Konsumption

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Contents

Konsumption

Verfasst von Maria Dabringer
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OEKU-Online: Finanziert durch den Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank (Projekt 10707, Jubiläumsfonds).

"To consume is to make more sense of the world where all that is solid melts into air" (García Canclini 2001:42)
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Schlagwörter wie die "Konsumgesellschaft" oder "Konsumsucht" dominieren die Analysen westlicher Lebenswelten. Sie drücken die Allgegenwärtigkeit und Vielfältigkeit der Konsummöglichkeiten in kapitalistisch organisierten Gesellschaftszusammenhängen aus.

Über Konsum in einem weltweit relevanten Rahmen nachzudenken bedeutet jedoch mehr:

  • In den vielen verschiedenen, weltweit existierenden Gesellschaftsformen wird Konsum in sehr unterschiedlicher Weise praktiziert und definiert.
  • Deshalb ist es von Bedeutung, in einem ersten Schritt die sprachliche Definition des Wortes "Konsum" zu beleuchten.
  • Die Analyse derselben weist auf eine praxisbezogene, ökonomisch geleitete Kontextualisierung des Begriffs hin und gleichzeitig auf die Bedeutung von Bedürfnissen und Präferenzen für gesellschaftliche Konsumgewohnheiten.
  • Kultur- und sozialanthropologische Diskurse zu Konsum betonen verstärkt --- unter Bezugnahme auf die Unterschiedlichkeit kultureller Kontexte weltweit --- die soziale und kulturelle Dimension von Konsum. Sie beschreiben Konsum als "Ausdruck von Lebensgestaltung" (Spittler 2002) und als identitätsstiftend für die Ausbildung von Klassenbewusstsein innerhalb einer Gesellschaft.
  • Gleichzeitig fungieren der Konsum und mit ihm verbundene kulturelle Praktiken als Abgrenzungskriterien von Menschen untereinander ("markers of differences"). Als bedeutende Autoren sind hier u. a. Néstor García Canclini oder Arjun Appadurai zu nennen. Sie diskutieren in ihren Studien Fragen zur sozialen Bedeutung von Tauschbeziehungen, zu daraus resultierenden gesellschaftlichen Machtbeziehungen und die Bedeutung von Politik und Wissen in diesem Kontext.
  • Kulturwissenschaftliche Diskussionen beschäftigen sich seit den 1980er Jahren mit weltweiten Veränderungen und der Bedeutung von Konsum in Zeiten der Globalität. Die weltweit zu beobachtende Vereinheitlichung von Konsummöglichkeiten und gleichzeitig eine lokale Vielfältigkeit von Konsumgewohnheiten werden dabei ins Blickfeld gerückt. Die diesen aktuell stattfindenden Prozessen vorangegangenen historischen Entwicklungen müssen dabei in eine Analyse von Konsum einbezogen werden.
  • Daraus entsteht ein breiterer Konsumbegriff, über den umfassendere Analysen gesellschaftlicher Zusammenhänge möglich werden.


Kapitelübersicht

1 Der Begriff "Konsum(ption)"

1.1 Konsum und Bedürfnisse
1.2 Kollektive und individuelle Präferenzen

2 Ökonomisch geleitete Perspektiven und Konsum
3 Konsum als sozialer, kultureller und interaktiver Prozess

3.1 Konsum als "Ausdruck von Lebensgestaltung"
3.2 Konsum und Klassenbewusstsein
3.3 Konsum als "marker of difference"
3.3.1 Néstor García Canclini
3.3.1.1 Néstor García Canclini und die Logik des Konsums
3.3.2 Arjun Appadurai --- Waren, deren politische Bedeutung & Konsum
3.3.2.1 "The Social Life of Things" --- Von Waren und den "Politics of value"
3.3.2.2 Arjun Appadurai und Georg Simmel --- Der Wert von Waren
3.3.2.3 Waren, Institutionen und Wissen
3.3.2.4 Von Waren, Menschen und Ideen
3.3.2.5 Konsum als Ausdruck politischer und sozialer Kontrolle I
3.3.2.6 Konsum als Ausdruck politischer und sozialer Kontrolle II
3.3.2.7 Luxusgüter
3.3.2.8 "Politics of value" I --- die politische Relevanz von Austausch und Konsum
3.3.2.9 "Politics of Value" II - Konsum & die Relevanz von Konkurrenz

4 Konsum in Zeiten der Globalität

4.1 Globaler Konsum: Weltweite Einheitlichkeit versus lokale Differenzierung?
4.1.1 These der "Globalen Homogenisierung"
4.1.2 These der "Kreolisierung"
4.1.2.1 "Appropriation" oder Aneignung von Gütern
4.1.2.2 Hybridisierung
4.1.3 Globale Waren - lokale Aneignungen
4.1.3.1 Das Verhältnis Produktion-Konsumption: Delokalisation des Nahrungssystems
4.1.4 Die kulturelle Biographie der Dinge - Igor Kopytoff
4.1.4.1 Der "Lebensweg" einer Ware
4.1.4.2 Ein Auto in Afrika
4.1.5 "Fremde" Waren und ihre Bewertungen: Zwischen Kuriositätenkabinett und göttlicher Macht
4.2 Kosmopolitischer Konsum
4.2.1 Hamburger, Döner, Frühlingsrollen
4.2.1.1 "Ethno-Food": Migration, Tourismus und kosmopolitischer Konsum
4.2.1.2 Die Döner-Erfolgsgeschichte
4.2.1.3 "Tasting the World" - Auf Märkten in London
4.2.2 Exotik, Migration und Konsum auf Londoner Märkten
4.3 Globalisierter Konsum als Ergebnis historischer Prozesse
4.3.1 Nahrungskonsum in den Anden Lateinamerikas
4.3.2 Präkolonialer Nahrungskonsum
4.3.3 Konsum in Zeiten der Kolonialisierung
4.3.4 "Modernitätsbestrebungen" und Konsum im 19. Jahrhundert
4.3.5 Konsumgüter und exportoriertierter liberaler Kapitalismus

5 Bibliographie


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1 Der Begriff "Konsum(ption)"

Verfasst von Maria Dabringer
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Das deutsche Wort "Konsum" oder "Konsumption" kommt aus dem Lateinischen und leitet sich von den Worten consumere (von "cum sumere", dt. "aufnehmen", "verbrauchen" oder "verzehren") und consummare ("cum summa", dt. "zusammenrechnen", "vollenden") ab (vgl. Drosdowski & Grebe 1963).

In diesen lateinischen Ausdrücken sind wichtige Aspekte enthalten, die es im Zusammenhang mit Konsum zu beachten gilt (vgl. Falk 1994:93). Sie beziehen sich vor allem auf den praktischen Gebrauch und die materielle Nutzung von Gütern:

Zum einen beinhaltet die Ableitung vom Wort "consumere" den Aspekt des "Zerstörens" bzw. der "Vernichtung" von Gütern durch (menschlichen) Konsum.

Zum anderen zeigt sich durch die Herleitung über das lateinische "consummare" der direkte Zusammenhang mit dem Prozesses des wirtschaftlichen Handelns (link Gerti): Konsumieren bedeutet die "Vollendung" bzw. die "Fertigstellung" dieses Vorgangs. Der Akt der Konsumption wird damit in unmittelbare Beziehung gesetzt zur Produktion und Distribution von Gütern.

Inhaltsverzeichnis

Weitere Kapitel dieser Lernunterlage

2 Ökonomisch geleitete Perspektiven und Konsum
3 Konsum als sozialer, kultureller und interaktiver Prozess
4 Konsum in Zeiten der Globalität
5 Bibliographie


Nächstes Kapitel: 1.1 Konsum und Bedürfnisse


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1.1 Konsum und Bedürfnisse

Verfasst von Maria Dabringer
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Der praktische Aspekt von Konsum sowie die materielle Nutzung von Gütern umfassen

  • Nahrung,
  • Kleidung und
  • Unterkunft

Diese werden als die drei wichtigsten Grundbedürfnisse (oder physischen Bedürfnisse) des Menschen angesehen, die durch materielle Güter abgedeckt werden (vgl. Bauer 2001, Rössler 2003).

Die Auseinandersetzung mit Konsum beschränkt sich aber nicht auf den praktischen Gebrauch von Gütern, sondern Konsum wird auch als Mittel zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung des Menschen angesehen. Bedürfnisse wie der Zugang zu sozialem oder religiösem Wissen und Bildung oder auch politische Sicherheit und Freiheit des Individuums etc. werden v. a. im Diskurs internationaler

(Hilfs-)Organisationen als "höhere Bedürfnisse" (oder soziale Bedürfnisse) definiert. Soziale Bedürfnisse entstehen aus dem gesellschaftlichen Zusammenleben von Menschen miteinander. Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive wird die strikte Unterscheidung von physischen und sozialen Bedürfnissen kritisiert. Sie vernachlässigt und disqualifiziert die kulturellen Kontexte (Mies & Shiva 1995:22). Bedürfnisse werden nicht nur mit den natürlich vorhandenen Ressourcen befriedigt. Menschen selektieren aus ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln je nach gesellschaftlich festgesetzten Mustern, Normen und Ideen (Rössler 2003:111ff), d. h. Menschen wählen individuell oder als Gruppe Dinge und Güter aus, mit denen sie ihre Bedürfnisse befriedigen.

Als ein Phänomen unter vielen sind hier die Nahrungstabus (link Elke) zu nennen, die zeigen, wie eng physische und soziale Bedürfnisse ineinander verwoben existieren und sich gegenseitig bedingen. Das Weltbild der jeweiligen Gesellschaft spielt dabei eine bedeutende Rolle.


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1.2 Kollektive und individuelle Präferenzen

Verfasst von Maria Dabringer
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Als Präferenzen versteht man bevorzugte Konsumwünsche. Präferenzen können einer ganzen Gesellschaft eigen sein. Als zwei Beispiele für solche kollektive Abneigungen bzw. Vorlieben in puncto Ernährung sind die Verweigerung des Konsums von Hundefleisch in Europa oder die besondere Bedeutung des Konsums von Mehrschweinchen im andinen Raum zu nennen. Kollektive Abneigungen haben nichts mit Nahrungstabus zu tun, solange ihr keine gesellschaftliche Norm oder religiöse Vorschrift zu Grunde liegt (Rössler 2003:111-112). Rössler bezeichnet sie auch als "unreflektierte kulturelle Standards" (ebd.). Präferenzen wandeln sich gemeinhin recht schnell, d. h. in Abhängigkeit von Moden und Trends lassen sich Veränderungen von Konsumgewohnheiten bei Gruppen oder Individuen sehr häufig feststellen (ebd.).

Präferenzen beim Konsum von Dingen können eine Gesellschaft jedoch auch in verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Vorlieben aufspalten. Innerhalb einer städtisch-pluralistischen Gesellschaft mit einem vielfältigen Angebot an Produkten und Speiselokalen begeistern sich z. B. Teile der Bevölkerung für vegetarische Naturkostküche, andere wieder für asiatische oder türkische Speisen. Neben diesen Gruppenpräferenzen wird der/die KonsumentIn gleichzeitig auch von individuellen Präferenzen geleitet, die sich aus geschmacklichen Vorlieben ableiten lassen. Dabei ist auch die individuelle geschmackliche Prägung der Menschen durch die eigene Familie und deren Gewohnheiten bedeutend.


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2 Ökonomisch geleitete Perspektiven und Konsum

Verfasst von Maria Dabringer

Der Alltag der Menschen und ihre gesellschaftlichen Normen und Werte sind auf das Engste mit den materiellen Gütern und der natürlichen Umwelt verwoben.

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"Consumption is the ensemble of sociocultural processes in which the appropiation and use of products takes place" (García Canclini 2001:38).

Ökonomische Perspektiven auf Konsum konzentrieren sich auf den Gebrauch und die Aneignung von Produkten. Sie betrachten Konsum unter dem Aspekt ökonomischer Rationalität und als ein Moment im Kreislauf sozialer Produktion und Reproduktion. Der Kapitalkreislauf innerhalb kapitalistisch orientierter Marktwirtschaften findet im Konsum von Gütern seinen unmittelbaren Ausdruck. Der Fokus solcher Studien liegt auf dem angestrebten Profit durch den Absatz oder die Verteilung von Gütern. Fragen des kollektiven Geschmacks oder der individuellen Auswahl treten in den Hintergrund (García Canclini 2001).

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Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftigt sich der Soziologe Max Weber (link) mit dem bedeutungsvollen Gebrauch von Dingen innerhalb von Gesellschaften. Diese Betrachtungen werden jedoch von den Diskussionen zu sozialen Organisationsformen und zum Produktionsprozess überdeckt und vorerst nicht weitergeführt. Bis in die 1970er Jahre dominieren auch in den Sozialwissenschaften ökonomische Zugänge zu Konsum (Carrier 2004 [1996]). Die materiellen Aspekte von Konsum stehen im Vordergrund. Seit den 1980er Jahren haben sie sich jedoch umfassenderen Definitionen zugewandt, die das Entstehen kultureller Kategorien über Konsum(verhalten) im Auge haben.

"One of the most important ways in which cultural categories are substantiated is through the material objects of a culture [...]" (McCracken 1988:74).

Weitere Kapitel dieser Lernunterlage

1 Der Begriff "Konsum(ption)"
3 Konsum als sozialer, kultureller und interaktiver Prozess
4 Konsum in Zeiten der Globalität
5 Bibliographie


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3 Konsum als sozialer, kultureller und interaktiver Prozess

Verfasst von Maria Dabringer

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Ende der 1970er Jahre bis in die 1980er Jahre wird der Forschungsbereich Konsum in den Sozialwissenschaften neu aufgerollt. Besondere Bedeutung erlangen Studien zum Konsum durch das auftretende Phänomen des Massenkonsums. Durch kapitalistische Vermarktungsstrategien setzt sich in westlichen Marktökonomien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Massenangebot an Waren für die breite Bevölkerung als Alltagsphänomen durch. Gleichzeitig etabliert sich der Begriff der "Konsumgesellschaft".

Verschiedene Publikationen renommierter SozialwissenschaftlerInnen (Douglas 1975, Sahlins 1976, Goody 1981, Appadurai 1986a, 1986b, Douglas 1987, Miller 1987, Mintz 1992 [1987], Douglas & Isherwood 1996 [1979]) haben eindrucksvoll gezeigt, dass Menschen sich im Prozess des Konsums Güter aneignen, indem sie zu Dingen eine mentale Beziehung aufbauen: Vorerst unpersönliche Objekte werden konkrete Dinge, die kontextualisiert für den/die BenutzerIn oder KonsumentIn verschiedene Bedeutungen bekommen.

"[...] the individual uses consumption to say something about himself, his family, his locality, whether in town or country, on vacation or at home. The kind of statement he makes are about the kind of universe he is in [...]" (Douglas & Isherwood 1996 [1979]:44).

Ein neuer Blick auf das Phänomen Konsum entsteht innerhalb der Sozialwissenschaften und gleichzeitig eine neue Sensibilisierung für die Thematik.

Inhaltsverzeichnis

Weitere Kapitel dieser Lernunterlage

1 Der Begriff "Konsum(ption)"
2 Ökonomisch geleitete Perspektiven und Konsum
4 Konsum in Zeiten der Globalität
5 Bibliographie


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3.1 Konsum als "Ausdruck von Lebensgestaltung"

Verfasst von Maria Dabringer

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Als Kontrapunkt zu den konventionellen, ökonomischen und materialistischen Definitionen wird Konsum in der Kultur- und Sozialanthropologie sehr breit beschrieben und lässt so Spielraum für viele Interpretationen. Die "Encyclopedia of Social and Cultural Anthropology" vermerkt 2004:

"Consumption is the meaningfull use people make of the objects that are associated with them. The use can be mental or material; the objects can be things, ideas or relationsships; the association can range from ownership to contemplation" (Carrier 1996 [2004]:128).

Konsum ist der bedeutungsvolle Gebrauch von Objekten, der sich vom materiellen Umgang bis zur Betrachtung von Objekten ziehen kann. Die sozialwissenschaftliche Definition soll absichtlich umfassender formuliert werden. Ökonomischen Definitionen wird der Kritikpunkt entgegen gebracht, soziale und kulturelle Prozesse unbeachtet zu lassen (Douglas & Isherwood 1996 [1979], Falk 1994). Die Art und Weise, wie Güter gesellschaftlich eingefordert, gebraucht und verbraucht werden, steht in direktem Zusammenhang zur Ausbildung sozialer Beziehungen und Identitäten (Braidenbach & Zukrigl 2000:173-180).

Vice versa wird auch Konsumverhalten von sozialen Beziehungen bestimmt. Ein bewusster oder unbewusster Umgang der Menschen mit bestimmten Gütern und Waren kennzeichnet ihre Konsumkultur. Über das Konsumverhalten lassen sich gesellschaftlich wichtige Merkmale erschließen.

"As the material part of culture, goods afford sets of markers which both structure perception and facilitate social interaction" (Howes 1996:2).

Konsum ist in diesem Sinne mehr als materieller Verbrauch. Er ist aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive "Ausdruck von Lebensgestaltung" (Spittler 2002:17).


Nächstes Kapitel: 3.2 Konsum und Klassenbewusstsein


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3.2 Konsum und Klassenbewusstsein

Verfasst von Maria Dabringer

In der Zeit von 1950 bis 1970 beschäftigen sich marxistische Perspektiven mit der Bedeutung des Konsums für die sozialen Klassen einer Gesellschaft. Sie unterstreichen die Macht der KonsumentInnen im Rahmen ihres wirtschaftlichen Handelns (García Canclini 2001:39). Konsumieren heißt, aktiv an der Gesellschaft teilzunehmen. Klassenkonflikte werden in ungleichem Zugang und ungleicher Teilnahme am Produktionsprozess offensichtlich und in der (ungleichen) Verteilung und Aneignung von Gütern sichtbar.

"Consumption is the site where class conflict, rooted in unequal participation in production, continues in the distribution and appropriation of commodities" (Castells 1977: Appendix).

Hier zeigt sich die politische Komponente von Konsum und gewinnt an Bedeutung. García Canclini leitet daraus die gesellschaftliche Bedeutung der "Konsumenten als Staatsbürger" ("consumers as citizens") ab: Er betont die aktive Rolle der KonsumentInnen als verantwortliche BürgerInnen. Gleichzeitig relativiert er deren Mächtigkeit in Anbetracht des manipulierenden Einflusses der Medien und Massenkommunikation (Werbung).

"A more complex theory of the interaction of producers and consumers [...] as developed in certain currents of urban anthropology and sociology, shows, that consumption is also motivated by an interactive sociopolitical rationality" (Garcia Canclini 2001:39).
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Nächstes Kapitel: 3.3 Konsum als "marker of difference"


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3.3 Konsum als "marker of difference"

Verfasst von Maria Dabringer

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Die Nutzung bestimmter Objekte zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten kann zum Symbol für soziale Indikatoren (wie sozialen Status, ethnische Zugehörigkeit, Geschlechtlichkeit oder individuelle Identität etc.) werden. Diese Aspekte sind eng verknüpft mit Betrachtungen, die Klassenunterschiede innerhalb einer Gesellschaft bestimmen. Konsum(verhalten) wird als Zeichen von Unterschieden und Differenzen zwischen Gruppen und Klassen erkannt. Der Blick wird auf die symbolischen und ästhetischen Aspekte von Konsum gerichtet (vgl. Bourdieu 1999 [1987], Appadurai 1986a).

Im Unterschied zu materialistischen Ansätzen tritt der Zugang zu Gütern in den Hintergrund. Nach derzeitigen Auffassungen ist es die Aneignung der Güter selbst, die eine Differenzierung zwischen Menschen bewirkt. Die Entstehung von Gruppenidentitäten und die Abgrenzung von "anderen" werden durch Konsumgewohnheiten möglich, sind jedoch nicht immer zwingend damit verbunden. Vor allem für die Analyse der westlichen (Massen-)Konsumgesellschaft gewinnt dieser Zugang zunehmend an Bedeutung "[...] probably because mass consumption is so established in the West" (Carrier 2004 [1996]: 128).

Inhalt

3.3.1 Néstor García Canclini

Néstor García Canclini wurde 1939 in Argentinien geboren, absolvierte Studien der Soziologie in La Plata/Argentinien und Paris. Er lehrte in der Folge an den Universitäten La Plata, Buenos Aires, Neapel, Austin, Stanford, Barcelona und Sao Paulo. Derzeit ist er als Professor für Soziologie an der Universidad Autónoma Metropolitana in Mexiko City tätig und leitet dort das Studienprogramm für "Urban Culture".

Als seine wichtigsten Publikationen sind zu nennen:

1997: Hybrid Cultures. Stategies for Entering and Leaving Modernity, 4th edition. Minneapolis & London, University of Minnesota Press

2001: Consumers and Citizens. Globalization and Multicultural Conflicts. Minneapolis & London, University of Minnesota Press

2004: Diferentes, Desiguales Y Desconectados --- Mapas de la Interculturalidad. Barcelona, Gedisa Editorial

Canclini im Internet:

Interview mit Néstor García Canclini 2002 in Berlin:https://web.archive.org/web/20170529181341/http://www.mexartes-berlin.de/esp/02/canclini-print.html[2] [27.04.2005]

Biographisches Profil, Texte und Ressourcen im Netz https://web.archive.org/web/20191115073800/http://www.infoamerica.org/teoria/garcia_canclini1.htm[3] [27.04.2005]

Néstor García Canclini (2001) beschäftigt sich u. a. mit Konsumverhalten in Zeiten globalisierender Strömungen im Kontext Lateinamerikas und plädiert in seinen Ausführungen für eine multidisziplinäre Theorie von Konsum:

"[...] a global conceptualization of consumption that includes the communication and reception of symbolic commodities" (Garcia Canclini 2001:38)

Canclini führt verschiedene wichtige Aspekten von Konsum zusammen und versucht sie gemeinsam zu betrachten:

  • Er integriert in seinen Analysen jene ökonomische Sichtweisen[4], die er derzeit für essentiell hält.
  • Er beachtet gleichzeitig klassen- und gruppenkonstituierende Konsumgewohnheiten[5] ("consumption as marker of difference") in Gesellschaften.
  • Die individuellen, ästhetischen Präferenzen[6] finden bei ihm ebenso Beachtung wie
  • psychologische Faktoren, die das Individuum beim selektiven Konsum von Gütern leiten.

García Canclini hebt hervor, dass die Rationalität, mit der Menschen ihre sozialen Beziehungen schaffen, nicht vorwiegend auf dem eigentlichen "Kampf um die Produktionsmittel" (García Canclini 2001:40) selbst oder auf der Befriedigung von materiellen Bedürfnissen beruht. Vielmehr hebt García Canclini den Aneignungsprozess von Gütern hervor, der eine symbolische Differenzierung zwischen Menschen (oder Gruppen) ermöglicht. Daher betrachtet er Güterkonsum und wie dieser gesellschaftlich kommuniziert wird als "status marker".

Verweise: [1] https://web.archive.org/web/20040819210356/http://www.conaculta.gob.mx/saladeprensa/2003/16jun/principal.html
[2] https://web.archive.org/web/20170529181341/http://www.mexartes-berlin.de/esp/02/canclini-print.html
[3] https://web.archive.org/web/20191115073800/http://www.infoamerica.org/teoria/garcia_canclini1.htm
[4] Siehe Kapitel 2
[5] Siehe Kapitel 3.3
[6] Siehe Kapitel 1.2


3.3.1.1 Néstor García Canclini und die Logik des Konsums


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Für eine sozialanthropologische Untersuchung von Konsum hält García Canclini die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Perspektiven besonders wichtig:

Er unterscheidet dabei dezidiert zwischen Gütern und Waren, die als "marker of difference" eingesetzt werden und jenen die zur Bedürfnisbefriedigung konsumiert werden:

"The logic that drives the appropriation of commodities as objects of distinction is not the same as the logic involved in the satisfaction of needs. It is defined, rather, by the scarcity of those commodities and the impossibility that others should have them" (Gacía Canclini 2001:40).

Er erkennt in den Aktionsfeldern der Menschen --- in Bezug auf ihr Konsumverhalten --- bestimmte Logiken.

Beispiele:

  • Technologische Produktentwicklungen erreichen im marktwirtschaftlichen Gefüge zu Beginn --- durch teure Preise --- nur wohlhabende Bevölkerungsgruppen, die sich Investitionen bzw. Anschaffungen dieser Art leisten können. Eliten und damit die Minorität der Bevölkerung setzt sich von den Nicht-Besitzenden ab, weil jene, die besitzen und diejenigen, die nicht besitzen die soziokulturelle Bedeutung der Güter akzeptieren und gemeinsam tragen. Ohne die Anerkennung dieser Umstände durch die Nicht-Besitzenden, erreicht der Besitz keine differenzierende Wirkung.
  • Kunsthandwerk oder religiöse Zeremonien, die zum geistigen und materiallen Besitz indigener Gruppen gehören, werden in unterschiedlichen Kontexten genutzt. Sie haben als materielle, kulturelle Repräsentation von Weltbildern besondere Bedeutung. Sie werden gleichzeitig als Symbole des Eigenen aber auch zur Abgrenzung ("marker of difference") von anderen Bevölkerungsgruppen verwendet. So kann das Wissen um die kulturelle Bedeutung materieller Güter als Mittel zur Diskriminierung bestimmter Gesellschaften missbraucht werden. Das geschieht durch Nutzung, Einordnung, Qualifizierung und Bewertung diese Güter und Symbole von außen.
"Consequently, we should acknowledge that consumption contributes to the integrative and communicative rationality of a society" (García Canclini 2001:40).

3.3.2 Arjun Appadurai --- Waren, deren politische Bedeutung & Konsum

Arjun Appadurai, Quelle: New School University --- Alumni News: https://web.archive.org/web/20051027065412/http://www.newschool.edu/admin/alumninews/spring05/indiachina.html[1] [12.07.2005]

Der Anthropologe Arjun Appadurai (*1949) wurde in Indien geboren. Er studierte Anthropologie u. a. in Chicago, wo er in der Folge auch unterrichtete. Er beschäftigt sich in seinen Studien intensiv mit Historischer Anthropologie, Globalisierungsdebatten und Medienanthropologie, ethnisch determinierten Gewaltkonzepten, mit Konsumgewohnheiten, Raumvorstellungen, mit Diskursen zur internationalen Zivilgesellschaft sowie mit Stadtforschungen in Südasien.

Als seine wichtigsten Publikationen sind zu nennen:

1986 (Hrsg.): The social life of things. Commodities in cultural perspective. Cambridge, Cambridge University Press

1991 (Hrsg.): Gender, genre, and power in South Asian expressive traditions. Philadelphia, Pennsylvania, University of Pennsylvania Press

1996: Modernity at large: cultural dimensions of globalization. Minneapolis, Minn. Univ. of Minnesota Press

2000: (Hrsg.): Globalization. Durham, NC, Duke Univ. Press

Appadurai im Internet:

South Asia Network of Economic Research Institutes: https://web.archive.org/web/20090503093835/http://www.saneinetwork.net/structure/rap/prof_arjun.asp[2] [27.04.2005]

In der Publikation "The Social Life of Things" (1996) beschäftigt er sich mit der Bedeutung von Waren, Dingen und deren soziokultureller Kontextualisierung. Im Zuge seiner Analysen (Appadurai 1999 [1996]:3-63) erschließt Appadurai aus anthropologischer Perspektive die Entstehung der Wertigkeit von Dingen und Waren[3] und beschreibt die enge Verquickung der Tauschbeziehungen zwischen Menschen oder Gruppen mit den Bereichen der Konsumption. Sowohl die politische Relevanz des Tauschens von Waren[4] als auch die gezielte Betrachtung der Dinge[5] selbst, die sich im Distributions- und Konsumptionsprozess ständig in Bewegung befinden, stehen dabei im Mittelpunkt.

Verweise: [1] https://web.archive.org/web/20051027065412/http://www.newschool.edu/admin/alumninews/spring05/indiachina.html
[2] https://web.archive.org/web/20090503093835/http://www.saneinetwork.net/structure/rap/prof_arjun.asp
[3] Siehe Kapitel 3.3.2.2
[4] Siehe Kapitel 3.3.2.8
[5] Siehe Kapitel 3.3.2.1


3.3.2.1 "The Social Life of Things" --- Von Waren und den "Politics of value"


Arjun Appaduai geht bei seiner Auseinandersetzung mit Waren und deren Gebrauch von zwei wichtigen Prämissen aus (Appadurai 1999 [1996]:3):

  • Ökonomischer Austausch erzeugt Wertigkeiten.
  • Der Wert wird durch die Waren ("commodities") verkörpert, die getauscht werden.

Für Appadurai ist wichtig, dass bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Dingen und Waren nicht nur die Formen und Funktionen des Tauschens behandelt werden, sondern dass die Dinge selbst, die getauscht werden, analysiert werden. Diese Perspektive verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Tauschprozessen und der Wertigkeit von Waren. Jene Elemente, die diese Bereiche miteinander verbinden, bezeichnet Appadurai als Politik ("politics") (1999 [1996]:3). Politik versteht er dabei in einem sehr breiten Sinn: Er bezeichnet Aneignungen von Gütern jeglicher Art, aber auch Formen von Beziehungen, Streitigkeiten, Konkurrenzen und Allianzen (in Bezug auf Machtverhältnisse) als politische Aktivitäten (Appadurai 1999[1996]:57).

"Politics [...] is what links value and exchange in the social life of commodities" (Appadurai 1999 [1996]:57).

In der Folge entwickelt er den Standpunkt, dass nicht nur Personen, sondern auch Waren "soziales Leben" besitzen: "the social life of things" (1999 [1996]:3).

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3.3.2.2 Arjun Appadurai und Georg Simmel --- Der Wert von Waren


"Commodities can [...] be defined as objects of economic value" (Appadurai 1999 [1996]:3).
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Bei der Definition des Wortes Ware geht Appadurai auf Georg Simmel (1907) zurück:

Wert ist den Dingen nicht grundsätzlich immanent, er wird ihnen durch das Urteil von Subjekten zugeordnet. Ökonomische Objekte existieren für Simmel im Raum zwischen Nachfrage bzw. dem Verlangen und dem unmittelbarem Gebrauch derselben. Simmel definiert diesen Raum als Distanz. Diese existiert auch zwischen den Objekten und den Personen, die diese aneignen wollen. Sie wird in der Folge durch ökonomischen Tausch überbrückt, wobei der Wert von Objekten von beiden Teilen der Tauschbeziehung reziprok abhängig ist. (Appadurai 1999 [1996]:3).

Wünsche und das Begehren von Personen werden erfüllt, indem sie sich im Tauschprozess von anderen Objekten trennen, d. h. auf diese verzichten. Diese Objekte stellen für andere Personen gleichzeitig Wunschobjekte dar. Diese Formen des Austauschs mittels Verzicht (des einen) machen für Simmel gemeinsam mit dem entstehenden Gewinn (des anderen) das ökonomische Leben aus (Appadurai 1999 [1996]:4). Somit ist die Nachfrage nach Objekten die Basis für einen realen oder imaginierten Tausch. Nachfrage stiftet Wert, der Tausch setzt Parameter in Form von Nutzen und Knappheit. Darin sieht Simmel den Ursprung des Werts (ebd.).

Auf diesen Annahmen baut Appadurai auf. Für ihn ist davon ausgehend bedeutsam, unter welchen Bedingungen ökonomische Objekte in verschiedenen Wertekontexten, den sogenannten "regimes of value", unter Berücksichtigung der räumlichen und zeitlichen Komponenten zirkulieren. Wünsche, Begierden und die daraus resultierende Nachfrage sind dafür die Grundlage. Reziproker Verzicht, der daraus entstehende Gewinn sowie sich konstituierende Machtpositionen schaffen ökonomische Werte in spezifischen sozialen Situationen (Appadurai 1999 [1996]:4).


3.3.2.3 Waren, Institutionen und Wissen


Arjun Appadurai konzentriert sich auf folgende Schwerpunkte:

  • Das Wesen von Waren: Er argumentiert dabei, dass Waren nicht - wie gemeinhin verstanden - von der modernen, industriellen Ökonomie monopolisiert sind. Er dekonstruiert die Annahme, dass Waren als materielle Repräsentation der kapitalistischen Produktionsweise (im Sinne Marx´s) angesehen werden (link Gerti). "Let us approach commodities as thing in a certain situation, a situation that characterize many different kinds of thing, at different points in their social lives" (Appadurai 1999 [1996]:13). In diesem Sinne plädiert Appadurai für eine Kontextualisierung von Waren nicht allein im Produktionsprozess, sondern für einen Fokus, der die Bereiche der Produktion, Distribution/Austausch und der Konsumption (Prozess wirtschaftlichen Handelns link Gerti) mit einschließt (ebd.).
  • Einen zweiten wichtigen Schwerpunkt bildet die Analyse von institutionellen und individuellen Strategien, die die wertschaffende Prozesse in Gesellschaften als politisch motiviert und instrumentalisiert aufzeigen. Werte werden geschaffen, um Institutionen, politische Motivationen oder Machtpositionen zu manifestieren (Appadurai 1999 [1996]:16ff).
  • Die Bedürfnisse nach und des Begehrens von Waren handelt Appadurai mittels Analyse von kurz- und langfristig existierenden Mustern bei der Warenzirkulation ab. Er zeigt damit, dass Konsumption ein entscheidendes Element für die Konstituierung sozialer Kontrolle und politischer Redefinitionsprozesse[1] darstellt (1999 [1996]:29ff).
  • Mit dem Zusammenhang von Waren und Wissen[2] beschäftigt sich Appadurai in einem weiteren Kapitel (1999 [1996]:42ff). Er zeigt, dass die Bereiche der "politics of value" auf das Engste mit den Kontexten des Wissens, des Wissensbesitzes und der Akkumulation desselben verbunden sind.
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Verweise: [1] Siehe Kapitel 3.3.2.5
[2] Siehe Kapitel 3.3.2.3


3.3.2.4 Von Waren, Menschen und Ideen


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Appadurai entwickelt in Bezug auf die Analyse von Dingen und Objekten wichtige theoretische und methodologische Standpunkte:

  • Dinge haben ohne den direkten Bezug zu menschlichen Tätigkeiten, ohne menschliche Attribute keine Bedeutung. Folge dieser "formal truth" (Appadurai 1999 [1996]:5) ist es, dass die konkreten historischen Weiterentwicklungen von Dingen nur sehr begrenzt beschrieben bzw. beleuchtet werden können.
  • Appadurai entwickelt gleichzeitig die Position, dass Dinge für sich selbst stehen und Bedeutungen in ihre Form, ihren Gebrauch und ihre Weiterentwicklung eingeschrieben werden. Durch die Analyse dieser Weiterentwicklungen können Interpretationen des menschlichen Umgangs mit und Bewertungen von Dingen vorgenommen werden.
  • Methodologisch gesehen erzählen und beschreiben die "things-in-motion" (Appadurai 1999 [1996]:5) ihren eigenen sozialen und menschlichen Kontext. Über deren Analyse können daher die verschiedenen Gesellschaften erschlossen werden. Es ergibt sich also für eine theoretische Perspektive die Ansicht, dass Dinge von Menschen mit Bedeutungen versehen und damit sozialisiert werden.
"No social analysis of things (whether the analyst is an economist, an art historian, or an anthropologist) can avoid a minimum level of what might be called methodological fetishism. This methodological fetishism, returning our attention to the things themselves, is in part a corrective to the tendency to excessively sociologize transactions in things, a tendency we owe to Mauss [...]" (Appadurai 1999 [1996]:5).


3.3.2.5 Konsum als Ausdruck politischer und sozialer Kontrolle I


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Menschliche Bedürfnisse spielen für die Auseinandersetzung mit Konsum eine wichtige Rolle. In den Sozialwissenschaften wird die Auseinandersetzung mit selbigen oft als "mystery" (Appadurai 1999 [1996]:29f) bezeichnet. Das hat damit zu tun, dass im Begriff der "Bedürfnisse" mentale Aspekte (z. B. menschliches Begehren) und biologische Notwendigkeit aufeinandertreffen.

Der Konsumbegriff der westlichen Ökonomien unterstellt die Konsumbedürfnisse der Menschen generell als unendlich, als kulturungebunden und transkulturell wirksam, notwendig und fixiert (Appadurai 1999 [1996]:29f). Konsumverhalten wird deshalb oftmals ausschließlich als Reaktion auf bestimmte Einflüsse verstanden und nicht als aktives soziales Handeln.

Arjun Appadurai zeigt an Hand verschiedener regionaler Ethnien, bei denen sich ein rapider kultureller Wandel festmachen lässt, die kulturelle Komplexität von Konsum. Konsumgewohnheiten sind hierbei nicht nur eine mechanische Antwort auf manipulative gesellschaftliche Kräfte (z.B. die Werbung in westlichen Ökonomien), sondern für Appadurai sind diese kulturgebundene Phänomene, haben Funktionen für soziale Praktiken und Klassifikationen (Appadurai 1999 [1996]:29f). Gruppenzugehörigkeit, egalitäre ökonomische Strukturen und Machtbeziehungen bilden einen Rahmen von Werten, der die Adaptierung von "neuen" Kulturgütern reguliert und steuert. So zeigt sich die Regulierung von Bedürfnissen durch die Gesellschaft als Teil einer Strategie, die gesellschaftliche Normen --- auch unter Einfluss neuer Kulturgüterangebote --- erhalten kann und will (vgl. Gell 1999 [1996]:110ff). Bedürfnisse nach Güterkonsum sind somit nicht "natürlich gegeben", sind keine natürlich-mechanische Antwort auf die Erwerbbarkeit von Gütern und Beschaffung von Geldmitteln, sondern gelebte soziale Praxis. Das Angebot "neuer" Waren, die von außen in eine Gesellschaft hineingetragen werden, bedeutet nicht automatisch das Bedürfnis, diese auch sofort erwerben zu wollen.

"Demand is thus the economic expression of the political logic of consumption [...] I suggest that consumption is eminently social, relational, and active rather than private, atomic or passive" (Appadurai 1999 [1996]:30).


3.3.2.6 Konsum als Ausdruck politischer und sozialer Kontrolle II


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In Anlehnung an Mary Douglas entwickelt Arjun Appadurai die Idee der gesellschaftlichen Doppelfunktion von Konsum:

  • Konsum (und damit auch die vorangehenden Bedürfnisse der Menschen) ist die Möglichkeit in Interaktion mit anderen Menschen zu treten ("sending social messages") (Appadurai 1999 [1996]:31).
  • Konsumieren bedeutet jedoch auch gleichzeitig die Möglichkeit "social messages" zu erhalten ("receiving") (ebd.).

Appadurai leitet daraus zwei verschiedene Beziehungen ab, die ihm als essentiell erscheinen und sich auf die Wechselwirkung von Konsum und Produktion beziehen:

  • Bedürfnisse sind von sozialen und ökonomischen Kräften und Rahmenbedingungen abhängig.
  • Bedürfnisse haben --- in begrenztem Maße --- die Möglichkeit, diese sozialen und ökonomischen Kräfte zu beeinflussen.

Fallbeispiel: Die aristokratischen Bedürfnisse im premodernen Indien bestimmten in ihrem Einflussbereich die Produktion von Gütern und setzten Trends im Geschmack weiter Teile der Bevölkerung. Gleichzeitig richteten sich diese von den Eliten gesetzten Parameter nach den von Europa ausgehenden Trends und Moden. Somit bestimmt eine soziale Gruppe in ihrem Einflussbereich mit ihren Konsumgewohnheiten die Strukturen der Produktion und des Verbrauchs. Gleichzeitig wird die Gruppe selbst durch externe Konsumstrukturen selbst bestimmt und beeinflusst. Der Geschmack der Eliten hat somit strukturgebenden Charakter, der sich über politische Macht und soziale Kontrolle ausdrückt.

"The demand for commodities is critically regulated by this variety of taste-making mechanisms, whose social origin is more clearly understood (both by consumers and by analysts) in our own society than those distant from us. [...] However, demand is a socially regulated and generated impulse, not an artifact of individual whims or needs" (Appadurai 1999 [1996]:32).


3.3.2.7 Luxusgüter


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Einhergehend mit dem Aufkommen des frühen Kapitalismus, der Ausdehnung des europäischen Handels auf andere Kontinente, des Industriekapitalismus als auch der Bedeutung von Finanzkapital bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden bestimmte Güter zu "Luxusgütern", die den sogenannten "Neureichen" oder der Aristokratie vorbehalten waren.

Dieser "Luxus" ist in Arjun Appadurais Analysen Teil eines "special 'register' of consumption" (1986a:38). Er schlägt damit eine Erfassung von Konsumgewohnheiten und Gütern durch bestimmte Attribute vor.

Für (Luxus-)Güter gestaltet sich der gesellschaftliche Zugang für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich. Die Zugangmöglichkeiten zu Gütern stehen in unmittelbarem Zusammenhang zu dem von Appadurai formulierten "register of consumption". Luxus wird innerhalb dieses "Konsumverzeichnisses" durch folgende Attribute bestimmt (Appadurai 1986a:38):

  • Die Restriktion: Güter sind durch hohe Preise oder gesetzliche Bestimmungen zu Gunsten der Eliten regelmentiert und nur für wenige zugäglich.
  • Die Komplexität des Gütererwerbs: der Erwerb von Waren gestaltet sich zu komplex, um für alle Bevölkerungsgruppen mit gleichem Aufwand möglich zu sein. Mangel (u. a. an materiellen Gütern, Transportmöglichkeiten etc.) wird zum limitierenden Faktor für den Erwerb dieser Güter.
  • Die soziale Signalwirkung bestimmter Güter: Der Besitz und die Verwendung bestimmter Güter bringen sozialen Status und/oder Prestige zum Ausdruck (z. B. Seidengewänder, Juwelen, besondere Nahrungsmittel etc.)
  • Das spezialisierte Wissen: Für den Konsum von Gütern ist oftmals das Wissen um deren Gebrauch von Nöten. Dieses ist innergesellschaftlich sehr selten flächendeckend für alle Bevölkerungsgruppen gegeben. "Neue" Güter werden durch ihren physischen Aufbau ("design") gewissen Bevölkerungsgruppen vorenthalten, weil deren Gebrauch ein "Spezialwissen" erforderlich macht. Appadurai nennt das "regulation by fashion".
  • Der Grad an Verbundenheit von Mensch und Konsumgewohnheit: Als letztes Attribut nennt Appadurai die Beziehungen von Personen, Persönlichkeiten und Körper mit den Konsumgewohnheiten, der für den Konsum der Güter nötig ist. Diese Beziehung bestimmt die Fortführung oder Ablehnung von Konsumgewohnheiten durch den Menschen.


3.3.2.8 "Politics of value" I --- die politische Relevanz von Austausch und Konsum


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Die politische Relevanz, die durch Austausch und Bewertung von Gütern in Gesellschaften entsteht wird im alltäglichen Austausch von Gütern nicht immer sofort offensichtlich. Routine und gesellschaftliche Gewohnheiten lassen Austausch trivial und unspektakulär erscheinen.

Arjun Appadurai (1996) weist in seinen Ausführungen klar darauf hin, dass Formen des alltäglichen Austausches über gesellschaftliche Übereinkünfte geregelt werden. Somit wird bestimmt, was innergesellschaftlich erwünscht sein darf, auf welche Weise welche Güter "vernüftig" getauscht werden, auf welche Dinge für welchen "Gegenwert" verzichtet werden kann und wem es erlaubt ist auf welche Weise unter welchen Umständen möglichst effektiv und befriedigend zu "tauschen" (Appadurai 1999 [1996]:57).

"What is political about this process is not just the fact that it signifies and constitutes relations of privilege and social control. What is political about it is the constant tension between the existing frameworks (of price, bargaining, and so forth) and the tendency of commodities to breach these frameworks" (Appadurai 1999 [1996]:57).

Für Appadurai ist entscheidend, dass nicht alle Teile einer Gesellschaft in diesen Beziehungen --- innerhalb eines Wertsystems --- die gleichen Interessen verfolgen. Auch innerhalb bilateraler Austauschbeziehungen sind es die unterschiedlichen Interessen der Parteien, die diese Austauschbeziehung bestimmen. Dadurch ergibt sich der von Appadurai zitierte innergesellschaftliche Druck ("tension"), der permanent Veränderungen bedingt (ebd.).


3.3.2.9 "Politics of Value" II - Konsum & die Relevanz von Konkurrenz


Ein wichtiges soziales Element stellen stellen für Appadurai jene Konkurrenzkämpfe dar, die über Wertigkeiten geführt werden ("tournaments of value"). Eliten konstituieren sich über eine "politics of fashion", über Tabus und Luxusgüter ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft. Sie positionieren sich damit in Opposition zu jenen, die diese Güter nicht im Austausch erwerben können. Diese Form der "politics" im Sinne Appadurais reguliert die Nachfrage.

Güter haben jedoch die Eigenschaft, die Grenzen von Gesellschaften oder kulturellen Gemeinschaften zu überschreiten, sie zu durchbrechen. Somit droht die politische Kontrolle der Güterzirkulation und des Gütergebrauchs unter ständigen Druck zu zerbrechen.

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Appadurai entwickelt in seinen Analysen in der Folge die Position, dass jene, die innergesellschaftlich Macht ausüben und kontrollieren, immer auch die Stabilität von Wertigkeiten im Auge haben. Die "Mächtigen" haben die Intention "creating a closed universe of commodities and a rigid set of regulations about how they are to move" (Appadurai 1999 [1996]:57).

Innergesellschaftliche Veränderung bedeutet auch Veränderungen der Machtverteilung. Veränderungen im System des Güteraustauschs, der Nachfrage und der Verteilung tragen dazu bei. Gleichzeitig bedingen die Konkurrenzkämpfe der Mächtigen untereinander jedoch eine Ausweitung der verfügbaren Güterpalette und die Destabilisierung jener Muster, die ihre Macht absichern.

"So far as commodities are concerned, the source of politics is the tension between these two tendencies" (Appadurai 1999 [1996]:57).

Politik im Sinne Appadurais kann also die verschiedensten Formen annehmen: Sie dient der Unterscheidung von Menschen und Gruppen, von Wissenden und Unwissenden sowie dem eigenen "Zur-Schau-Stellen" derselben, dem Ausdruck von Authentizität und der Selbstidentifikation, der Kontrolle von Luxus und Überfluss und der Machtverteilung.

In den vielen verschiedenen Ausformungen, den "ups and downs" (ebd:57) der "politics of value" verortet Appadurai auch die Gründe für die "Launen der Nachfrage" nach Gütern, Dingen und Waren.

"It is in this sense that politics is the link between regimes of value and specific flows of commodities" (Appadurai 1999 [1996]:57).

In der Anerkennung dieser Erkenntnisse verortet Appadurai die Chance, die Beziehungen zwischen dem Produktionsprozess und dem Bereich der Politik zu erhellen:

"We are now in a better position to demystify the demand side of economic life" (Appadurai 1999 [1996]:58).


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4 Konsum in Zeiten der Globalität

Verfasst von Maria Dabringer

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In Zeiten global wirkender Einflüsse, die sich über den gesamten Erdball ausbreiten, sind Phänomene wie internationale Warenströme und der Eingriff supranationaler Konzerne auf die Konsumgüterverteilung selbstverständlich geworden. Eine verstärkte Reise- und Migrationstätigkeit der Menschen aller Erdteile in alle Regionen der Welt ist zu verzeichnen, und es ist nur selbstverständlich, dass sich eine Auseinandersetzung mit materieller Kultur, mit Kulturgütern (z. B. Nahrungsmitteln) nicht auf eine reine Analyse der Bedingungen in einer speziellen Gesellschaft in ihrem eigenen Kontext beschränken lässt. Eine sehr differenzierte Bestandsaufnahme von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Gesellschaften sowie historischen Einflussfaktoren wird notwendig.

Mittlerweile sind die Warenströme weltweit so komplex vernetzt und verwoben und die Konsumenten/innen-Gruppen so heterogen, dass eine Analyse bestimmter Konsumgewohnheiten an einem bestimmten Ort die Vielfalt an Interaktion(smöglichkeiten) für gesellschaftliche Akteure/-innen offensichtlich macht.

"[...] demographic change, transportation and transaction costs, markets and merchants are all fundamental in determining what we eat, drink, and wear" (Bauer 2001:2).

Eine sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Konsumgewohnheiten im Kontext von global wirkenden Prozessen widmet sich

  • einer differenzierten Sichtweise von globalen Einflüssen und lokaler Alltagsrealität,
  • den daraus resultierenden theroretischen Erklärungsmodellen, die eine weltweite Homogenisierung als auch eine verstärkte Lokalisierung in weltweiten Konsumgewohnheiten des beginnenden 21. Jahrhunderts verorten,
  • der Bedeutung der historischen Entwicklung der Konsumgewohnheiten in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten,
  • der Bedeutung der Mobilität einer Vielzahl von Menschen weltweit (z. B. Migration, Tourismus) für lokale Konsumgewohnheiten sowie
  • der Betrachtung konkret lokaler Konsumgewohnheiten.

Inhaltsverzeichnis

Weitere Kapitel dieser Lernunterlage

1 Der Begriff "Konsum(ption)"
2 Ökonomisch geleitete Perspektiven und Konsum
3 Konsum als sozialer, kultureller und interaktiver Prozess
5 Bibliographie


Nächstes Kapitel: 4.1 Globaler Konsum: Weltweite Einheitlichkeit versus lokale Differenzierung?


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Vorheriges Kapitel: 4 Konsum in Zeiten der Globalität

4.1 Globaler Konsum: Weltweite Einheitlichkeit versus lokale Differenzierung?

Verfasst von Maria Dabringer

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Konsumgewohnheiten sind weltweit nicht einheitlich, sie sind differenziert ausgeprägt und den lokalen Bedürfnissen und Geschmäckern angepasst. Weltweit werden Konsumgewohnheiten durch Medien und Kommunikationsmittel ähnlich dargestellt und transportiert. Nichtsdestotrotz entsteht eine Vielfalt an kulturellen Ausformungen, die alles andere als homogen zu bezeichnen sind (Braidenbach & Zukrigl 2000:46ff).

Es wird sichtbar, dass Waren und Güter, die über staatliche Grenzen hinweg weltweit Verbreitung finden, von Gesellschaften in das eigene Weltbild integriert werden. Fremdes wird "domestiziert", angepasst und adaptiert. Neue kultur- und sozialanthropologische Konsumforschung wendet sich eben diesen Strategien zu und betrachtet sie für Gesellschaften als Mittel zur "[...] Selbstdefinition und Selbsterhaltung [...] und nicht als oberflächliche, hedonistische Gleichmacherdroge" (Breidenbach & Zukrigl 2000:58).

Die globale Ausbreitung einheitlicher Konsummuster und gleichzeitig auftretender lokaler Adaptionsleistungen in verschiedenen Gesellschaften beschreiben das "Homogenization Paradigm[1]"und das "Creolization Pardigm[2]", die innerhalb der Kultur- und Sozialanthropologie thematisch eingebracht und diskutiert werden. Sie beschäftigen sich damit, welche neuen Konsumkulturen dabei im "Süden" entstehen, ob westliches Konsumverhalten schlichtweg kopiert wird und ob durch diese "kulturelle Globalisierung" eine Homogenisierung der Verhaltensweisen weltweit vorangetrieben wird.

Hinzu kommt, dass seit dem Jahre 2002 eine Milliarde hungerleidender Menschen ein Hinweis darauf sind, dass Konsumverhalten und die grundsätzliche Möglichkeit, Güter oder Nahrungsmittel überhaupt konsumieren zu können, von der Selbstverständlichkeit der menschlichen Bedürfnisbefriedigung zu einem Privileg geworden sind. Die Analyse des vergesellschafteten Konsums macht Differenzen in vielerlei Hinsicht sichtbar.

Verweise: [1] Siehe Kapitel 4.1.1
[2] Siehe Kapitel 4.1.2

Inhalt

4.1.1 These der "Globalen Homogenisierung"

Die Sozial- und Kulturanthropologie der 1990er Jahre versuchte zu erkunden, welche neuen gesellschaftlichen Strukturen in Ländern des "Südens" entstehen, wenn sich bestimmte, meist westliche Strukturen und Gewohnheiten global ausbreiten. Es stellt sich die Frage, ob westliches Verhalten schlichtweg kopiert wird und ob durch diese kulturelle Globalisierung eine Homogenisierung der Verhaltensweisen weltweit vorangetrieben wird. Besonderes Augenmerk wird dabei den Konsumgewohnheiten geschenkt.

Ausgehend von diesen Fragestellungen entstand das "Global Homogenization Paradigm". Sie bezeichnet einen Effekt, der durch die Verteilung von bestimmten "globalen Gütern" in alle Teile der Welt entsteht: Demnach werden kulturelle Differenzen zunehmend geringer, wenn lokal verwendete Produkte durch global vermarktete ersetzt werden, die meist aus dem Westen stammen. Somit kommt es zu einem weiteren Prozess der Kolonialisierung (oder Re-Kolonialisierung) der nicht-westlichen Welt durch jene Institutionen, die eine weltweite Vermarktung erst möglich machen. Durch diese "Globalisierung von Konsum" ergibt sich u. a. eine Vereinheitlichung von Männer- und Frauenbildern, die mit der Angleichung von Geschmack, Verhalten und Wertorientierungen gekoppelt ist (Wichterich 1998:198).

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Ulf Hannerz (1992:217) bezeichnet dies als "cocacolonization of the world". Die Entstehung dieses Begriffes lässt sich auf die weltweite Verbreitung des "softdrinks" Coca Cola zurückführen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts steht der Werdegang dieses Getränkes repräsentativ für eine solche Entwicklung und kann, "as a central symbol of 'cultural imperialism'" (Hannerz 1992:217) angesehen werden.

Der Lebensstil der USA und Wohlstand wurden über seinen Konsum ebenso suggeriert wie das Image eines weltoffenen, universellen und transkulturellen Produktes. Der "american dream" ist im Konsum von Coca Cola ebenso enthalten wie die damit verknüpfte Ideologie der "Freien Welt" und eines uneingeschränkten, selbstbestimmten Konsum ("consumer democracy"). Mit dem Slogan "Coke offers a taste of Freedom" transportiert diese Form des Kulturtransfers auch oft genug seine politische Bedeutung (Howes 1996:3ff, Bauer 2001:207ff, Beck 1997:80ff).

Die kultur- und sozialanthropologische Konsumforschung ist bestrebt, diese Homogenisierungs- oder McDonaldisierungsthese durch Fallstudien zu widerlegen und die Besonderheiten der Adaptierungen "neuer" Konsumgüter hervorzuheben (vgl. Spittler 2002:17ff). In der kulturwissenschaftlichen Forschung geht man mittlerweile davon aus, dass Globalisierung und Massenproduktion kultureller Symbole keine kulturelle Vereinheitlichung herbeizwingt, eine absolute globale Kultur nicht im Entstehen begriffen ist (Beck 1997:100).


4.1.2 These der "Kreolisierung"

Eine Auseinandersetzung mit den lokalen Strukturen von Konsum im "Süden" zeigte, dass "neue" Produkte innerhalb einer Gesellschaft angepasst werden, dass sie anders als "ursprünglich" gedacht verwendet und angewandt werden, "a new cultrual setting or 'local reality' " (Howes 1996:5) entsteht. Denn bei jeder Form der Globalisierung geht es vor allem auch um Lokalisierung: aus der "Dialektik kultureller Globalisierung" (Beck 1997:85) entwickeln sich hybride Formen der Konsumkultur, die sich durch die spezielle Adaptierung der "annehmenden" Bevölkerung kennzeichnen. Neue Güter oder Medien

"[...] do not have the power to drive members of the group to abandon themselves to the novelties. The desire to posses 'the new' does not operate as something irrational or independent of the collective culture to which these people belong" (García Canclini 2001:43).
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Bestehende Formen von Konsum werden dabei verändert, umgeformt und je nach Brauchbarkeit und Kontextualisierung in das soziale Leben integriert. Diese Veränderungen werden unter dem Begriff "Creolization Paradigm" zusammengefasst. Der Terminus "Kreolisierung" stammt aus der Linguistik. Als Kreolisch (Mischformen aus Kolonialsprache und afrikanischen Sprachen) wurden ursprünglich die im Zuge der Kolonialisierung neu entstandenen Sprachen in der Karibik und Westafrika bezeichnet (Breidenbach & Zukrigl 2000:85). Der Begriff der Kreolisierung versucht, "Vermischungen, Widersprüchen und durchlässigen Grenzen von Bedeutungssystemen gerecht zu werden" (Breidenbach & Zukrigl 2000:85).

Im Kontext von Konsumgewohnheiten beizeichnet der Begriff den Prozess, bei dem es zu einer Rekontextualisierung von Gütern kommt, die eigentlich aus anderen kulturellen Kontexten stammen.

"[...] Untersuchungen zur Aneignung importierter Güter belegen, dass die Übernahme fremder Güter nicht als Überwältigtwerden oder als passive Hinnahme angesehen werden kann, sondern dass diesem Prozess ein aktives Handeln entspricht" (Spittler 2002:18).

Dieser Prozess wird auch Hybridisierung (link) genannt (Howes 1996:5ff, García Canclini 1997, Spittler 2002). Dabei werden die mit den Produkten verknüpften ursprünglichen Ideologien nicht unbedingt mitgenommen: Es entstehen neue Identitäten für ein Produkt und es kommt zu einer Rekontextualisierung desselben.

Die Marke Inka Kola formierte sich beispielsweise als peruanisch-nationalistische Alternative zu den importierten "softdrinks" wie Coca Cola. Inka-Kola wurde zu einem Symbol nationalen Stolzes. Die Idee des "softdrinks" wurde aufgenommen, angepasst und mit anderen Ideologien versehen. Es kann als Beispiel für den Prozess der Kreolisierung oder "appropriation[1]" gelten.

Verweise: [1] Siehe Kapitel 4.1.2.1


4.1.2.1 "Appropriation" oder Aneignung von Gütern


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Unter "appropriation" oder Aneignung verstehen Kultur- und Sozialanthropologen/-innen (unter ihnen Gerd Spittler) "vor allem den Akt der kulturellen Interpretation und Umdeutung" (2002:16). Spittler plädiert für eine zusätzliche, für ihn wichtige Untersuchung des Prozesses der "in Besitznahme" von Gütern durch Menschen und die damit verbundene Interaktion der Menschen miteinander, die der Rekontextualisierung vorausgeht. Diese Prozesse werden manchmal als eine Art "zweite Produktion" verstanden, bei der Bedeutungen "umgearbeitet" werden (Hess & Lenz 2001b:24).

So entstehen neue, Gruppen (oder auch Nationen) symbolisierende Konsummuster, die oftmals jenseits der Klassen ideologische Zugehörigkeiten repräsentieren. Viele der heute international vom Norden in den Süden (und umgekehrt) transferierten Produkte beinhalten eine Vielzahl von ideologischen Kontexten, die mit diesen Gütern von den Menschen mitkonsumiert werden (Carrier 2004 [1996]:129).

Eng mit diesem Konzept verknüpft ist das von Roland Robertson formulierte Phänomen der "Glokalisierung". Er versteht das Lokale als einen Aspekt des Globalen. Ein "clash of localities" bedingt, dass lokale Kulturen unter globalen Einflüssen neu bestimmt werden müssen. Widersprüchliche Elemente werden dabei in ihrer Einheit begriffen (Beck 1997:90ff, Robertson 1998). Christa Wichterich argumentiert ebenso in dieser Linie: Sie verweist darauf, dass der globalisierte Markt lokale Elemente aufsaugt und daraus "Gewinne" abschöpft. In diesem Wechselspiel von Massenangeboten und Freizeitkonsum finden Retraditionalisierungstendenzen und Nationalstolz als "Gegenmodelle" ihren Raum (Wichterich 1998:201-205).

Diese Sichtweisen haben der Konsumforschung Aufschwung verliehen. Das drückt für Spittler (2002) nicht nur das Interesse an fremden Einflüssen in den verschiedenen kulturellen Kontexten aus, sondern führt zu einer Neubewertung von Konsum, jenseits kritischer Stellungnahmen zu Schlagwörtern wie "Konsumrausch" oder "Konsumabhängigkeit".


4.1.2.2 Hybridisierung


Als hybrid verstandene kulturelle Konzepte werden in der kulturwissenschaftlichen Forschung vor allem für die Analyse von Bereichen "in der Schwebe zwischen verschiedenen Positionen", von Vermischungen und Kreuzungen mehrerer Kontexte verwendet (z. B. Lebenswelten von Migranten/-innen) (Hess & Lenz 2001b:27).

Das Phänomen der "Hybridisierung" wird oftmals auch mit den Begriffen Kreolisierung (link), Synkretismus oder im Kontext der Forschungen zu Lateinamerika mit "mestizaje" gleichgesetzt. García Canclini verweist darauf, dass Synkretismus meist Verbindungen unterschiedlicher religiöser Tendenzen ausdrückt und das Phänomen der "mestizaje" (link Glossar) auf kulturelle "Mischformen" hinweist und der Kategorie "race" einen besonderen Stellenwert einräumt. Er verwendet deshalb für seine Auseinandersetzung mit Konsumgewohnheiten den Begriff der Hybridisierung (García Canclini 1997:11, Note 1).

Problematisch ist der Begriff "hybrid" insofern, als er die Gefahr in sich birgt, spezifische Lebenswelten als "außerhalb" einer bestimmten kulturell dominanten Wir-Gruppe aufzufassen und damit (im Fall von Migranten/-innen) einmal mehr rassistische Ausgrenzung zu betreiben (Hess & Lenz 2001b:27). Feministische lateinamerikanische Literatur setzt sich kritisch mit dieser Verquickung des Themas "Migration" und Hybridität als Konzept für neue (multiple) Identitätskonstruktionen auseinander (Gutiérrez Rodriguez 2001).

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Für den lateinamerika-studinischen Kontext von Konsumgewohnheiten behandelt der Soziologe Néstor García Canclini (1997) das Thema hybrider Formen soziokulturellen Zusammenlebens und sieht in ihnen "Modernes" und "Traditionelles" vermischt. Die Opposition dieser Begriffe lehnt er ab. Die im Zuge von Kategorisierungen stattfindende Reduktion menschlicher Gesellschaften weist García Canclini ebenfalls zurück, auch wenn er die Dreiteilung von Gesellschaften in die Bereiche "cultured", "popular" und "mass-based" als Ausgangsbasis für seine Analysen akzeptiert (vgl. García Canclini 1997:3ff):

"It is necessary to deconstruct that division into three levels [...] and verify if its 'hybridization' can be understood using the tools of disciplines [Kunst, Geschichte, Volkskunde, Soziologie und Anthropologie, Kommunikation, etc. Anm. d. Verfasserin] that are studied separately" (García Canclini 1997:2).

Er sieht in der multidisziplinären Analyse der Modernisierung Lateinamerikas eine Chance, weniger das Substituierende, Homogenisierende von Modernisierung hervorzuheben, sondern die "renovation whereby diverse sectors take responsability for the 'multitemporal heterogeneity' of each nation" (García Canclini 1997:3).

Städte fungieren dabei als Schnittpunkte unterschiedlicher kultureller Tendenzen. Traditionelles Kunsthandwerk und seine Bedeutung für den nationalstaatlichen Markt stehen im Mittelpunkt seiner Analysen. In seinen Studien hybrider Kontexte

Interessieren ihn auch jene "oblique powers", die zwischen Institutionen innerhalb der Nationalstaaten wirken, besonders jene Beziehungen zwischen beispielsweise demokratischen Bewegungen und paternalistischen Regimen.


4.1.3 Globale Waren - lokale Aneignungen

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Für den Umgang mit Gütern oder Waren sind nicht nur deren Produktion und Distribution von vorrangiger Bedeutung, sondern auch andere Faktoren. Gerd Spittler (2002) erarbeitet für den Umgang mit Waren relevante Punkte:

  • Die Analyse von materiellem Gebrauch und gesellschaftlicher Deutung von Dingen sind wichtige Komponenten sozialanthropologischer Forschung. Spittler betont, dass die Interaktionen von Menschen bei der Verwendung von Dingen und des Konsums (in all seinen Facetten) von Gütern besondere Beachtung erlangen sollte.
  • Vor allem jene KundInnen, die Waren tauschen oder kaufen, haben bedeutenden Einfluss auf die zu untersuchenden Prozesse des Konsums.
  • Spittler (2002:25) versteht unter globalen Waren "Waren, die nicht für einen regional begrenzten Kundenkreis produziert werden, sondern tendenziell für die ganze Welt". Deshalb wird die Warenzirkulation "globaler Waren" nicht durch den Herkunftsort bestimmt, sondern durch die Fokusierung auf die (eigentlich unbekannten) potentiellen KundInnen, die damit erreicht werden möchten. Globaler Warenvertrieb bringt gleichzeitig eine Anhängigkeit der KonsumentInnen von global agierenden ProduzentInnen mit sich. Diese Situation bedingt, dass sich die ProduzentInnen nicht an konkreten lokalen Begebenheiten orientieren, was eine zunehmende Distanz des Produktionsbereichs vom Konsumptionsbereich mit sich. (link Delokalisation des Nahrungssystems). Lokale Trends und Moden können bei der Produktion nicht berücksichtigt werden. (Spittler 2002 26ff) Vielmehr werden Trends und Moden durch globale Waren mitbestimmt.
  • Globale Waren können in lokalen Kontexten Interesse für andere kulturelle Gegebenheiten erzeugen. Bilder, Ideen und auch Klischees werden über die global vermarkteten Waren erzeugt und implementiert.
  • Globale Waren sind nicht allein ein Phänomen des vorherrschenden globalen Kapitalismus. Weltweit gibt es Waren, die seit Jahrhunderten über weite Strecken gehandelt und getauscht werden (z.B. Tee, Stoffe, Edelsteine, Salz, etc.). Bei der Analyse lokaler Konsumgewohnheiten ist die historische Dimension immer miteinzubeziehen, denn auch Phänomene wie die "Globalisierung" sind Produkt historischer Entwicklungen, die es zu beachten gilt. (link Wolf Elke)
  • Sozial- und kulturanthropologische Studien zu Konsum widmen sich seit einigen Jahren den lokalen Strukturen von Konsumverhalten, wobei sie sich zunehmend globalen Fragestellungen und ihrer Bedeutung für den lokalen Kontext öffnen. Spittler plädiert für eine weitere Öffnung der disziplinären Diskussion. Er meint, dass es notwenig ist "diese lokale Perspektive zu verlassen und die Interaktionen als Verflechtungen zu untersuchen" (Spittler 2002:28).


4.1.3.1 Das Verhältnis Produktion-Konsumption: Delokalisation des Nahrungssystems


Bei der Betrachtung von Konsum ergibt sich in Analysen oft eine (ungewollte) Verquickung mit dem lokalen Kontext der Stadt. Städtisches Leben steht in engem Zusammenhang zur "Konsumgesellschaft", weil sich die Möglichkeiten zu konsumieren und einen Ausdruck für Lebensgestaltung mittels Konsumgewohnheiten zu finden, in der Stadt verdichten. Diese städtische Konsumlastigkeit ist eng verknüpft mit Entwicklungen, die sich gleichzeitig im ländlichen Bereich ergeben.

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Der ländliche Sektor vieler Nationalstaaten wird zunehmend marginalisiert. Ländliche Produktionsstrukturen zerfallen weltweit. Staatliche Investitionen betreffen Infrastrukturen, städtisches Siedlungsgebiet und Industrien. Menschen migrieren vom Land in die Stadt, suchen bessere Ausbildungs- und Gesundheitsversorgung fern ländlicher Gebiete. Gleichzeitig übernehmen immer größere, global vernetzte Agrarunternehmen die produktiven Aufgaben einer zuvor bäuerlichen Ökonomie. Die Nahrungsmittelversorgung vieler Staaten liegt in der Folge nicht mehr in Händen der bäuerlichen Bevölkerung, sondern in jenen der Nahrungsmittelimporteure. Dieses als "Delokalisation des Nahrungssystems" (Pelto & Pelto 1985 zit. nach Montanari 2003:335) bezeichnete Phänomen spielt für die Essens- und Konsumkultur der Gegenwart eine bedeutende Rolle. Revolutionäre technische Entwicklungen und ein zunehmender Verstädterungsprozess haben seit Ende des 19. Jahrhunderts die Bindung zwischen Nahrung, der Nahrungsherstellung oder --produktion und dem Wohnort der Menschen zusätzlich schwächer werden lassen. Der direkte Bezug zu den Produktionsbedingungen geht dabei verloren. Technisierung sowie das Delegieren des Produktionsprozesses an die verarbeitende Nahrungsmittelindustrie schafft Distanz zu demselben. Die Beziehung zwischen Produzent/-in und Konsument/-in ist "[...] accentuated nowadays by the spatial and technological distance between producers and consumers" (García Canclini 2001:46). Verstärkt wird im Prozess kapitalistischer Warenproduktion (link) die Abhängigkeit von eben diesem. Neokoloniale Beziehungen von "Mutter"-Ländern zu ehemaligen Kolonien werden über wirtschaftliche Beziehungen aufrecht erhalten und die Verwandlung der Nahrungssysteme in Ländern des Südens unter diesem Einfluss vorangetrieben. (Montanari 2003:335f). Gleichzeitig kommt es zu einer Integration von kulturellen Konzepten und Waren --- die Herkunft von Gütern spielt dabei keine Rolle mehr --- und der selbstverständliche Gebrauch und das "Zuweisen" eines Platzes im kulturellen Kontext sorgen dafür, dass nach Herkunft und "Ursprünglichkeit" nicht mehr gefragt wird (Breidenbach und Zukrigl 2000:138).

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Der neoliberale Trend hat nicht nur der US-amerikanischen und europäischen Warenproduktion ein Hoch beschert, sondern auch erreicht, dass gewisse "traditionelle" Produkte (beispielsweise indigenes Kunsthandwerk in Mexiko) eine nie da gewesene Produktionshochblüte erleben. Auf der Suche nach Einkommensmöglichkeiten arbeiten viele Frauen und Männer im Kunsthandwerkssektor und schaffen somit einen weiteren importsubstituierenden Sektor. In lateinamerikanischen Staaten wie Mexiko sollte damit auch der rurale Sektor gestützt werden, um das Phänomen der Landflucht und den Verstädterungsprozess einzudämmen. Gleichzeitig stärkte diese Entwicklung nationales Bewusstsein und fügte sich somit perfekt in das hegemoniale System des Kapitalismus' "[...] because they contribute to social cohesion and the ability of the society to reproduce itself" (Bauer 2001:216).

Abhängig sind diese speziellen Produktionszweige vor allem vom internationalen Tourismus für den sie letztlich produzieren.

Generell betrachtet: Je weiter der Produktionssektor (auch im Lebensmittelbereich) vom Konsumsekt


4.1.4 Die kulturelle Biographie der Dinge - Igor Kopytoff

Igor Kpytoff wurde 1930 in Mukden/ China geboren und studierte Anthropologie in den USA mit anschließenden Feldstudien u. a. bei den Suku im nordwestlichen Kongo, den Mbato der Elfenbeinküste und den Aghem in Kamerun. Derzeit lehrt er als Professor für Anthropologie an der University of Pennsylvania. Seine anthropologischen Schwerpunkte liegen im Speziellen bei den Themen Sozialstruktur und politische Organisation von Gesellschaften, Religionen und Transformationsprozesse derselben, Sklaverei als gesellschaftliches Phänomen mit speziellem Fokus auf die Sklaverei in Afrika als kulturell-historisches Phänomen.

Literaturliste und detaillierte Daten: University of Pennsylvania: https://web.archive.org/web/20170601211048/http://www.sas.upenn.edu/~kopytoff/[1] [27.08.2005]

"For the economist, commodities simply are. That is, certain things and rights to things are produced, exist and can be seen to circulate through the economic system as they are being exchanged for money. This view, of course, frames the commonsensical definition of a commodity: an item with use value that also has exchange value. [...] From a cultural perspective, the production of commodities is also a cultural and cognitive process: commodities must be not only produced materially as things, but also culturally marked as being a certain kind of thing. Out of the total range of things available in a society, only some of them are considered appropriate for marking as commodities." (Kopytoff 1986:64)

Verweise: [1] https://web.archive.org/web/20170601211048/http://www.sas.upenn.edu/~kopytoff/


4.1.4.1 Der "Lebensweg" einer Ware


Die biographische Forschung in der Kultur- und Sozialanthropologie gibt wichtige Aufschlüsse über Individuum und Gesellschaft: Sie zeigt nicht nur individuelle Lebenswege, sondern gibt auch Einblick in das Verhältnis einzelner Personen mit ihrem sozialen Umfeld und zeigt erwünschte und unerwünschte, als Erfolg oder als Versagen bewertete Biographien. Die Biographien von Personen und ihre Bewertungen sind stark vom kulturellen Bedeutungsgefüge abhängig, in dem eine Person lebt. Eine erfolgreiche gesellschaftliche Karriere sieht in Indien anders aus als bei den Inuit/Eskimo oder in Mitteleuropa. Darüber hinaus werden andere Gruppenzugehörigkeiten[1] (z.B. soziale Schicht, Geschlecht) wirksam.

Kopytoff schlägt vor, Biographien von Dingen zu erstellen, die ihren "Lebensweg" verfolgen und verschiedenen Stadien, Kontexte und Bedeutungen eines Dings untersuchen. Als ein Beispiel führt er die Biographie einer Hütte bei den Suku in Zaire an: Die Lebenspanne einer Hütte beträgt dort ca. 10 Jahre, ihre typische Biographie beginnt damit, dass sie von einem Paar bewohnt wird, oder - in einem polygynen Haushalt

  • von einer Frau mit ihren Kindern. Wenn die Hütte älter wird, so

verändert sich ihre Funktion: Sie wird zu einem Gästehaus oder dem Haus für eine Witwe, zu einem Aufenthaltsraum für Jugendliche, zu einer Küche und schließlich - falls sie nicht schon vollständig von Termiten zerfressen ist - zu einem Stall für Ziegen oder Hühner.

Menschen vor Hütte (Quelle: Schulpartnerschaft mit Nicaragua https://web.archive.org/web/20050506212247/http://www.petrinum.ac.at/history/20002001/20001005/default.htm[2] [27.08.2005])

Biographien von Dingen geben nicht nur Aufschluss über diverse Möglichkeiten ihrer Verwendung in verschiedenen Stadien ihrer Existenz, sie zeigen auch Prozesse der "commodification" (der Entstehung von Warencharakter) in bestimmten sozialen und ökonomischen Zusammenhängen. Dabei zeigt sich, dass in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Dinge als Ware betrachtet werden (vgl. Tauschsphären - link). Dies betrifft in besonderem Maße den Menschen: Welche Teile oder Aspekte eines Menschen als "verkäuflich" gelten - die ganze Person (Sklavenhandel - link), Arbeitskraft, Organe, Sexualität, besondere physische oder künstlerische Fähigkeiten (z.B. SportlerInnen oder SchauspielerInnen unter Vertrag) - ist von verschiedenen kulturellen und historischen Kontexten abhängig und wird immer wieder anders bewertet.

Verweise: [1] Siehe Kapitel 3.3
[2] https://web.archive.org/web/20050506212247/http://www.petrinum.ac.at/history/20002001/20001005/default.htm


4.1.4.2 Ein Auto in Afrika


Biographien von Dingen auch geben auch Einblick in die Veränderungen, die ihre Funktion und Bedeutung im Zuge von "Reisen" durch verschiedene Kulturen erfahren (Kopytoff 1986).

"Biographies of things can make salient what might otherwise remain obscure. For example, in situations of culture contact, they can show what anthropologists have so often stressed: that what is significant about the adoption of alien objects - as of alien ideas - is not the fact that they are adopted, but the way they are culturally redefined and put to use. The biography of a car in Africa would reveal a wealth of cultural data:

the way it was acquired, how and from whom the money was assembled to pay for it, the relationship of the seller and the buyer, the uses to which the car is regularily put,the identity of is most frequent passengers and of those who borrow it,the frequency of borrowing,the garages to which it is taken and the owner's relation to the mechanics,the movement of the car from hand to hand over the years,and in the end, when the car collapses, the final dispositions of its remains.

All these details would reveal an entirely different biography from that of a middle-class American, Navajo, or French peasant car." (Kopytoff 1986:67)

Verweise: [1] https://web.archive.org/web/*/http://royprince.com/photo/images/car-in-weldt_lg.jpg


4.1.5 "Fremde" Waren und ihre Bewertungen: Zwischen Kuriositätenkabinett und göttlicher Macht

Die Zirkulation von Waren, ihre Rezeption und Verwendung hängt sowohl von internationalen Kreisläufen als auch von lokalen kulturellen und ökonomischen Gefügen ab (vgl. auch Wolf 1986, Mintz 1987 - links).

Marshall Sahlins (1988) zeigt in einer historischen Untersuchung wie im späten 18. und 19 Jahrhundert vier verschiedene Gesellschaften (China, Hawaii, die Kwakuitl (link), und Großbritannien) auf den Kontakt mit dem Kapitalismus und seiner Warenwelt reagierten. Sahlins zeigt dabei am Beispiel Chinas, dass keineswegs alle nicht-westliche Kulturen vom Westen und seinen Gütern überwältig waren und diese Güter für äußerst begehrenswert und nützlich hielten. China zeigte sich bis zum 19. Jahrhundert, als der Widerstandswille durch den Opiumkrieg (link) gebrochen wurde, gänzlich unbeeindruckt von westlichen Waren. In einem Memorandum des chinesischen Kaisers an den englischen Gesandten aus dem Jahr 1793 heißt es dementsprechend: "Wir haben Raffinessen noch nie besonders geschätzt, und wir haben auch nicht den geringsten Bedarf an den Waren ihres Landes."

Sahlins erklärt diese Reaktion vor dem Hintergrund der chinesischen Machtstrukturen und Zivilisationstheorien. Fremde Objekte wurden dabei als Kuriositäten betrachtet und als eine Art Tribut, nicht als Handelsgut interpretiert (also aus dem Warenkreislauf ausgeschlossen - vgl. Kopytoff 1986 - link). Das mit westlichen Objekten bestückte kaiserliche Kuriositätenkabinett war bereits voll.

Eine andere Form des Umgangs mit und der Bewertung von fremden Gütern zeigt das Beispiel Hawaii: Hier eigneten sich die herrschenden Häuptlinge westliche Waren als Ausdruck göttlicher Macht an und sie wurden in Machtkämpfen der Häuptlinge untereinander als Prestigeobjekt eingesetzt. Das ständige Streben nach neuen fremden Objekten, um die lokalen Hierarchien aufrechtzuerhalten, führte letzendlich zu Verschuldung und wirtschaftlichem Niedergang. (Sahlins 1988, vgl. Breidenbach und Zukrigl 1998: 48-49)

In China und Hawaii unterschied sich demnach das soziale Leben der (fremden) Dinge wesentlich voneinander und von ihrem Herkunftsland:

  • Zum einen kommt eine unterschiedliche Politik des Wertes im Sinne von Appadurai[1] (1986) zum Tragen.
  • Zum anderen erfahren die Waren verschiedene Formen der kulturellen Kontextualisierung und der Zuschreibung von Bedeutungen im Sinne einer Biographie der Dinge[2] und der Prozesshaftigkeit ihres Warencharakters (Kopytoff 1986).

Verweise: [1] Siehe Kapitel 3.3.2
[2] Siehe Kapitel 4.1.4


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4.2 Kosmopolitischer Konsum

Verfasst von Maria Dabringer

'"The perspective of the cosmopolitan must entail relationships to a plurality of cultures understood as distinctive entities. ... But furthermore, cosmopolitanism in a stricter senses includes a stance towards diversitiy itself, towards the coexistence of cultures in the invidual experience. A more genuine cosmopolitanism is first of all an orientation, a willingness to engage with the Other. It is an intellectual and aestetic stance of openness towards divergent cultural experiences, a search for contrast rather than uniformity."' (Hannerz 1990: 239)

Beziehungen zwischen dem Eigenen und dem Fremden werden häufig durch Konsum vermittelt: Konsum kann spezifische Identitäten konstruieren und/oder verfestigen, Konsumgewohnheiten sind aber auch Ausdruck multipler kultureller Verflechtungen. Die beiden Ebenen sind oft eng miteinander verbunden: So können z.B. an einem Ort bestimmte Waren oder Speisen für einige Menschen einen wichtigen Aspekt ihrer ethnoscapes(Appadurai 1996) bzw. ihrer (trans)nationalen Identität darstellen. Für andere Menschen am selben Ort bedeuten dieselben Speisen eine (exotische) Erweiterung ihrer Konsum- und Erlebniswelt im Sinne einer kosmopolitischen Weltsicht, also eine Form der Hinwendung zum Anderen.

Japanische Speisemodelle in der Auslage eines Restaurants. Foto Elke Mader

Ulf Hannerz (1990: 241) stellt den KosmopolitInnen die Anti-KosmopolitInnen gegenüber. Letztere sind Menschen, die zwar häufig ihren Aufenthaltsort verändern, jedoch wenig Interesse am Anderen zeigen. Während also der "kosmopolitische Konsum" auf dem Wunsch nach Fremdem beruht, steht der "anti-kosmopolitische Konsum" in Verbindung mit einer starken Präferenz für Waren bzw. Serviceleistungen aus der eigenen, vertrauten Umgebung. Dazu zählen etwa touristische Einrichtungen, welche den heimischen Lebenstil der TouristInnen plus lokalem Dekor reproduzieren. Die beiden Konsumformen überschneiden sich in der Lebenswelt einzelner Menschen: Niemand konsumiert ausschließlich Eigenes oder ausschließlich Fremdes.

Kosmopolitischer Konsum beruht auf der Zirkulation des Partikulären und der Hinwendung zum Anderen. Er findet an verschiedenen Orten und in diversen sozialen, ökonomischen und kulturellen Kontexten und Konditionen statt. Er bringt die Wertschätzung des Anderen zum Ausdruck, hat jedoch auch Berührungspunkte mit Kolonialismus, Orientalismus und Exotismus. So konzentriert sich kosmopolitischer Konsum oft auf Waren oder Serviceleistungen, die privilegierte KonsumentInnen aus einem plurikulturellen, globalem Warenkorb auswählen und in die eigene Lebenswelt inkorporieren.

Asiatisches Gedeck im Möbelhaus Interior. Foto Elke Mader

Inhalt

4.2.1 Hamburger, Döner, Frühlingsrollen

Die Debatte um die Homogenisierung von Waren und ihrem Konsum wird häufig mit Beispielen "globaler Nahrung" US-amerikanischer Herkunft (Coca Cola und Hamburger) illustriert (vgl. u.a. Beck 1997, Howes 1996) Demgegenüber steht ein breites Angebot von "fremdem Essen" aus verschiedenen Weltgegenden, dass oft mehr konsumiert wird, als US-amerikanisches Fast-Food.

Zutaten für thailändische und indische Gerichte in einem Wiener Supermarkt. Foto Elke Mader

Die Wanderungen, der Konsum und die Bedeutung verschiedener Speisen umfassen auch unterschiedliche "Biographien" und diverse "soziale Leben" der einzelnen Gerichte (vgl. Appadurai 1986, Hauser-Schäublin 2002, Kopytoff 1986). Ferner stellt sich die Frage, ob der vermehrte Hang zu fremden Speisen als "kosmopolitischer Konsum" in Sinne des Konzepts des Kosmopolitanismus von Ulf Hannerz (1990) zu betrachten ist.

Tex-Mex Zutaten in einem Wiener Supermarkt. Foto Elke Mader


4.2.1.1 "Ethno-Food": Migration, Tourismus und kosmopolitischer Konsum


Die Speisekultur im urbanen West-Europa ist vielfältig. Sie ist nicht nur durch regionale Küchen, sondern auch durch die Präsenz von zahlreichen MigrantInnen aus verschiedenen Regionen geprägt (etwa TürkInnen in Deutschland, InderInnen und AfrikanerInnen in Großbritannien, AlgerierInnen und VietnamesInnen in Frankreich oder IndonesierInnen in Holland).

Die transnationalen Gemeinschaften (oft aus ehemaligen Kolonien) tragen mit ihrer Küche wesentlich zur spezifischen Gestaltung der Vielfalt der lokalen Speisekultur und des entsprechenden Warenangebots bei (etwa in London, Amsterdam oder Paris) Sogenanntes "ethno-food" bildet in diesem Zusammenhang für viele Menschen einen Teil ihrer entsprechenden 'ethnoscapes' in einer deterritorialisierten Welt (Appadurai 1996), für andere Personen(gruppen) stellt der Konsum dieser Gerichte eine (kosmopolitische oder auch exotistische) Erweiterung ihrer Speisekarte dar.

Reistafel im indonesischen Restaurant Puri Mas in Amsterdam (https://web.archive.org/web/20051018024834/http://www.purimas.nl/[1] [22.09.2005])

Die zunehmende Integration fremder Speisen in die Konsumgewohnheiten in Westeuropa steht auch in Zusammenhang mit dem Tourismus: Gerichte, die man aus dem Urlaub kennt, werden - gemeinsam mir ein bisschen Urlaubsgefühl - gerne auch im Alltag konsumiert. Restaurants sind oft als kultur- bzw. regionsspezifische Themen-Räume ('themed environments)' gestaltet',' d.h. mit Objekten und Symbolen aus ihren Herkunftsland dekoriert. Ihre Motive und Themen gehen oft Hand in Hand mit der Gestaltung kommerzieller touristischer Räume in den entsprechenden Ländern (Italien, Spanien, Griechenland etc.). Ein gutes Beispiel ist die Taverna Mykonos, die sich als "kulinarisch - griechische Insel mitten in Villach" vermarket (https://web.archive.org/web/20050324020641/http://mykonos.at/[2] [22.09.2005]).

Darüber hinaus entstand in den vergangenen Jahrzehnten ein breites Standardangebot an verschiedenen Küchen: Asiatische und/oder italienische Restaurants sind in den meisten west-europäischen Städten zu finden.

Frühlingsrollen (Quelle: Bangkok House https://web.archive.org/web/20050123153921/http://bangkok-house.de/[3] [22.09.2005])

Die besondere Beliebtheit und weltweite Verbreitung bestimmter Speisen (z.B. Pizza, Frühlingsrollen) steht nicht unbedingt in Zusammenhang besonders umfangreichen transnationalen Gemeinschaften aus dem Herkunftsland der Speisen. Auch haben die wenigsten westlichen KundInnen der unzähligen chinesischen Restaurants in Europa China bereist. Es handelt sich also generell um kosmopolitisches Konsumverhalten, das auch unabhängig von Transnationalismus und Tourismus exisitert: Das führt zu einer sukzessive Standardisierung einer pluri-kulturellen Speisenvielfalt, die von vielen Personen der urbanen Mittelschicht einer mono-regionalen Küche vorgezogen wird.

Verweise: [1] https://web.archive.org/web/20051018024834/http://www.purimas.nl/
[2] https://web.archive.org/web/20050324020641/http://mykonos.at/
[3] https://web.archive.org/web/20050123153921/http://bangkok-house.de/


4.2.1.2 Die Döner-Erfolgsgeschichte


Ein Beispiel für spezifische "Nahrungsströme" in direktem Zusammenhang mit Migration und Transnationalismus bildet die Verbreitung des Döner-Kebabs in Deutschland. In den 1970er Jahren eröffneten türkische MigrantInnen die ersten Döner-Imbisse, heute gehört der Döner zum beliebtesten Fast-Food in Deutschland.

Döner Kebab (Quelle: Planet Wissen: Rita Gudermann Portrait --- Döner Kebab: https://web.archive.org/web/20051025043903/http://www.planet-wissen.de/[1] [22.09.2005])

In Berlin gibt es mehr Verkaufsstände für diesen Imbiss als in Istanbul, deutschlandweit wurden im Jahr 1995 3,6 Milliarden DM im Dönergeschäft umgesetzt, während der Umsatz von McDonald Hamburgern 2,6 Milliarden DM betrug (Breidenbach und Zukrigl 1998:105, Seidel-Pielen 1996).

Döner-Kebab im WWW:

Alpan-Web: https://web.archive.org/web/20051029235617/http://www.alpan.de/Tuerkei/Kueche/DonerKebab.html[2] [22.09.2005]

Döner Kebab - Völkerverständigung, die durch den Magen geht: http://www.inform24.de/kebab.htm[3] [22.09.2005]

Verweise: [1] https://web.archive.org/web/20051025043903/http://www.planet-wissen.de/
[2] https://web.archive.org/web/20051029235617/http://www.alpan.de/Tuerkei/Kueche/DonerKebab.html
[3] https://web.archive.org/web/20191231215053/http://www.inform24.de/kebab.html


4.2.1.3 "Tasting the World" - Auf Märkten in London


Chinesischer Imbiss auf dem Camden Market. Foto Elke Mader

Ein außerordentlich kosmopolitisches Angebot an Speisen kennzeichnet einige europäische Metropolen, insbesondere London. Das British Empire und der Kolonialismus, die Migration aus den ehemaligen Kolonien sowie aus anderen Ländern nach Großbritannien, insbesondere in die Hauptstadt, bilden die Basis für das "multi-kulturelle" London (vgl. z.B. Baumann 1996, 1999).

Eine Facette dieser Prozesse manifestiert sich heute in der Konsumkultur, u.a. in Bezug auf Speisen. Neben Restaurants bieten auch die Londoner Märkte einen guten Einblick in diese Dimension von kosmoplitischem Konsum, der auch eine toursitische Attraktion der Metropole darstellt.

Das folgende Fotoessay zeigt Impressionen von '"tasting the world"' im Herbst 2004 auf mehreren Märkten in London (Portobello Road, Camden Lock, Petticoat Lane, Spitalsfield --- Street Sensation: https://web.archive.org/web/20050924192621/http://www.streetsensation.co.uk/markets.htm[1] [22.09.2005]).

Verweise: [1] https://web.archive.org/web/20050924192621/http://www.streetsensation.co.uk/markets.htm


4.2.2 Exotik, Migration und Konsum auf Londoner Märkten

"Das Wesen eines exotischen Stils ist seine Fremdheit, die einen Ausweg aus dem Altbekannten bietet, eine Abkürzung in die Traumwelten des Ästheten, den das Vertraute langweilt."(Morley 2001: 308)

Neben einem kosmopolitischen Angebot an Nahrungsmittel und Speisen werden auf Londoner Märkten auch andere "exotische Waren" angeboten. Diese stehen - ähnlich wie die Speisen - in verschiedenen Kontexten und weisen unterschiedliche transkulturelle Biographien und Bedeutungen auf (vgl. Kopytoff 1986, Spittler 2002):

Migration und transnationale Gemeinschaften: Einige Märkte in London (z.B. Bricks Lane und Petticaot Lane) bieten viele Waren aus Afrika und Asien feil, die sowohl von MigrantInnen aus den entsprechenden Regionen, als auch (teilweise) von anderen Personen erworben werden. Der Fotoessay "Transnationale Waren" zeigt Impressionen vom Petticoat Lane Market.

Afrikanische Textilien (Petticoat Lane Market). Foto Elke Mader

Tourismus und exotisches Dekor: Kleidung, Schmuck und Dekorationsgegenstände aus aller Welt, verbunden mit lokalem Kunsthandwerk, ausgefallener Mode oder Antiquitäten finden sich auf verschiedenen Londoner Märkten. Das Angebot reflektiert teilweise den Lebensstil der 1960er und 1970er Jahre, als z.B. exotischer Kleidungsstil als Ausdruck einer kosmopolitischen Einstellung besonders beliebt war. Camden Market, der größte Straßenmarkt Europas, ist mehrfach mit Tourismus verbunden: Die BesucherInnen (KonsumentInnen) finden hier teilweise dieselben Produkte und Präsentationsformen vor; wie etwa in Indien oder Nepal. Sie können also vor Ort die Touristenmärkte verschiedener Weltgegenden bzw.die Welt bestimmter exotischer Konsumgüter bereisen.

Indische Tischtücher/Bettüberwürfe werden in derselben Weise wie in Kathmandu zum Verkauf angeboten (Camden Market). Foto Elke Mader

Das gesamte Marktgebiet von Camden Lock, das neben den verschiedenen Verkaufsarealen auch ein breites Angebot von Restaurants und Unterhaltungslokalen aufweist, stellt eine wichtige touristische Attraktion Londons (vor allem für jüngere BesucherInnen) dar.

Der Fotoessay "Shopping for Lifestyle. Lokale Waren - globales Dekor" zeigt Impressionen vom Camden Market.

Londoner Märkte im WWW:

The London Guide/ Markets: https://web.archive.org/web/20050924205155/http://www.londontourist.org/markets.html[1] [22.09.2005]

Street Sensation: https://web.archive.org/web/20050924192621/http://www.streetsensation.co.uk/markets.htm[2] [22.09.2005]

Visit London/Shopping: https://web.archive.org/web/20050414211006/http://eu.visitlondon.com/fl/de/shopping/markets.html[3] [22.09.2005]

Camden Market: https://web.archive.org/web/20050924133326/http://www.camdenlock.net/markets.html[4] [22.09.2005]

Camden Lock/Fotoshow: https://web.archive.org/web/20050906051237/http://www.camdenlockmarket.com/flash_main.htm[5]

Verweise: [1] https://web.archive.org/web/20050924205155/http://www.londontourist.org/markets.html
[2] https://web.archive.org/web/20050924192621/http://www.streetsensation.co.uk/markets.htm
[3] https://web.archive.org/web/20050414211006/http://eu.visitlondon.com/fl/de/shopping/markets.html
[4] https://web.archive.org/web/20050924133326/http://www.camdenlock.net/markets.html
[5] https://web.archive.org/web/20050906051237/http://www.camdenlockmarket.com/flash_main.htm


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4.3 Globalisierter Konsum als Ergebnis historischer Prozesse

Verfasst von Maria Dabringer

Beschäftigt man/frau sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit globalisierter Warenproduktion, -verteilung und -konsum ist es unerlässlich, sich nicht nur den derzeitigen globalen Vernetzungen von Konsumkultur zu widmen. Die lokal-historischen Entwicklungen und Rahmenbedingungen müssen selbstverständlich in die Analyse von aktuell praktiziertem Konsum einfließen.

Zu beachten ist dabei, dass in verschiedenen Gesellschaften immer viele differenzierte Formen von Güterkonsum existieren, abhängig von den jeweilig vorhandenen Ressourcen, gesellschaftlichen Verhaltensmustern, Sozialorganisation, Produktionsbedingungen, Gruppenzugehörigkeit, individueller Auswahl, Klassenbewußtsein oder ethnischer Zugehörigkeit etc.

Diese Differenzen sind Produkte historischer Entwicklungen, die es bei der Analyse von Konsum ebenfalls zu beachten gilt.


Inhalt

4.3.1 Nahrungskonsum in den Anden Lateinamerikas

Die unterschiedlichsten Faktoren beeinflussen heute den Nahrungsmittelkonsum im andinen Raum. Als Parameter dafür können erwähnt werden:

  • Ethnische Vielfalt innerhalb der Andenstaaten,
  • ökologisch vielfältige Rahmenbedingungen,
  • differenzierter Zugang zu Nahrungsmitteln durch soziale Schichtung (Polarisierung von Arm und Reich),
  • unterschiedliche Technologien, um Nahrungsmittel zu verarbeiten,
  • spezialisiertes Wissen über den Gebrauch von Nahrungsmitteln,
  • die Marginalisierung des ländlichen Produktionssektors
  • mangelnde Ausbildungsstrukturen sowie
  • die gleichzeitige Dominanz von Nahrungsmittelkonzernen bei der Gestaltung des "food systems".

All diese Aspekte der andinen Lebenswelt bedingen und beieinflussen eine Vielfalt von unterschiedlichen Konsumgewohnheiten innerhalb der Andenstaaten. Diese konkret-lokalen Bedingungen sind Ergebnis historischer Entwicklungen im andinen Raum.


4.3.2 Präkolonialer Nahrungskonsum

Das präkoloniale Amerika war geprägt von ruralem Leben der Bewohner/-innen : 90% der Bevölkerung lebte von der Landwirtschaft. Nahrungsmittel wurden gehandelt, und zwar indem im andinen Bereich Güter des Amazonas-Tieflandes und der Küste mit jenen des Hochlandes und den verschiedenen vertikal genutzten Höhenstufen getauscht wurden.

Das wirtschaftliche Leben war dynamisch organisiert und die einzelnen Ethnien und Gruppen lebten im ständigen Austausch miteinander. Archäologische Funde zeigen Veränderungen der materiellen Kultur durch Eroberungen, Zerstörung und immer wieder neue Kontakte zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. Viele gesellschaftliche Veränderungen beruhten auf Tribut- und Markttauschsystemen. "Gift giving" war ein bedeutender gesellschaftlicher Aspekt amerikanischer Kulturen (Bauer 2001:10f). Der Konsum von Gütern und Nahrungsmitteln wurde auch durch religiöse Riten unterstützt, eingeschränkt, sanktioniert und reguliert. Bestimmte Nahrungsmittel hatten auf Grund ihrer ernährungsphysiologischen Zusammensetzung besonderen Stellenwert und der Umgang mit selbigen war innerhalb des Jahreskreislaufs reguliert bzw. eingebunden in spezielle landwirtschaftliche Riten. (vgl. Sauer 1950, Lathrap 1975, Horkheimer 1960, Bollinger 1986, Dabringer 1996, Haller 2003).

Wichtige präkoloniale Nahrungsmittel im andinen Raum waren u. a. Mais (Zea mays), die Pseudocerealie "quínua" (Chenopodium quinoa), Amaranth (u.a. Amaranthus caudatus), verschiedene Bohnenarten, "chocho" (Lupinus mutabilis) oder "maní" (Erdnüsse, Arachis hypogaea). Knollenfrüchte wie "oca" (Oxalis tuberosa), "mashua" (Tropaeolum tuberosum), "yucca" (Manihot utilissima), die Kartoffel (Solanum tuberosum), Süßkartoffel (Ipomoea batatas) oder "ulluco" (Ullucus tuberosus). Sie bildeten in ihrer ernährungsphysiologischen Komplementarität "[...] the fundamental staple of ordinary people" (Bauer 2001:22). Kürbisarten und Obstsorten wie "chirimoya" (Annona cherimolia) oder "guanábana" (Annona muricata) wurden ebenfalls konsumiert. Als Gewürze verwendeten die Menschen unter anderen "paico" (Chenopodium ambrosioides) oder "ají" (Capsicum annuum). Kokablätter (Erythroxylon coca) waren fixer und integraler Bestandteil der Alltagskultur der Eliten im Inkareich, u. a. ermöglichte dieses Nahrungsmittel das Erbringen körperlicher Leistungen in den Höhenlagen der Anden (vgl. Bollinger 1986, Morales 1989). Das gesellschaftliche System zur Versorgung der Bevölkerung funktionierte insofern, als die Menschen von den produzierten Gütern ausreichend versorgt leben konnten und Überschüsse zu Zeiten der Inkaherrschaft für die Aufrechterhaltung von Tauschbeziehungen und damit für die Festigung sozialer und politischer Beziehungen verwendet wurden (Bauer 2001:44).


4.3.3 Konsum in Zeiten der Kolonialisierung

Seit der Invasion der Europäer/-innen im andinen Lateinamerika ab dem 16. Jahrhundert ist die materieller Kultur dieser Region geprägt durch den Import europäischer Güter (euroasiatische Getreidesorten, europäische Tierarten, etc.). Die europäische Kultur sollte damit implementiert werden.

Von den Städten ausgehend, überschwemmte eine neue Lebensweise nach und nach unterstützt durch die Missionierung Dörfer und die ländlichen Gebiete. Konsumgüter fanden Eingang in die lateinamerikanischen Gesellschaften, neue Unterschiede in Form von Klassen und Identitäten wurden mittels Zugang oder Nicht-Zugang zu Nahrungsmitteln erkannt und gelebt. Viele kulturelle Eigenheiten der präkolumbischen Bevölkerung wurden zerstört, der Konsum gewisser Nahrungsmittel systematisch verboten: Religiöser Fanatismus', koloniales Machtstreben, rassistische Vorurteile und teils "geschmackliche" Ressentiments förderten diese Entwicklung (vgl. Dabringer 2001). Gleichzeitig wurden Nahrungsmittel wie Kartoffeln, Tomaten, Mais u. a. Nahrungsmittel als Exotica nach Europa importiert (vgl. Warman 1995). Ein reger Warenaustausch mit "civilizing goods" (Bauer 2001:85ff) zwischen den Kontinenten hatte begonnen (vgl. Wolf 1986).(link) Betroffen waren meist nur die Eliten, die Nahrungsversorgung der "gemeinen" Bevölkerung "[...] continued [...] to depend primarily upon the ancestral diet of native foods" (Bauer 2001:12).


4.3.4 "Modernitätsbestrebungen" und Konsum im 19. Jahrhundert

Mit der Unabhängigkeit der lateinamerikanischen Staaten vom "Mutterland" Spanien im 19. Jahrhundert wurde "Modernität" zu einem der wichtigsten Schlagworte für die elitären Gesellschaftsschichten. Abgrenzung sowohl zu den indigenen Bevölkerungsgruppen als auch zu den sozial Benachteiligten, definiert über den Begiff "extranjerisación", (Bauer 2001:150) erfolgte über Güter und Nahrungsmittel aus Europa, Bauer nennt sie auch "modernizing goods".

"[...] it was to place one´s self at the peak of the historical moment, it was to be 'modern' " (Bauer 2001:12).

Die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts waren geprägt von einer Debatte um diese in Lateinamerika allseits gewünschte und ersehnte "Modernität". Die Rückbesinnung auf mestizische Identitätenbildung, auf "mestizo politics" und nationalistische Strömungen prägte das ablehnende Denken über die Nutzung materieller Güter aus Europa und dem Westen. Grundsätzlich abgelehnt, wurden die Güter jedoch weiterhin genutzt. Der in den 1920er Jahren aufkommende "indigenismo", der indigene Bevölkerung "entwickeln" und "modernisieren" wollte, unterstützte importsubstituierende Industriezweige westlichen Zuschnitts (diese produzierten "developing goods") und die Stärkung einer "national-mestizischen" Kultur "[...] to bring people perceived as Indian into a national political and material culture" (Bauer 2001:13).


4.3.5 Konsumgüter und exportoriertierter liberaler Kapitalismus

Seit den 1970er Jahre herrschte ein exportorientierter liberaler Kapitalismus vor, der mit seinen Konsumgewohnheiten und seinen weltweit sich verbreitenden Ideenwelten die Gesellschaft der lateinamerikanischen Großstadt Quito erreichte, seit Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem die Eliten. Erleichterte Handelsbedingungen und die Ansiedelung diverser US-amerikanischer und europäischer Nahrungsmittelkonzerne in, beispielsweise, Ecuador vergrößerten das Spektrum an Nahrungsmittel, die heute zum Verkauf stehen. "Global goods" überschwemm(t)en seit den 1970er Jahren den Markt. Die populäre materielle Kultur Lateinamerikas ist heute für Konsumenten/-innen besonders wichtig geworden.

"Today the pole of attraction is mainly the popular material culture of the United States, and the appeal of these goods reaches much deeper into Latin American society than before" (Bauer 2001:202).

Zugänglich ist die Massenware mittlerweile nicht mehr nur für die Eliten, wie das in den Jahrhunderten seit der Eroberung Amerikas der Fall war. Auch in den "barrios populares" (ärmere Siedlungsgebiete lateinamerikansicher Städte) sind gewisse "global goods" mittlerweile (meist in minderer, billigerer Qualität) erhältlich und somit allen Bevölkerungsschichten zugänglich. Doch nur theoretisch können sich alle KonsumentInnen diese "global goods" leisten, denn die sozialen Unterschiede und der effektive Zugang (= Erwerb) ist letztlich nur mit entsprechenden finanziellen Mitteln möglich.

Im Jahr 2001 verfügte die ecuadorianische Hauptstadt Quito über acht "shopping-centers", die größten davon hatten ca. 400 Einzelgeschäfte. Der Anglizismus "shopping" ist eines der frequentiertesten Wörter des städtisch-lateinamerikanischen Spanisch. Beonders interessant erweist sich die Auseinandersetzung mit Nahrungsmitteln als Konsumgüter, da sich hier die existentielle Notwendigkeit zu essen mit den globalen Strömungen, Trends und Moden vermischt.

Es wird deutlich, dass Güter und damit verbundene Ideologien und Moden, auch in den ärmsten Bevölkerungsgruppen, meist als wertvoller angesehen werden als die Qualität der Nahrungsmittel selbst (Bauer 2001:207).

Diese Entwicklungen paaren sich mit "the persuasive power of today´s media" (Bauer 2001:204) zu einem Ganzen. Der Einfluss der Medien erreicht heute in Ecuador fast alle Bevölkerunggruppen und tut das Seine, um die Konsumorientierung der Gesellschaft zu konsolidieren und den Erwerb der beworbenen Produkte für alle erstrebenswert zu machen.


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Verfasst von Maria Dabringer

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