler Nutzungsformen und Praktiken. So wird etwa auf Trinidad aus "Facebook" "Fasbook". Diese Umbenennung im lokalen englischen Dialekt spiegelt wider, dass Facebook vor allem als lokales Phänomen wahrgenommen wird. Diese "Erfindung aus Trinidad" scheint perfekt in den (kommunikativen) Alltag der Menschen zu passen. Es ist deshalb nur schwer vorstellbar, dass es sich hier um ein importiertes Service handelt (Miller 2011: 159).

Als Ergebnisse dieser ethnographischen Facebook-Analyse lassen sich folgende Erkenntnisse aufzählen (Miller 2011):

1. Facebook[6] ist lediglich eine Anhäufung regionaler und lokaler Nutzungspraktiken.
2. Kulturelle Differenz und Diversität haben daher große Bedeutung.
3. Facebook ermöglicht den NutzerInnen Gemeinschaften zu erweitern, was in einer traditionell stark von Diaspora und Migration geprägten Gesellschaft von großer Bedeutung ist.
4. Facebook ist ein Medium zur Sichtbarmachung und zur öffentlichen Teilhabe, nicht für alle und nicht notwendigerweise.
5. Facebook internationalisiert lokale Ereignisse und trägt daher zum "Schrumpfen" der sozialen Welt bei.
6. Facebook und die soziokulturellen Praktiken, die mit diesem Service verbunden sind, bedeuten einen Wechsel von soziologischen zu kultur- und sozialanthropologischen Perspektiven und Forschungsansätzen. Denn Facebook ist letztlich nichts anderes als ein soziales Netzwerk, das in der Lage ist soziale Beziehungen - etwa zwischen Freunden und Familienmitgliedern - zu rekonstruieren. Hier tauchen Fragen nach Verwandtschaft und deren Strukturen sowie engen sozialen Beziehungen und Verhältnissen auf, die von einer Digitalen Anthropologie[7] durch ethnographische Forschung[8] beantwortet werden können.


Verweise:
[1] http://en.wikipedia.org/wiki/Daniel_Miller_%28anthropologist%29
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Facebook
[3] http://www.internetworldstats.com/facebook.htm
[4] http://openanthcoop.net/press/2010/10/22/an-extreme-reading-of-facebook/
[5] Siehe Kapitel 3.8.6.4.1
[6] http://www.facebook.com/
[7] Siehe Kapitel 3.8.6.3
[8] Siehe Kapitel 3.4.6.3

3.8.7 Literatur


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Verweise:
[1] https://web.archive.org/web/20080109082210/http://www.brown.edu/Departments/Anthropology/publications/Mead.htm
[2] http://www.internetworldstats.com/facebook.htm
[3] http://openanthcoop.net/press/2010/10/22/an-extreme-reading-of-facebook/
[4] Siehe die Lernunterlage Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)


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