Difference between revisions of "STEOP - Denkweisen-KSA"

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(1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung)
(Kapitelübersicht)
 
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= Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten: Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie =
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= Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)=
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
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<sup>verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest</sup>
  
Die Erörterungen in dieser Lernunterlage zu den Themen, '''Staat, Migration und Globalisierung''' beleuchten diese '''aus dem Blickwinkel der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie'''. Die drei Themenblöcke können jeder für sich gelesen werden, sie sind aber miteinander verknüpft und bilden ein großes Ganzes. Neben der Zugänge der Ethnologie zu den Themen soll klar werden, dass diese eng miteinander verflochten sind, was eine gemeinsame Betrachtung sinnvoll macht.
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Die hier vorliegende Lernunterlage dient zur Unterstützung der Vorlesung: &quot;Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen&quot; von Ao. Univ.-Prof. DDr. Werner Zips. Sie fokussiert auf drei Fragestellungen, die zentral für einen sozialanthropologischen Zugang zu Sozialwissenschaften sind:
  
Im zu dieser Thematik erschienenen Buch ''Staat-Migration-Globalisierung'' (Hg.: J. Dvorak u. H. Mückler; Wien 2011, Facultas Verlag) werden die in dieser Lernunterlage angesprochenen Themen umfassender hinterfragt und '''weitere Definitionen, Literaturhinweise, Beispiele und kontextuelle Einbettungen''' angeboten. Der Kauf des Buches wird zum unfassenden Verständnis von Staat, Migration und Globalisierung aus ethnologischer Perspektive empfohlen.
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* Wer sind die Anderen? Wer sind wir?
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* Wie werden wir, was wir sind?
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* Wie können wir zu einer Sprache finden, die unsere GesprächspartnerInnen nicht unterdrückt?
  
* Texte und Bilder: Hermann Mückler;
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Auf die erste Frage antwortet '''Ortfried Schäffter mit seinen Modi des Fremdverstehens''', für die zweite gibt uns '''Pierre Bourdieu mit seiner Praxeologie''' sehr brauchbare Werkzeuge in die Hand und die dritte hat '''Jürgen Habermas zu seiner spezifischen Form der Diskurstheorie''' inspiriert. Diese drei Ansätze werden in dieser Lernunterlage kurz dargestellt.
* Aufbereitung, Gestaltung und Umsetzung der hypermedialen Lernunterlage: Philipp Budka.
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== Kapitel dieser Lernunterlage==
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[[Das_Fremde_verstehen#1 Das Fremde verstehen|1 Das Fremde verstehen]]<br/>
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus#2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus|2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus]]<br/>
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[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas#3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas|3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas]]<br/>
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[[Bibliographie#4 Bibliographie|4 Bibliographie]]<br/>
  
  
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<div class="eksa_toc">
 
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[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
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[[Das_Fremde_verstehen#1 Das Fremde verstehen|1 Das Fremde verstehen]]<br/>
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
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:[[Das_Fremde_verstehen/Eurozentrismus#1.1 Eurozentrismus: Europa und die Anderen|1.1 Eurozentrismus: Europa und die Anderen]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.1 Auflösung von Dichotomien, Entgrenzung|1.1.1 Auflösung von Dichotomien, Entgrenzung]]<br/>
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:[[Das_Fremde_verstehen/Deutungsmuster#1.2 Deutungsmuster des Fremderlebens|1.2 Deutungsmuster des Fremderlebens]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.2 Schlagworte der Globalisierung|1.1.2 Schlagworte der Globalisierung]]<br/>
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:[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3 Ordnungsschemata des Fremderlebens|1.3 Ordnungsschemata des Fremderlebens]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.3 Begriffsdefinition|1.1.3 Begriffsdefinition]]<br/>
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::[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3.1 Fremdheit als Resonanzboden|1.3.1 Fremdheit als Resonanzboden]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.4 Historische Formen von Globalisierung|1.1.4 Historische Formen von Globalisierung]]<br/>
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::[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3.2 Fremdheit als Gegenbild|1.3.2 Fremdheit als Gegenbild]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.5 Beschleunigung in der jüngsten Vergangenheit|1.1.5 Beschleunigung in der jüngsten Vergangenheit]]<br/>
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::[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3.3 Fremdheit als Ergänzung|1.3.3 Fremdheit als Ergänzung]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.6 Eine neue globale "awareness" entsteht|1.1.6 Eine neue globale "awareness" entsteht]]<br/>
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::[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3.4 Fremdheit als Komplementarität|1.3.4 Fremdheit als Komplementarität]]<br/>
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung]]<br/>
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus#2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus|2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.1 Globalisierung und Fragmentierung|1.2.1 Globalisierung und Fragmentierung]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1 Kapitalformen|2.1 Kapitalformen]]<br/>
:::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.1.1 Reich-Arm-Dichotomie|1.2.1.1 Reich-Arm-Dichotomie]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.1 Symbolisches Kapital|2.1.1 Symbolisches Kapital]]<br/>
:::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.1.2 Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft|1.2.1.2 Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.2 Ökonomisches Kapital|2.1.2 Ökonomisches Kapital]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.2 Dynamik der zyklischen Expansion und Kontraktion|1.2.2 Dynamik der zyklischen Expansion und Kontraktion]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.3 Kulturelles Kapital|2.1.3 Kulturelles Kapital]]<br/>
:::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.2.1 Re-Lokalisierung|1.2.2.1 Re-Lokalisierung]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.4 Soziales Kapital|2.1.4 Soziales Kapital]]<br/>
:::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.2.2 Neue Themen für die Kultur- und Sozialanthropologie|1.2.2.2 Neue Themen für die Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen|2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.3 Globalisierung und Grenzen|1.2.3 Globalisierung und Grenzen]]<br/>
+
::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2.1 Symbolisches Kapital und Herrschaft|2.2.1 Symbolisches Kapital und Herrschaft]]<br/>
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder|1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder]]<br/>
+
::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2.2 Symbolisches Kapital als Akkumulationsform|2.2.2 Symbolisches Kapital als Akkumulationsform]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.1 Mega-Cities und rurale Entvölkerung|1.3.1 Mega-Cities und rurale Entvölkerung]]<br/>
+
:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|2.3 Praxis]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.2 Subkulturforschung|1.3.2 Subkulturforschung]]<br/>
+
::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1 Drei Modi der theoretischen Erkenntis|2.3.1 Drei Modi der theoretischen Erkenntis]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.3 Postkoloniale Studien|1.3.3 Postkoloniale Studien]]<br/>
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:::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.1 Phänomenologie|2.3.1.1 Phänomenologie]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.4 Eine "Neue Unübersichtlichkeit"|1.3.4 Eine "Neue Unübersichtlichkeit"]]<br/>
+
:::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.2 Objektivismus|2.3.1.2 Objektivismus]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.5 "Creolization Paradigm"|1.3.5 "Creolization Paradigm"]]<br/>
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:::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.3 Praxeologie|2.3.1.3 Praxeologie]]<br/>
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Bibliographie#1.4 Bibliographie|1.4 Bibliographie]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.2 Habitus|2.3.2 Habitus]]<br/>
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.3 Struktur|2.3.3 Struktur]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Abgrenzungen#2.1 Abgrenzungen|2.1 Abgrenzungen]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.4 Hexis|2.3.4 Hexis]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Betroffenheitsszenarien#2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien|2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.5 Strategie|2.3.5 Strategie]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Ethnohistorie#2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung|2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.6 Doxa|2.3.6 Doxa]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4 Aufgabenfelder|2.4 Aufgabenfelder]]<br/>
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:::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.6.1 Orthodoxie|2.3.6.1 Orthodoxie]]<br/>
::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.1 Rahmenbedingungen, Arten, Ursachen und Auswirkungen von Migration|2.4.1 Rahmenbedingungen, Arten, Ursachen und Auswirkungen von Migration]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.7 Beispiel: Sexualität in der Kabylie|2.3.7 Beispiel: Sexualität in der Kabylie]]<br/>
::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2 Konkreten Einzelstudien|2.4.2 Konkreten Einzelstudien]]<br/>
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[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas#3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas|3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas]]<br/>
:::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2.1 Migrationsstudien in Österreich und in Europa|2.4.2.1 Migrationsstudien in Österreich und in Europa]]<br/>
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:[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Orientierungslosigkeit_und_Demokratie#3.1 Moderne Orientierungslosigkeit und radikale Demokratie|3.1 Moderne Orientierungslosigkeit und radikale Demokratie]]<br/>
:::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2.2 Migrationsstudien außerhalb Europas|2.4.2.2 Migrationsstudien außerhalb Europas]]<br/>
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:[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Vernunft#3.2 Praktische und kommunikative Vernunft|3.2 Praktische und kommunikative Vernunft]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|2.5 Rezente Zugänge]]<br/>
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:[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Rationalitaet#3.3 Kommunikative Rationalität|3.3 Kommunikative Rationalität]]<br/>
::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.1 Arbeitsmigration|2.5.1 Arbeitsmigration]]<br/>
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:[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Faktizitaet#3.4 Faktizität und Geltung|3.4 Faktizität und Geltung]]<br/>
::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.2 Multikulturalität|2.5.2 Multikulturalität]]<br/>
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[[Bibliographie#4 Bibliographie|4 Bibliographie]]<br/>
::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.3 Interkulturalität|2.5.3 Interkulturalität]]<br/>
 
::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.4 Aufgaben der Ethnologie|2.5.4 Aufgaben der Ethnologie]]<br/>
 
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Beispiele#2.6 Beispiele|2.6 Beispiele]]<br/>
 
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Bibliographie#2.7 Bibliographie|2.7 Bibliographie]]<br/>
 
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat]]<br/>
 
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Interessensabgleich#3.1 Interessensabgleich|3.1 Interessensabgleich]]<br/>
 
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Konflikthaftigkeit#3.2 Konflikthaftigkeit|3.2 Konflikthaftigkeit]]<br/>
 
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Beduerfnisbefriedigung#3.3 Bedürfnisbefriedigung|3.3 Bedürfnisbefriedigung]]<br/>
 
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Organisationsstruktur#3.4 Der Staat als Organisationsstruktur|3.4 Der Staat als Organisationsstruktur]]<br/>
 
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Vor_und_Nicht#3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften|3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften]]<br/>
 
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen]]<br/>
 
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.1 Diffusität politischer Gemeinwesen|3.6.1 Diffusität politischer Gemeinwesen]]<br/>
 
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.2 Segmentäre Gesellschaften|3.6.2 Segmentäre Gesellschaften]]<br/>
 
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.3 Vom Einfacheren zum Komplexeren|3.6.3 Vom Einfacheren zum Komplexeren]]<br/>
 
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4 Historische Theoriebildung zur Staatsentstehung|3.6.4 Historische Theoriebildung zur Staatsentstehung]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.1 "Early State"|3.6.4.1 "Early State"]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.2 Materialistische Theorie|3.6.4.2 Materialistische Theorie]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.3 Hydraulische Theorie|3.6.4.3 Hydraulische Theorie]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.4 Theorie der natürlichen Grenzen|3.6.4.4 Theorie der natürlichen Grenzen]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.5 Eroberungs- und Unterwerfungstheorie|3.6.4.5 Eroberungs- und Unterwerfungstheorie]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.6 Patriarchal-, Patrimonial- und Vertragstheorie|3.6.4.6 Patriarchal-, Patrimonial- und Vertragstheorie]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.7 Definition des frühen Staates|3.6.4.7 Definition des frühen Staates]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.8 Typen des frühen Staates|3.6.4.8 Typen des frühen Staates]]<br/>
 
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.5 Moderner Staat und andere Formen politischer Organisation|3.6.5 Moderner Staat und andere Formen politischer Organisation]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.5.1 Koloniales Erbe|3.6.5.1 Koloniales Erbe]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.5.2 Transnationalismus und Staat|3.6.5.2 Transnationalismus und Staat]]<br/>
 
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Beispiele#3.7 Beispiele|3.7 Beispiele]]<br/>
 
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Bibliographie#3.8 Bibliographie|3.8 Bibliographie]]<br/>
 
 
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'''[[Main_Page|&crarr; Zurück zur Hauptseite]]'''<br/>
 
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[[#Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie|&uarr; Nach oben]]<br/>
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[[#Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)|&uarr; Nach oben]]<br/><!--
  
  
'''[[STEOP_-_Aktuelle_Debatten_-_Staat_Migration_Globalisierung#Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie|&crarr; Zurück zur Übersicht]]'''
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'''[[STEOP_-_Denkweisen-KSA#Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)|&crarr; Zurück zur Übersicht]]'''
=1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie=
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=1 Das Fremde verstehen=
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
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<sup>verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest</sup>
  
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Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf einen von '''Ortfried Schäffter''' 1991 herausgegebenen Sammelband mit dem Titel &quot;Das Fremde. Erfahrungsmöglichkeiten zwischen Faszination und Bedrohung&quot;. In seinem einleitenden Beitrag ('''Modi des Fremderlebens[[Das_Fremde_verstehen/Deutungsmuster#1.2 Deutungsmuster des Fremderlebens|[1]]]''' - Deutungsmuster im Umgang mit Fremdheit) '''untersucht''' Schäffter '''die verschiedenen inhaltlichen Erscheinungsformen von Fremderleben auf ihre strukturellen Voraussetzungen'''.
  
[[File:debattenksa-1_1.jpg|300x400px|Der suchende Mensch, H. Mückler]]
+
[[File:denkenksa-1_1.jpg|thumb|380x245px|right|Foto: Werner Zips bei der Feldforschung in Mbekweni bei Paarl, Südafrika 2005, Matthäus Rest]]
  
Der &quot;homo globatus&quot;, wie '''Eric Hobsbawm[http://de.wikipedia.org/wiki/Eric_Hobsbawm &#91;1&#93;]''' (1999) einmal den modernen in einer globalisierten Welt lebenden Menschen bezeichnete, hat mit gravierenden Veränderungen umzugehen, die in vielerlei '''hybriden Identitäten''' ihren sichtbarsten Ausdruck finden. '''Für die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie (die beiden Begrifflichkeiten sind synonym zu verstehen) bedeutet dies neue Aufgaben und neue Herangehensweisen.''' Diese Veränderungen betreffen auch und vor allem ein '''Aufbrechen der Nah-Fern-Dichotomie[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.1 Auflösung von Dichotomien, Entgrenzung|[2]]]''', welche das Fach lange in seiner grundsätzlichen Orientierung bestimmte, und erfordern so eine Neudefinition des Faches.
+
Diesen analytischen Zugang nimmt Schäffter vor dem sozialen Hintergrund einer immer problematischer werdenden Beziehungsgestaltung zwischen dem Eigenen und dem Fremden auf. Sein Ausgangspunkt ist das '''Spannungsverhältnis zwischen personaler, sozialer und kultureller Identität und dem von ihm Ausgegrenzten'''. Unter letzterem lässt sich das psychisch Verdrängte ebenso verstehen wie das räumlich Fremde, das Fremde des Alter Ego oder das Fremde als fremdartiger Objektbereich. Diese Grenzflächen zum Fremden haben sich emotional aufgeladen und seit dem Erscheinen des Buches (im Jahr 1991) hat sich dieser Prozess wohl noch verstärkt. Mit der Thematik lassen sich bei entsprechender Besetzung mittlerweile nicht nur demokratische Wahlen gewinnen oder verlieren, sondern unter Umständen sogar das gesamte politische System destabilisieren bzw. verändern.
  
Gab es früher klar abgegrenzte Bereiche, nämlich die außereuropäische Welt als Forschungsgegenstand, während das nähere Umfeld von der Volkskunde, heute Europäische Ethnologie, abgedeckt wurde, so sieht das heute gänzlich anders aus. Das '''Eigene und das Fremde[[STEOP_-_Denkweisen-KSA#Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)|[3]]]''', das Hier und das Dort - das sind Kategorien, die uns lange vertraut waren und die so heute ihre Gültigkeit verloren haben. '''Entgrenzung, Hybridisierung, Multipolarität und Network-Society[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.2 Schlagworte der Globalisierung|[4]]]''' sind die bestimmenden Begriffe dieser neuen Unübersichtlichkeit. '''Rezente Ausrichtungen[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder|[5]]]''' sprechen daher eher von einer &quot;transnationalen Anthropologie&quot;, wie es der skandinavische Ethnologe Ulf Hannerz (1997) einmal formulierte.
+
Die '''Grenzflächen zum Fremden''' sind höchst ambivalent und '''bewegen sich zwischen Faszination und Bedrohung'''. Auch die immer stärkere globale Mobilität führt zur Auseinandersetzung mit dem konkreten Fremden in seiner ernüchternden Alltäglichkeit. So hat zum Beispiel die arabisch- islamische Kultur aus Tausendundeiner Nacht mit der gelebten Wirklichkeit während einer Urlaubsreise ebenso wenig zu tun wie mit der Begegnung mit Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung im eigenen Land.
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[http://de.wikipedia.org/wiki/Eric_Hobsbawm &#91;1&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Eric_Hobsbawm]<br />
+
[[Das_Fremde_verstehen/Deutungsmuster#1.2 Deutungsmuster des Fremderlebens|[1] Siehe Kapitel 1.2]]<br />
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.1 Auflösung von Dichotomien, Entgrenzung|[2] Siehe Kapitel 1.1.1]]<br />
 
[[STEOP_-_Denkweisen-KSA#Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)|[3] Siehe die Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)'']]<br />
 
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.2 Schlagworte der Globalisierung|[4] Siehe Kapitel 1.1.2]]<br />
 
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder|[5] Siehe Kapitel 1.3]]<br />
 
  
 
==Inhaltsverzeichnis==
 
==Inhaltsverzeichnis==
  
 
<div class="eksa_toc">
 
<div class="eksa_toc">
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
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[[Das_Fremde_verstehen#1 Das Fremde verstehen|1 Das Fremde verstehen]]<br/>
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
+
:[[Das_Fremde_verstehen/Eurozentrismus#1.1 Eurozentrismus: Europa und die Anderen|1.1 Eurozentrismus: Europa und die Anderen]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.1 Auflösung von Dichotomien, Entgrenzung|1.1.1 Auflösung von Dichotomien, Entgrenzung]]<br/>
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:[[Das_Fremde_verstehen/Deutungsmuster#1.2 Deutungsmuster des Fremderlebens|1.2 Deutungsmuster des Fremderlebens]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.2 Schlagworte der Globalisierung|1.1.2 Schlagworte der Globalisierung]]<br/>
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:[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3 Ordnungsschemata des Fremderlebens|1.3 Ordnungsschemata des Fremderlebens]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.3 Begriffsdefinition|1.1.3 Begriffsdefinition]]<br/>
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::[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3.1 Fremdheit als Resonanzboden|1.3.1 Fremdheit als Resonanzboden]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.4 Historische Formen von Globalisierung|1.1.4 Historische Formen von Globalisierung]]<br/>
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::[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3.2 Fremdheit als Gegenbild|1.3.2 Fremdheit als Gegenbild]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.5 Beschleunigung in der jüngsten Vergangenheit|1.1.5 Beschleunigung in der jüngsten Vergangenheit]]<br/>
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::[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3.3 Fremdheit als Ergänzung|1.3.3 Fremdheit als Ergänzung]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.6 Eine neue globale "awareness" entsteht|1.1.6 Eine neue globale "awareness" entsteht]]<br/>
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::[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3.4 Fremdheit als Komplementarität|1.3.4 Fremdheit als Komplementarität]]<br/>
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung]]<br/>
 
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.1 Globalisierung und Fragmentierung|1.2.1 Globalisierung und Fragmentierung]]<br/>
 
:::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.1.1 Reich-Arm-Dichotomie|1.2.1.1 Reich-Arm-Dichotomie]]<br/>
 
:::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.1.2 Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft|1.2.1.2 Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft]]<br/>
 
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.2 Dynamik der zyklischen Expansion und Kontraktion|1.2.2 Dynamik der zyklischen Expansion und Kontraktion]]<br/>
 
:::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.2.1 Re-Lokalisierung|1.2.2.1 Re-Lokalisierung]]<br/>
 
:::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.2.2 Neue Themen für die Kultur- und Sozialanthropologie|1.2.2.2 Neue Themen für die Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
 
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.3 Globalisierung und Grenzen|1.2.3 Globalisierung und Grenzen]]<br/>
 
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder|1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder]]<br/>
 
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.1 Mega-Cities und rurale Entvölkerung|1.3.1 Mega-Cities und rurale Entvölkerung]]<br/>
 
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.2 Subkulturforschung|1.3.2 Subkulturforschung]]<br/>
 
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.3 Postkoloniale Studien|1.3.3 Postkoloniale Studien]]<br/>
 
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.4 Eine "Neue Unübersichtlichkeit"|1.3.4 Eine "Neue Unübersichtlichkeit"]]<br/>
 
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.5 "Creolization Paradigm"|1.3.5 "Creolization Paradigm"]]<br/>
 
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Bibliographie#1.4 Bibliographie|1.4 Bibliographie]]<br/>
 
 
</div>
 
</div>
  
 
==Weitere Kapitel dieser Lernunterlage==
 
==Weitere Kapitel dieser Lernunterlage==
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus#2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus|2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus]]<br/>
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat]]<br/>
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[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas#3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas|3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas]]<br/>
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[[Bibliographie#4 Bibliographie|4 Bibliographie]]<br/>
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'''[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|Nächstes Kapitel: 1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie]]'''<br/>
+
'''[[Das_Fremde_verstehen/Eurozentrismus#1.1 Eurozentrismus: Europa und die Anderen|Nächstes Kapitel: 1.1 Eurozentrismus: Europa und die Anderen]]'''<br/>
 
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[[#1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|&uarr; Nach oben]]<br/>
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[[#1 Das Fremde verstehen|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
 
 
 
'''[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|Vorheriges Kapitel: 1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie]]'''
 
=1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie=
 
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
 
 
 
 
In der Gegenwart ist der grundsätzliche Zugang und Anspruch, den das Fach mit seinen Untersuchungen in der Ferne verband, ein anderer geworden. Hier kann '''Bruno Latour[http://de.wikipedia.org/wiki/Bruno_Latour &#91;1&#93;]''' (1995) zitiert werden, der meinte, dass, indem die Ethnologie den Exotismus opferte (indem sie sich der modernen Welt im hier und heute hinwandte, das verloren hat, was gerade die Originalität ihrer Forschungen ausmachte). In den &quot;Tropen&quot;, welche hier als Synonym für die außereuropäische Welt, das traditionelle Forschungsgebiet der Ethnologie steht, hatte '''die Anthropologin der Anthropologe sich nämlich nicht mit dem Studium der Randbereiche dieser anderen Kulturen begnügt, sondern war angetreten, deren Zentrum zu rekonstruieren'''. Die Ethnologie hat versucht, bei der Untersuchung anderer Kulturen deren Glaubenssystem, deren Techniken, ihre Ethnowissenschaften, ihr Machtmechanismen, ihre Ökonomien, usw. zusammen zu erforschen und zu einer interpretativen Gesamtschau zu kommen.
 
  
Die meisten klassischen Monographien unseres Faches zeugen von diesem Anspruch, der nicht immer erfolgreich eingelöst, aber immer wieder versucht worden ist. Bei der Untersuchung von '''Themen in der eigenen Gesellschaft[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2.1 Migrationsstudien in Österreich und in Europa|[2]]]''', welche durch andere Mechanismen, die uns scheinbar komplexer erscheinen, organisiert ist und weil es sich um die &quot;moderne&quot; Welt handelt, wird dieser Anspruch häufig aufgegeben. Latour kritisierte die fehlende Symmetrie des Gesamten (nämlich auch in der eigenen Gesellschaft &quot;ganzheitlich&quot; zu forschen) als Problem und Ursache für die Desorientiertheit, aber auch mangelnde Sichtbarkeit des Faches gegenüber anderen Wissenschaften, wie der Soziologie, der Geschichte oder der Psychologie. Die Globalisierung vieler Themen hat für das Fach der Ethnologie bei der Hinwendung zu neuen Themen eher eine Fragmentierung und Partikularisierung bewirkt, als eine Beibehaltung traditioneller Herangehensweisen und Stärken.
 
  
'''Verweise:'''<br />
+
'''[[Das_Fremde_verstehen#1 Das Fremde verstehen|Vorheriges Kapitel: 1 Das Fremde verstehen]]'''
[http://de.wikipedia.org/wiki/Bruno_Latour &#91;1&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Bruno_Latour]<br />
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=1.1 Eurozentrismus: Europa und die Anderen=
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2.1 Migrationsstudien in Österreich und in Europa|[2] Siehe Kapitel 2.4.2.1]]<br />
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<sup>verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest</sup>
  
==Inhalt==
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[[File:denkenksa-2_1.jpg|thumb|380x284px|right|Foto: Eine Bauchtänzerin umringt von Studierenden der KSA in einem kurdischen Lokal in Kapstadt, Südafrika 2005, Severin Lenart]]
<div class="eksa_toc">
 
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
 
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.1 Auflösung von Dichotomien, Entgrenzung|1.1.1 Auflösung von Dichotomien, Entgrenzung]]<br/>
 
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.2 Schlagworte der Globalisierung|1.1.2 Schlagworte der Globalisierung]]<br/>
 
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.3 Begriffsdefinition|1.1.3 Begriffsdefinition]]<br/>
 
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.4 Historische Formen von Globalisierung|1.1.4 Historische Formen von Globalisierung]]<br/>
 
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.5 Beschleunigung in der jüngsten Vergangenheit|1.1.5 Beschleunigung in der jüngsten Vergangenheit]]<br/>
 
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.6 Eine neue globale "awareness" entsteht|1.1.6 Eine neue globale "awareness" entsteht]]<br/>
 
</div>
 
  
== 1.1.1 Auflösung von Dichotomien, Entgrenzung ==
+
Aus analytisch-kritischer Sicht lässt sich zeigen, dass die europäischen Formen der Entdeckung von Fremdheit ihre arglose Selbstverständlichkeit verloren haben. Die Sozialwissenschaften unter Einschluss von Ethnolog/inn/en haben in den letzten Jahren der Beziehungsgestaltung an einer Entmystifizierung der romantischen Geschichte der großen Entdeckungen mit ihrer Suberzählung des kulturellen Kontaktes (die Geschichte der Begegnungen) mitgeschrieben. Daran werden die '''Modi des Fremderlebens[[Das_Fremde_verstehen/Deutungsmuster#1.2 Deutungsmuster des Fremderlebens|[1]]]''' im Umgang mit eigener und fremder Andersartigkeit deutlich. Räumliche Expansion, geistige Vereinnahmung, Subsumtion in das eigene Weltbild und Unterordnung anderer Erfahrungswelten und Traditionen unter die Perspektivität unserer eigenen Geschichtsschreibung bestimmen die europäische Geistes- und Politikgeschichte. Aber der blinde, Jahrhunderte eingeübte '''Ethnozentrismus muss in einer immer begrenzter und ent-fremdeter werdenden Welt verknüpfter Lebenszusammenhänge und gegenseitiger Abhängigkeiten scheitern.''' Fremdheit lässt sich nicht mehr auf räumliche Distanz beschränken, da ehemals als ferne gedachte Lebenszusammenhänge in ein immer dichter werdendes Mosaik gepresst werden, in dem mentale und historische Distanzen überhaupt erst in Kontakt geraten. &quot;Sie erscheint vielmehr als eine konfliktträchtige Zeitgenossenschaft von unterschiedlichen Bedeutungszusammenhängen, zwischen denen häufig eine unüberbrückbare Distanz liegt&quot; (Schäffter 1991: 11).
  
Neben den mit der Globalisierung einhergehenden veränderten räumlichen Bedingungen begegnen wir heute der '''Auflösung der Dichotomien''' und dem Annehmen des Faktums, dass ''''''das Fremde[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3.4 Fremdheit als Komplementarität|[1]]]''' hier und heute unmittelbar Teil auch der eigenen Kultur''' geworden ist, während sogenannte &quot;eigene&quot; kulturelle Werte im entferntesten Winkel der Welt ihre Entsprechung finden können und von uns dort als vertraut wiedererkannt werden. Grenzen haben sich verschoben. Die Trennschärfe muss darunter nicht zwangsläufig leiden, aber sie unterliegt heute neuen und anderen Beobachtungs- und Bewertungsparametern, als noch vor einer Generation. Im Zuge der Globalisierung sind neue, '''transnationale[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.5.2 Transnationalismus und Staat|[2]]]''' und entnationalisierte '''soziale Räume[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.3 Globalisierung und Grenzen|[3]]]''' entstanden, sodass es heute Fachwissenschafter nicht mehr mit vermeintlich abgrenzbaren überschaubaren kleinen sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entitäten zu tun haben, sondern diese sich mit den weltweiten Verflechtungen und der Einbindung ihrer Untersuchungsgruppen in die Prozesse der Globalisierung auseinanderzusetzen haben.
+
'''Fremdheit ist daher als Beziehungsverhältnis zu verstehen, dass durch Nähe intensiviert wird.''' Dann erst erlangen Unterschiedlichkeiten soziale Bedeutung und bauen sich zu persönlichen, gruppenbezogenen, politischen, ökonomischen oder kulturellen Reibungsflächen auf. Jedes autonome Sinnsystem (Person, soziale Gruppe, gesellschaftliche Institution oder kulturelle Einheit) verfügt über eine eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie sind einander in Bezug auf ihre Temporalität fremd und existieren in verschiedenen Eigenzeiten. Diese Eigenzeiten verschränken sich im gegenseitigen Kontakt zu einer Art &quot;Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem&quot;. Wenn die Grenzen zu Kontaktflächen werden wird Fremdheit virulent. Sie kann nicht als Eigenschaft (wie früher in der Ethnologie die &quot;schriftlosen Völker&quot; oder &quot;die Naturvölker&quot;) verstanden werden, sondern als Beziehungsmodus. Daher ist Fremdheit immer ein relationaler Begriff, der nach einer Mitberücksichtigung der eigenen Anteile verlangt.
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3.4 Fremdheit als Komplementarität|[1] Siehe Kapitel 1.3.4 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)'']]<br />
+
[[Das_Fremde_verstehen/Deutungsmuster#1.2 Deutungsmuster des Fremderlebens|[1] Siehe Kapitel 1.2]]<br />
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.5.2 Transnationalismus und Staat|[2] Siehe Kapitel 3.6.5.2]]<br />
 
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.3 Globalisierung und Grenzen|[3] Siehe Kapitel 1.2.3]]<br />
 
  
  
== 1.1.2 Schlagworte der Globalisierung ==
+
'''[[Das_Fremde_verstehen/Deutungsmuster#1.2 Deutungsmuster des Fremderlebens|Nächstes Kapitel: 1.2 Deutungsmuster des Fremderlebens]]'''<br/>
 
+
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'''Die heutige ethnologische Forschung setzt sich vermehrt mit den Divergenzen und Differenzen jener Prozesse, aber auch mit dem Verschmelzen, der Amalgamierung von globalen und lokalen Elementen auseinander.''' Dabei verschwindet das Lokale nicht, sondern tritt in eine neue Beziehung zum Globalen und gebiert unter Umständen etwas Neues. In diesem Zusammenhang wurde auf die Begriffe Uniformierung, Lokalisierung, Indigenisierung und als Verbindungsglied zwischen den beiden Polen Globalisierung und Lokalisierung, die sogenannte '''&quot;Glokalisierung&quot;[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.4 Eine "Neue Unübersichtlichkeit"|[1]]]''', fokussiert, und neue Begrifflichkeiten für das Entstehen neuer &quot;Aggregatszustände&quot; und Wechselbeziehungen erfunden: Hybridisierung, McDonaldisierung, Corollarisation, Melange-Effekt, Mimikry, '''Kreolisierung[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.5 "Creolization Paradigm"|[2]]]''', Transnationale Netzwerke, Synkretisierung, usw.
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[[#1.1 Eurozentrismus: Europa und die Anderen|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
 
'''Verweise:'''<br />
 
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.4 Eine "Neue Unübersichtlichkeit"|[1] Siehe Kapitel 1.3.4]]<br />
 
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.5 "Creolization Paradigm"|[2] Siehe Kapitel 1.3.5]]<br />
 
 
 
 
 
== 1.1.3 Begriffsdefinition ==
 
 
 
Eine genauere Beleuchtung des Verhältnisses der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie zu '''Globalisierungsprozessen[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[1]]]''' setzt eine Begriffsbestimmung voraus, die grundsätzlich, je nach dem Blickwinkel und Fokus, unterschiedlich ausfallen muss. '''Allgemein kann man Globalisierung als Bezeichnung für den Prozess einer zunehmenden internationalen Verflechtung in allen Lebensbereichen, insbesondere der Wirtschaft, '''Kommunikation[[STEOP-Debatten-Globalisierung-PKW#Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten: Globalisierung in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft|[2]]]''', Politik, Kultur und Umwelt verstehen.''' Dieser Verflechtung sind alle Individuen, Gruppen, Gesellschaften und Institutionen und somit auch '''Staaten[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|[3]]]''' unterworfen. Die Konsequenzen mögen für alle Genannten regional und inhaltlich unterschiedlich sein, in ihren grundsätzlichen Auslösern können jedoch Gemeinsamkeiten erkannt und ausdifferenziert werden. Globalisierung kann man aber nicht nur an exponentiell gestiegenen Verflechtungen festmachen, sondern auch an der Intensität, Geschwindigkeit und Beschleunigung diesbezüglicher Prozesse. Themenbezüglich kann man eine Globalisierung der Wirtschaft von jener der Politik unterscheiden, die der '''Kultur[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder|[4]]]''' von jener der Umwelt differenzieren.
 
 
 
'''Verweise:'''<br />
 
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[1] Siehe Kapitel 1.2]]<br />
 
[[STEOP-Debatten-Globalisierung-PKW#Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten: Globalisierung in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft|[2] Siehe die Lernunterlage '' Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten: Globalisierung in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft'']]<br />
 
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|[3] Siehe Kapitel 3]]<br />
 
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder|[4] Siehe Kapitel 1.3]]<br />
 
 
 
 
 
== 1.1.4 Historische Formen von Globalisierung ==
 
 
 
Immer wieder wurde die Frage nach dem Beginn, einem hypothetisch angenommenen Anfang, der Globalisierung gestellt. '''Generell neigen die Sozialwissenschaften dazu, jene vielfältigen Prozesse, die unter dem Stichwort Globalisierung zusammen gefasst werden, zu historisieren''', d.h. sie '''nicht''' als neuartige Phänomene des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts zu begreifen. Diese Prozesse werden statt dessen meist in eine historisch weit zurückreichende &quot;Traditions&quot;-Linie gestellt, deren Beginn sich mit unterschiedlichen Phasen, Epochen und technologischen Sprüngen korrelieren lassen.
 
 
 
Manche wählen das 16. Jahrhundert und die Entwicklung im Zeitalter des Merkantilismus als Initialzündung, manche gehen zeitlich noch weiter zurück und verweisen auf antike Handelswege und - dynamiken, welche die damals bekannte Ökumene umfassten, und datieren Frühformen der Globalisierung (wenn auch in anderen Größenordnungen, Intensitäten und mit anderen Geschwindigkeits- und Zeitparametern) bis ins 4. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung.
 
 
 
In der Geschichte werden bezüglich einer Fokussierung auf historische und rezente Globalisierungsformen im Rahmen der sogenannten &quot;connected histories&quot;, die Subbereiche &quot;cultural history&quot;, &quot;global history&quot;, &quot;transnational history&quot; und &quot;entangled history&quot; zusammen gefasst und vor dem Hintergrund eines &quot;shifts&quot; von globalgeschichtlichen und transnationalen hin zu einer transregionalen Herangehensweise beleuchtet. Dabei können, historisch und rezent Phasen und Dominanzbereiche definiert werden, wie z.B. die sogenannte &quot;Anglobalisierung&quot;, also die federführende Rolle angelsächsischer Länder in manchen Prozessen und insbesondere die Geschichte der USA im Kontext seiner globalen Positionierung.
 
 
 
 
 
== 1.1.5 Beschleunigung in der jüngsten Vergangenheit ==
 
 
 
Ohne das &quot;ab wann?&quot; endgültig klären zu können, kann eine Richtungsänderung und ein nochmaliger Sprung in der Beschleunigung ab dem '''Zeitpunkt des Jahres 1989''' festgestellt werden, dem Jahr des Falls der '''Berliner Mauer[http://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Mauer &#91;1&#93;]'''. Mit Sicherheit hat die Ausbreitung des westlichen marktwirtschaftlichen kapitalistischen Systems auf die Länder des ehemaligen Ostblocks eine zusätzliche Dynamisierung im Bereich wirtschaftlicher Durchdringung und eine Beschleunigung von Verflechtungen im Warenverkehr gebracht (natürlich haben auch die hohen Wachstumsraten in den Staaten Südost- und Ostasiens vor der Asienkrise einen ebenso großen Effekt für diese Dynamisierung und den Zugewinn an Geschwindigkeit in diesem Prozess der 1990er Jahre).
 
 
 
[[File:debattenksa-7_1.jpg|494x448px|Der mobile Mensch, H. Mückler ]]
 
 
 
'''Verweise:'''<br />
 
[http://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Mauer &#91;1&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Mauer]<br />
 
 
 
 
 
== 1.1.6 Eine neue globale "awareness" entsteht ==
 
 
 
Im Jahr 1989 fanden in Paris, London und Amsterdam die ersten Konferenzen statt, die den globalen Zustand des Planeten zu analysieren versuchten. Auch wenn es davor schon vereinzelt ähnliche Initiativen gab (z.B. den Club of Rome in den 1970er Jahren), so '''markierte 1989 eine neue Form der &quot;awareness&quot;''', die manche mit dem Anfang vom Ende des kapitalistischen Systems, wie wir es heute kennen, gleichsetzen. Die unbegrenzte ressourcenbezogene Eroberung und totale Beherrschung der Natur wurde durch die schrittweise Erkenntnis der Unmöglichkeit, den eingeschlagenen Weg ohne signifikante Kurskorrekturen in allen Lebensbereichen weitergehen zu können, ersetzt. Der drohende Kollaps des Weltklimas, das Kippen der Meere, die Verknappung zentraler Ressourcen und die drohende Unbewohnbarkeit riesiger Flächen durch Verwüstung, Versalzung, Überflutung etc. bei einem Beibehalten des eingeschlagenen Weges einer nicht nachhaltigen Ressourcennutzung, zwingt den Menschen ein Umdenken auf.
 
  
Es handelt sich um Probleme und Herausforderungen, die nicht an '''nationalen Grenzen[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.3 Globalisierung und Grenzen|[1]]]''' Halt machen und damit nicht eingrenzbar und von isoliert agierenden politischen und sozialen Gemeinwesen bewältigt werden können. Zaghaft, und aus heutiger Sicht noch immer absolut ungenügend, setzt sich aber schrittweise eine völlig neue Denk- und Handlungsweise durch, die hier dem Verschwinden der Möglichkeit unbegrenzter Ressourcenausbeutung und Beherrschung der Natur, Rechnung zu tragen versucht.
 
  
Auch das ist Globalisierung: dass man erkannte bzw. langsam aber stetig wachsend zu erkennen beginnt, dass viele Dinge nur im Zusammenspiel aller bekämpft und verändert werden können; dass die Erkenntnis reift(e), '''dass gewisse Dinge alle in ähnlicher Weise treffen'''. Globalisierung kann und muss so unter dem Gesichtspunkt der Änderung von Denk- und Handlungsweisen betrachtet werden.
+
'''[[Das_Fremde_verstehen/Eurozentrismus#1.1 Eurozentrismus: Europa und die Anderen|Vorheriges Kapitel: 1.1 Eurozentrismus: Europa und die Anderen]]'''
 +
=1.2 Deutungsmuster des Fremderlebens=
 +
<sup>verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest</sup>
  
'''Verweise:'''<br />
+
Die eigene Identität ruft die Fremdartigkeit des Anderen hervor, wobei differente Sinnwelten auch über unterschiedliche Konzepte und Wahrnehmungstraditionen von Fremdartigkeit verfügen. Es gibt keine universellen Modi des Fremderlebens, was zu problematischen Situationen und Verhaltensunsicherheit führt. Erfahrungsmodi oder Deutungsmuster des Fremderlebens beziehen sich auf soziale Bruchlinien und können völlig unterschiedliche Bedeutungen annehmen. Darin können fünf grundsätzliche inhaltliche Ausformungen unterschieden werden:
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.3 Globalisierung und Grenzen|[1] Siehe Kapitel 1.2.3]]<br />
 
  
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# '''Das Fremde als das Auswärtige''', indem die räumliche Trennungslinie das Innere, die Heimat und die Einheitssphäre betont.
 +
# '''Das Fremde als Fremdartiges''', wodurch die Anormalität, das Unpassende etc. im Gegensatz zum Normalen eines Sinnbezirkes besetzt wird.
 +
# '''Das Fremde als das noch Unbekannte''', das die Möglichkeit des Kennenlernens und gegenseitigen Vertrautmachens impliziert.
 +
# '''Das Fremde als das letztlich Unerkennbare''', als das für den Sinnbezirk transzendente - also nicht erfahrbare Außen.
 +
# '''Das Fremde als das Unheimliche''', worin die Grenze zwischen Innen und Außen verschwimmt, wenn das Heimische unheimlich wird.
  
  
'''[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|Nächstes Kapitel: 1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung]]'''<br/>
+
'''[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3 Ordnungsschemata des Fremderlebens|Nächstes Kapitel: 1.3 Ordnungsschemata des Fremderlebens]]'''<br/>
 
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[[#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|&uarr; Nach oben]]<br/>
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[[#1.2 Deutungsmuster des Fremderlebens|&uarr; Nach oben]]<br/>
  
  
'''[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|Vorheriges Kapitel: 1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie]]'''
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'''[[Das_Fremde_verstehen/Deutungsmuster#1.2 Deutungsmuster des Fremderlebens|Vorheriges Kapitel: 1.2 Deutungsmuster des Fremderlebens]]'''
=1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung=
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=1.3 Ordnungsschemata des Fremderlebens=
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
+
<sup>verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest</sup>
  
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Die Modalitäten des Fremderlebens lassen sich auf Ordnungsschemata zurückführen, worunter soziale Wirklichkeitsdefinitionen zu verstehen sind (z. B. wer Asylant ist). Als Unterscheidungsmuster gliedern sie die Welt, machen sie verständlich und beherrschbar. Repressiv werden die Deutungsmuster dann, wenn sie sich als natürliche Ordnung verstehen und den dahinter liegenden Interessensstandpunkt zu objektivieren und zu verabsolutieren versuchen. Eine '''&quot;'''Phänomenologie[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.1 Phänomenologie|[1]]]''' von Fremdheit&quot;''' stellt sich daher der Aufgabe, die Deutungsmuster von Fremdheit anhand von elementaren Ordnungsschemata systemspezifischer Innen/Außen- Beziehungen zu untersuchen. Schäffter (1991: 15) unterscheidet vier elementare Ordnungsschemata:
  
'''Globalisierung ist ein Prozess, der von Dynamik, Wechselwirkungen und Determiniertheit geprägt ist.''' Eine Entwicklung wird als dynamisch bezeichnet, wenn laufend Veränderungen stattfinden, die - durch einen Zeitmaßstab und der Zeitdauer der Beobachtung des Phänomens definiert - als solche wahrgenommen werden, indem in ihren diachronisch wahrgenommenen Erscheinungsformen objektiv Unterschiede erkannt werden können. Wechselwirkungen ergeben sich aus der Verknüpfung von Einzelfaktoren und Elementen, die wiederum einander bedingen können und damit eine Determiniertheit generieren. '''Tatsächlich ist der Prozeß der Globalisierung nur durch eine '''methoden- und theoriepluralistische Annäherung[[STEOP_-_Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie#Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften| [1]]]''' möglich und führt zu komplexen und multikausalen Erklärungsansätzen.'''
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* '''Ordnungen transzendenter Ganzheit''', in denen das Fremde als tragender Grund- und Resonanzboden von Eigenheit dient.
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* '''Ordnungen perfekter Vollkommenheit''', die das Fremde als Negation von Eigenheit betrachten.
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* '''Ordnungskonzepte dynamischer Selbstveränderung''', die das Fremde als Chance zur Ergänzung und Vervollständigung einschätzen.
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* '''Konzeptionen komplementärer, sich wechselseitig ergänzender Ordnung''', in denen Eigenheit und Fremdheit als Zusammenspiel sich wechselseitig hervorrufender Kontrastierungen begegnen.
  
'''Verweise:'''<br />
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'''Alle Erfahrungsmöglichkeiten stehen zwischen Faszination und Bedrohung.'''
[[STEOP_-_Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie#Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften| [1] Siehe die Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br />
 
  
 
==Inhalt==
 
==Inhalt==
 
<div class="eksa_toc">
 
<div class="eksa_toc">
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung]]<br/>
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[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3 Ordnungsschemata des Fremderlebens|1.3 Ordnungsschemata des Fremderlebens]]<br/>
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.1 Globalisierung und Fragmentierung|1.2.1 Globalisierung und Fragmentierung]]<br/>
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:[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3.1 Fremdheit als Resonanzboden|1.3.1 Fremdheit als Resonanzboden]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.1.1 Reich-Arm-Dichotomie|1.2.1.1 Reich-Arm-Dichotomie]]<br/>
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:[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3.2 Fremdheit als Gegenbild|1.3.2 Fremdheit als Gegenbild]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.1.2 Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft|1.2.1.2 Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft]]<br/>
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:[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3.3 Fremdheit als Ergänzung|1.3.3 Fremdheit als Ergänzung]]<br/>
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.2 Dynamik der zyklischen Expansion und Kontraktion|1.2.2 Dynamik der zyklischen Expansion und Kontraktion]]<br/>
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:[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3.4 Fremdheit als Komplementarität|1.3.4 Fremdheit als Komplementarität]]<br/>
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.2.1 Re-Lokalisierung|1.2.2.1 Re-Lokalisierung]]<br/>
 
::[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.2.2 Neue Themen für die Kultur- und Sozialanthropologie|1.2.2.2 Neue Themen für die Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
 
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.3 Globalisierung und Grenzen|1.2.3 Globalisierung und Grenzen]]<br/>
 
 
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== 1.2.1 Globalisierung und Fragmentierung ==
 
 
Während es insbesondere im Medien- und Telekommunikationssektor sowie in der Finanzwelt, aber auch in der Welt der Moden und Geschmäcker scheinbar einen Trend zu Vereinheitlichung, Verschmelzung und einem Aufgehen in größeren, einheitlicheren Entitäten gab, entwickelte sich gleichzeitig parallel dazu ein Trend zur Fragmentierung, der sich beispielsweise in der Zunahme ethno-nationalistischer Konflikte, dem Zerfall von '''Staaten[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|[1]]]''', aber auch in der Krise der Finanzen, dem Abbau des Sozialstaates, der Zementierung der Zwei-Drittel-Gesellschaft und der Dichotomie von globalisiertem Reichtum und lokalisierter Armut - eine Dualität, die von '''Zygmunt Bauman[http://de.wikipedia.org/wiki/Zygmunt_Bauman &#91;2&#93;]''' in mehreren Werken (z.B. Bauman 1998) thematisiert wurde - manifestiert. '''Globalisierung führt also gleichzeitig zu Vereinheitlichung und Fragmentierung.'''
 
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|[1] Siehe Kapitel 3]]<br />
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.1 Phänomenologie|[1] Siehe Kapitel 2.3.1.1]]<br />
[http://de.wikipedia.org/wiki/Zygmunt_Bauman &#91;2&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Zygmunt_Bauman]<br />
 
 
 
 
 
== 1.2.1.1 Reich-Arm-Dichotomie ==
 
 
 
Der Politikwissenschafter '''Ulrich Menzel[http://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Menzel &#91;1&#93;]''' hat bereits in den 1990er Jahren diesen Umständen Aufmerksamkeit geschenkt, und auf deren Ursachen und Entwicklungen Bezug genommen (Menzel 1998). Baumans Kritik war und ist, dass mit der Globalisierung Privilegien und Reichtum neu verteilt werden. Es entsteht die Gruppe der &quot;Reichen&quot;, die globalisiert sind, nicht mehr an den Ort gebunden und keine Zeit mehr haben, auf der anderen Seite die &quot;Armen&quot;, die räumlich gebunden sind und nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Die &quot;Reichen&quot; sind aber nun, im Gegenzug zu früher, nicht mehr auf die &quot;Armen&quot; angewiesen. Die alten Reichen brauchten früher die Armen, um reich zu werden und reich zu bleiben.
 
  
Nach Bauman existiert zwischen Globalisierungsgewinnern und Globalisierungsverlieren weder eine Einheit noch eine Abhängigkeit, eine Form der Entsolidarisierung wird sichtbar, die völlig neue soziale Probleme und Herausforderungen für die Erhaltung der Gemeinwesen und des sozialen Friedens mit sich bringt. Diese Entkoppelung und '''Fragmentierung[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.1 Globalisierung und Fragmentierung|[2]]]''' hat im Gefüge der Gesellschaften fatale Konsequenzen für deren Zusammenhalt. Neben der Tertiarisierung und Virtualisierung der Ökonomie kommt es zu einem Prekariat ganzer Bevölkerungsschichten, mit allen daraus ableitbaren Folgekonsequenzen, wie Massenarbeitslosigkeit, Sozialdumping, Verslumung ganzer '''Stadtteile[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.1 Mega-Cities und rurale Entvölkerung|[3]]]''', Anstieg der Gewaltkriminalität und '''Elendswanderung[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.1 Arbeitsmigration|[4]]]'''.
 
  
'''Verweise:'''<br />
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== 1.3.1 Fremdheit als Resonanzboden ==
[http://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Menzel &#91;1&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Menzel]<br />
 
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.1 Globalisierung und Fragmentierung|[2] Siehe Kapitel 1.2.1]]<br />
 
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.1 Mega-Cities und rurale Entvölkerung|[3] Siehe Kapitel 1.3.1]]<br />
 
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.1 Arbeitsmigration|[4] Siehe Kapitel 2.5.1]]<br />
 
  
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'''Das Fremde''' erscheint nach diesem Ordnungsmuster '''als abgetrennte Ursprünglichkeit'''. So werden Zivilisation und Wildnis ebenso wie Innen- und Außenwelt als Spannungsverhältnis auf der Grundlage basaler Gemeinsamkeit aufgefasst. Das Fremde ist danach das Ursprüngliche (bzw. ursprünglich Eigene; vgl. Morgan - Evolutionismus). Die Beziehung zum Fremden charakterisiert keinen Bruch, sondern eine existentielle Teilhabe – ein Gleichklang von Unterschiedlichem. Im Modus von Resonanz für das Innen/Außenverhältnis lässt sich Fremdheit über Affinität, Verständnis, Einfühlung, Solidarität, Liebe, Mitleid, Empathie als prinzipiell verstehbar einordnen. '''&quot;Sieh, das Fremde ist wie Du!&quot;'''
  
== 1.2.1.2 Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft ==
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[[File:denkenksa-5_1.jpg|thumb|380x285px|right|Foto: Ein Hirte auf der Sani Ebene notiert seine Adresse, Lesotho 2005, Severin Lenart]]
  
Die, ebenfalls durch globale Prozesse bewirkte, Ent- Industrialisierung in Europa, die neue Fokussierung auf Dienstleistungsberufe, insbesondere im FIRE-Sektor (Finance, Insurance, Real Estate) führt zu einem '''Auseinaderklaffen der sozialen Schere'''. Diese '''Reich-Arm-Dichotomie[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.1.1 Reich-Arm-Dichotomie|[1]]]''' muss nicht nur innerhalb einer Gesellschaft, sondern kann auch, global gesehen, zwischen '''Staaten[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|[2]]]''' ihren Ausdruck finden. Die Marginalisierung peripher gelegener Gebiete, die geographisch von potentiellen Märkten zu weit entfernt sind oder nur ungenügende Ressourcen haben, sodass sie für die Ressourcenausbeutung durch Industriestaaten uninteressant sind, zeigt sich an Gebieten wie beispielsweise Ozeanien, dessen kleine Inselstaaten hier als besonders benachteiligt gesehen werden müssen.
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Das Fremde ging nach dieser Erfahrungsmöglichkeit aus einer ursprünglichen Ganzheit hervor und liefert nunmehr die Kontrastfläche für die eigene Identität. '''Faszination kann hier ebenso entstehen wie Bedrohung durch das Gefühl der Identitätsauflösung.''' '''Fremdheit[[Das_Fremde_verstehen#1 Das Fremde verstehen|[1]]]''' wird zur Schwellenerfahrung. Sie wird als Entdeckung und Wiedergewinnung des eigenen Ursprungs gedeutet. In der europäischen Tradition lassen sich als Beispiele Rousseau, Gauguin, aber auch die Beatles anführen. Gerade deutsche Dichter hatten noch um 1900 eine besondere Intuition im Umgang mit dem Fremden, auf der Grundlage einer ''conditio humana'', die auf einer gemeinsamen anthropologischen Basis die grundsätzliche Verstehbarkeit aller menschlichen Ausdrucksformen beschworen. '''In der Wissenschaft wird diese Sicht von der interkulturellen Hermeneutik repräsentiert''', die auf der angenommenen psycho-physischen Einheit der Menschheit ein gemeinsames Vorverständnis als Grundlage von Fremdverstehen auf der tieferen Basis des Allgemein Menschlichen postuliert.
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.1.1 Reich-Arm-Dichotomie|[1] Siehe Kapitel 1.2.1.1]]<br />
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[[Das_Fremde_verstehen#1 Das Fremde verstehen|[1] Siehe Kapitel 1]]<br />
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|[2] Siehe Kapitel 3]]<br />
 
 
 
 
 
== 1.2.2 Dynamik der zyklischen Expansion und Kontraktion ==
 
  
Beim Prozess der Globalisierung handelt es sich nicht notwendigerweise um einen unumkehrbaren gerichteten Prozess, der nur in eine Richtung stetig voranschreitet. Vielmehr gab es auch in der '''Vergangenheit[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.4 Historische Formen von Globalisierung|[1]]]''' immer wieder Phasen, in denen es zu einer Verlangsamung oder zu einem Stillstand gesellschaftlicher Entwicklungen kam, ja sogar zu Umkehrtrends, die in unserem Fall als Deglobalisierung bezeichnet werden müßten.
 
  
'''Peter Feldbauer[https://wirtschaftsgeschichte.univie.ac.at/menschen/emeritierte-und-im-ruhestand-befindliche/feldbauer-peter/ &#91;2&#93;]''' und andere Autoren (Feldbauer et.al. 2009) haben anhand der Darstellung historischer Fallbeispiele auf diese mögliche Entwicklungsrichtung hingewiesen. Mir persönlich scheinen diese Gedanken, die bisher in der Öffentlichkeit nicht ausreichend diskutiert werden, jedoch das Potential alternativer Entwicklungen grundsätzlich beinhalten, als bedenkens- und beachtenswert. Erste Anzeichen in dieser Richtung sind für mich unübersehbar. So folgte dem Wettlauf um die Zusammenlegung von Großkonzernen zu immer größeren &quot;Weltunternehmen&quot; der Katzenjammer der Schwierigkeit, unterschiedliche Unternehmenskulturen einfach zu verschmelzen. Das Experiment von Daimler-Chrysler, welches von Daimler-Benz nach Milliardenverlusten beendet wurde, zeigt dies exemplarisch. Zwischenzeitig entflechten auch andere Großkonzerne still und heimlich ihre unüberschaubar gewordenen Firmenkonglomerate und ein &quot;small is beautiful&quot; regt sich zaghaft in unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen. '''Aufblähungen wechseln sich offensichtlich, zumindest in einigen Bereichen, mit Reduktionen ab.'''
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== 1.3.2 Fremdheit als Gegenbild ==
  
[[File:debattenksa-13_1.jpg|400x434px|Der akkumulierende Mensch]]
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'''Diese Ordnungsstruktur''' beruht auf innerer Kohärenz und '''führt zu Ausgrenzung des &quot;Andersartigen&quot;, des &quot;Artfremden&quot;'''. Das Fremde erhält den Charakter einer Negation der Eigenheit. (&quot;Wien muss den Wienern Heimat bleiben; Wir machen ernst&quot;) – im Sinne gegenseitiger Unvereinbarkeit. Eine genau definierte Grenzlinie soll die Integrität der Eigenheit bewahren. Diese Integrität der eigenen Ordnung wird durch das Fremde bedroht. &quot;Das Fremde ist das Unding, das Nicht- Eigene&quot;. '''Die angesprochene Ordnungsstruktur der Einheit und Integrität hat die Metaphorik von Reinheit''', Unvermischtheit, innerer Stärke '''und Gesundheit''', während das Fremdartige die Konnotation von Vermischung, Unreinheit, Gift und Schmutz erhält. Vor allem tritt dieses Ordnungsmuster hervor, wenn die innere Ordnung durch &quot;Überfremdung&quot; gefährdet erscheint. Es rechnet sich in selbst bewusster Eindeutigkeit ausschließlich einer Seite des dualen Verhältnisses zu. Jede Form von Fremderleben ruft konflikthafte Gegensätzlichkeit hervor. '''Das Fremde erscheint als der natürliche Feind'''.
  
'''Verweise:'''<br />
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[[File:denkenksa-6_1.jpg|thumb|390x265px|right|Eine Ausgabe des Stürmers von 1934,[http://research.calvin.edu/german-propaganda-archive http://research.calvin.edu/german-propaganda-archive] und ein Umschlagbild des Comicbuches Rocket to the Moon, Avon Periodicals, NY 1951 ]]
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.4 Historische Formen von Globalisierung|[1] Siehe Kapitel 1.1.4]]<br />
 
[https://wirtschaftsgeschichte.univie.ac.at/menschen/emeritierte-und-im-ruhestand-befindliche/feldbauer-peter/ &#91;2&#93; https://wirtschaftsgeschichte.univie.ac.at/menschen/emeritierte-und-im-ruhestand-befindliche/feldbauer-peter/]<br />
 
  
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Viele Beziehungsverhältnisse können nach diesem Ordnungsmuster gedeutet werden: beispielsweise Geschlechterbeziehungen: statt Empathie wie im ersten Deutungsmuster entsteht danach Geschlechterkampf. Brennende Asylantenheime oder zerfetzte Roma sind andere Beispiele dafür. Da das Fremde als unzulässige Alternative einer reduzierten Eigenheit verstanden wird, kommt es zu einer innerpsychischen interpersonalen oder interkulturellen Auseinandersetzung. Das Fremde kann nicht in seiner Eigenart belassen werden, sondern erhält als Unbewusstes, als Krankheit, Irrationalität oder Aberglauben einen zutiefst bedrohlichen Charakter. '''Wenn dann Reinheit zur Stagnation der Entwicklung führt, kann das Ausgegrenzte die Bedeutung einer positiven Alternative erhalten.''' Dann drehen sich die Vorzeichen um: das vereinseitigte Sinnsystem sucht wieder nach Vielfalt, Neuheit etc., verfängt sich aber in den Fesseln einer dualen Ordnungsstruktur. Es führt zu '''Mythen der Zivilisationskritik und Natürlichkeitssehnsucht mit ihren Idealisierungen vom Edlen Wilden''' usw. Wenn sich der Edle Wilde auf dem Globus nicht mehr finden lässt bleibt nur noch die Flucht in die Zeit: utopische Zukunftsromane ersetzen die erträumten Reiseberichte. Darin äußern sich neuerlich der Herrschaftscharakter und die Aggressivität einer assimilativen Vereinnahmung des Fremdkulturellen durch diesen Modus des Fremderlebens.
  
== 1.2.2.1 Re-Lokalisierung ==
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Nach einer Kritik von Duala-M‘bedy in seinem Buch &quot;Xenologie - die Wissenschaft vom Fremden&quot; (1997) benötigt die '''Europäische Kultur[[Das_Fremde_verstehen/Eurozentrismus#1.1 Eurozentrismus: Europa und die Anderen|[1]]]''' den Mythos des Fremden, um sich selbst in den Griff zu bekommen. Abermals wird spiegelbildlich verkehrt ein vereinseitigtes und reduziertes Bild des Anderen produziert, um es als Kulturregulativ instrumentalisieren zu können. Von einem kulturpessimistischen Standpunkt aus sind die Anderen nicht unvergleichlich, sondern das, was wir nicht sind.
 
 
Autoren wie der Kanadier '''Jeff Rubin[https://en.wikipedia.org/wiki/Jeff_Rubin &#91;1&#93;]''' (2009), der als Ökonom und Wirtschaftsberater Jahrzehnte lang die Ölförderung und -industrie beobachtet hat, sagt nicht nur die Abnahme der Erdölförderung aufgrund abnehmender Ressourcen voraus (der &quot;peak-oil-point&quot; ist bald oder bereits erreicht), sondern sieht mit den steigenden Energiepreisen ein '''Ende der Globalisierung, zumindest in bestimmten Produktionsbereichen'''. Bei extrem gestiegenen Erdölpreisen wird es sinnlos, Textilien billig in Fernost produzieren zu lassen, denn der Kostenvorteil durch niedrige Lohnkosten in Asien werden durch die signifikant sich erhöhenden Transportkosten mehr als aufgehoben.
 
 
 
Wenn das ein- und zutrifft, dann wird sich unsere Wirtschaft ein weiteres Mal fundamental verändern. Das weitgespannte logistische Netz vieler westlicher Industrien wird in Teilbereichen an Bedeutung und Intensität verlieren, der Stellenwert von Import und Export wird sich neu definieren. Als Folgewirkung könnte eine Renaissance der heimischen Produktionswirtschaft bevorstehen, lokale Produkte könnten wieder konkurrenzfähig werden und dadurch stärker wieder unsere Märkte prägen. Die heutige Dienstleistungsgesellschaft würde sich wieder, in Teilbereichen, in eine Produktionsgesellschaft wandeln, was nicht zuletzt Auswirkungen und Handlungsbedarf für den Ausbildungsbereich mit sich bringt.
 
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[https://en.wikipedia.org/wiki/Jeff_Rubin &#91;1&#93; https://en.wikipedia.org/wiki/Jeff_Rubin]<br />
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[[Das_Fremde_verstehen/Eurozentrismus#1.1 Eurozentrismus: Europa und die Anderen|[1] Siehe Kapitel 1.1]]<br />
 
 
 
 
== 1.2.2.2 Neue Themen für die Kultur- und Sozialanthropologie ==
 
 
 
Was uns als Kultur- und SozialanthropologInnen wichtig zu sein hat, ist die Tatsache, dass '''jede dieser Veränderungen, in welche Richtung auch immer, das Individuum und dessen Stellung sowie dessen Beziehungen in der Gesellschaft betreffen''', diese neu definieren und gravierenden Adaptionsbedarf bei jedem Einzelnen notwendig machen. Die sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Veränderungen, insbesondere die '''Sichtbarmachung persönlicher Betroffenheitsszenarien[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Betroffenheitsszenarien#2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien|[1]]]''' ist die '''Aufgabe künftiger Kultur- und SozialanthropologInnen[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder|[2]]]''', denn diese sind verbunden mit der Veränderung von Verortungen und Identitäten. So haben manche global zu beobachtende Phänomene, dazu gehört auch der Klimawandel und die dadurch verursachte bzw. prognostizierte territoriale Instabilität (Wüstenbildung, Überflutungen, Unbewohnbarkeit von Küstengebieten, Veränderung der Fertilität eines Landstrichs, etc.), eine Veränderung der geotopologischen Identität mit sich gebracht. Was das für Rückwirkungen auf das Sozialverhalten haben wird, ist dabei offen und untersuchenswert.
 
  
'''Verweise:'''<br />
 
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Betroffenheitsszenarien#2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien|[1] Siehe Kapitel 2.2]]<br />
 
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder|[2] Siehe Kapitel 1.3]]<br />
 
  
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== 1.3.3 Fremdheit als Ergänzung ==
  
== 1.2.3 Globalisierung und Grenzen ==
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Durch die steigende Komplexität eines Sinnsystems wird die duale Ordnung bedroht. Eine Person, Gruppe oder Kultur verfügt durch interne Differenzierung über eine Vielzahl unterschiedlicher Umwelten, über ein Spektrum interner Fremdartigkeit. '''Diese Ordnungsstruktur ist''' daher nicht eine Form der schützenden Abgrenzung, sondern '''der Versuch der Regelung von Prozessen der '''Verinnerlichung des Äußeren[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1 Drei Modi der theoretischen Erkenntis|[1]]]''' und des Entäußern des Inneren.''' Charakterisiert wird sie durch ein Zusammenspiel von Aneignung von Fremdem mit struktureller Selbstveränderung. Das Fremde erhält für dieses dynamische Ordnungsgefüge die Funktion eines externen Spielraumes mit entwicklungsfördernden Impulsen und Lernanlässen. Nach dem Motto &quot;Werde, wer Du bist!&quot; ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten. '''In einem Wechselspiel zwischen Assimilation''' (Angleichung) '''und Akkomodation''' (Aneignung) '''erscheint die Fremderfahrung als Selbsterfahrung''' (Esoterik, Ashrams etc.). Es entsteht Faszination durch die Verbindung von Informationsbedarf, Abwechslungsbedürfnis, Neugierde und Wissenstransfer.
  
Die beobachteten scheinbaren Grenzauflösungen, nicht nur im Warenverkehr, im Zuge der Globalisierung sind fast überall nur Grenzverschiebungen. Die Beweggründe mancher Grenzkonstituierung wurden nicht eliminiert, sondern haben sich verändert und verschoben. Ausschließungsgründe, beispielsweise bei der Handhabung der '''Immigrationsfrage[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Betroffenheitsszenarien#2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien|[1]]]''', wurden inhaltlich kaum gelöst, dafür verschob sich räumlich die Exekution der Zurückweisung von unerwünschten Einwanderungswilligen. Fragen der Rückwirkung auf die inneren Strukturen der Gesellschaft solcher Dynamiken können hier von Kultur- und SozialanthropologInnen gerade auch mit dem Wissen um die verschiedenen Spielarten der Selbstorganisation von sozialen Gruppen und der Rolle der &quot;Spielregeln&quot; komparativ angegangen werden, da beispielsweise das Wesen der Grenzkonstitution ein interessantes Thema darstellt.
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[[File:denkenksa-7_1.jpg|thumb|380x256px|right|Foto: Ein Kind bestaunt ein selbstgebautes Auto am Naßfeld, Salzburg, Österreich ca. 1990, Heidemarie Rest-Hinterseer]]
  
'''Die Metapher der Grenze ist auf viele soziale Sachverhalte anwendbar''', wenn man davon ausgeht, dass jede Gruppe eine Grenze aufweist, die Personen innerhalb und außerhalb der Gruppe trennt. Setzt man sich mit der Grenze als definierenden Faktor auseinander, so sind vier Eigenschaften zu berücksichtigen: Kriterien der Eingrenzung, der Ausgrenzung, der Separation und der Kommunalität. In der Auseinandersetzung mit Globalisierung kommt sowohl der Beschäftigung mit den Elementen &quot;Grenzkonstitution&quot; und &quot;Grenzübergang&quot; eine zentrale Rolle zu als auch dem Konzept der &quot;offenen&quot; bzw. &quot;geschlossenen Gesellschaften&quot;, wobei letztgenannte Metaphern in Verbindung mit '''Migration[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|[2]]]''' überwiegend in Bezug auf die Außengrenzen '''nationalstaatlich verfasster Gesellschaften[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Organisationsstruktur#3.4 Der Staat als Organisationsstruktur|[3]]]''' Anwendung finden, sowie auf die Bereitschaft gesellschaftlicher Institutionen, Rahmenbedingungen für eine Integration von Migranten und Migrantinnen zu schaffen.
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Freilich wird durch das skizzierte expansive Selbstverständnis das Fremderleben auf die genannten Funktionen reduziert und es entsteht in der Folge ein Problem der Verarbeitungskapazität. Das wiederum kann dazu führen, '''dass die Faszination unvermittelt in eine Bedrohung umschlagen kann'''. Jede Selbstveränderung hat die Potenz der Bereicherung ebenso wie der System sprengenden Überforderung. Darin zeigt sich die tiefe Ambivalenz des Deutungsmusters (z.B. Kulturschock). Wenn die Verarbeitungskapazität gesprengt und als Selbstentfremdung erlebt wird, muss das expansive Deutungsmuster auf die Sicherheit des zweiten Typus zurückgreifen (z.B. interpersonale Beziehungen).
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Betroffenheitsszenarien#2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien|[1] Siehe Kapitel 2.2]]<br />
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1 Drei Modi der theoretischen Erkenntis|[1] Siehe Kapitel 2.3.1]]<br />
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|[2] Siehe Kapitel 2]]<br />
 
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Organisationsstruktur#3.4 Der Staat als Organisationsstruktur|[3] Siehe Kapitel 3.4]]<br />
 
 
 
  
  
'''[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder|Nächstes Kapitel: 1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder]]'''<br/>
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== 1.3.4 Fremdheit als Komplementarität ==
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[[#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
  
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Den bisher besprochenen Varianten des Fremderlebens ist gemeinsam, dass sie das Fremde nicht in seiner Besonderheit stehen lassen können. Die Auseinandersetzung ist darin nicht partnerschaftlich-dialogisch, sondern die Andersheit wird als Eben-doch-Eigenes vereinnahmt. Das beruht auf der Funktion des Fremden für die Konstitution der eigenen Identität.
  
'''[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|Vorheriges Kapitel: 1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung]]'''
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'''Das vierte Ordnungsmuster''' nach dem von Schäffter vorgeschlagenen Modell (die Fremdheit als Komplementarität) unterscheidet sich von den bisher skizzierten Strukturen dahingehend, dass es '''auf einer wechselseitigen, sich gegenseitig hervorrufenden Fremdheit beruht'''. Es ist eine Ordnungsstruktur, die verschiedene Einzelperspektiven übergreift. Inneres und Äußeres werden nicht als separate Bereiche behandelt, indem sich Eigenes und Fremdes wechselseitig relativieren und bestimmen. Aus der Vielzahl eigenständiger Perspektiven und möglicher Interpretationen der Welt, ergibt sich ein Abgehen von einem unbestreitbaren Fundament im Aufeinandertreffen unterschiedlicher Bezugssysteme; es entsteht ein Verzicht auf einen übergeordneten Bezugspunkt. '''Damit wird auch auf die Annahme einer universellen Rationalität und einer universell beobachtbaren empirischen Welt verzichtet.''' Das Wissen über die Welt bleibt nach diesem Ordnungsmuster unaufhebbar an lokale und soziale Konstitutionsprozesse gebunden. Für die Übersetzung und Verbindung zwischen lokalen Wissensbeständen gibt es keine (angenommene) Garantie mehr.
  
=1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder=
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[[File:denkenksa-8_1.jpg|thumb|380x287px|right|Foto: Eine Köchin als Kamerafrau am Weingut Nelson's Creek bei Paarl, Südafrika 2005, Severin Lenart]]
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
  
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'''Die Erkenntnistheorie''' - so Schäffter (1991: 25) - '''wird beim komplementären Ordnungsmuster durch die Hermeneutik abgelöst.''' Die Ordnungsstrukturen sind damit nicht mehr ambivalent, sondern polyvalent; sie beziehen sich auf eine Praxis des Unterscheidens. Die Ordnung lebt vom permanenten Oszillieren (Pendeln) zwischen Positionen der Eigenheit und Fremdheit, die sich in wechselseitigem Kontakt hervorrufen. Es kann sich keine reine Innen- oder Außenwelt mehr etablieren, keine reine Eigen- oder Fremdwelt. Darin äußert sich '''eine komplementäre Ordnung wechselseitiger Fremdheit'''. Ab einem gewissen Moment ersetzt die Feststellung von „Nicht- Verstehbarkeit“ den Versuch der Akkomodation. Darin ist keine Verweigerung des Verstehens zu konstatieren, sondern die Anerkennung einer Grenzerfahrung - einer eigenen Grenzlinie der Erfahrungsmöglichkeit. Das ist eine Konsequenz aus der Erfahrung, dass externe Berichte nicht völlig aneignungsfähig sind und daher in ihrem Eigenwert zu respektieren. Solche Schwellenerfahrungen werden dann als Zwang zur radikalen Anerkennung von gegenseitiger Differenz aufgefasst - als '''Sensibilität für gegenseitige Fremdheit'''.
  
'''Es geht um Globalisierung von Kulturen bzw. des Kulturellen.''' Unser Fach, welches sich grundsätzlich mit lebensweltlichen Prozessen befasst, die direkt oder indirekt auf die prägenden demographischen, politischen und technologischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts zurückgehen, hat hier zu analysieren und Antworten zu geben. Es beobachtet beispielsweise Veränderungen der Sozialstrukturen in bäuerlichen Gesellschaften im Gefolge der grünen Revolution in der Landwirtschaft sowie der '''Abwanderung in die Städte[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|[1]]]''', beschäftigt sich mit den '''politischen, sozialen und kulturellen Langzeitwirkungen des Kolonialismus''' in Form von verschiedenen Spielarten von Post- und Neokolonialismus, mit '''regionalen und transnationalen Migrationsströmen[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4 Aufgabenfelder|[2]]]''' sowie mit der zunehmenden '''Dominanz urbaner Lebensformen''' und der dort anzutreffenden Auffächerung in neue soziokulturelle Aggregatszustände. Neue Formen der Ethnizität, der Religiosität, der familiären Solidarität, der sozialen Organisation des Zugangs zu Arbeit, zu Wohnraum usw. stehen in engem Zusammenhang mit diesen gesellschaftlichen Prozessen, in denen auch '''der Faktor Demographie eine entscheidende Rolle spielt'''.
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Die Ordnungsleistung bezieht sich daher auf die Praxis des Fremderlebens. Das Fremde wird als Ergebnis einer Unterscheidungspraxis in wechselseitiger Interaktion erkennbar, aber nicht endgültig bestimmbar. '''&quot;Es kann nur noch beobachtet werden, wie der Beobachter die anderen Beobachter beim Beobachten des Beobachtens beobachtet&quot;''' (ebd.: 27). Damit verbindet sich ein neues Verständnis von kulturhistorischer Distanz. Es zielt darauf ab, die Verwurzelung in unserer eigenen Kultur klar zu erkennen und unsere Abhängigkeit von den eigenen gesellschaftlichen Normen, die sich im Denken, Empfinden und Handeln zeigt. '''&quot;Erst wenn wir bewusste '''Eurozentriker[[Das_Fremde_verstehen/Eurozentrismus#1.1 Eurozentrismus: Europa und die Anderen|[1]]]''' sind, vermögen wir das Fremde unvoreingenommen''' (...) '''wahrzunehmen.''' (...) Der eigenen Perspektivität bewusst, könnten wir dann das Fremde als ''Fremdes'' belassen&quot; (ebd.: 28). Das Fremde macht dann die blinden Flecken unserer eigenen Wahrnehmungsfähigkeit erkennbar. Im Resultat kommt es zu einer Erfahrung einer gegenseitigen Grenze. Dann - so hofft Schäffter - kann es vielleicht zu neuen Formen von Gemeinsamkeit kommen, die tragfähiger sind, als die Einfühlung in die vermeintlich universellen Grundlagen des Humanen.
 
 
[[File:debattenksa-17_1.jpg|600x400px|Der vordringende Mensch, H. Mückler]]
 
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|[1] Siehe Kapitel 2.5]]<br />
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[[Das_Fremde_verstehen/Eurozentrismus#1.1 Eurozentrismus: Europa und die Anderen|[1] Siehe Kapitel 1.1]]<br />
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4 Aufgabenfelder|[2] Siehe Kapitel 2.4]]<br />
 
  
==Inhalt==
 
<div class="eksa_toc">
 
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder|1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder]]<br/>
 
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.1 Mega-Cities und rurale Entvölkerung|1.3.1 Mega-Cities und rurale Entvölkerung]]<br/>
 
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.2 Subkulturforschung|1.3.2 Subkulturforschung]]<br/>
 
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.3 Postkoloniale Studien|1.3.3 Postkoloniale Studien]]<br/>
 
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.4 Eine "Neue Unübersichtlichkeit"|1.3.4 Eine "Neue Unübersichtlichkeit"]]<br/>
 
:[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.5 "Creolization Paradigm"|1.3.5 "Creolization Paradigm"]]<br/>
 
</div>
 
  
== 1.3.1 Mega-Cities und rurale Entvölkerung ==
+
'''[[STEOP_-_Denkweisen-KSA#Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)|&crarr; Zurück zur Übersicht]]'''<br/>
 
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'''Die kulturelle Distanz zwischen ruralen und urbanen Gebieten ist in der Gegenwart größer geworden.''' Insbesondere sogenannte Mega-Cities sind Orte der kulturellen Globalisierung geworden, während ländliche Regionen häufig kulturell verarmen (vgl. Feldbauer et.al. 1997). Da die '''Arbeitsmigration[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.1 Arbeitsmigration|[1]]]''' vor allem von jungen Männern und Frauen unternommen wird, fehlt es den ländlichen Gebieten weltweit an unternehmerischer und kultureller Dynamik. So sind in der Westukraine, in Moldawien, aber auch in Teilen Rumäniens zahlreiche Dörfer buchstäblich nur mehr von Kindern und alten Leuten bewohnt, weil der überwiegende Teil der männlichen und weiblichen Dorfangehörigen mittleren Alters in Süd- und Westeuropa arbeitet und nur sporadisch heimkehrt.
+
[[#1.3 Ordnungsschemata des Fremderlebens|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
 
'''Verweise:'''<br />
 
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.1 Arbeitsmigration|[1] Siehe Kapitel 2.5.1]]<br />
 
 
 
 
 
== 1.3.2 Subkulturforschung ==
 
 
 
'''Städte sind heute durch ihre vielfältigen Spielarten der Selbstorganisation''' der einzelnen ethnischen und sozialen Gruppen, ein Spielfeld für die Untersuchung zahlreicher Gruppen geworden, die Subkulturen gebildet haben. Der Ethnologe und Stadtanthropologe '''Ulf Hannerz[https://en.wikipedia.org/wiki/Ulf_Hannerz &#91;1&#93;]''', der sich selbst mit den Afroamerikanern im Ghetto von Washington auseinandergesetzt hat, hatte in seinem Buch ''Exploring the City'' (Hannerz 1980) festgestellt, dass sich die Urban-Anthropologie zwar seit ihrer Entstehung intensiv mit Subkulturen befaßte, dass aber die kulturelle Komplexität, dessen Ausdruck Subkulturen waren, dabei selbst nicht ernsthaft analysiert wurde. Subkulturen wurden wie unvollständige, abhängige Varianten von traditionellen Kulturen verstanden, denen bei aller zugestandenen Veränderung eine vermeintliche Homogenität erhalten blieb.
 
 
 
Hannerz postulierte, dass die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie für ihre Forschungen in Städten einen neuen '''Kulturbegriff[[Kulturtheorien_in_den_Sozialwissenschaften#7 Kulturtheorien in den Sozialwissenschaften|[2]]]''' zu definieren habe. Die Konzepte, die er für die Analyse der kulturellen Komplexität in Großstädten entwickelte, übertrug er sukzessive auf das Studium globaler kultureller Prozesse. '''Hannerz’ Kulturbegriff führte das Problem der Repräsentativität ein und will verstehen, wie Gesellschaften kulturelle Diversität organisieren.''' Hannerz tritt hier für einen sozialanthropologischen Kulturbegriff ein, der sich deutlich von der kulturanthropologischen Sicht unterscheidet, wonach Kultur dasjenige sei, das die Mitglieder einer Gesellschaft teilen, unabhängig davon, welche soziale Positionen diese einnehmen.
 
 
 
'''Verweise:'''<br />
 
[https://en.wikipedia.org/wiki/Ulf_Hannerz &#91;1&#93; https://en.wikipedia.org/wiki/Ulf_Hannerz]<br />
 
[[Kulturtheorien_in_den_Sozialwissenschaften#7 Kulturtheorien in den Sozialwissenschaften|[2] Siehe Kapitel 7 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen PoWi'']]<br />
 
 
 
 
 
== 1.3.3 Postkoloniale Studien ==
 
 
 
Ein anderer Ethnologe, der sich schwerpunktmäßig mit Postkolonialismus auseinandersetzte, der aus Bombay stammende '''Arjun Appadurai[http://www.arjunappadurai.org/ &#91;1&#93;]''', kam zu ähnlichen '''Konzeptualisierungen von Kultur im Kontext der Globalisierung'''. Ausgehend von der Erkenntnis, dass die europäische Kolonialherrschaft die ehemaligen kolonialen Gesellschaften und ihre Traditionen nachhaltig verändert haben, folgerten Vertreter der Post Colonial Studies, dass Gesellschaften und Kulturen heute nicht mehr unabhängig von '''globalen Prozessen[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[2]]]''' verstanden werden können.
 
 
 
Appadurai gehört zu jener ersten Generation postkolonialer Eliten, die in den westlichen Metropolen Sozialwissenschaften studiert hatten und er zählt - wie auch '''Edward Said[http://de.wikipedia.org/wiki/Edward_Said [3]]]''', '''Stuart Hall[http://de.wikipedia.org/wiki/Stuart_Hall_%28Soziologe%29 &#91;4&#93;]''' und '''Homi K. Bhabha[http://de.wikipedia.org/wiki/Homi_K._Bhabha &#91;5&#93;]''' - zu den Begründern eines Diskurses, der mit seiner Kritik an westlichen Universalismusansprüchen die Sozial- und Kulturwissenschaften in eine neue Richtung einer dezidiert postkolonialen und globalen Perspektive bewegt hat (Appadurai 1986).
 
 
 
Inhaltlich wendet sich '''Appadurai gegen die als hegemonial und provinziell empfundene Modernisierungstheorie''', die nicht mehr in der Lage sei, die heutigen Prozesse der sozialen und kulturellen Globalisierung zu erfassen. Die Globalisierung habe, so sein Vorwurf, die Modernisierungsprozesse allzu lange innerhalb des Rahmens von '''Nationalstaaten[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|[6]]]''' untersucht, wo sie lokalisiert blieben und wo ihre verschiedenen Dimensionen (Wirtschaft, Technik, Medien, Kultur) aufeinander bezogen blieben. Heute haben sich die verschiedenen Dimensionen der Modernisierung entnationalisiert und verallgemeinert, globalisiert, und bringen dabei Entwicklungen hervor, die neu und unvorhergesehen sind (vgl. Appadurai 1998). '''Appadurai spricht hier von einer relativen Autonomie, Eigenständigkeit und Eigenlogik einer &quot;glokalen&quot; Kultur-Ökonomie.'''
 
 
 
'''Verweise:'''<br />
 
[http://www.arjunappadurai.org/ &#91;1&#93; http://www.arjunappadurai.org/]<br />
 
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[2] Siehe Kapitel 1.2]]<br />
 
[http://de.wikipedia.org/wiki/Edward_Said &#91;3&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Edward_Said]<br />
 
[http://de.wikipedia.org/wiki/Stuart_Hall_%28Soziologe%29 &#91;4&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Stuart_Hall_%28Soziologe%29]<br />
 
[http://de.wikipedia.org/wiki/Homi_K._Bhabha &#91;5&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Homi_K._Bhabha]<br />
 
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|[6] Siehe Kapitel 3]]<br />
 
  
  
== 1.3.4 Eine "Neue Unübersichtlichkeit" ==
+
'''[[Das_Fremde_verstehen/Ordnungsschemata#1.3 Ordnungsschemata des Fremderlebens|Vorheriges Kapitel: 1.3 Ordnungsschemata des Fremderlebens]]'''
 +
=2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus=
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<sup>verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest</sup>
  
Mit der Globalisierung sind viele Gewissheiten, feste Orientierungspunkte und gewohnte Auf- und Zuteilungen hinfällig geworden. '''Jürgen Habermas[http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCrgen_Habermas &#91;1&#93;]''' hat diesbezüglich von der '''&quot;Neuen Unübersichtlichkeit&quot;[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Orientierungslosigkeit_und_Demokratie#3.1 Moderne Orientierungslosigkeit und radikale Demokratie|[2]]]''' gesprochen, und '''Zygmunt Bauman[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.1 Globalisierung und Fragmentierung|[3]]]''' vom &quot;Ende der Eindeutigkeit&quot;. '''Roland Robertson, der den Begriff der &quot;Glokalisierung&quot;''' '''in Zusammenhang mit der Verknüpfung von Globalem und Lokalem erfunden hat''' (vgl. Robertson 1992) meinte damit in etwa, dass dies zwei Seiten einer Medaille insofern seien, als das Lokale als Aspekt des Globalen verstanden werden muss und Globalisierung das Aufeinandertreffen lokaler Kulturen bedeutet, die dann inhaltlich neu bestimmt werden müssen.
+
Die kritische Auseinandersetzung mit Herrschaftssystemen und deren Reproduktion gehört zu den Forschungsinteressen der Politischen Anthropologie. In mehreren Publikationen, vor allem im '''&quot;Entwurf einer Theorie der Praxis&quot;''' hat '''Pierre Bourdieu''' (1979) eine '''Handlungstheorie''' vorgelegt, die das '''symbolische Kapital[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.1 Symbolisches Kapital|[1]]]''' '''der Handlungssubjekte analytisch auf dieselbe Stufe stellt wie deren''' '''ökonomisches Kapital[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.2 Ökonomisches Kapital|[2]]]''', um sie so als Strategien in der Konkurrenz um die Stellung in der Sozialhierarchie deuten zu können. Beide Kapitalformen dienen den sozialen Gruppen als Mittel, mit deren Hilfe sie ihre gesellschaftliche Position verbessern können. Mit der Erweiterung des ökonomischen Kapitalbegriffes um das '''kulturelle[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.3 Kulturelles Kapital|[3]]]''' und '''soziale Kapital[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.4 Soziales Kapital|[4]]]''' gelang es Bourdieu (1983: 184), alle die Praxisformen in die soziologische bzw. ethnologische Analyse der Gesellschaft mit ein zu beziehen, die zwar objektiv ökonomischen Charakter tragen, aber als solche im sozialen Leben nicht erkennbar sind: &quot;'''Eine allgemeine ökonomische''' '''Praxiswissenschaft[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[5]]]''' '''muss sich deshalb bemühen, das Kapital und den Profit in allen ihren Erscheinungsformen zu erfassen''' und die Gesetze zu bestimmen, nach denen die verschiedenen Arten von Kapital (oder, was auf dasselbe herauskommt, die verschiedenen Arten von Macht) gegenseitig ineinander transformiert werden.&quot; Bourdieu unterscheidet in einer ersten Differenzierung '''kulturelles, soziales und ökonomisches Kapital'''. Jede dieser Kapitalformen '''kann durch gesellschaftliche Anerkennung in symbolisches Kapital transformiert werden'''.
  
Mit dieser neuen Unordnung sind aber bei vielen auch Ängste entstanden, begründete und unbegründete Bedrohungsszenarien haben sich entwickeln und darauf aufbauend konfrontative Erklärungsansätze Fuß fassen können. '''Samuel Huntingtons[http://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_Phillips_Huntington &#91;4&#93;]''' Bestseller ''Clash of Civilizations'' ist dafür das beste Beispiel, dass es zu einer Renaissance des Realismus, der Geopolitik, der Geokultur und der Geoökonomie, also des Insistierens auf Nation, Territorium und Ethnizität gekommen ist. Die bei Huntington (1996) formulierten scheinbaren Wechselwirkungen der von ihm postulierten Kulturräume scheinen unausweichlich einer Konfrontation zuzusteuern. '''Kritisches Hinterfragen und die Ablehnung eindimensionaler Erklärungsansätze sind schon deshalb vonnöten, um der publizistischen Breitenwirkung solcher Werke entgegen zu wirken und damit eine mögliche Dynamik im Sinne einer &quot;self-fullfilling prophecy&quot; zu verhindern.'''
+
[[File:denkenksa-9_1.jpg|thumb|500x219px|right|Foto: Ein Junge beim Drachensteigen während Dashain, einem nationalen Fest, in Kathmandu, Nepal 2008, Matthäus Rest]]
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCrgen_Habermas &#91;1&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCrgen_Habermas]<br />
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.1 Symbolisches Kapital|[1] Siehe Kapitel 2.1.1]]<br />
[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Orientierungslosigkeit_und_Demokratie#3.1 Moderne Orientierungslosigkeit und radikale Demokratie|[2] Siehe Kapitel 3.1 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)'']]<br />
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.2 Ökonomisches Kapital|[2] Siehe Kapitel 2.1.2]]<br />
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2.1 Globalisierung und Fragmentierung|[3] Siehe Kapitel 1.2.1]]<br />
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.3 Kulturelles Kapital|[3] Siehe Kapitel 2.1.3]]<br />
[http://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_Phillips_Huntington &#91;4&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_Phillips_Huntington]<br />
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.4 Soziales Kapital|[4] Siehe Kapitel 2.1.4]]<br />
 
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[5] Siehe Kapitel 2.3]]<br />
 
 
== 1.3.5 "Creolization Paradigm" ==
 
 
 
'''Aus der Dialektik der Globalisierung entwickeln sich heute hybride Formen der Konsumkultur''', die mit dem Begriff &quot;creolization paradigm&quot; zusammen gefasst werden können. Das Wort &quot;Kreolisierung&quot;, ursprünglich aus der Sprachwissenschaft kommend, bezeichnet dabei den Prozess, bei dem es zu einer Rekontextualisierung von Gütern kommt, die aus anderen kulturellen Kontexten stammen. Der Gegenbegriff wäre das &quot;homogenization paradigm&quot;, also die globale Ausbreitung einheitlicher Konsummuster und gleichzeitig auftretender lokaler Adaptionsleistungen in verschiedenen Gesellschaften, die sich jedoch, wie bereits eben angemerkt, bisher nicht als generalisierender Trend beobachten lassen. Mit Formen von Aneignungen und Inkorporationen hat sich die Ethnologie intensiv auseinandergesetzt und dabei sowohl die Gesamtheit der Phänomene betrachtet, als auch Teilaspekte, beispielsweise die unterschiedlichen geschlechterspezifischen Betroffenheitsszenarien bestimmter Entwicklungen in der Konsumgüter- und Arbeitswelt sowie '''Migrationsdynamiken[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|[1]]]''' und die Rolle der '''Nationalstaaten[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|[2]]]''' untersucht.
 
 
 
'''Verweise:'''<br />
 
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|[1] Siehe Kapitel 2]]<br />
 
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|[2] Siehe Kapitel 3]]<br />
 
 
 
 
 
 
 
'''[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Bibliographie#1.4 Bibliographie|Nächstes Kapitel: 1.4 Bibliographie]]'''<br/>
 
----
 
[[#1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
 
 
 
 
'''[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder|Vorheriges Kapitel: 1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder]]'''
 
=1.4 Bibliographie=
 
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
 
 
 
 
Appadurai Arjun (Hg.) (1986): The social life of things. Commodities in cultural perspective. Cambridge, Cambridge University Press.
 
 
 
Bauman, Zygmunt (1998): Globalization: The Human Consequences. New York: Columbia University Press.
 
 
 
Dvorak, Johann/ Mückler, Hermann (Hg.) (2011): Staat-Migration- Globalisierung. Wien: Facultas Verlag.
 
 
 
Feldbauer, Peter/ Husa, Karl/ Pilz, Erich/ Stacher, Irene (Hg.) (1997): Mega-Cities. Die Metropoloen des Südens zwischen Globalisierung und Fragmentierung. Historische Sozialkunde, Band 12, Frankfurt/Main: Brandes &amp; Apsel.
 
 
 
Feldbauer, Peter/ Hödl, Gerald/ Lehners, Jean-Paul (Hg.) (2009): Rhythmen der Globalisierung. Expansion und Kontraktion zwischen dem 13. und 20. Jahrhundert. Wien: Mandelbaum Verlag.
 
 
 
Hannerz, Ulf (1980): Exploring the City – Inquiries toward an Urban Anthropology. New York: Columbia University Press.
 
 
 
Hannerz, Ulf (1997): Flows, Boundaries and Hybrids: Keywords in Transnational Anthropology. Stockholm: Dep. of Social Anthropology.
 
 
 
Hobsbawm, Eric (1999): Uncommon People: Resistance, Rebellion and Jazz. New York: New Press.
 
 
 
Huntington, Samuel (1996): Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Welt im 21. Jahrhundert. München/Wien: Europa-Verlag.
 
 
 
Latour, Bruno (1995): Wir sind nie modern gewesen, Versuch einer symmetrischen Anthropologie. Berlin: Akademie Verlag.
 
 
 
Robertson, Roland (1992): Globalization: Social Theory and Global Culture. London: Sage.
 
 
 
Rubin, Jeff (2009): Warum die Welt immer kleiner wird. Öl und das Ende der Globalisierung. München: Carl Hanser.
 
 
 
 
 
 
 
'''[[STEOP_-_Aktuelle_Debatten_-_Staat_Migration_Globalisierung#Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie|&crarr; Zurück zur Übersicht]]'''<br/>
 
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[[#1.4 Bibliographie|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
 
 
 
 
'''[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Bibliographie#1.4 Bibliographie|Vorheriges Kapitel: 1.4 Bibliographie]]'''
 
=2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie=
 
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
 
 
 
 
'''Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie befasst sich seit ihrem Bestehen als wissenschaftliche Disziplin nachhaltig mit den Konsequenzen jener gesellschaftlichen Prozesse, denen Menschen unterworfen sind, die aus den unterschiedlichsten Faktoren ein hohes Maß an Mobilität und Flexibilität entwickeln müssen.''' Arten der (Fort-)Bewegung, das Entstehen, Bestehen sowie Veränderungen kultureller und sozialer Identität, die Verortung des Einzelnen und der Gruppe (also das Einbeziehen räumlicher Kategorien und Wahrnehmungsmodelle), und schließlich allgemein Fragen nach Ethnizität, Abgrenzung und Inkorporation in Zusammenhang mit der Bewegung von Individuen und Gruppen im Raum und den damit verbundenen Veränderungen in Lebens- und Arbeitsräumen sind die primären Fragen, mit denen sich die Ethnologie heutzutage befasst.
 
  
 
==Inhaltsverzeichnis==
 
==Inhaltsverzeichnis==
  
 
<div class="eksa_toc">
 
<div class="eksa_toc">
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus#2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus|2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Abgrenzungen#2.1 Abgrenzungen|2.1 Abgrenzungen]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1 Kapitalformen|2.1 Kapitalformen]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Betroffenheitsszenarien#2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien|2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.1 Symbolisches Kapital|2.1.1 Symbolisches Kapital]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Ethnohistorie#2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung|2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.2 Ökonomisches Kapital|2.1.2 Ökonomisches Kapital]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4 Aufgabenfelder|2.4 Aufgabenfelder]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.3 Kulturelles Kapital|2.1.3 Kulturelles Kapital]]<br/>
::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.1 Rahmenbedingungen, Arten, Ursachen und Auswirkungen von Migration|2.4.1 Rahmenbedingungen, Arten, Ursachen und Auswirkungen von Migration]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.4 Soziales Kapital|2.1.4 Soziales Kapital]]<br/>
::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2 Konkreten Einzelstudien|2.4.2 Konkreten Einzelstudien]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen|2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen]]<br/>
:::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2.1 Migrationsstudien in Österreich und in Europa|2.4.2.1 Migrationsstudien in Österreich und in Europa]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2.1 Symbolisches Kapital und Herrschaft|2.2.1 Symbolisches Kapital und Herrschaft]]<br/>
:::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2.2 Migrationsstudien außerhalb Europas|2.4.2.2 Migrationsstudien außerhalb Europas]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2.2 Symbolisches Kapital als Akkumulationsform|2.2.2 Symbolisches Kapital als Akkumulationsform]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|2.5 Rezente Zugänge]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|2.3 Praxis]]<br/>
::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.1 Arbeitsmigration|2.5.1 Arbeitsmigration]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1 Drei Modi der theoretischen Erkenntis|2.3.1 Drei Modi der theoretischen Erkenntis]]<br/>
::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.2 Multikulturalität|2.5.2 Multikulturalität]]<br/>
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:::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.1 Phänomenologie|2.3.1.1 Phänomenologie]]<br/>
::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.3 Interkulturalität|2.5.3 Interkulturalität]]<br/>
+
:::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.2 Objektivismus|2.3.1.2 Objektivismus]]<br/>
::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.4 Aufgaben der Ethnologie|2.5.4 Aufgaben der Ethnologie]]<br/>
+
:::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.3 Praxeologie|2.3.1.3 Praxeologie]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Beispiele#2.6 Beispiele|2.6 Beispiele]]<br/>
+
::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.2 Habitus|2.3.2 Habitus]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Bibliographie#2.7 Bibliographie|2.7 Bibliographie]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.3 Struktur|2.3.3 Struktur]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.4 Hexis|2.3.4 Hexis]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.5 Strategie|2.3.5 Strategie]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.6 Doxa|2.3.6 Doxa]]<br/>
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:::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.6.1 Orthodoxie|2.3.6.1 Orthodoxie]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.7 Beispiel: Sexualität in der Kabylie|2.3.7 Beispiel: Sexualität in der Kabylie]]<br/>
 
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==Weitere Kapitel dieser Lernunterlage==
 
==Weitere Kapitel dieser Lernunterlage==
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
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[[Das_Fremde_verstehen#1 Das Fremde verstehen|1 Das Fremde verstehen]]<br/>
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat]]<br/>
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[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas#3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas|3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas]]<br/>
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[[Bibliographie#4 Bibliographie|4 Bibliographie]]<br/>
  
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Abgrenzungen#2.1 Abgrenzungen|Nächstes Kapitel: 2.1 Abgrenzungen]]'''<br/>
 
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[[#2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
  
 
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'''[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1 Kapitalformen|Nächstes Kapitel: 2.1 Kapitalformen]]'''<br/>
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|Vorheriges Kapitel: 2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie]]'''
 
=2.1 Abgrenzungen=
 
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
 
 
 
 
'''Es unterscheiden sich die Themen und Herangehensweisen der Ethnologie''' von jenen anderer Fachwissenschaftler, so beispielsweise der '''Politikwissenschaftler''', die migrationspolitische Entwicklungen vor dem Hintergrund des Vergleichs von Einwanderungs- und Asylpolitiken verschiedener Staaten sehen, oder die politische Teilhabe von Zugewanderten in den politischen Entscheidungsfindungsprozessen eines Landes beleuchten. '''Soziologen''' wiederum fokussieren auf gesellschaftliche Folgen von Migration und Formen sozialer Transformation mit einem gewissen Schwerpunkt auf quantitativen Untersuchungen, in den '''Wirtschaftswissenschaften''' werden ökonomische Ursachen und Konsequenzen von Migration auch und vor allem mit Blick auf arbeitsmarktbezogene Veränderungen behandelt, und in der '''Geographie''' werden nicht zuletzt demographische Veränderungen als Auslöser und Folge von Migrationsbewegungen gedeutet und deren Einfluss auf Wohn- und Siedlungsstrukturen im urbanen und ruralen Raum untersucht.
 
 
 
Diese Auflistung hier ist exemplarisch und Berührungen und Überlappungen zwischen Themen, Zugängen sowie zwischen den Fokussierungen von Fachwissenschaftlern sind eher die Regel als die Ausnahme, was die '''Notwendigkeit der Inter- und Multidisziplinarität innerhalb der Migrationsforschung''' unterstreicht.
 
 
 
 
 
 
 
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Betroffenheitsszenarien#2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien|Nächstes Kapitel: 2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien]]'''<br/>
 
 
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[[#2.1 Abgrenzungen|&uarr; Nach oben]]<br/>
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[[#2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus|&uarr; Nach oben]]<br/>
  
  
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Abgrenzungen#2.1 Abgrenzungen|Vorheriges Kapitel: 2.1 Abgrenzungen]]'''
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'''[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus#2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus|Vorheriges Kapitel: 2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus]]'''
=2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien=
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=2.1 Kapitalformen=
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
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<sup>verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest</sup>
  
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Bei der Analyse von Herrschaftsweisen gilt es – nach Bourdieu (1987: 222ff.) – die Dichotomie zwischen Ökonomischem und Nichtökonomischem über Bord zu werfen. So wird symbolisches Kapital durch die entsprechende Verwendung der anderen '''Kapitalarten''' geschaffen; diese '''sind ineinander konvertierbar'''. Symbolische Dankesbezeugungen, Widmungen, Achtungserweise, moralische Verpflichtungen können Gegenleistungen für die Erhöhung des ökonomischen Kapitals darstellen. Ehrverhalten ist danach Politik. '''Sozialleistungen des Staates oder die Anhäufung von Luxusgütern''' scheinen mit der Logik der Ausbeutung und mit faktischer Herrschaft nur oberflächlich betrachtet nichts mehr zu tun zu haben; sie sind aber nicht nur Kapital an Glaubwürdigkeit und gutem Geschmack, sondern '''können als &quot;Einzahlungen auf der Bank der öffentlichen Meinung&quot; gedeutet werden'''.
  
Bei der '''Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie[[Einfuehrung_in_die_Methoden_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#Einführung in die empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie|[1]]]''' stehen häufig nach wie vor '''qualitative Forschungsmethoden[[Qualitative_Methoden_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie|[2]]]''' im Vordergrund, auch wenn sich in der Realität überwiegend eine '''Triangulation '''qualitativer und quantitativer[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Gütekriterien#2.6 Gütekriterien empririscher Forschung|[3]]]''' Herangehensweisen und Forschungsmethoden''' als sinnvoll erwiesen hat. Es ist der Einzelfall, das betroffene Individuum, dass aus der Anonymität komplexer prozessual ablaufender Entwicklungen herausgegriffen und beleuchtet wird. Somit werden '''MigrantInnen als selbstständig Agierende wahrgenommen''', die von den '''Bedingungen, unter denen Migration abläuft[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.1 Rahmenbedingungen, Arten, Ursachen und Auswirkungen von Migration|[4]]]''' geprägt werden, diese aber selbst wieder prägen. Anders ausgedrückt wird damit der Erkenntnis Rechnung getragen, dass deren migrationsspezifischen Erfahrungen verhaltensbestimmende Elemente zugrunde liegen, die zu analysieren sind, will man zu brauchbaren Aussagen über Ursachen und Konsequenzen in den individuellen Betroffenheitsszenarien kommen, die mit der räumlichen Bewegung zur Veränderung des Lebensmittelpunktes über substantielle Entfernungen verbunden sind. Zahlreiche einführende Werke beschäftigen sich mit diesen Fragen.
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[[File:denkenksa-10_1.jpg|thumb|780x197px|right|Foto: Bauern beim Silieren von Heuballen, Polen 2006, Matthäus Rest]]
 
 
[[File:debattenksa-26_1.jpg|298x400px|Verlassenheit, F. Drtikol (&quot;Die Seele&quot;, 1931)]]
 
 
 
'''Verweise:'''<br />
 
[[Einfuehrung_in_die_Methoden_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#Einführung in die empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie|[1] Siehe die Lernunterlage ''Einführung in die empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br />
 
[[Qualitative_Methoden_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie|[2] Siehe die Lernunterlage ''Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br />
 
[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Gütekriterien#2.6 Gütekriterien empririscher Forschung|[3] Siehe Kapitel 2.6 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>r />
 
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.1 Rahmenbedingungen, Arten, Ursachen und Auswirkungen von Migration|[4] Siehe Kapitel 2.4.1]]<br />
 
 
 
 
 
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Ethnohistorie#2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung|Nächstes Kapitel: 2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung]]'''<br/>
 
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[[#2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
 
 
 
 
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Betroffenheitsszenarien#2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien|Vorheriges Kapitel: 2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien]]'''
 
=2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung=
 
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
 
 
 
 
Das '''Phänomen Migration''' wird als zentrales Element zur Erhellung menschlicher Entwicklungsgeschichte gesehen. Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie war und ist immer auch eine historische Wissenschaft. Der zentrale Teilbereich der Ethnohistorie hat nach wie vor und vielleicht gerade heute in einer '''Zeit der Globalisierung[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.4 Historische Formen von Globalisierung|[1]]]''', in der man deren Anfänge und Verläufe zu rekonstruieren versucht, Bedeutung. So haben beispielsweise in der Vergangenheit Fragen nach der Herkunft und Verbreitung kulturtragender Gruppen, besiedlungsgeschichtliche Rekonstruktionen, die Suche nach dem '''Ursprung und der Verbreitung von Ideen sowie technologischen Fertigkeiten und '''Elementen sozialer Organisation[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|[2]]]'''''' die Aufmerksamkeit von Ethnologinnen und Ethnologen bei der Rekonstruktion der menschlichen Entwicklungsgeschichte geweckt.
 
 
 
'''Verweise:'''<br />
 
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.4 Historische Formen von Globalisierung|[1] Siehe Kapitel 1.1.4]]<br />
 
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|[2] Siehe Kapitel 3.6]]<br />
 
 
 
 
 
 
 
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4 Aufgabenfelder|Nächstes Kapitel: 2.4 Aufgabenfelder]]'''<br/>
 
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[[#2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
 
 
 
 
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Ethnohistorie#2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung|Vorheriges Kapitel: 2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung]]'''
 
=2.4 Aufgabenfelder=
 
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
 
 
 
 
Grundsätzlich muss man betonen, dass man sich dem Thema '''Migration''' in all seinen Ausformungen nur sinnvoll nähern kann, wenn man sie als '''die Folge komplexer politischer, ideologischer, sozialer und ökonomischer Prozesse begreift''', deren Auslöser und Konsequenzen immer aus einer Vielzahl von Faktoren bestehen, was notwendigerweise in der Auseinandersetzung mit diesem Thema entsprechende Berücksichtigung finden muss und dem heute von der Ethnologie in Form inter- und transdisziplinär angelegter Forschungen Rechnung getragen wird. '''Die Aufmerksamkeit der Ethnologie wendet sich dabei zwei, respektive '''vier großen Aufgabenfeldern[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|[1]]]''' im Bereich Migration zu.'''
 
 
 
[[File:debattenksa-28_1.jpg|400x533px|Begrenztheit, H. Mückler]]
 
 
 
'''Verweise:'''<br />
 
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|[1] Siehe Kapitel 2.5]]<br />
 
  
 
==Inhalt==
 
==Inhalt==
 
<div class="eksa_toc">
 
<div class="eksa_toc">
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4 Aufgabenfelder|2.4 Aufgabenfelder]]<br/>
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1 Kapitalformen|2.1 Kapitalformen]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.1 Rahmenbedingungen, Arten, Ursachen und Auswirkungen von Migration|2.4.1 Rahmenbedingungen, Arten, Ursachen und Auswirkungen von Migration]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.1 Symbolisches Kapital|2.1.1 Symbolisches Kapital]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2 Konkreten Einzelstudien|2.4.2 Konkreten Einzelstudien]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.2 Ökonomisches Kapital|2.1.2 Ökonomisches Kapital]]<br/>
::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2.1 Migrationsstudien in Österreich und in Europa|2.4.2.1 Migrationsstudien in Österreich und in Europa]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.3 Kulturelles Kapital|2.1.3 Kulturelles Kapital]]<br/>
::[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2.2 Migrationsstudien außerhalb Europas|2.4.2.2 Migrationsstudien außerhalb Europas]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.4 Soziales Kapital|2.1.4 Soziales Kapital]]<br/>
 
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== 2.4.1 Rahmenbedingungen, Arten, Ursachen und Auswirkungen von Migration ==
+
== 2.1.1 Symbolisches Kapital ==
  
'''Eine genauere theoriegeleitete Definition des Begriffs Migration lässt eine Vielzahl von Erklärungsansätzen zu.''' Er wird sowohl im nichtwissenschaftlichen Gebrauch als auch in der wissenschaftlichen Literatur uneinheitlich verwendet, sodass sich zahlreiche Definitionen gegenüberstehen. Gerade im Fall von Migrationstheorien kann von einer vergleichsweise größeren Quantität definitorischer Zugriffe gesprochen (Santel 1995; vgl. Treibel 1999; Treibel listet insgesamt zehn verschiedene Definitionsansätze auf) und bei der Beschreibung von Wanderungsbewegungen verschiedene Kriterien angelegt werden, wie etwa Dauer, Periodizität, Distanz, Geschwindigkeit, räumlicher Verlauf, strukturelle Merkmale der MigrantInnen, strukturelle Ursachen, persönliche Motive und Auswirkungen im Herkunfts- und Zielgebiet. Sowohl die kognitive Anthropologie als auch die Ethnohistorie nehmen sich, aus durchaus unterschiedlichen Blickwinkeln, dieser Fragestellungen an (vgl. Mückler 1998). '''Zu Begrifflichkeiten für eine Einteilung unterschiedlicher Formen von Migration''' bzw. Mobilität von Menschen im Raum '''siehe Mückler (2004)[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Bibliographießß}#2.7 Bibliographie|[1]]]'''.
+
'''Symbolisches Kapital wird durch Anerkennung erworben.''' Es kann bei jeder Gelegenheit vorgeführt werden. Sogar auf dem Markt, als dem Inbegriff eines Ortes des ökonomischen Austausches. Auch auf dem Markt gilt das Ehrenkapital und Ansehen als Kreditwürdigkeit und Vertrauenskapital. Dank des Vertrauens, das die Inhaber von symbolischem Kapital besitzen, können sie anstelle von Geld bloß ihr Gesicht, ihren Namen, ihre Ehre auf den Markt bringen. Symbolisches Kapital bringt damit Kredit, Vorschuss, Diskont. Seine Zurschaustellung ist einer der Mechanismen, die dafür sorgen, '''dass Kapital zu Kapital kommt[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2.2 Symbolisches Kapital als Akkumulationsform|[1]]]'''. An anderer Stelle meint Bourdieu (1992: 153) noch deutlicher: '''&quot;Symbolische Macht ist die Macht, Dinge mit Wörtern zu schaffen.&quot;''' Sie muss sich auf den Besitz von symbolischem Kapital stützen; dieses bildet einen Kredit. '''Es ist die Macht, die Anerkennung durchsetzen zu können.'''
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Bibliographießß}#2.7 Bibliographie|[1] Siehe Kapitel 2.7]]<br />
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2.2 Symbolisches Kapital als Akkumulationsform|[1] Siehe Kapitel 2.2.2]]<br />
  
  
== 2.4.2 Konkreten Einzelstudien ==
+
== 2.1.2 Ökonomisches Kapital ==
  
Zu migrierenden Individuen und Gruppen und den '''Konsequenzen für die Betroffenen[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Betroffenheitsszenarien#2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien|[1]]]''' werden '''konkrete Einzelstudien''' angefertigt. Fragen zu '''Ethnizität und Identität''' stehen dabei im Vordergrund. Zwei Arbeitsbereiche seien hier erwähnt: einerseits die sogenannte '''Diaspora-Forschung''' und andererseits (und vielfach überlappend) die '''ethnologische Stadtforschung bzw. Urban Anthropology'''. Geographisch lassen sich dabei zwei weitere große Arbeitsgebiete unterscheiden, und zwar:
+
Unter '''ökonomischem Kapital''' subsumiert Bourdieu '''das unmittelbar und direkt in Geld konvertierbare Kapital''', das sich besonders zur Institutionalisierung in Eigentumstiteln eignet. Kulturelles Kapital (z.B.: Bildung, Schriften, Gemälde etc.) ist nur unter bestimmten Vorraussetzungen in ökonomisches Kapital '''konvertierbar[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen|[1]]]'''; es wird häufig in Form von schulischen Titeln institutionalisiert. Das soziale Kapital besteht in sozialen Verpflichtungen oder &quot;Beziehungen&quot; (es verleiht im weitesten Sinn Kreditwürdigkeit) und ist grundsätzlich ebenfalls in ökonomisches Kapital konvertierbar; es kann vor allem in Adelstiteln institutionalisiert werden. '''Mit dieser Einsicht''' in die Logik des Kapitals (-einsatzes) und der Kapitalumwandlungsformen '''widerspricht Bourdieu''' (1983: 197) '''sowohl dem &quot;Ökonomismus&quot; (des orthodoxen Marxismus)''', der alle Kapitalformen für ökonomisch hält und daher die Wirksamkeit der anderen Kapitalformen (in der Lebenswelt) übersieht '''als auch dem &quot;Semiologismus&quot; des Strukturalismus, des symbolischen Interaktionismus und der Ethnomethodologie'''; diese Richtungen reduzieren die sozialen Austauschbeziehungen auf Kommunikationsphänomene und übersehen die ihnen innewohnenden (ökonomischen) '''Herrschaftsformen[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2.1 Symbolisches Kapital und Herrschaft|[2]]]'''.
  
* Migrationsstudien in Österreich und Europa
+
'''Verweise:'''<br />
* Migrationsstudien außerhalb Europas
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen|[1] Siehe Kapitel 2.2]]<br />
 +
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2.1 Symbolisches Kapital und Herrschaft|[2] Siehe Kapitel 2.2.1]]<br />
  
'''Verweise:'''<br />
 
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Betroffenheitsszenarien#2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien|[1] Siehe Kapitel 2.2]]<br />
 
  
 +
== 2.1.3 Kulturelles Kapital ==
  
== 2.4.2.1 Migrationsstudien in Österreich und in Europa ==
+
[[File:denkenksa-13_1.jpg|thumb|480x224px|right|Foto: Jugendliche spielen Carrom, ein Brettspiel, am Marktplatz von Num, Nepal 2008, Matthäus Rest]]
  
Bei diesen Studien liegt das Hauptaugenmerk auf der '''Untersuchung von ethnischen und kulturellen Gruppen aus dem außereuropäischen Raum, die sich in Österreich niedergelassen haben'''. Fragen der '''Integration sowie Integrationskonzepte[[Integration_PKW#1 "Integration": Ein Schlüsselbegriff für die Kommunikationswissenschaft|[1]]]'''; deren Anwendbarkeit und Realisierung und die Entfaltungsbereiche der Hinzugekommenen und das Verhältnis im Zusammenleben mit den Einheimischen sind hier Punkte von Projekten und Analysen. Ein gutes Beispiel für Untersuchungen in diese Richtung bildete das '''Symposium &quot;Wir und die Anderen&quot;[https://ubdata.univie.ac.at/AC02529580 &#91;2&#93;]''', welches zum '''Verhältnis von Islam, Literatur und Migration''' in Wien abgehalten wurde und von den institutionellen Voraussetzungen des Miteinanderlebens und beiderseitigen Feindbildern bis zu Sozialisation, Identität und &quot;Lebenswelt Schule&quot; von Kindern aus Migrationsverhältnissen reichte.
+
Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse oder Region hinterlässt beispielsweise Spuren in den Sprechweisen. Wer über eine '''bestimmte Kulturkompetenz (z.B.: Lesen, gute Rhetorik etc.)''' verfügt, hat einen Seltenheitswert, aus dem sich extra Profite ziehen lassen; er besitzt (inkorporiertes) '''Kulturkapital'''. Bei der Übertragung von Kulturkapital handelt es sich um die am besten verschleierte Form von erblicher '''Kapitalübertragung[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen|[1]]]''' (und damit einer Grundlage für Herrschaft und Macht). '''Durch Titel wird das inkorporierte Kulturkapital objektiviert und letztlich institutionalisiert.''' Es wird durch den Titel, zum Unterschied von einem Autodidakt, rechtlich garantiert (z.B.: akademischer Maler). '''Dieser Anerkennung durch ein Wort wohnt eine schöpferische Magie inne.'''
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Integration_PKW#1 "Integration": Ein Schlüsselbegriff für die Kommunikationswissenschaft|[1] Siehe Kapitel 1 der Lernunterlage '' Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten: Migration in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft]]<br />
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen|[1] Siehe Kapitel 2.2]]<br />
[https://ubdata.univie.ac.at/AC02529580 &#91;2&#93; https://ubdata.univie.ac.at/AC02529580]<br />
 
 
 
  
== 2.4.2.2 Migrationsstudien außerhalb Europas ==
 
  
'''Dies ist ein traditionelles Arbeitsfeld von EthnologInnen.''' Als '''Beispiel''' sei hier nur eine Weltregion, der '''pazifische Inselraum (Ozeanien)''' erwähnt, dessen Inseln der drei Großregionen Melanesien, Mikronesien und Polynesien durch kleine Landflächen mit geringen Ressourcen und dazwischen liegenden großen Entfernungen gekennzeichnet sind und die seit der Zeit der maritimen Besiedlung aufgrund dieser sehr spezifischen äußeren Rahmenbedingungen als &quot;Kulturen der Distanz&quot; bezeichnet werden können. Als solche besitzen diese ein außerordentlich ''''''komplexes System von Migrationsdynamiken[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Beispiele#2.6 Beispiele|[1]]]'''''' und damit verbundenen kulturspezifischen Handlungsabläufen, Ritualen sowie technologischen und navigatorischen Fähigkeiten, um die räumlichen Entfernungen überwinden und nutzen zu können.
+
== 2.1.4 Soziales Kapital ==
  
'''Verweise:'''<br />
+
[[File:denkenksa-14_1.jpg|thumb|400x533px|right|Foto: Männer beim Fällen eines Baums nahe Nautanwa, Indien 2008, Matthäus Rest]]
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Beispiele#2.6 Beispiele|[1] Siehe Kapitel 2.6]]<br />
 
  
 +
Unter '''sozialem Kapital''' versteht Bourdieu (1983: 189) diejenigen '''Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen''': &quot;Der Umfang des Sozialkapitals, das der einzelne besitzt, hängt demnach sowohl von der Ausdehnung des Netzes von Beziehungen ab, die er tatsächlich mobilisieren kann als auch von dem Umfang des (ökonomischen, kulturellen oder symbolischen) Kapitals das diejenigen besitzen, mit denen er in Beziehung steht.&quot; Für die Erhaltung bzw. den Ausbau der sozialen Beziehungen ist ständige Beziehungsarbeit in Form von Austauschakten erforderlich. '''Sozialkapital bewegt sich in der Logik des Kennens und Anerkennens und funktioniert daher immer als symbolisches Kapital.''' Die Verteilungsstruktur der verschiedenen Kapitalarten entspricht der Struktur der gesellschaftlichen Welt. Kapital ist akkumulierte Arbeit, entweder in Form von Materie oder in verinnerlichter, inkorporierter Form. Vor der Einsicht, dass diese Akkumulation Zeit benötigt, formuliert Bourdieu (1983: 183): '''&quot;Die gesellschaftliche Welt ist akkumulierte Geschichte.&quot;'''
  
  
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|Nächstes Kapitel: 2.5 Rezente Zugänge]]'''<br/>
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'''[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen|Nächstes Kapitel: 2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen]]'''<br/>
 
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[[#2.4 Aufgabenfelder|&uarr; Nach oben]]<br/>
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[[#2.1 Kapitalformen|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
 
 
 
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4 Aufgabenfelder|Vorheriges Kapitel: 2.4 Aufgabenfelder]]'''
 
=2.5 Rezente Zugänge=
 
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
  
  
[[File:debattenksa-33_1.jpg|300x254px|Erschöpftheit, K. Kollwitz (&quot;Heimarbeit&quot;, 1925)]]
+
'''[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1 Kapitalformen|Vorheriges Kapitel: 2.1 Kapitalformen]]'''
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=2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen=
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<sup>verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest</sup>
  
''''''Historiker[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Ethnohistorie#2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung|[1]]]''' sprechen von einer Universalgeschichte''' von Völkerwanderungen und Kriegen, Flucht und Vertreibung und verweisen dabei, bezogen auf die europäische Geschichte, auf jene Ereignisse, die zu den zentralen identitätsstiftenden literarischen Werken der abendländischen Kultur gehören. '''Bereits in den antiken Werken wird dem Thema Wanderung bzw. Migration breiter Raum gewidmet''', so beispielsweise die Reise des Aeneas nach Sizilien als Spiegelbild des Bevölkerungsdrucks in Westgriechenland und die griechische Koloniebildung in Italien. Ebenso finden sich in der Bibel zahlreiche Geschichten von Flucht und Vertreibung. Das jüdische Volk bildet geradezu den Archetypus für Flucht und Vertreibung, angefangen vom babylonischen Zwangsexil, über die Zerstreuung im Römischen Reich, den Massenausweisungen in Spanien, bis hin zu Flucht und &quot;Endlösung&quot; im Dritten Reich.
+
Die Zirkulation zwischen den verschiedenen Kapitalarten zwingt uns zur '''Aufgabe der Dichotomie von Ökonomischem und Nicht-Ökonomischem'''. Vielmehr sind die ökonomischen Praktiken als besonderer Fall einer allgemeinen Wissenschaft der Ökonomie praktischer Handlungen zu fassen. Nur diese ist in der Lage, auch die scheinbar interesselosen und zweckfreien Handlungen als gewinngerichtet (auf einen materiellen oder symbolischen Gewinn) zu begreifen. Als eine verschleierte Form von '''ökonomischem Kapital[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.2 Ökonomisches Kapital|[1]]]''' beruht das '''symbolische Kapital[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.1 Symbolisches Kapital|[2]]]''' auf dem Gelingen dieser Verschleierung (Bourdieu 1979: 356f.). In Gesellschaften ohne ''self-regulating market'' (Karl Polanyi), ohne Unterrichtssystem und juristischen Apparat, setzen sich die Herrschaftsformen nur kraft ständig erneuerter und fortwährend angewandter '''Strategien[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.5 Strategie|[3]]]''' durch. Sie sind ja nicht den objektiven '''Strukturen[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.3 Struktur|[4]]]''' eingeschrieben. Im einen Fall sind die Herrschaftsbeziehungen durch objektive und institutionalisierte Mechanismen (die wie schulische, monetäre und ständische Titel den undurchdringlichen Charakter von Dingen aufweisen) abgesichert, im anderen Fall werden sie durch Interaktion gebildet, aufgelöst und wieder hergestellt. Der Unterschied zwischen den Herrschaftsformen liegt also im Objektivierungsgrad des akkumulierten gesellschaftlichen Kapitals. Für die Bedeutung des symbolischen Kapitals auf dem Markt in der Kabylie (Algerien) steht der Satz: '''&quot;Er ist imstande mit dem gesamten Markt heimzukehren, obwohl er doch mit leeren Taschen davonzog.&quot;''' Das Vertrauen und die Beziehungen erlauben es, nur das Gesicht, den Namen, die '''Ehre als &quot;Kapital&quot;''' auf den Markt mitzunehmen (ebd.: 358-360).
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Ethnohistorie#2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung|[1] Siehe Kapitel 2.3]]<br />
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.2 Ökonomisches Kapital|[1] Siehe Kapitel 2.1.2]]<br />
 +
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.1 Symbolisches Kapital|[2] Siehe Kapitel 2.1.1]]<br />
 +
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.5 Strategie|[3] Siehe Kapitel 2.3.5]]<br />
 +
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.3 Struktur|[4] Siehe Kapitel 2.3.3]]<br />
  
 
==Inhalt==
 
==Inhalt==
 
<div class="eksa_toc">
 
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[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|2.5 Rezente Zugänge]]<br/>
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen|2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.1 Arbeitsmigration|2.5.1 Arbeitsmigration]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2.1 Symbolisches Kapital und Herrschaft|2.2.1 Symbolisches Kapital und Herrschaft]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.2 Multikulturalität|2.5.2 Multikulturalität]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2.2 Symbolisches Kapital als Akkumulationsform|2.2.2 Symbolisches Kapital als Akkumulationsform]]<br/>
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.3 Interkulturalität|2.5.3 Interkulturalität]]<br/>
 
:[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.4 Aufgaben der Ethnologie|2.5.4 Aufgaben der Ethnologie]]<br/>
 
 
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== 2.5.1 Arbeitsmigration ==
+
== 2.2.1 Symbolisches Kapital und Herrschaft ==
 
 
Die mit '''Blickrichtung auf Zuwanderung[[Migranten und Medien/Migrationswellen#2.6 Die 3 Migrationswellen in Österreich|[1]]]''' stimulierte und formulierte &quot;Ausländerfrage&quot; erweist sich häufig als ein '''Element des Vergessens der eigenen Geschichte'''. Zu der Fülle von Vorurteilen, die von aufnehmenden Gruppen bei Zuwanderung immer wieder aufgegriffen werden, gehören zwei, die meistens gleichzeitig formuliert werden, nämlich die Ansicht, dass das &quot;Boot voll&quot; sei und man daher niemanden aufnehmen könne, während andererseits ein Aussterben durch zu niedrige Geburtenraten, Vergreisung, Entvölkerung etc. in Aussicht gestellt wird.
 
 
 
Gerade die Interessensgruppen und Parteien am politisch rechten Rand neigen zur schizophrenen Sichtweise der Ausblendung des grundsätzlichen Zusammenhangs dieser beiden Faktoren. Die heutige Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen beruflicher Mobilität in Europa (als der heute hierzulande häufigsten Form von Migration), also den Grenzen von Zuwanderung und einer möglichen Integration, wird durch die Tatsache, dass global alle Gesellschaften einen massiven und irreversiblen '''Trend zu ethnisch und kulturell heterogenen staatlichen Gebilden[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.5 Moderner Staat und andere Formen politischer Organisation|[2]]]''' durchmachen, bestimmt.
 
 
 
'''Das Faktum, dass sich alle Staaten der Erde von einem homogenen Nationalstaat wegbewegen und damit zu vielstimmigeren '''&quot;multikulturellen&quot;[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.2 Multikulturalität|[3]]]''' Gebilden werden, hat unterschiedlichste Reaktionen der betroffenen politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsträger ausgelöst''', deren Bandbreite von einer bewussten Forcierung und Steuerung dieser Entwicklung bis zu rigider Abgrenzung und dem Betonen nationaler Eigenheiten reichen. Zugrunde liegen diesen beiden potentielle Reaktionen auf die möglichen Auswirkungen von Migration einerseits das Begreifen von Vielfalt und Vielstimmigkeit als Chance einer kulturellen Bereicherung, die letztlich allen zugute kommen kann, oder andererseits das Ausgehen von der fiktiven Prämisse, dass nationale, respektive politische Identifikationsfaktoren, mit ethnischen und kulturellen Elementen der Mehrheit der Bewohner eines Landes deckungsgleich sein könnten und sollten.
 
 
 
'''Verweise:'''<br />
 
[[Migranten und Medien/Migrationswellen#2.6 Die 3 Migrationswellen in Österreich|[1] Siehe Kapitel 2.6 der Lernunterlage '' Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten: Migration in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft]]<br />
 
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.5 Moderner Staat und andere Formen politischer Organisation|[2] Siehe Kapitel 3.6.5]]<br />
 
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.2 Multikulturalität|[3] Siehe Kapitel 2.5.2]]<br />
 
 
 
 
 
== 2.5.2 Multikulturalität ==
 
 
 
Der '''Begriff der &quot;multikulturellen&quot; Gesellschaft''' ist erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts entstanden und entstammt der kanadischen Diskussion um die Rechte derjenigen, die sich weder zur englischsprachigen Mehrheit noch zur frankokanadischen Minderheit rechneten. Das Schlagwort vom multikulturellen Kanada hatte 1964 der Senator Paul Yuzyk, ukrainischer Herkunft, in Umlauf gebracht.
 
 
 
In der Bundesrepublik Deutschland wurde das Konzept einer multikulturellen Gesellschaft zunächst von der politischen Linken und in pädagogischen Diskussionen propagiert. Ein im Jahr 1980 erschienener Band der Reihe &quot;Kursbuch&quot; hatte den damals provozierenden Titel &quot;Vielvölkerstaat Bundesrepublik&quot;. Der Begriff &quot;Multikulturalität&quot; hat in der Folge eine fast inflationär erscheinende häufige Verwendung gefunden und steht für sowohl ernstgemeinte Bestrebungen von (Kommunal-)Politikern und Gesellschaftswissenschaftlern, das &quot;Nebeneinander&quot;-leben von Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher Herkunft und kulturellen Backgrounds zu einem &quot;Miteinander&quot;-leben umzufunktionieren, als auch in seiner schlagwortartigen Verwendung für politische Entschlusslosigkeit in einzelnen Sachfragen und hat so zu einer '''nur scheinbaren Harmonisierung interethnischer Konflikte''' beigetragen. Vor allem aus diesem letztgenannten Grund hat sich ein Teil der Befürworter der multikulturellen Gesellschaft von diesem Konzept zwischenzeitlich distanziert und es als Modeerscheinung abqualifiziert.
 
 
 
 
 
== 2.5.3 Interkulturalität ==
 
  
Im Laufe der 1990er Jahre setze sich zunehmend der '''Begriff der &quot;Interkulturalität&quot;''' durch, &quot;...da dieses Konzept auf die gegenseitige Beziehung, auf das zu gestaltende Zusammenleben abhebt und die Vorstellung eines &quot;Multikulturellen Nebeneinanders&quot; für unzureichend hält&quot; (vgl. Robertson-Wensauer 1993, zit.n. Treibel 1999, S. 66). Wenn man jedoch nach der Definition eines x- beliebigen Fremdwörterbuches geht, wonach '''&quot;multikulturell&quot;[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.2 Multikulturalität|[1]]]''' auf '''vielfältige Lebensformen, Welt- und Menschenbilder ausgerichtete Gesellschaft''' interpretiert wird, die eine auf Toleranz und wechselseitige Anerkennung der verschiedenen kulturellen Erfahrungen gerichtete Sozialordnung zum Ziel hat, dann hätte man beim ursprünglichen Begriff bleiben und diesen als operables Instrument einsetzen können.
+
Die theoretische Konstruktion der mechanischen Reziprozität bringt das Verfahren der organisierten und institutionell abgesicherten Verkennung zum Verschwinden. Ein Gutteil der symbolischen Arbeit wird aber dafür verwendet, die unabwendbaren Beziehungen der Verwandtschaft, Nachbarschaft oder Arbeit in auf Wahl beruhende Reziprozitätsbeziehungen umzuwandeln. In die Arbeit der Reproduktion bestehender Beziehungen durch Feste, Zeremonien, Geschenkaustausch, Besuche, Höflichkeiten, Heiraten geht nicht nur die zur Erfüllung der Tauschfunktion erforderliche Arbeit, sondern auch die Arbeit zur Verschleierung dieser Funktion ein. '''Eine auf Treu und Glauben aufgebaute Ökonomie wendet hohe Kosten für die Verschleierung der ökonomischen Strukturen auf.'''
  
Da jedoch die Begrifflichkeit Moden und somit auf einer emotionalisierten Ebene bewussten und unbewussten Empfindungen unterworfen ist, '''favorisiert man heute den präziseren Begriff Interkulturalität'''. Dieser Begriff setzt explizit auf die '''Beziehung(en) zwischen zwei oder mehr Kulturen''' und damit weniger auf ein (friedliches) Nebeneinander, sondern auf das &quot;Wie&quot; des Interagierens, also des sozialen Miteinanders.
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[[File:denkenksa-16_1.jpg|thumb|400x301px|right|Foto: Eine Gruppe von Schneiderinnen aus Num bereitet sich auf den Nachtmarkt im Nachbardorf vor, Nepal 2008, Matthäus Rest]]
  
Anders ausgedrückt: die angenommenen '''Unterschiede zwischen Kulturen''' werden nicht zwangsläufig als etwas Trennendes, sondern '''als Chance zum Austausch zwischen den Kulturen''' gesehen. Interkulturalität bedeutet in diesem Sinn nicht nur, dass in einer Situation verschiedene Teilnehmer aus unterschiedlichen Kulturen agieren, sondern, dass sich dabei durch Dynamiken und Wechselbeziehungen (die es von EthnologInnen zu untersuchen gilt) etwas entwickelt, was über die Addition der Wesenszüge und Merkmale der beteiligten Kulturen hinausgeht: Es entsteht etwas produktiv Neues. '''Diese prozessualen Entwicklungen und deren zugrunde liegende Mechanismen und Strukturen zu dekodieren und damit transparent zu machen, ist eine der '''Aufgaben der Ethnologie[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.4 Aufgaben der Ethnologie|[2]]]'''.'''
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Das lässt der Vergleich mit der Ökonomie des unverschleierten Interesses erkennen. Ein in Paris aufgewachsener Maurer hatte 1955 in der Kabylie einen Skandal verursacht, als er die ihm während der Arbeit angebotenen Speisen abgelehnt und danach einen Spesenersatz für Essen verrechnet hatte. Damit hat er die soziale Alchimie, die den Lohn für die Arbeitszeit in eine huldvolle Gabe verwandeln möchte, bloßgestellt. So hat das Abschlussessen bei der Ernte oder dem Bau eines Hauses die Funktion, eine interessegeleitete Transaktion in einen edelmütigen Austausch zu transformieren (Bourdieu 1979: 335-338). &quot;Man kann einfach nicht, es sei denn, man wollte jemand beleidigen, ein Geschäft auf der Basis von Treu und Glauben und unter Menschen guten Glaubens, und gar noch zwischen Verwandten, von einem Notar, einem Kadi oder selbst einem Zeugen beglaubigen lassen wollen&quot; (ebd.: 339). Bei Heiratsverhandlungen treten in einer ersten Phase angesehene Verwandte oder Verbündete als Garanten auf, wobei das zur Schau gestellte '''symbolische Kapital[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.1 Symbolisches Kapital|[1]]]''' eine Waffe während der Verhandlungen und eine Sicherheit nach Einigung bietet (ebd.: 340).
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.2 Multikulturalität|[1] Siehe Kapitel 2.5.2]]<br />
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.1 Symbolisches Kapital|[1] Siehe Kapitel 2.1.1]]<br />
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.4 Aufgaben der Ethnologie|[2] Siehe Kapitel 2.5.4]]<br />
 
 
 
  
== 2.5.4 Aufgaben der Ethnologie ==
 
  
Entscheidend in diesem Zusammenhang ist für die Ethnologie die '''Verknüpfung und die wechselseitige Beeinflussung von Faktoren in dem Sinne, dass Migration zur''' (irreversiblen und potentiell konfliktschaffenden) '''Zunahme von multi- bzw. interkulturellen gesellschaftlichen Gebilden führt''', deren Erscheinungsformen und Auswirkungen für die darin Agierenden, Partizipierenden und peripher Betroffenen gravierende Folgen haben können, welche die Ethnologie unter die Lupe zu nehmen hat.
+
== 2.2.2 Symbolisches Kapital als Akkumulationsform ==
  
'''Oftmals ist die Distanz für eine unvoreingenommene und alle Faktoren berücksichtigende Betrachtung ein entscheidendes Element.''' Aus diesem Grund haben Studien über Migrationsprozesse mit ihren jeweils spezifischen Dynamiken in '''außereuropäischen Ländern[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2.2 Migrationsstudien außerhalb Europas|[1]]]''' auch Rückwirkung auf diejenigen Prozesse, die in unserer unmittelbareren Nähe ablaufen. Die Ethnologie trägt durch ihre große Bandbreite an Zugängen zu allen Kulturregionen des Globus dazu bei, komparative Studien zu ermöglichen und empirisches Material einer Einzelstudie vor Ort in den jeweils größeren Kontext überregionaler und globaler Dynamiken zu stellen. Sie ermöglicht damit entscheidend eine Vergleichsschau, die unter Umständen Rückschlüsse auf zu erwartende Prozesse im Kleinen geben können.
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'''Das symbolische Kapital''', das sich wie Prestige oder ein guter Ruf jederzeit in '''ökonomisches Kapital[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.2 Ökonomisches Kapital|[1]]]''' verwandeln lässt, '''bildet eine kostbare Akkumulationsform''', vor allem in Gesellschaften, wo es an unmittelbaren Akkumulationsmöglichkeiten für ökonomisches Kapital (aufgrund des schwach entwickelten Standes der Produktionsmittel) mangelt. Zudem wird die Konzentration materiellen Kapitals durch die fehlende kollektive Legitimation für die &quot;Bereicherung&quot; weiter gebremst. Daher muss das ökonomische Interesse verschleiert werden. Am besten lässt sich das durch die Umwandlung von ökonomischem in '''symbolisches Kapital[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.1 Symbolisches Kapital|[2]]]''' erreichen. In der auf Treu und Glauben beruhenden Wirtschaftsform in der Kabylie sind die beiden Kapitalformen (symbolisch und ökonomisch) derart ineinander verschränkt, dass ein guter Leumund die beste wenn nicht die einzige ökonomische Sicherheit bietet. Angesehene Verbündete können solchermaßen Gewinn abwerfen. Keine Gelegenheit wird ausgelassen, das symbolische Kapital zur Schau zu stellen, durch feierliche Umzüge der Verwandten und Verbündeten, in Brauteskorten, deren Wert sich nach der Zahl der Gewehre und der Stärke der abgefeuerten Salven zu Ehren der Brautleute bemisst, in blendenden Geschenken, endlich durch Zeugen und Garanten (bei Marktgeschäften und Heiratsverhandlungen).
  
Wiederum anders formuliert: '''Die Beschäftigung mit Migrationsdynamiken und damit in Verbindung stehenden Prozessen im außereuropäischen Ausland kann auch für die Analyse und Interpretation von ähnlichen Entwicklungen '''im näheren Umfeld[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2.1 Migrationsstudien in Österreich und in Europa|[2]]]''' eminente Bedeutung haben''', da wir andere kontextuelle Zugänge finden, die aus einer reinen Eigensicht nur schwer zu finden wären. Voraussetzung für eine komparative, also vergleichende Betrachtungsweise von Fallbeispielen aus den großen Migrationsbereichen Flucht- und Arbeitsmigration ist aber die '''Festlegung von Parametern''', als Eckpunkte für eine potentielle Vergleichbarkeit. Die Festlegung von Parametern ist wiederum eng mit der verwendeten Begrifflichkeit verbunden. Als eines der jüngsten Werke, die sich mit der Verknüpfung von Migrationsforschung und dem Fach der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie auseinandersetzen, ist der von '''Six-Hohenbalken/ Tosic (2009)[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Bibliographießß}#2.7 Bibliographie|[3]]]''' herausgegebene Sammelband zu empfehlen, der neben theoretischen Grundlagen anhand ausgewählter Anwendungsfelder interdisziplinäre Aspekte vor dem Hintergrund der Verflechtung von Multikulturalität, Identität und Geschlecht abhandelt.
+
'''Symbolisches Kapital stellt einen Kredit dar'''; seine regelmäßig überaus kostspielige Zurschaustellung wirkt als Mechanismus, warum Kapital zu Kapital kommt (vgl. Ghana: Saltpond, Ashanti). '''Diese symbolischen Gewinne''', werden sie aufgerechnet, '''belegen die Rationalität von Verhaltensweisen, die der Ökonomismus als absurd abtut'''. Der Ankauf eines zweiten Ochsengespanns zu einem Zeitpunkt, wenn es nicht zur Aussaat gebraucht wird, verschafft der Familie aber möglicherweise eine Vermehrung an symbolischem Kapital für die Zeit der Eheverhandlungen. Demnach liegt den Verhaltensweisen der Ehre ein Interesse zugrunde, das als symbolisches Kapital an Ehre bzw. Kredit an Ehrenhaftigkeit besonders wertvoll und schutzwürdig ist (vgl. die Standesehre von Arzt und Rechtsanwalt) (ebd.: 348-353).
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2.2 Migrationsstudien außerhalb Europas|[1] Siehe Kapitel 2.4.2.2]]<br />
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.2 Ökonomisches Kapital|[1] Siehe Kapitel 2.1.2]]<br />
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2.1 Migrationsstudien in Österreich und in Europa|[2] Siehe Kapitel 2.4.2.1]]<br />
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Kapitalformen#2.1.1 Symbolisches Kapital|[2] Siehe Kapitel 2.1.1]]<br />
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Bibliographießß}#2.7 Bibliographie|[3] Siehe Kapitel 2.7]]<br />
 
 
 
  
  
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Beispiele#2.6 Beispiele|Nächstes Kapitel: 2.6 Beispiele]]'''<br/>
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'''[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|Nächstes Kapitel: 2.3 Praxis]]'''<br/>
 
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[[#2.5 Rezente Zugänge|&uarr; Nach oben]]<br/>
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[[#2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen|&uarr; Nach oben]]<br/>
  
  
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|Vorheriges Kapitel: 2.5 Rezente Zugänge]]'''
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'''[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen|Vorheriges Kapitel: 2.2 Zirkulation und Umwandlung von Kapitalformen]]'''
=2.6 Beispiele=
+
=2.3 Praxis=
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
+
<sup>verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest</sup>
  
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Als eine Art teilnehmende BeobachterIn und DechiffreurIn steht die EthnologIn in der '''Gefahr, die gesellschaftlichen Praxisformen auf symbolische Tauschbeziehungen zu reduzieren''' und die gesellschaftlichen Beziehungen als Kommunikationsphänomene zu interpretieren. Sprache wird damit vom Handlungs- und Ausdrucksmittel zum bloßen Decodierungsinstrument. So wie ArchitektInnen häufig Städte für ZuschauerInnen und nicht BewohnerInnen entworfen haben, verhält sich die EthnologIn zum praktischen Handeln distanziert aus der BeobachterInnenrolle. '''Die Praxis sollte aber nicht wie in zahlreichen impliziten oder expliziten Theorien als Objekt behandelt, sondern als Praxis konstituiert werden.''' Führen wir den Faktor der Unsicherheit ein, lässt sich beispielweise von den beobachtbaren Ehrverhaltensweisen eine der Improvisierkunst des Ehrenmannes adäquatere Darstellung geben als durch aufwendige mechanische Modelle. In der Sprache der Regel und des Modells erscheint die praktische Beherrschung der Symbolik sozialer Interaktionen (wie Takt, Fingerspitzengefühl oder Ehrgefühl) ausgeblendet. Es gibt klare Korrelationen zwischen verwendeter Sprache und Eigenschaften wie Geschlecht, Alter, Wohnsitz und Beruf; der Inhalt der Kommunikation wird durch die Beziehungsstruktur der Sprecher verändert. Bestimmte Situationen verlangen unter dem Druck der gesellschaftlich bestimmten objektiven Situation nach einer ganzen Sprache (Scherze, Ton, Akzent); die Art der Sprache und Ausdrucksformen in Gang, Haltung, Mimik ergibt sich durch den fortwährenden unbewussten Bezug auf die Struktur der sozialen Beziehungen zwischen den Individuen, auf ihre jeweiligen Positionen innerhalb der Hierarchien von Alter, Macht, Prestige und Bildung. Durch dieses permanente praktische Erkennen erfolgt die Anpassung der Praktiken und Expressionen an die Erwartungen und Reaktionen der anderen Handlungssubjekte (Bourdieu 1979: 140-146).
  
'''Zwei Beispiele für mögliche Themen aus dem Bereich der Migrationsforschung''', die für EthnologInnen bzw. Kultur- und SozialanthropologInnen interessant sein können sind
+
[[File:denkenksa-18_1.jpg|thumb|780x222px|right|Foto: Kinder beim Spielen in Kampong Cham, Kambodscha 2004, Anna Ellmer]]
 
 
# Besiedlung und historische '''Migration in Ozeanien[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2.2 Migrationsstudien außerhalb Europas|[1]]]''', und
 
# Remittances (Geldüberweisungen) als bestimmendes Element von '''Arbeitsmigration[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.1 Arbeitsmigration|[2]]]'''.
 
 
 
Beide Beispiele gehen bewußt in eine jeweils völlig andere Richtung. Und zwar insofern, als das erste Beispiel eine historische Entwicklung aufgreift, um zu Erhellungen für besiedlungsgeschichtliche Interpretationen zu gelangen - ein Thema, welches weit weg führt von den aktuellen Migrations- und Integrationsdebatten, die in den westeuropäischen Ländern abläuft, und zeigt, dass in der Ethnologie auch ganz andere Themenbereiche Teil einer Migrationsforschung sein können.
 
 
 
Im zweite Beispiel wird ein konkretes arbeits-migrationsspezifisches Phänomen angesprochen, nämlich die Geldrücküberweisungen von ArbeitsmigrantInnen an ihre im Ursprünglichen Heimatland verbliebenen Familien und Verwandten, ein Thema, welches anhand der Situation in einer ziemlich peripher gelegenen Region (Pazifik) skizziert wird, aber durchaus exemplarisch für andere Weltregionen stehen kann und somit wieder Relevanz für gegenwärtig dort aber auch hierzulande ablaufende gesellschaftliche und soziale migrationsintendierte Prozesse entwickeln kann.
 
 
 
[[File:debattenksa-38_1.jpg|400x533px|Ausgeliefertheit, H. Mückler]]
 
 
 
'''Verweise:'''<br />
 
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.2.2 Migrationsstudien außerhalb Europas|[1] Siehe Kapitel 2.4.2.2]]<br />
 
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5.1 Arbeitsmigration|[2] Siehe Kapitel 2.5.1]]<br />
 
 
 
 
 
 
 
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Bibliographie#2.7 Bibliographie|Nächstes Kapitel: 2.7 Bibliographie]]'''<br/>
 
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[[#2.6 Beispiele|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
 
 
 
 
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Beispiele#2.6 Beispiele|Vorheriges Kapitel: 2.6 Beispiele]]'''
 
=2.7 Bibliographie=
 
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
 
 
 
 
Dvorak, Johann/ Mückler, Hermann (Hg.) (2011): Staat-Migration- Globalisierung. Wien: Facultas Verlag.
 
 
 
Mückler, Hermann (1998): Migrationsforschung und Ethnohistorie. In: Wernhart, Karl R./ Zips, Werner (Hg.): Ethnohistorie. Rekonstruktion und Kulturkritik, Eine Einführung. Wien: Promedia, S. 113-134.
 
 
 
Mückler, Hermann (2004): Migrationsdynamiken: Auslöser, Erklärungsmodelle, Konsequenzen. In: Niederle, Helmuth/ Mader, Elke (Hg.): Die Wahrheit reicht weiter als der Mond. Europa - Lateinamerika: Literatur, Migration und Identität. Wien: Wiener Universitätsverlag. S. 41-60.
 
 
 
Robertson-Wensauer, Caroline Y. (Hg.) (1993): Multikulturalität, Interkulturalität? Probleme und Perspektiven der multikulturellen Gesellschaft. Schriften des Institut für Angewandte Kulturwissenschaften der Universität Karlsruhe, Band 1, Baden- Baden: Nomos.
 
 
 
Santel, Bernhard (1995): Migration in und nach Europa; Erfahrungen. Strukturen. Politik. Opladen: Leske &amp; Budrich.
 
 
 
Six-Hohenbalken, Maria/ Tosic, Jelena (Hg.) (2009): Anthropologie der Migration: Theoretische Grundlagen und interdisziplinäre Aspekte. Wien: Facultas.
 
 
 
Treibel, Anette (1999): Migration in modernen Gesellschaften. Soziale Folgen von Einwanderung und Gastarbeit. Weinheim/München: Juventa.
 
 
 
 
 
 
 
'''[[STEOP_-_Aktuelle_Debatten_-_Staat_Migration_Globalisierung#Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie|&crarr; Zurück zur Übersicht]]'''<br/>
 
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[[#2.7 Bibliographie|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
 
 
 
 
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Bibliographie#2.7 Bibliographie|Vorheriges Kapitel: 2.7 Bibliographie]]'''
 
=3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat=
 
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
 
 
 
 
Wie bei allen Kultur- bzw. Sozialwissenschaften steht auch in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie der '''Mensch als handelndes Subjekt, als sozial agierendes Wesen im Mittelpunkt der Betrachtung'''. Jede(r) von uns steht grundsätzlich nicht allein, sozusagen im luftleeren Raum, sondern wir interagieren ununterbrochen mit anderen Menschen. Wir sind '''als soziale Wesen''' von der ersten Sekunde unseres Lebens an '''darauf angewiesen, mit anderen Menschen in Wechselbeziehungen zu treten'''.
 
 
 
==Inhaltsverzeichnis==
 
  
 +
==Inhalt==
 
<div class="eksa_toc">
 
<div class="eksa_toc">
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat]]<br/>
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|2.3 Praxis]]<br/>
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Interessensabgleich#3.1 Interessensabgleich|3.1 Interessensabgleich]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1 Drei Modi der theoretischen Erkenntis|2.3.1 Drei Modi der theoretischen Erkenntis]]<br/>
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Konflikthaftigkeit#3.2 Konflikthaftigkeit|3.2 Konflikthaftigkeit]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.1 Phänomenologie|2.3.1.1 Phänomenologie]]<br/>
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Beduerfnisbefriedigung#3.3 Bedürfnisbefriedigung|3.3 Bedürfnisbefriedigung]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.2 Objektivismus|2.3.1.2 Objektivismus]]<br/>
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Organisationsstruktur#3.4 Der Staat als Organisationsstruktur|3.4 Der Staat als Organisationsstruktur]]<br/>
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::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.3 Praxeologie|2.3.1.3 Praxeologie]]<br/>
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Vor_und_Nicht#3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften|3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.2 Habitus|2.3.2 Habitus]]<br/>
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.3 Struktur|2.3.3 Struktur]]<br/>
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.1 Diffusität politischer Gemeinwesen|3.6.1 Diffusität politischer Gemeinwesen]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.4 Hexis|2.3.4 Hexis]]<br/>
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.2 Segmentäre Gesellschaften|3.6.2 Segmentäre Gesellschaften]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.5 Strategie|2.3.5 Strategie]]<br/>
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.3 Vom Einfacheren zum Komplexeren|3.6.3 Vom Einfacheren zum Komplexeren]]<br/>
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:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.6 Doxa|2.3.6 Doxa]]<br/>
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4 Historische Theoriebildung zur Staatsentstehung|3.6.4 Historische Theoriebildung zur Staatsentstehung]]<br/>
+
::[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.6.1 Orthodoxie|2.3.6.1 Orthodoxie]]<br/>
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.1 "Early State"|3.6.4.1 "Early State"]]<br/>
+
:[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.7 Beispiel§ Sexualität in der Kabylie|2.3.7 Beispiel§ Sexualität in der Kabylie]]<br/>
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.2 Materialistische Theorie|3.6.4.2 Materialistische Theorie]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.3 Hydraulische Theorie|3.6.4.3 Hydraulische Theorie]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.4 Theorie der natürlichen Grenzen|3.6.4.4 Theorie der natürlichen Grenzen]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.5 Eroberungs- und Unterwerfungstheorie|3.6.4.5 Eroberungs- und Unterwerfungstheorie]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.6 Patriarchal-, Patrimonial- und Vertragstheorie|3.6.4.6 Patriarchal-, Patrimonial- und Vertragstheorie]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.7 Definition des frühen Staates|3.6.4.7 Definition des frühen Staates]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.8 Typen des frühen Staates|3.6.4.8 Typen des frühen Staates]]<br/>
 
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.5 Moderner Staat und andere Formen politischer Organisation|3.6.5 Moderner Staat und andere Formen politischer Organisation]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.5.1 Koloniales Erbe|3.6.5.1 Koloniales Erbe]]<br/>
 
:::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.5.2 Transnationalismus und Staat|3.6.5.2 Transnationalismus und Staat]]<br/>
 
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Beispiele#3.7 Beispiele|3.7 Beispiele]]<br/>
 
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Bibliographie#3.8 Bibliographie|3.8 Bibliographie]]<br/>
 
 
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==Weitere Kapitel dieser Lernunterlage==
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== 2.3.1 Drei Modi der theoretischen Erkenntis ==
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
 
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
 
  
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Interessensabgleich#3.1 Interessensabgleich|Nächstes Kapitel: 3.1 Interessensabgleich]]'''<br/>
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Bourdieu unterscheidet '''drei Modi der theoretischen Erkenntnis, denen gemeinsam ist, in Gegensatz zum praktischen Erkenntnismodus zu stehen''':
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[[#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
  
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# '''den phänomenologischen''' (z.B. interaktionistische oder ethnomethodologische),
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# '''den objektivistischen''' (z.B. strukturalistische Hermeneutik)
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# '''und den praxeologischen'''.
  
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|Vorheriges Kapitel: 3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat]]'''
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Die phänomenologische Erkenntnis erklärt die Primärerfahrung mit der sozialen Welt und schließt nach Auffassung Bourdieus die Frage nach den Bedingungen ihrer eigenen Erkenntnis aus; die objektivistische erstellt die objektiven (ökonomischen oder linguistischen) Beziehungen, welche die Praxisformen und ihre Repräsentationen strukturieren - um den Preis des Bruches mit der primären praktischen Erfahrung. '''Die praxeologische Erkenntnisweise dagegen erforscht''' nicht nur das System objektiver Relationen, sondern die dialektischen Beziehungen zwischen diesen objektiven '''Strukturen[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.3 Struktur|[1]]]''' und den strukturierten Dispositionen, die diese reproduzieren - kurz '''den doppelten Prozess der Verinnerlichung des Äußeren und der Veräußerlichung des Inneren''' (Interiorisierung der Exteriorität und Exteriorisierung der Interiorität) (ebd.: 146f.).
=3.1 Interessensabgleich=
 
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
  
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'''Verweise:'''<br />
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.3 Struktur|[1] Siehe Kapitel 2.3.3]]<br />
  
Wenn zwei Menschen beisammenstehen, um sich über einen Termin oder über die Betrachtung einer Sache zu einigen, dann bedarf dies des '''Interessensabgleichs'''. Dieser verläuft über verschiedene Wege der Kommunikation, deren wichtigste und sichtbarste vordergründige &quot;Werkzeuge&quot; die '''Sprache, Gestik und Mimik sind also Werkzeuge erster Ordnung'''. Andere Elemente, wie beispielsweise die '''Schrift, Piktogramme, Symbole, verschiedene Zeichen''', denen eine eigene Bedeutung aber noch viel mehr eine Wirkung zugrunde liegt (damit beschäftigt sich die explizit die Semantik als Bedeutungslehre im Kontext und als Teilbereich der Semiotik, der Zeichentheorie) würde ich als '''Werkzeuge zweiter Ordnung''' bezeichnen.
 
  
Zwei Menschen, die miteinander kommunizieren, müssen sich also zuerst darüber im Klaren sein, mit welchen Werkzeugen und nach welchen Dekodierungs- und Verständnisparametern dieses Interagieren ablaufen kann, bevor es zum Interessensabgleich kommt. Die geschieht in der Regel unbewusst, denn wir lernen von Geburt an die Regeln und Mechanismen, die in unserer eigenen Kultur gelten, zu deuten, zu erlernen und anzuwenden. Wir nennen das '''Sozialisation''', bzw. ist es ein Teil dessen, was wir allgemein als Sozialisation bezeichnen.
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== 2.3.1.1 Phänomenologie ==
  
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Dem phänomenologischen Ansatz konzediert '''Bourdieu''' (1979: 149f.) seine Konstruktionen zweiten Grades, den account of accounts im Sinne Alfred Schütz‘ oder Garfinkel‘s, '''kritisiert''' aber '''den Anspruch, diese vorwissenschaftliche Repräsentation der sozialen Welt als Wissenschaft dieser sozialen Welt auszugeben'''. Denn - wie '''Habermas[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas#3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas|[1]]]''' sagen würde: damit wird alles ausgeblendet, was auf diese Lebenswelt und deren Repräsentation von außen einwirkt. Die Konstruktion objektiver Strukturen (Preiskurven, Bildungschancen, Gesetze des Heiratsmarktes) lässt erst die Mechanismen erkennen, durch welche die Beziehungen zwischen '''Strukturen[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.3 Struktur|[2]]]''' und '''Praktiken[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[3]]]''', respektive deren Repräsentationen gestaltet werden. Dadurch - so Bourdieu in seiner Kritik weiter - schließt der Interaktionismus den Einfluss der Strukturen auf die Interaktionen und deren Repräsentationen aus. Diese Richtung übernimmt damit die Spontantheorie des Handelns, die das Subjekt zum quasi freien, strategisch entscheidenden Subjekt erklärt und hebt die kleinbürgerliche Sicht gesellschaftlicher Beziehungen als freien Gestaltungsraum zu einer Theorie der sozialen Welt.
  
 +
'''Das hat zur Konsequenz, die Wissenschaft von der Gesellschaft zu einer Bestandsaufnahme des krud Gegebenen, der herrschenden Ordnung zu reduzieren.''' Mit der bloßen Konzeptualisierung der (gemeinsamen) Alltagserfahrung geht die Reformulierung einer Repräsentation gesellschaftlicher Wirklichkeit einher, die in der Regel mit den Interessen einer bestimmten Gruppe im Einklang steht. In der Ethnologie lässt sich das an manchen herrschaftsunkritischen Darstellungen zeigen, die mitunter einen bestimmten (z.B. androzentrischen) Standpunkt privilegieren. Das hängt damit zusammen, dass herrschende Gesellschaftsgruppen auch die Macht zur Repräsentation innehaben. '''Was könnte dagegen eine Soziologie oder Anthropologie der Politik leisten, die sich um die Aufdeckung der erkenntnistheoretischen Mechanismen bemühte, die der Aufrechterhaltung der herrschenden Ordnung dienen?'''
  
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Konflikthaftigkeit#3.2 Konflikthaftigkeit|Nächstes Kapitel: 3.2 Konflikthaftigkeit]]'''<br/>
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'''Verweise:'''<br />
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[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas#3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas|[1] Siehe Kapitel 3]]<br />
[[#3.1 Interessensabgleich|&uarr; Nach oben]]<br/>
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.3 Struktur|[2] Siehe Kapitel 2.3.3]]<br />
 
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[3] Siehe Kapitel 2.3]]<br />
  
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Interessensabgleich#3.1 Interessensabgleich|Vorheriges Kapitel: 3.1 Interessensabgleich]]'''
 
=3.2 Konflikthaftigkeit=
 
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
  
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== 2.3.1.2 Objektivismus ==
  
Dieser '''Interessensabgleich[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Interessensabgleich#3.1 Interessensabgleich|[1]]]''' bringt uns zum zweiten damit eng verknüpften Begriff: '''der Konflikthaftigkeit jeglichen Interagierens'''. Konflikthaftigkeit ist nichts Negatives, auch wenn man Konflikt meistens mit Konfrontation in seiner negativen Konotation in Beziehung zu setzen geneigt ist. Dort, wo zwei Individuen oder ein Individuum und eine Gruppe oder zwei Gruppen miteinander in Beziehung treten, geht es um den Abgleich von Bedürfnissen, die wir hier als Interessen bezeichnen. Dass die Bedürfnisse des einen nicht notwendigerweise deckungsgleich mit den Bedürfnissen eines anderen, oder anderer sind, kann vorausgesetzt werden. Aus diesem Grund ist jedes Interagieren immer auch ein Abtasten zwischen zwei oder mehreren Menschen, wie weit man selbst mit seinen Interessenslagen gehen kann, ohne die Bedürfnisse bzw. Interessen anderer zu stören bzw. zu behindern.
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[[File:denkenksa-21_1.jpg|thumb|380x285px|right|Foto: Ein Milchtransport in der Nähe von Dukla, Polen 2006, Matthäus Rest]]
  
'''Immanuel Kant[https://de.wikipedia.org/wiki/Immanuel_Kant &#91;2&#93;]''' hat dieses Beziehungsverhältnis in seinem berühmt gewordenen sogenannten '''Kategorischen Imperativ (KI)''' kongenial zusammengefasst, auch wenn er weiterführende grundsätzliche Gedanken der Moral und des Willens des Menschen sowie, damit in Verbindung stehend, das sich daraus ableitende Pflichtgefühl des Menschen damit verknüpfte. Im Prinzip könnte eine Form des sogenannten Kategorischen Imperativs folgendermaßen lauten: '''&quot;Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde&quot;''' (vgl. Kant 2004).
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'''Der Objektivismus nimmt die''' '''Praxis[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[1]]]''' '''negativ, das heißt als Ausübung/Ausführung wahr.''' Daraus ergibt sich die Alternative, sich mit deren Bestandsaufnahme zu begnügen, ohne die Frage nach den Erzeugungsprinzipien dieser Praxis zu stellen, oder den wissenschaftlichen Konstrukten wie Kultur, Struktur, Klasse, Produktionsweise etc. Subjekthaftigkeit zu geben, die sie wie Subjekte handeln und auf die Praxis Zwang ausüben lässt. '''Es ist naiv, zu glauben, dass die Praktiken quasi gehorsam Regeln befolgen.''' Regeln im Sinne eines Schemas oder Prinzips sind der Praxis aber insofern eingeschrieben, als sie innerhalb der Praxis der Handlungssubjekte in praktischem Zustand zur Anwendung kommen, ohne sich in deren Bewusstsein zu befinden. Die Theorie des Handelns auf eine einfache Ausübung des Modells zu reduzieren, schafft ein Missverständnis, denn '''die Sache der Logik ist nicht identisch mit der Logik der Sache''': die objektive Bedeutung der Praxisformen entspricht nicht dem subjektiven Zweck des Handelns der Produzenten dieser Praxisformen. Den homo oeconomicus, der ständig nach rationalem Kalkül entscheidet, gibt es ebenso wenig wie Akteure, die bloße Rollen ausführen oder gemäß Modellen handeln (Bourdieu 1979: 158-164).
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Interessensabgleich#3.1 Interessensabgleich|[1] Siehe Kapitel 3.1]]<br />
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[1] Siehe Kapitel 2.3]]<br />
[https://de.wikipedia.org/wiki/Immanuel_Kant &#91;2&#93; https://de.wikipedia.org/wiki/Immanuel_Kant]<br />
 
 
 
 
 
 
 
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Beduerfnisbefriedigung#3.3 Bedürfnisbefriedigung|Nächstes Kapitel: 3.3 Bedürfnisbefriedigung]]'''<br/>
 
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[[#3.2 Konflikthaftigkeit|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
 
 
  
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Konflikthaftigkeit#3.2 Konflikthaftigkeit|Vorheriges Kapitel: 3.2 Konflikthaftigkeit]]'''
 
=3.3 Bedürfnisbefriedigung=
 
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
  
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== 2.3.1.3 Praxeologie ==
  
Um '''Kommunizieren''' zu können, um die Zeichen zu verstehen, muss Einigkeit darüber herrschen, was sie bedeuten, bzw. wie sie zu deuten sind. Es geht hier um ein Beziehungsverhältnis zwischen einem Sender und einem Empfänger bzw. Adressaten. Letztlich dient alles Kommunizieren der Bedürfnisbefriedigung. Dazu zählt nicht nur die Abdeckung grundlegender Bedürfnisse (&quot;food, shelter, health, care, education&quot;) sondern auch Werte mit Bedürfnischarakter, wie beispielsweise akzeptiert werden, sich Ansehen erwerben, geachtet sein, als Kompetenzträger gesehen werden, usw.
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[[File:denkenksa-22_1.jpg|thumb|780x200px|right|Foto: Rai-Frauen bei einer Feuerbestattung nahe Hedangna, Nepal 2008, Matthäus Rest]]
  
Damit aber alle diese Dinge, nämlich der '''Interessensabgleich[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Interessensabgleich#3.1 Interessensabgleich|[1]]]''' und die '''Bedürfnisbefriedigung''' - oder besser der Interessensabgleich zur Bedürfnisbefriedigung - funktionieren kann, '''bedarf es Regeln'''. Regulative, die ich lieber als &quot;Spielregeln&quot; bezeichnen möchte und die sich Kinder in der Sandkiste unbewusst genauso geben, wie Politiker, die in Den Haag beim Internationalen Gerichtshof oder in New York bei den Vereinten Nationen sitzen und sehr bewusst um Regeln für das Interagieren auf internationaler Ebene ringen. Das Völkerrecht ist dabei genauso ein Regelwerk, wie die Straßenverkehrsordnung oder die ausgehängten Jugendschutzbestimmungen in einem Lokal.
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'''Der Strukturalismus hypostasiert die Systeme objektiver Beziehungen.''' Er verwandelt sie in präkonstruierte Totalitäten, jenseits der Geschichte des Individuums und der Geschichte der Gruppe. '''Um ihn zu überwinden, genügt es, vom opus operatum''', den statistischen Regelmäßigkeiten bzw. der algebraischen Struktur, '''zum modus operandi''', dem Erzeugungsprinzip '''dieser beobachteten Ordnung überzugehen'''. Die daraus folgende Theorie der Praxis, oder präziser die Theorie des Erzeugungsmodus der Praxisformen, hat die '''Dialektik der Verinnnerlichung des Äußeren und der Veräußerlichung des Inneren''' zum Gegenstand: die für eine soziale Umgebung konstitutiven Strukturen erzeugen '''Habitusformen[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.2 Habitus|[1]]]''', d.h. Systeme dauerhafter Dispositionen, strukturierte '''Strukturen[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.3 Struktur|[2]]]''', die als strukturierende Strukturen wirken. Damit ist gemeint, dass die Habitusformen als Erzeugungs- und Strukturierungsprinzipien von '''Praxisformen[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[3]]]''' und deren Repräsentationen funktionieren; sie sind objektiv &quot;geregelt&quot;, ohne auf der gehorsamen Erfüllung von Regeln zu beruhen. Disposition drückt für Bourdieu (1979: 446) das aus, was der Begriff '''Habitus''' umfasst: zum einen '''das Resultat einer organisierenden Aktion''', zum anderen '''eine Seinsweise, einen habituellen Zustand''' (vor allem des Körpers) '''und eine Tendenz oder Neigung'''. Die Habitusformen können bestimmten Zwecken angepasst sein, ohne dass die Handlungssubjekte diese Zwecke bewusst anvisieren müssen. Sie können weiters kollektiv abgestimmt sein, ohne eines Dirigenten zu bedürfen. Der Habitus erzeugt gewissermaßen '''Strategien[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.5 Strategie|[4]]]''', die es erlauben, neuartigen Situationen entgegenzutreten, weist aber durch seine vergangenen Bedingungen die Tendenz auf, die objektiven Strukturen zu reproduzieren (ebd.: 164-165).
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Interessensabgleich#3.1 Interessensabgleich|[1] Siehe Kapitel 3.1]]<br />
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.2 Habitus|[1] Siehe Kapitel 2.3.2]]<br />
 
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.3 Struktur|[2] Siehe Kapitel 2.3.3]]<br />
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[3] Siehe Kapitel 2.3]]<br />
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.5 Strategie|[4] Siehe Kapitel 2.3.5]]<br />
  
  
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Organisationsstruktur#3.4 Der Staat als Organisationsstruktur|Nächstes Kapitel: 3.4 Der Staat als Organisationsstruktur]]'''<br/>
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== 2.3.2 Habitus ==
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[[#3.3 Bedürfnisbefriedigung|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
  
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'''Der Habitus ist zur &quot;Natur&quot; gewordene Geschichte, die negiert wird, weil sie als Natur empfunden wird.''' Dieser Mensch der Vergangenheit, diese vergessene Geschichte bildet den unbewussten Teil unserer selbst. Durch die objektive Übereinstimmung der Habitusformen der Gruppen und Klassen stehen die Praxisformen und Praktiken objektiv in Einklang. '''Der Habitus ist das durch die primäre Sozialisation dem Individuum eingegebene immanente Gesetz''', das wie ein gemeinsamer Code zumindest ein Minimum an Übereinstimmung innerhalb einer Gruppe bewirkt. '''Jedes Individuum ist gewollt oder nicht, bewusst oder nicht Produzent und Reproduzent eines bestimmten objektiven Sinns.''' Durch die Theorie des allen Klassen oder &quot;Kulturen&quot; eigenen Habitus wird die situationalistische Reduktion der Ethnomethodologie oder des Interaktionismus überwunden, indem die interpersonalen Beziehungen nicht losgelöst von den sozialen Faktoren und Beziehungen betrachtet werden. Denn die physischen Personen tragen ihre gegenwärtige wie vergangene Position innerhalb der Sozialstruktur in Gestalt der Habitusformen immer und überall mit sich herum. Die Übereinstimmung ästhetischer Geschmäcker oder ethischer Neigungen hat gesellschaftliche Bedingungen (Bourdieu 1979: 171- 182): '''&quot;Kurz, der Habitus, dieses Produkt der Geschichte, erzeugt entsprechend den von der Geschichte erzeugten Schemata individuelle und kollektive Praxisformen - folglich Geschichte&quot;''' (ebd.: 182).
  
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Beduerfnisbefriedigung#3.3 Bedürfnisbefriedigung|Vorheriges Kapitel: 3.3 Bedürfnisbefriedigung]]'''
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[[File:denkenksa-23_1.jpg|thumb|380x274px|right|Foto: Ein ehemaliger Häftling von Robben Island vor einer Originalaufnahme mit Häftlingen und Gefängniswärtern, Robben Island, Südafrika 2005, Matthäus Rest]]
=3.4 Der Staat als Organisationsstruktur=
 
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
  
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'''Praxis[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[1]]]''' versteht Bourdieu (1987: 98) als den Ort der Dialektik von objektivierten und einverleibten Ergebnissen der historischen Praxis, von '''Strukturen[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.3 Struktur|[2]]]''' und Habitusformen. Diese '''Habitusformen''' werden durch Konditionierungen, die mit einer bestimmten Klasse von Existenzbedingungen verknüpft sind, erzeugt. &quot;'''Sie sind Systeme dauerhafter und übertragbarer Dispositionen - strukturierte Strukturen, die als strukturierende Strukturen fungieren'''; d.h.: als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für Praktiken und Vorstellungen. Als Produkt der Geschichte produziert der Habitus individuelle Praktiken und kollektive Praktiken, also Geschichte, nach den von der Geschichte erzeugten Schemata; er gewährleistet die aktive Präsenz früherer Erfahrungen, die sich in jedem Organismus in Gestalt von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata niederschlagen...&quot; (Bourdieu 1987: 101). '''Über den Habitus regiert die Struktur die Praxis'''; er erzeugt die vernünftigen Verhaltensweisen des Alltagsverstandes. &quot;Als einverleibte, zur Natur gewordene und damit vergessene Geschichte ist der Habitus wirkende Präsenz der gesamten Vergangenheit, die ihn erzeugt hat&quot; (ebd.: 105). '''Geschichte wird damit aus Geschichte erzeugt, wodurch Dauerhaftigkeit im Wandel gewährleistet wird.'''
  
Das Fach der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie beschäftigt sich mit den drei Teilbereichen '''Interessensabgleich[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Interessensabgleich#3.1 Interessensabgleich|[1]]]''', '''Konflikthaftigkeit[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Konflikthaftigkeit#3.2 Konflikthaftigkeit|[2]]]''' und '''Bedürfnisbefriedigung[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Beduerfnisbefriedigung#3.3 Bedürfnisbefriedigung|[3]]]''' in ihren jeweiligen '''Bedingungen, Wechselwirkungen und Konsequenzen zueinander''', und zwar '''global, vergleichend''' und alle Spielarten berücksichtigend, die sich aus unterschiedlicher Größe der Gruppen und Gemeinwesen ergeben.
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Diese theoretische Sichtweise vom Habitus steht sowohl zu Annahmen der mechanischen Notwendigkeit von Praktiken als auch zur völligen Freiheit der Reflexion in Widerspruch; das praktische Handeln wird weder geschichtslosen Mechanismen noch trägheitslosen Subjekten rationalistischer Theorien überlassen. Praktiken von Mitgliedern einer Gruppe oder Klasse sind besser aufeinander abgestimmt, als die Handelnden selbst wissen. Der Habitus versucht sich selbst zu bestärken, indem er die Auswahl zwischen Orten, Ereignissen und Personen des Umgangs trifft; dadurch schützt sich der Habitus vor Krisen, indem er sich ein Milieu schafft, an das er vorangepasst ist.
  
[[File:debattenksa-44_1.jpg|350x233px|Der kontrollierende Staat, H. Mückler]]
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Für Bourdieu sind die sozialen Akteure keine Epiphänomene der Strukturen; Handlungen bestehen nicht nur im Vollzug von Regeln. Sie sind keine geregelten Automaten, die mechanischen Gesetzen gehorchen. Noch in den kompliziertesten Handlungsverläufen setzen sie inkorporierte Prinzipien eines generativen '''Habitus''' ein: dieses System von Dispositionen wird durch Erfahrung erworben, '''ist folglich je nach Ort und Zeit variabel'''. Statt einer Verwandtschaftsregel - wie die Strukturalisten - erkennt Bourdieu eine Heiratsstrategie, allerdings ohne teleologische Gerichtetheit. '''Denn das Verhalten kann auf Ziele gerichtet sein, ohne bewusst durch sie geleitet zu werden.''' In den kollektiven Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata der sozialen Gruppen können sich positionsbedingte Nutzenkalküle eingelagert haben, die nicht mehr individuell bewusst gehalten werden. Diese gruppenpezifischen Handlungsorientierungen nannte er Habitusformen; sie reichen über den individuellen Sinnhorizont hinaus (Honneth 1990: 169-170).
 
 
EthnologInnen beschäftig(t)en sich daher mit jenen '''&quot;Spielregeln&quot;''', die '''einfache und komplexere Gesellschaften oder Sozietäten[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.3 Vom Einfacheren zum Komplexeren|[4]]]''' zu allen Zeiten an allen Orten entwickelt haben, um das '''Zusammenleben der Menschen zu strukturieren, zu organisieren''' und zu für die qualifizierte Mehrheit einer Gruppe zufriedenstellenden Handlungsanweisungen und damit zu Lebenslösungen zu gelangen. Dazu gehört zentral die Untersuchung der dazu nötigen bzw. sich daraus bildenden Organisationsstrukturen. Dazu zählt auch '''der Staat[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|[5]]]'''. Der Staat ist eine spezielle, sehr komplexe und in vielen Bereichen ausgereifte, manchmal jedoch auch unübersichtliche Form eines sehr großen politischen Gemeinwesens.
 
 
 
Im Vergleich dazu gibt es viele andere, meistens kleinräumigere und kleingekammertere '''Formen politischer Organisation[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Vor_und_Nicht#3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften|[6]]]'''. Historisch hat sich die Ethnologie lange mit diesen kleineren, einfacheren, Formen politischer Organisation beschäftigt. Heute gibt es hier keine Präferenzen mehr.
 
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Interessensabgleich#3.1 Interessensabgleich|[1] Siehe Kapitel 3.1]]<br />
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[1] Siehe Kapitel 2.3]]<br />
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Konflikthaftigkeit#3.2 Konflikthaftigkeit|[2] Siehe Kapitel 3.2]]<br />
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.3 Struktur|[2] Siehe Kapitel 2.3.3]]<br />
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Beduerfnisbefriedigung#3.3 Bedürfnisbefriedigung|[3] Siehe Kapitel 3.3]]<br />
 
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.3 Vom Einfacheren zum Komplexeren|[4] Siehe Kapitel 3.6.3]]<br />
 
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|[5] Siehe Kapitel 3.6]]<br />
 
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Vor_und_Nicht#3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften|[6] Siehe Kapitel 3.5]]<br />
 
 
 
 
 
 
 
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Vor_und_Nicht#3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften|Nächstes Kapitel: 3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften]]'''<br/>
 
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[[#3.4 Der Staat als Organisationsstruktur|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
  
  
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Organisationsstruktur#3.4 Der Staat als Organisationsstruktur|Vorheriges Kapitel: 3.4 Der Staat als Organisationsstruktur]]'''
+
== 2.3.3 Struktur ==
=3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften=
 
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
  
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'''Das Verhältnis zwischen Struktur und''' '''Praxis[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[1]]]''' '''ist nicht vergleichbar mit jenem zwischen Partitur und Ausführung.''' Ein solcher '''Objektivismus[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.2 Objektivismus|[2]]]''' konstruiert einen von Gesetzen der Naturgeschichte unterjochten Menschen. Haben die Strukturen als Erzeugnisse menschlicher Aktion die Macht, sich nach eigenen Gesetzen zu entwickeln und andere Strukturen zu determinieren? Anhand der Habitustheorie lässt sich diese Frage verneinen. Die Diskussion über das Verhältnis Kultur-Individuum in der amerikanischen Anthropologie erscheint deshalb so karikaturhaft weil sie anstatt einer dialektischen Sichtweise die &quot;Basispersönlichkeit&quot; als eine Art Miniausgabe der Kultur entwarf. Hingegen stellt der Habitus das Produkt der Einprägungs- und Aneignungsarbeit dar, die für die (individuelle) Reproduktion der Hervorbringungen der kollektiven Geschichte (Sprache, Wirtschaftsform etc) einer den gleichen Existenzbedingungen unterworfenen Gruppe erforderlich ist.
  
Lange hat sich die '''Ethnologie''' so definiert, dass es sich mit außereuropäischen Gesellschaften beschäftigte, die überwiegend als '''vorstaatliche oder nicht-staatliche Gesellschaften''' (d.h. ohne Zentralinstanz) und damit nicht als Staat klassifiziert werden konnten. Aber auch bei staatlich organisierten Gesellschaften, hat man Parameter für diesen festzulegen versucht und genaue Unterscheidungen gemacht.
+
[[File:denkenksa-24_1.jpg|thumb|380x254px|right|Foto: Ein Klassenfoto aus mehreren Perspektiven, Simigaon, Nepal 2004, Matthäus Rest]]
  
So haben die beiden britischen Ethnologen '''Meyer Fortes[http://de.wikipedia.org/wiki/Meyer_Fortes [1]]]''' und '''Edward E. Evans-Pritchard[http://de.wikipedia.org/wiki/Edward_E._Evans-Pritchard &#91;2&#93;]''' (1940) in ihrem Klassiker zu afrikanischen Gesellschaften einerseits &quot;primitive states&quot;, die sich durch ein Zentrum, eine Verwaltung und Gerichtsbarkeit sowie einen Herrschaftsanspruch über ein Territorium auszeichnen, und '''&quot;stateless societies&quot;''' oder '''segmentäre Gesellschaften[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.2 Segmentäre Gesellschaften|[3]]]''' unterschieden. Daneben gab es noch die sogenannten '''Hochkulturen''', die wiederum durch eigene Kriterien (z.B. das Vorhandensein von Schrift) charakterisiert wurden. Die Präferenz mancher Ethnologen lag lange auf der Beschäftigung mit stabilen, überschaubaren Kleingruppen, die sich durch eine hohe Kommunikationsdichte aller abhängigen Gesellschaftsmitglieder auszeichnen (sogenannte &quot;face- to-face&quot; Beziehungen) und sehr oft verwandtschaftlich oder quasi-verwandtschaftlich organisiert sind. Gerade in Kleingruppen kann man mit der '''Methode der teilnehmenden Beobachtung[[Der_Prozess_der_Datenerhebung/Strategien#5.1.1.2 Teilnehmende und nicht teilnehmende Beobachtung|[4]]]''' und im Rahmen qualitativer Studien zu sinnvollen und modellhaften Aussagen gelangen.
+
Die Erfahrungen der Mitglieder dieser Gruppe werden zwar niemals völlig identisch sein, aber die Aussichten mit bestimmten Situationen häufiger als Mitglieder anderer Gruppen konfrontiert zu sein, sind zweifellos größer (z.B. Beschäftigungsrate, Schulbildung, Einkommenskurven, Urlaubshäufigkeit und -ziele). '''Der Habitus ist keineswegs statisch, sondern bestimmt die Rezeption bestimmter Erfahrungen''', wie beispielsweise der schulischen Erfahrung, wird dadurch verändert und liegt wieder der Strukturierung durch die Berufserfahrung oder den von der Kulturindustrie ausgesandten Botschaften zugrunde; '''und das von Restrukturierung zu Restrukturierung'''. Im persönlichen Stil zeigt sich der Habitus ebenso in seinem Verweis auf den gemeinsamen Stil durch die Unterscheidung. Die Systeme der individuellen Dispositionen können als strukturelle Varianten des Gruppen- oder Klassenhabitus gesehen werden. Der persönliche Stil ist daher nicht mehr als eine geregelte und zuweilen sogar kodifizierte Abweichung gegenüber dem Gruppenstil.
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[http://de.wikipedia.org/wiki/Meyer_Fortes &#91;1&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Meyer_Fortes]<br />
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[1] Siehe Kapitel 2.3]]<br />
[http://de.wikipedia.org/wiki/Edward_E._Evans-Pritchard &#91;2&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Edward_E._Evans-Pritchard]<br />
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.2 Objektivismus|[2] Siehe Kapitel 2.3.1.2]]<br />
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.2 Segmentäre Gesellschaften|[3] Siehe Kapitel 3.6.2]]<br />
 
[[Der_Prozess_der_Datenerhebung/Strategien#5.1.1.2 Teilnehmende und nicht teilnehmende Beobachtung|[4] Siehe Kapitel 5.1.1.2 der Lernunterlage ''Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]
 
  
  
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|Nächstes Kapitel: 3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen]]'''<br/>
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== 2.3.4 Hexis ==
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[[#3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
  
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[[File:denkenksa-25_1.jpg|thumb|380x532px|right|Foto: Die beiden Köchinnen der Sonop Wine Farm, Paarl, Südafrika 2005, Matthäus Rest]]
  
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Vor_und_Nicht#3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften|Vorheriges Kapitel: 3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften]]'''
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Kinder schenken in allen Gesellschaften den Gesten und Haltungen der Erwachsenen Aufmerksamkeit; ob in Diskursen wie Sprichwörtern, Redewendungen, Liedern, Spielen, in den Objekten wie Werkzeuge, Haus oder Dorf oder in '''Praktiken[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[1]]]''' wie Ehrenduelle, Riten oder Gabentausch, das Material des Lernens bleibt stets das Produkt der Anwendung einer kleinen Anzahl zusammenhängender praktischer Prinzipien. Im Bereich der geschlechtlichen Arbeitsteilung werden die Schemata durch die Asymmetrie der Beziehungen zu Vater und Mutter verinnerlicht. '''Wie das Ethos oder der Geschmack ist auch die Hexis eine einverleibte permanente Disposition: die dauerhafte Art und Weise, sich zu geben, zu sprechen, zu gehen, zu fühlen und zu denken.''' Die gesamte Moral des Ehrverhaltens ist in der Hexis sowohl symbolisiert wie realisiert. So ist der Gang des Ehrenmannes entschieden und resolut, im Gegensatz zum zögerlichen unsicheren Schritt. Der männliche Mann bietet die Stirn und schaut seinem Gegenüber ins Gesicht; wachsam, weil ständig bedroht nimmt er alles in seiner Umgebung wahr, während ein in die Luft schauernder Blick einen unverantwortlichen Mann kennzeichnet (Bourdieu 1979: 189-192).
=3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen=
 
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
  
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'''Verweise:'''<br />
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[1] Siehe Kapitel 2.3]]<br />
  
[[File:debattenksa-46_1.jpg|200x244px|Der unkontrollierte Staat, H. Mückler]]
 
  
'''Die Entstehung staatlicher Strukturen bildet ein Kernthema innerhalb der Politik-Ethnologie bzw. Politischen Anthropologie''', eines Teilgebietes der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie. Dies folgt der Erkenntnis, dass verschiedene Faktoren wie demographisches Anwachsen, ökonomische Surplus (d.h. Mehrwert-) Produktion, günstige Lage, Ressourcenreichtum und zunehmende Arbeitsteiligkeit, um nur einige zu nennen, eine Vergrößerung und zunehmende Komplexität eines gesellschaftlichen Systems bedingen. Differenzierungen verursachen Hierarchisierungen und erfordern eine Verwaltung, welche wiederum den Aufbau einer Bürokratie und (zentral-)staatlicher Institutionen mit sich bringt. Welche Faktoren hier im Einzelnen wirksam werden und wie diese zueinander stehen, welche Entwicklungen zwangsläufig und welche optional sind - das sind die Inhalte, mit deren Beschäftigung eine Voraussetzung für die Definition, was Staat sein kann, geschaffen wird.
+
== 2.3.5 Strategie ==
  
==Inhalt==
+
Um die faktischen Abweichungen zwischen dem tatsächlichen Verhalten der sozialen Akteure und den im Strukturalismus unterstellten Regeln erklären zu können, führte Bourdieu die Erklärungsvariable der kollektiven und gruppenspezifischen Handlungsstrategien ein, die in Form von '''habituellen[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.2 Habitus|[1]]]''' Dispositionen das Verhalten der Akteure steuern. Dadurch versuchen die Akteure unbewusst Ziele zu erreichen, die im strategischen Interesse ihrer jeweiligen Bezugsgruppe liegen. Aus theoretischer Sicht ging es ihm um eine Überwindung der Dichotomie zwischen Strukturalismus und Subjektphilosophie. Der Praxis handelnder Akteure sollte die vom Strukturalismus ausgeblendete aktive, schöpferische Dimension zurückgegeben werden, ohne die generativen Fähigkeiten der Dispositionen, als erworbene, gesellschaftlich konstituierte Habitusformen aufzugeben.
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[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen]]<br/>
 
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.1 Diffusität politischer Gemeinwesen|3.6.1 Diffusität politischer Gemeinwesen]]<br/>
 
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.2 Segmentäre Gesellschaften|3.6.2 Segmentäre Gesellschaften]]<br/>
 
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.3 Vom Einfacheren zum Komplexeren|3.6.3 Vom Einfacheren zum Komplexeren]]<br/>
 
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4 Historische Theoriebildung zur Staatsentstehung|3.6.4 Historische Theoriebildung zur Staatsentstehung]]<br/>
 
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.1 "Early State"|3.6.4.1 "Early State"]]<br/>
 
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.2 Materialistische Theorie|3.6.4.2 Materialistische Theorie]]<br/>
 
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.3 Hydraulische Theorie|3.6.4.3 Hydraulische Theorie]]<br/>
 
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.4 Theorie der natürlichen Grenzen|3.6.4.4 Theorie der natürlichen Grenzen]]<br/>
 
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.5 Eroberungs- und Unterwerfungstheorie|3.6.4.5 Eroberungs- und Unterwerfungstheorie]]<br/>
 
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.6 Patriarchal-, Patrimonial- und Vertragstheorie|3.6.4.6 Patriarchal-, Patrimonial- und Vertragstheorie]]<br/>
 
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.7 Definition des frühen Staates|3.6.4.7 Definition des frühen Staates]]<br/>
 
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.8 Typen des frühen Staates|3.6.4.8 Typen des frühen Staates]]<br/>
 
:[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.5 Moderner Staat und andere Formen politischer Organisation|3.6.5 Moderner Staat und andere Formen politischer Organisation]]<br/>
 
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.5.1 Koloniales Erbe|3.6.5.1 Koloniales Erbe]]<br/>
 
::[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.5.2 Transnationalismus und Staat|3.6.5.2 Transnationalismus und Staat]]<br/>
 
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== 3.6.1 Diffusität politischer Gemeinwesen ==
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[[File:denkenksa-26_1.jpg|thumb|200x304px|right|Foto: Ein Schmied bei der Arbeit, Simigaon, Nepal 2004, Matthäus Rest]]
  
Die Frage nach der '''Entstehung staatlicher Strukturen[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|[1]]]''' setzt voraus, dass man sich mit nichtstaatlichen oder vorstaatlichen Strukturen beschäftigt. Dabei lag das Hauptaugenmerk der Ethnologie lange auf der Untersuchung von Kleingruppen, wie beispielsweise der Familie, der Horde, der Lineage, der Sippe oder des Klans. Hierbei konnte eine Hierarchisierung verschiedener Ebenen eines politischen Gemeinwesens beobachtet werden. Man kann auch von Politik auf verschiedenen Ebenen sprechen, wenn politische Gemeinwesen in mehrere, voneinander relativ unabhängige Ebenen politischen Handelns zerfallen.
+
'''Habitus bezeichnet also das System erworbener Schemata von Anschauungs- und Wertungskategorien bzw. von Klassifizierungs- und Organisationsprinzipien des Handelns''', das den sozialen Akteur beim praktischen Handeln nicht in idealistischer Weise völlig frei von gesellschaftlichen Verhältnissen erscheinen lässt. Allerdings scheint zwischen der kreativen, schöpferischen Dimension aller menschlichen '''Praxis[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[2]]]''' und der habitualisierten, sozial gesteuerten Bestimmung allen gesellschaftlichen Handelns eine unaufgelöste Spannung zu bestehen, wie Honneth (1985) argumentiert. Dieser Mangel erscheint mir nur durch eine kommunikationstheoretische Erweiterung des Ansatzes, im Sinne der Habermasschen '''Theorie des kommunikativen Handelns[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas#3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas|[3]]]''' (Habermas1985) behebbar.
  
Diese wurden von der Ethnologin '''Lucy Mair[http://en.wikipedia.org/wiki/Lucy_Mair &#91;2&#93;]''' (1962) als &quot;diffus&quot; bezeichnet. Diese '''Diffusität''' politischer Gemeinwesen ist durch mehrere Ebenen gekennzeichnet, die wiederum mehrere gleichartige Gebilde umfassen, die zumindest je eine der Funktionen der politischen Organisation erfüllen. Diese Gebilde, die auf den unteren Ebenen als funktional bedeutsam, auf den höheren Ebenen als sogenannte &quot;Sekundärgruppen&quot; erkannt wurden und so groß und verstreut sind, dass nicht mehr alle Angehörigen deren Handeln ständig koordinieren können, folgen '''drei organisatorischen Grundprinzipien''':
+
Dafür scheint auch die Einführung des Begriffes der Strategie in die Sozialtheorie Bourdieus zu sprechen. Methodisch äußert sich diese Sichtweise im empirischen Nachfragen der Gründe ihrer Praktiken bei den Handlungssubjekten. Dabei ergaben sich erhebliche Unterschiede beispielsweise für das Heiratsverhalten von Berbern in Algerien, die aus der wissenschaftlich objektivistischen Analyse (z.B. der Genealogie) nicht zu gewinnen gewesen wären. Jenes Primat der '''objektivistischen Analyse[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.2 Objektivismus|[4]]]''' gegenüber der Auffassung der Betroffenen erschien Bourdieu zunehmend als Ausdruck einer Berufsideologie. Um diesem Defizit zu begegnen, verwendet er den '''Begriff der Strategie'''. '''Damit verbindet sich die Vorstellung, dass die sozialen Gruppen miteinander um gesellschaftliche Ehre kämpfen''' und die Handlungsstrategien, von denen sich die verschiedenen Sozialgruppen leiten lassen, auf den Erwerb von Prestige und Anerkennung gerichtet sind. In den Kämpfen um Anerkennung liegt eine fundamentale Dimension des sozialen Lebens, bei der es um die Akkumulation von symbolischem, d.h. auf Bekanntheit und Anerkennung begründetem Kapital geht.
 
 
# der Verwandtschaft (z. B. die Familien, Klane, Sippen),
 
# der Territorialität (Haushalte, Dörfer) und
 
# dem willentlichen Zusammenschluss oder der &quot;Assoziation&quot; (z. B. in Gefolgschaften einzelner Führer) (vgl. Stagl 1998).
 
 
 
'''Diese Ebenen des politischen Gemeinwesens sind nicht statisch.''' Sie können sich vermischen, ineinander übergehen, sich in Subgebilde untergliedern oder in Supergebilden zusammenschließen. Eine derartige Strukturierung eines Gemeinwesens kann &quot;segmentäres System&quot; genannt werden, wobei jedes segmentäre System Teilgebilde verschiedener Größenordnung beherbergt, die auf mehreren Ebenen in- und miteinander verknüpft sind.
 
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|[1] Siehe Kapitel 3.6]]<br />
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.2 Habitus|[1] Siehe Kapitel 2.3.2]]<br />
[http://en.wikipedia.org/wiki/Lucy_Mair &#91;2&#93; http://en.wikipedia.org/wiki/Lucy_Mair]<br />
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[2] Siehe Kapitel 2.3]]<br />
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[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas#3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas|[3] Siehe Kapitel 3]]<br />
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.2 Objektivismus|[4] Siehe Kapitel 2.3.1.2]]<br />
  
  
== 3.6.2 Segmentäre Gesellschaften ==
+
== 2.3.6 Doxa ==
  
'''Segmentären Gesellschaften''' – ein Begriff, der von dem Franzosen '''Émile Durkheim[http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%89mile_Durkheim &#91;1&#93;]''' 1893 geprägt wurde – sind schon '''bei Meyer Fortes und Edward E. Evans-Pritchard angesprochen worden[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Vor_und_Nicht#3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften|[2]]]'''. Der ethnologische Klassiker von Fortes und Evans- Pritchard über afrikanische politische Systeme, begründete durch die akribische vergleichende Untersuchung verschiedener politischer Systeme afrikanischer Gesellschaften das Fach der '''Politischen Anthropologie bzw. Politikethnologie''' mit (Fortes/ Evans-Pritchard 1940). In diesem standen Untersuchungen zu Ursprung, Dynamik und Ausprägung von sozialen Ungleichheiten sowie von gesellschaftlichen Machtverhältnissen im Vordergrund. Folgerichtig waren '''Untersuchungen zu Organisationsformen der Macht, deren Verteilung und Bindung an Individuen und Gruppen innerhalb einer Kultur, aber auch Machtverhältnisse zwischen Gruppen''' (und dazu zählen auch Kolonisierung, Krieg, Segmentation, Formen regulierter Anarchie, etc.) für die Inhalte dieses Zweigs ethnologischer Forschung bestimmend.
+
Die strenge Unterordnung unter kollektive Rhythmen beruht darauf, dass die Zeitformen und räumlichen Strukturen die Gruppe selbst strukturieren. Die Frauen gehen zum Brunnen wenn entweder keine Männer auf der Straße sind oder nehmen einen Weg, auf dem sich keine Männer befinden. Seine Aufgabe als Mann erfüllen, heißt der Sozialordnung und ihren Rhythmen zu folgen. '''In der Konformität und nicht in der Vereinzelung liegt eine fundamentale Tugend.''' Handlungen zur Unzeit sind suspekte Verhaltensweisen (z.B. lange schlafen). &quot;Wer bis in die Mitte des Tages schläft, wird den ''suq'' verpassen.&quot; Sowohl Überstürzung als auch Langsamkeit sind gegen den kollektiven Rhythmus. Übereifer verwandelt die zirkuläre Zeit in eine lineare und die einfache Reproduktion in grenzenlose Akkumulation (Bourdieu 1979: 318- 324).
  
In der Ethnologie wurden eine zeitlang einer angenommenen Universalität von Herrschaft bzw. Herrschaftsverhältnissen durch die Fokussierung auf segmentäre, staatenlose, akzephale und vorstaatliche Gesellschaften relativierende Herrschaftssysteme gegenübergestellt. '''Segmentäre Gesellschaften bestehen aus einer Anzahl von gleichartigen und gleichrangigen Segmenten''', die über Lineages organisiert sind und weiter in Subsegmente unterteilt sein können. Im Wesentlichen '''basieren diese Segmente auf Abstammung und Verwandtschaft''', aber '''auch auf religiös-kultischer oder territorialer Basis''', wobei diese Segmente bzw. Gruppen zwar unterschiedliche Größenordnungen haben können, mehrheitlich jedoch vergleichsweise klein sind. Die teilweise komplexe Verschachtelung der Segmente gewährleistet eine gewisse Selbstregulierung von Kooperations- und '''Konfliktbeziehungen[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Konflikthaftigkeit#3.2 Konflikthaftigkeit|[3]]]''' ohne die Notwendigkeit zur Ausbildung einer dauerhaften zentralen politischen Autorität.
+
[[File:denkenksa-27_1.jpg|thumb|780x248px|right|Foto: Eine Bäuerin beim Kühetreiben in Zyndranowa, Polen 2006, Matthäus Rest]]
  
'''Verweise:'''<br />
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'''Jede herrschende Ordnung tendiert dazu, ihren spezifischen Willkürcharakter zu neutralisieren. Im Grenzfall erscheint die natürliche und soziale Welt als selbstverständlich'''; objektive Ordnung und subjektive Organisationsprinzipien fallen zusammen (wie bei den archaischen Gesellschaften). Die Willkür wird zugleich verkannt und damit auch anerkannt. '''Diese Erfahrung nennt Bourdieu &quot;Doxa&quot;''' und unterscheidet sie von der entweder orthodoxen oder heterodoxen Überzeugung: diese schließen eine Kenntnis und Anerkennung von unterschiedlichen oder antagonistischen Überzeugungen mit ein. Die Denk- und Wahrnehmungsschemata produzieren Objektivität, indem sie die Grenzen der Erkenntnis, die sie ermöglichen, unkenntlich machen. Über diesen Modus der Doxa realisieren sie das unmittelbare Verwachsensein mit der als natürlich erlebten und wie selbstverständlich vorgegebenen Welt der Überlieferung. Die von der sozialen Ordnung benachteiligten Kategorien, wie Frauen oder Jugendliche, müssen die Legitimität der herrschenden Ordnung anerkennen. Die Interessensgegensätze (etwa zwischen Geschlechtern) können sich nur in Handlungen und Diskursen ausdrücken, die sie im Akt des Auflehnens auch schon wieder annullieren. Die Taxonomien des mythisch- rituellen Systems legitimieren die Einheit in der Trennung, mithin die Hierarchie.
[http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%89mile_Durkheim &#91;1&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%89mile_Durkheim]<br />
 
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Vor_und_Nicht#3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften|[2] Siehe Kapitel 3.5]]<br />
 
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Konflikthaftigkeit#3.2 Konflikthaftigkeit|[3] Siehe Kapitel 3.2]]<br />
 
  
 +
'''Dieses Feld der Doxa, des stillschweigend als selbstverständlich Wahrgenommenen, ist umso größer, je stabiler die objektiven Strukturen einer jeweiligen Gesellschaftsformation sind''' und je vollständiger sie sich in den Dispositionen der Handlungssubjekte reproduzieren. Wenn die objektiven und verinnerlichten Strukturen perfekt übereinstimmen, wird die kosmologische und politische Ordnung nicht als willkürlich wahrgenommen; vielmehr wird sie als fraglos und selbstverständlich vorgegebene, also als evidente und natürliche Ordnung verkannt und erkannt. Die Evidenz der Welt wird durch die Evidenz des institutionalisierten Diskurses über die Welt gleichsam verdoppelt. Zwischen das Kind und die Welt tritt die gesamte Gruppe als Vermittler. Sie vermittelt die Doxa mittels des gesamten Universums der rituellen Praktiken und Diskurse (der Redewendungen und Sprichwörter), die allesamt gemäß den Prinzipien des konformen '''Habitus[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.2 Habitus|[1]]]''' strukturiert sind. Im doxischen Verhältnis zur gesellschaftlichen Welt kommt das Verwachsensein zum Ausdruck - noch bevor die Frage nach der Legitimität auftritt. Denn diese Frage setzt Konkurrenz voraus, mithin den Konflikt zwischen Gruppen.
  
== 3.6.3 Vom Einfacheren zum Komplexeren ==
+
'''Die Doxa bildet jenes Ensemble von Thesen, die stillschweigend und jenseits des Fragens postuliert werden.''' Sie lassen sich nur aus der Retrospektive erkennen, wenn sie bereits fallengelassen wurden. Das Universum der Meinung als Universum konkurrierender Diskurse schafft die komplementäre Klasse zum Selbstverständlichen. Erst die Krise stellt die unmittelbare Anpassung der subjektiven an die objektiven '''Strukturen[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.3 Struktur|[2]]]''' zur Diskussion. Die Beherrschten müssen dafür aber über die materiellen und symbolischen Mittel verfügen, um die Definition der sozialen Welt zurückzuweisen (ebd.: 322-330).
 
 
Die Beschäftigung mit der schrittweisen Entwicklung vor- oder nichtstaatlicher Strukturen ergibt im Wesentlichen eine '''Entwicklung vom Einfacheren zum Komplexeren''', '''vom Überschaubaren zum Unüberschaubaren''', '''von räumlich und zahlenmäßig kleinen zu größeren Gebilden''' ist. Wichtig ist dabei die Dichotomie von staatlichen und nichtstaatlichen Gesellschaften. Hier wurde von der Kultur- und Sozialanthropologie auf die mit zunehmender Größe der Gemeinwesen notwendige Arbeitsteilung, die erforderliche Spezialisierung bestimmter technischer, handwerklicher, ökonomischer und dienstleistungsbezogener Kenntnisse und Fähigkeiten fokussiert.
 
 
 
Hinzu kommt die '''Entstehung von Hierarchien''', die sich nicht nur aus der Arbeitsteilung, sondern aus einer zunehmenden Gewaltentrennung ergeben, die auch beispielsweise in einer Trennung säkularer und sakraler Kompetenzen oder in der Entstehung klar abgegrenzter legislativer und exekutiver Kompetenzen ihren Niederschlag gefunden hat. Die Entstehung von Bildungsschichten, die Entwicklung und der Aufbau komplexer Verwaltungssysteme (dazu gehören u. a. Kontroll-, Finanz-, Infrastrukturerhalte- und Rekrutierungseinrichtungen), die Bildung von Besteuerungsmechanismen und schließlich die Massenorganisation von Arbeit zum Zweck der Errichtung kommunaler, sakraler, verteidigungsrelevanter und/oder prestigeträchtiger Großbauten: all dies war nur auf der Grundlage einer schrittweisen Zentralisierung der Gemeinwesen sowie deren relativer politischer Stabilität möglich.
 
 
 
 
 
== 3.6.4 Historische Theoriebildung zur Staatsentstehung ==
 
 
 
Bei der vergleichenden Beobachtung verschiedener Beispiele sogenannter '''&quot;Früher Staaten&quot;[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.1 "Early State"|[1]]]''' fielen den EthnologInnen Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede auf, die eine Kategorisierung erschwerten. '''Mehrere skizzierte Theorieansätze verdeutlichen die unterschiedlichen Zugänge, die zur Analyse von Staaten gewählt wurden.''' Diese geben auch wissenschaftsgeschichtlich über die Entwicklung des Faches Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie Auskunft und spiegeln zeitgeistige Strömungen wider.
 
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.1 "Early State"|[1] Siehe Kapitel 3.6.4.1]]<br />
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.2 Habitus|[1] Siehe Kapitel 2.3.2]]<br />
 
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.3 Struktur|[2] Siehe Kapitel 2.3.3]]<br />
 
 
== 3.6.4.1 "Early State" ==
 
  
'''Der Staat ist ein politisches und soziales Phänomen''', das erstmals vor einigen tausend Jahren auftauchte. Zur Erklärung seines Ursprungs existieren zahlreiche, einander teilweise widersprechende Theorien. Einen Überblick über die wichtigsten Ansätze bietet das einleitende Kapitel des 1978 erschienenen, umfangreichen Werks '''''The Early State''[https://www-degruyter-com.uaccess.univie.ac.at/view/title/5842 [1]]]''' von '''Henri J. M. Claessen[http://en.wikipedia.org/wiki/Henri_J._M._Claessen &#91;2&#93;]''' und '''Peter Skalník.''' Die beiden Anthropologen beschäftigten sich in ''The Early State'' mit dem '''Charakter und vor allem mit der Entstehung und frühen Entwicklung des Staats'''.
 
  
Ziel ihrer Untersuchung war es, erstens die generellen Charakteristika, zweitens eine minimale Definition, drittens unterscheidbare Typen und viertens den wahrscheinlichsten Entstehungsprozess des frühen Staats zu beschreiben (Claessen/ Skalník 1978). Diesem Ziel näherten sich die Wissenschaftler, indem sie bestehende Theorien analysierten und daraus Hypothesen zu den genannten vier essenziellen Forschungsfragen ableiteten.
+
== 2.3.6.1 Orthodoxie ==
  
'''Verweise:'''<br />
+
Wenn die willkürlichen Prinzipien der geltenden Klassifikation in Erscheinung treten, wird die bewusste Systematisierung und Rationalisierung erst notwendig. Das kennzeichnet den Übergang von der Doxa zur Orthodoxie. Diese ist ein System von Euphemismen, das die häretischen Äußerungen als Blasphemien zurückweist. Der Bereich des Diskurses ist alles, was diskutiert wird, in Relation zur komplementären Klasse des Unformulierten, Undiskutierten, Ungeprüften. In diesem Sinn ist die Sprache das praktische Bewusstsein. '''Die Grenze zwischen dem Bereich der Doxa und des orthodoxen oder heterodoxen Diskurses ist die Grenze zwischen radikalster Verkennung und Bewusstwerdung.''' Sartre meinte, dass Worte Verheerungen anrichten, wenn sie einmal benennen, was vorher ohne Benennung gelebt worden war. Die Macht der Sprache liegt darin, unformulierte Erfahrungen zu objektivieren, d.h. öffentlich werden zu lassen. Jede Sprache ist eine autorisierte Sprache, ausgestattet mit der Autorität einer Gruppe, die sie hören lässt. Die häretische Macht des Zauberers, des Propheten oder politischen Führers, welcher der Gruppe verkündet, was sie hören will, beruht auf der dialektischen Beziehung zwischen der autorisierenden und autorisierten Sprache und der Gruppe, die sie und darin sich selbst autorisiert (z.B. Xenophobie - Ausländerfeindlichkeit).
[https://www-degruyter-com.uaccess.univie.ac.at/view/title/5842 &#91;1&#93; https://www-degruyter-com.uaccess.univie.ac.at/view/title/5842]<br />
 
[http://en.wikipedia.org/wiki/Henri_J._M._Claessen &#91;2&#93; http://en.wikipedia.org/wiki/Henri_J._M._Claessen]<br />
 
  
  
== 3.6.4.2 Materialistische Theorie ==
+
== 2.3.7 Beispiel: Sexualität in der Kabylie ==
  
Die '''Staatsentstehung''' nahm vor allem bei den Evolutionisten einen besonderen Stellenwert ein (vgl. Lewellen 1992). Dem gegenüber stand die '''britische funktionalistische Schule''' mit Forschern wie Fortes und Evans-Pritchard (1940), die weniger daran interessiert waren, ob sich Gesellschaften in einer bestimmten (Ab-)Folge entwickelten, sondern die Organisationsweise einer Gesellschaft in den Vordergrund ihrer Aufmerksamkeit stellten.
+
Bourdieu erkennt den Gegensatz zwischen männlicher zentrifugaler und weiblicher zentripedaler Orientierung auch in der Sexualität reflektiert. Wie in jeder von männlichen Werten beherrschten Gesellschaft (welche die Männer der Politik, der Geschichte und dem Krieg überantwortet und die Frauen dem Herd, dem Roman und der Psychologie), ist auch in der kabylischen Gesellschaft das männliche Verhältnis zur Sexualität durch Sublimation gekennzeichnet. '''Der Mann nimmt den weiblichen Orgasmus beim Geschlechtsakt weder bewusst wahr''', noch kümmert er sich darum '''und sieht in der Wiederholung statt in der Fortsetzung den Beweis männlicher Stärke'''. Sein Streben nach der sexuellen Heldentat und seine Angst vor Impotenz setzen die öffentliche Blamage durch den &quot;Tratsch&quot; der Frauen voraus. '''Gleichwohl ist''' in der Kabylie '''selbst die weibliche Rede von den männlichen Kategorien der Virilität und Heldentat strukturiert'''. Diese zu Körpern gemachten Werte finden sich jenseits der Bewusstseinsprozesse einverleibt.
  
In der '''marxistischen Theorie''' wurden Spekulationen über die Gründe, die zur Entwicklung von Staatsgebilden geführt haben in besonderer Weise erörtert. Man ging dabei von einer Kettenreaktion aus, die von neuen Technologien über einen Produktionsüberschuss zur Akkumulation von Privateigentum geführt hatte, welches schließlich durch eine permanente und stabile Herrschaft geschützt werden musste. Diese sogenannte '''materialistische Theorie''' wurde von '''Friedrich Engels[http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Engels &#91;1&#93;]''' entscheidend mitentwickelt (Engels 1884).
+
Eine ganze Kosmologie, Ethik, Metaphysik und Politik werden durch so bedeutungslos erscheinende Befehle wie &quot;halte dich gerade&quot; oder &quot;halte das Messer nicht in der linken Hand&quot; eingeschärft. Die Institutionen und Gruppen geben den Konzessionen der Höflichkeit solche Bedeutung, weil sie auch politische Konzessionen beinhalten, nämlich den strukturellen Ausschluss der Auflehnung gegen die '''herrschende Ordnung[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2.1 Symbolisches Kapital und Herrschaft|[1]]]'''. Die Institutionen bestehen auf den symbolischen Beiträgen der Unterworfenen (wie Übergangsriten, Höflichkeitszeremonien - z.B. persönliche Einladungsschreiben); es sind Nichtigkeiten, deren Erfüllung nichts kostet und die so natürlich einklagbar scheinen (&quot;das wäre doch das wenigste gewesen&quot;). Ihre Unterlassung kommt einer Weigerung oder Herausforderung gleich (Bourdieu 1979: 195-201). &quot;Die praktische Beherrschung dessen, was Höflichkeitsregel genannt wird, und vor allem die Kunst, jede der verfügbaren Formulierungen (etwa am Ende eines Briefes) den verschiedenen Klassen möglicher Empfänger oder Hörer anzupassen, setzt die implizite Anerkennung und Verkennung einer für die implizite Axiomatik einer bestimmten Ordnung konstitutiven Gesamtheit von Gegensätzen voraus&quot; (ebd.: 201).
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Engels &#91;1&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Engels]<br />
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Zirkulation#2.2.1 Symbolisches Kapital und Herrschaft|[1] Siehe Kapitel 2.2.1]]<br />
  
  
== 3.6.4.3 Hydraulische Theorie ==
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'''[[STEOP_-_Denkweisen-KSA#Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)|&crarr; Zurück zur Übersicht]]'''<br/>
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[[#2.3 Praxis|&uarr; Nach oben]]<br/>
  
Mit China hatte sich der deutsche Soziologe '''Karl August Wittfogel[http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_August_Wittfogel &#91;1&#93;]''' auseinander gesetzt, der die '''Entwicklung und Organisation von Bewässerungssystemen''' in den Vordergrund seiner Erörterungen gestellt hatte und von '''&quot;hydraulischen Staaten&quot;''' sprach (Wittfogel 1977). Die Notwendigkeit der kommunalen Organisation zur Bewältigung der komplexen Aufgaben, welche die Anlage von Bewässerungssystemen bedingte, eine Theorie der hydraulischen Staaten, wurden schließlich von '''Oskar Weggel''' (1990) aufgegriffen, und am Beispiel Vietnams in abgewandelter Form zur Anwendung gebracht.
 
  
'''Verweise:'''<br />
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'''[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|Vorheriges Kapitel: 2.3 Praxis]]'''
[http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_August_Wittfogel &#91;1&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_August_Wittfogel]<br />
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=3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas=
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<sup>verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest</sup>
  
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In seinem Buch &quot;Faktizität und Geltung. Beiträge zu einer Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates&quot; (1992) intendiert Jürgen Habermas die Grundannahmen seiner Theorie des kommunikativen Handelns im Bereich der Rechtsbegründung und -entwicklung einzulösen. Dafür bedarf es eines '''methodenpluralistischen Vorgehens'''. Das bedeutet den Rückgriff auf die '''Perspektiven der Rechtstheorie, der Rechtssoziologie und -geschichte, der Moral- und der Gesellschaftstheorie'''. Darin soll sich auch die laut Habermas oft verkannte pluralistische Anlage der Theorie des kommunikativen Handelns deutlich machen lassen. Die theoretischen Grundannahmen müssen sich danach in den verschiedenen Diskursuniversen innerhalb der vorgefundenen Argumentationskontexte bewähren (ebd.: 9).
  
== 3.6.4.4 Theorie der natürlichen Grenzen ==
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[[File:denkenksa-30_1.jpg|thumb|780x207px|right|Foto: Eine junge Frau vor ANC-Graffitis in Mbekweni bei Paarl, Südafrika 2005, Matthäus Rest]]
  
Der amerikanische Ethnologe '''Robert L. Carneiro[http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_L._Carneiro &#91;1&#93;]''' hat in seinem Aufsatz &quot;A Theory of the Origin of the State&quot; eine '''Theorie der natürlichen Grenzen''' (&quot;Circumscription Theory&quot;) entwickelt, die auf der Annahme beruhte, dass '''im Falle einer Eroberung[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.5 Eroberungs- und Unterwerfungstheorie|[2]]]''' die Unterlegenen im Regelfall an einen anderen Ort fliehen; als ein Beispiel nannte er die Amazonas-Indianer (Carneiro 1970). Nur wenn es natürliche Begrenzungen (Wüste, Berge, Meer) gebe, bleibe die unterlegene Gruppe am Ort der Niederlage. Unter diesen speziellen topographischen Bedingungen entstehe nach Carneiro der Staat auf die Weise, dass es bei wachsender Bevölkerung um Streit um das knappe Land komme und so ein Dorf das Nachbardorf zu erobern und unterwerfen versuche, wodurch es zur Entstehung staatlicher Herrschaft komme.
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Das moralisch-praktische Selbstverständnis der Moderne artikuliert sich in den (neuzeitlichen) Kontroversen über die rechtliche Verfassung des politischen Gemeinwesens; es äußert sich ebenso im universalistischen Moralbewusstsein wie in den freiheitlichen Institutionen des demokratischen Rechtsstaates. Mit der Diskurstheorie versucht Habermas, dieses Selbstverständnis so zu rekonstruieren, dass es einen Eigensinn sowohl gegenüber den systemtheoretischen und anderen szientistischen Positionen (z.B. Luhmann 1992) als auch gegenüber der postmodernen Auflösung in &quot;ästhetischen Assimilationen&quot; (z.B. Derrida 1991) behaupten kann. Obwohl die letzten Reste von essentialistischem Vernunftvertrauen an den Schrecken existierender Unvernunft (z.B. Nationalsozialismus) aufgerieben wurden, bleibt das Projekt jeglicher Kritik auf die Vernunft angewiesen. '''Habermas hat eine gegen sich selbst prozessierende Vernunft vor Augen: die Kritik der Vernunft ist deren eigenes Werk''', denn es gibt weder Höheres noch Tieferes, an das wir appellieren könnten (Habermas 1992: 11).
  
Er sah in den natürlichen Grenzen der frühen, an Flüssen gelegenen Staaten, einen entscheidenden Faktor. Wüsten und Berge verhinderten seiner Meinung nach eine Zersiedelung und das staatliche System habe sich so schneller entwicklen und gegenüber anderen durchsetzen können. Robert L. Carneiro '''unterschied zwischen den ursprünglich entstandenen Staaten''' (&quot;primäre Staaten&quot;), von denen er an sechs Orten des Globus solche lokalisieren zu können glaubte (Niltal, Peru, Mesoamerika, Gelber Fluss in China, Industal und Mesopotamien) '''und durch Kontakt mit diesen entstandene Staaten''' (&quot;sekundäre Staaten&quot;).
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==Inhaltsverzeichnis==
  
'''Verweise:'''<br />
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<div class="eksa_toc">
[http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_L._Carneiro &#91;1&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_L._Carneiro]<br />
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[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas#3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas|3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas]]<br/>
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.5 Eroberungs- und Unterwerfungstheorie|[2] Siehe Kapitel 3.6.4.5]]<br />
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:[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Orientierungslosigkeit_und_Demokratie#3.1 Moderne Orientierungslosigkeit und radikale Demokratie|3.1 Moderne Orientierungslosigkeit und radikale Demokratie]]<br/>
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:[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Vernunft#3.2 Praktische und kommunikative Vernunft|3.2 Praktische und kommunikative Vernunft]]<br/>
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:[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Rationalitaet#3.3 Kommunikative Rationalität|3.3 Kommunikative Rationalität]]<br/>
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:[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Faktizitaet#3.4 Faktizität und Geltung|3.4 Faktizität und Geltung]]<br/>
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==Weitere Kapitel dieser Lernunterlage==
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[[Das_Fremde_verstehen#1 Das Fremde verstehen|1 Das Fremde verstehen]]<br/>
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus#2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus|2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus]]<br/>
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[[Bibliographie#4 Bibliographie|4 Bibliographie]]<br/>
  
== 3.6.4.5 Eroberungs- und Unterwerfungstheorie ==
 
  
Die '''Eroberungs- und Unterwerfungstheorie''', auf die '''Carneiro[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.4 Theorie der natürlichen Grenzen|[1]]]''' reagiert hatte, gab es spätestens seit dem Mittelalter und war von '''Franz Oppenheimer[http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Oppenheimer &#91;2&#93;]''', der sich mit Herrschaftssoziologie beschäftigt hatte, favorisiert worden. Die Eroberungs- und Unterwerfungstheorie geht davon aus, dass der Staat in einem Prozess der Unterwerfung friedlicher Bauernvölker durch kriegerische Hirtenvölker entstanden ist.
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'''[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Orientierungslosigkeit_und_Demokratie#3.1 Moderne Orientierungslosigkeit und radikale Demokratie|Nächstes Kapitel: 3.1 Moderne Orientierungslosigkeit und radikale Demokratie]]'''<br/>
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[[#3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas|&uarr; Nach oben]]<br/>
  
'''Nach Oppenheimers Modell vollzog sich die Staatswerdung in sechs Phasen''', die teilweise mehrere Jahrzehnte oder Jahrhunderte dauerten (Oppenheimer 1996 [1907]). Oppenheimer verstand seine Ausführungen als Fortführung der sozialdarwinistischen und heute überholten sogenannten &quot;ethnischen Überlagerungstheorie&quot; von '''Ludwig Gumplowicz'''. Die Eroberungs- und Unterwerfungstheorie, nach der staatliche Herrschaft im Zuge der der Eroberung friedlicher Bauernvölker durch kriegerische Hirtenstämme entstand, gilt als eine ethnologisch durchaus abgesicherte Sichtweise.
 
  
'''Verweise:'''<br />
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'''[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas#3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas|Vorheriges Kapitel: 3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas]]'''
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.4 Theorie der natürlichen Grenzen|[1] Siehe Kapitel 3.6.4.4]]<br />
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=3.1 Moderne Orientierungslosigkeit und radikale Demokratie=
[http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Oppenheimer &#91;2&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Oppenheimer]<br />
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<sup>verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest</sup>
  
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Mit seiner Ideologiekritik am bürgerlichen Rechtsstaat hat Marx das Naturrecht so nachhaltig diskreditiert, dass sich die Klammer um Naturrecht und Revolution gelöst hat. Der Nachlass wurde von den Parteien eines internationalisierten Bürgerkrieges aufgeteilt: die Ideologie des Naturrechts für die eine Seite, die Revolution für die andere. Nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus zeigt sich der theoretische Fehler; dieser besteht in der Verwechslung des sozialistischen Projektes mit dem Entwurf und der gewaltsamen Durchsetzung einer Lebensform. &quot;Wenn man jedoch ‚Sozialismus‘ als Inbegriff notwendiger Bedingungen für emanzipierte Lebensformen begreift, über die sich die Beteiligten selbst erst verständigen müssen, erkennt man, dass die demokratische Selbstorganisation einer Rechtsgemeinschaft den normativen Kern auch dieses Projekts bildet&quot; (Habermas 1992: 12).
  
== 3.6.4.6 Patriarchal-, Patrimonial- und Vertragstheorie ==
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Die andere (bürgerliche) Partei versagt aber im Moment ihres scheinbaren Triumphes an der sozialstaatlichen und ökologischen Zähmung des Kapitalismus im Kontext der Weltgesellschaft. Daher kann auch sie nicht das ungeteilte Erbe des moralisch- praktischen Selbstverständnisses der Moderne antreten. Es mangelt ihr an Sensibilität für die gefährdete Ressource der in rechtlichen Strukturen aufbewahrten und regenerationsbedürftigen gesellschaftlichen Solidarität. Schlagworte der Orientierungslosigkeit sind: Ökologische Begrenzung des ökonomischen Wachstums, Disparität der Lebensverhältnisse im Norden und im Süden, Umbau staatssozialistischer Systeme, Migrationsströme, ethnische, religiöse und nationale Kriege, atomare Erpressungen und internationale Verteilungskämpfe. '''Vor diesem politischen Hintergrund will die Diskurstheorie nachweisen, dass der Rechtsstaat im Zeichen einer vollständig säkularisierten Politik ohne radikale Demokratie nicht zu haben und nicht zu erhalten ist.''' Jene radikalen Gehalte des demokratischen Rechtsstaates sind nicht in defätistischer Wendung aufzugeben, sondern in einer neuen, den komplexen gesellschaftlichen Verhältnissen entsprechend, zur Durchsetzung zu bringen (ebd.: 13).
  
Manche Autoren betonten im Zusammenhang der '''Eroberungs- und Unterwerfungstheorie[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.5 Eroberungs- und Unterwerfungstheorie|[1]]]''' die Art und Weise und Komplexität der Kriegsführung. Andere Theorien sahen in der wachsenden Bevölkerung den ausschlaggebenden Faktor, der zu neuen Technologien und folglich zu einer komplexer organisierten Gesellschaft führt, oder sie fokussierten auf soziale Abhängigkeiten.
 
  
* So ist nach der '''Patriarchaltheorie''' staatliche Herrschaft eine Art Weiterentwicklung der männlichen Dominanz in der Familie: Die Macht der Männer über die Frauen greife auf andere Bereiche des Soziallebens über und führe so zu einer dauerhaften Etablierung von Machtstrukturen, die schließlich in ein Gewaltmonopol des Stärksten münden.
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'''[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Vernunft#3.2 Praktische und kommunikative Vernunft|Nächstes Kapitel: 3.2 Praktische und kommunikative Vernunft]]'''<br/>
* Nach der sogenannten '''Patrimonialtheorie''' gründet staatliche Herrschaft in privatem Eigentum an Grund und Boden. Der Grundeigentümer habe sich dadurch das Gewaltmonopol über die auf seinem Land Ansässigen verschafft.
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* Die '''Vertragstheorie''' wiederum geht davon aus, dass staatliche Herrschaft aufgrund eines freiwilligen Vertrages entstanden sei, um bestimmte gesellschaftliche Probleme (Ressourcenknappheit; Verwaltung öffentlicher Anlagen zur Wasserbewirtschaftung) zentral zu lösen.
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[[#3.1 Moderne Orientierungslosigkeit und radikale Demokratie|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
 
Wie man sieht, versuchten schier unzählige Theorien auf die vielfältigen möglichen Faktoren, die bestimmenden Einfluss auf die Staatsentstehung haben konnten zu reagieren.
 
  
'''Verweise:'''<br />
 
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.5 Eroberungs- und Unterwerfungstheorie|[1] Siehe Kapitel 3.6.4.5]]<br />
 
  
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'''[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Orientierungslosigkeit_und_Demokratie#3.1 Moderne Orientierungslosigkeit und radikale Demokratie|Vorheriges Kapitel: 3.1 Moderne Orientierungslosigkeit und radikale Demokratie]]'''
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=3.2 Praktische und kommunikative Vernunft=
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<sup>verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest</sup>
  
== 3.6.4.7 Definition des frühen Staates ==
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In der modernen Prägung erscheint die '''praktische Vernunft als Ausdruck eines subjektiven Vermögens''' und nimmt damit eine zentrale Stellung in der Subjektphilosophie ein: Praktische Vernunft '''richtet sich auf das individualistische Glück''' und die moralisch vertretbare Autonomie der Einzelnen innerhalb der Rollen einer StaatsbürgerIn, Mitglieds der bürgerlichen Gesellschaft und WeltbürgerIn. In ihre Lebensgeschichte ist das einzelne Subjekt auf ähnliche Weise verstrickt wie die Staaten als Subjekte des Völkerrechts in die Geschichte der Nationen (Habermas 1992: 15).
  
Als minimale Definition des frühen Staats schlugen der holländische Ethnologe '''Henri Claessen''' und sein polnischer Kollege '''Peter Skalník''' folgendes vor: '''Der frühe Staat[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.1 "Early State"|[1]]]''' ist die Organisation für die Regulierung sozialer Beziehungen in einer Gesellschaft, die in mindestens zwei auftauchende soziale Klassen gespalten ist, nämlich Herrscher und Beherrschte (Claessen/ Skalník 1978). Die '''generellen Charakteristika des frühen Staats''' fassen die beiden Autoren in sieben Punkte zusammen:
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[[File:denkenksa-32_1.jpg|thumb|360x240px|right|Foto: Ein Träger, ein Maultiertreiber und zwei Schulkinder treffen sich am Weg nach Singati, Nepal 2008, Matthäus Rest]]
  
# Der frühe Staat verfügt über eine Anzahl an Menschen, die ausreicht, um '''soziale Kategorisierung und Spezialisierung''' zu ermöglichen.
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Die systemtheoretische Perspektive verzichtet auf jeden Anschluss an normative Gehalte der praktischen Vernunft. Bei Luhmann folgt die Autopoiesis (&quot;Sich-selbst-Herstellung&quot;) selbstbezüglich gesteuerter Systeme aus dieser Eliminierung der praktischen Vernunft. Damit ging der Zusammenhang von Ethik und Politik, von Vernunftrecht und Moraltheorie, von Geschichtsphilosophie und Gesellschaftstheorie verloren. Diesen Zusammenhalt können empiristische Ansätze und historische Rehabilitierungsversuche nicht wiederherstellen. Denn die geschichtlichen Prozesse lassen nur soviel Vernunft erkennen wie zuvor teleologisch vom Standpunkt eines geschichtsphilosophischen Paradigmas hineingelesen wurde. Weder aus der Geschichte noch aus der naturgeschichtlichen Konstitution des Menschen sind normativ gerichtete Imperative für eine vernünftige Lebensführung zu entnehmen. Das erklärt die Attraktivität des Dementis von Vernunft überhaupt in der Form einer fundamentalen Vernunftkritik oder in der Variante des sozialwissenschaftlichen Funktionalismus. '''Deshalb hat Habermas einen anderen Weg eingeschlagen und mit der Theorie des kommunikativen Handelns an die Stelle der praktischen Vernunft die kommunikative gesetzt.''' Zwischen praktischer Vernunft und gesellschaftlicher '''Praxis[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[1]]]''' besteht kein unmittelbarer Zusammenhang. Es gibt nicht ''die'' einzig richtige weil durch die praktische Vernunft normativ verbindliche politische und gesellschaftliche Ordnung. '''Wird die Vernunft''' aber '''konzeptuell in das sprachliche Medium verlegt, wie das die Theorie des kommunikativen Handelns unternimmt, wird sie von der ausschließlichen Bindung ans Moralische entlastet'''. Dieses Vernunftkonzept kann sowohl den deskriptiven Zwecken der Rekonstruktion vorgefundener Kompetenz- und Bewusstseinsstrukturen dienen als auch den Anschluss an funktionale Betrachtungsweisen und empirische Erklärungen finden. Denn es ist das sprachliche Medium, durch das sich Interaktionen vernetzen und Lebensformen strukturieren. Dadurch wird kommunikative Vernunft ermöglicht (ebd.: 15-18).
# Die Staatsangehörigkeit wird bestimmt durch '''Wohnsitz oder Geburt auf einem bestimmten Gebiet'''.
 
# Es gibt eine '''zentrale Regierung''', welche die Macht besitzt, Recht und Ordnung durch Autorität und (die Androhung von) Gewalt zu erhalten.
 
# Der Staat ist, zumindest de facto, '''unabhängig und verfügt über genügend Macht''', um Separatismus vorzubeugen, und über die Kapazität zur Verteidigung seiner Integrität gegen Bedrohungen von außen.
 
# Die Produktivität ist so weit entwickelt, dass ein '''regelmäßiger Überschuss zur Erhaltung der Staatsorganisation''' erwirtschaftet werden kann.
 
# Die Bevölkerung ist so weit sozial differenziert, dass '''soziale Klassen''' (Herrscher und Untertanen) unterschieden werden können.
 
# Es existiert eine '''allgemeine Ideologie''', auf der die Legitimität der herrschenden Schicht basiert.
 
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.1 "Early State"|[1] Siehe Kapitel 3.6.4.1]]<br />
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3 Praxis|[1] Siehe Kapitel 2.3]]<br />
  
  
== 3.6.4.8 Typen des frühen Staates ==
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'''[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Rationalitaet#3.3 Kommunikative Rationalität|Nächstes Kapitel: 3.3 Kommunikative Rationalität]]'''<br/>
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[[#3.2 Praktische und kommunikative Vernunft|&uarr; Nach oben]]<br/>
  
'''Claessen und Skalník''' (1978) unterschieden '''drei Typen''', denen sie jeweils bestimmte '''typische Merkmale'''zuschrieben:
 
  
# den '''beginnenden/unvollkommenen '''frühen Staat[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.1 "Early State"|[1]]]'''''' (inchoate early state),
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'''[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Vernunft#3.2 Praktische und kommunikative Vernunft|Vorheriges Kapitel: 3.2 Praktische und kommunikative Vernunft]]'''
# den '''typischen frühen Staat''' (typical early state) und
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=3.3 Kommunikative Rationalität=
# den '''frühen Staat in der Übergangsphase''' (transitional early state).
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<sup>verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest</sup>
  
Das Hauptaugenmerk ihrer Arbeit richteten Claessen und Skalník auf den Prozess der Entstehung (bzw. der frühen Entwicklung) des Staats. Sämtliche unterschiedlichen Ansätze lassen sich, so Claessen/ Skalník in zwei Kategorien zusammenfassen, gemäß denen der Staat entweder
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'''Die kommunikative Theorie des Handelns beruht auf der Grundannahme, dass diese Rationalität dem sprachlichen''' '''''telos''''' '''eingeschrieben ist.''' Sie bildet ein Ensemble zugleich ermöglichender und beschränkender Bedingungen. &quot;Wer immer sich einer natürlichen Sprache bedient, um sich mit einem Adressaten über etwas in der Welt zu verständigen, sieht sich genötigt, eine performative Einstellung einzunehmen und sich auf bestimmte Präsuppositionen (stillschweigende Voraussetzungen; etwas was dem '''Habitus[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.2 Habitus|[1]]]''' bei Bourdieu in mancher Hinsicht verwandt ist) einzulassen. Er muss unter anderem davon ausgehen, dass die Beteiligten ihre illokutionären Ziele (Anm.: Kommunikative Funktionen des Sprechaktes) ohne Vorbehalte verfolgen, ihr Einverständnis an die intersubjektive Anerkennung von kritisierbaren Geltungsansprüchen binden und die Bereitschaft zeigen, interaktionsfolgenrelevante Verbindlichkeiten, die sich aus einem Konsens ergeben, zu übernehmen. Was derart in die Geltungsbasis der Rede eingelassen ist, teilt sich auch den übers kommunikative Handeln reproduzierten Lebensformen mit. '''Die kommunikative Rationalität äußert sich in einem dezentrierten Zusammenhang transzendental ermöglichender, strukturbildender und imprägnierender Bedingungen, aber sie ist kein subjektives Vermögen, das den Aktoren sagen würde, was sie tun sollen'''&quot; (Habermas 1992: 18).
  
* auf '''sozialer Ungleichheit''' (social inequality) oder
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[[File:denkenksa-33_1.jpg|thumb|780x160px|right|Foto: Zwei SennerInnen unterhalten sich in Habkern, Schweiz 2007, Matthäus Rest ]]
* einer Art von '''&quot;sozialem Vertrag&quot;''' (social contract) beruht.
 
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6.4.1 "Early State"|[1] Siehe Kapitel 3.6.4.1]]<br />
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.2 Habitus|[1] Siehe Kapitel 2.3.2]]<br />
  
  
== 3.6.5 Moderner Staat und andere Formen politischer Organisation ==
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'''[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Faktizitaet#3.4 Faktizität und Geltung|Nächstes Kapitel: 3.4 Faktizität und Geltung]]'''<br/>
 
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'''Interessante Forschungsthemen ergeben sich dort, wo es zu einer Berührung, Überlappung und meistens konfrontativen Situation zwischen Staaten und in diesen befindlichen kleineren Einheiten politischer Gemeinwesen kommt.''' Forschungen zu Rechtspluralismus lassen sich folgerichtig als Untersuchungsthema ableiten. Es geht um Wechselwirkungen zwischen dem modernen Staat und anderen, einfacheren Formen politischer Organisation. Der moderne Staat wird oft als organische Zusammenfassung einer einigermaßen homogenen Gesellschaft durch ein einziges Führungssystem, einer sogenannten Zentralinstanz, gesehen, welche innerhalb eines bestimmten Territoriums jederzeit das Monopol physischer Gewaltanwendung als letztes Mittel zur Herstellung von (erzwungener) Gemeinsamkeit beansprucht. Solche Staaten, die klare Grenzen haben, kennen Recht und Krieg als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ordnung nach innen und außen. Aus dieser Konstellation ergeben sich zwangsläufig zahlreiche Konfliktfelder.
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[[#3.3 Kommunikative Rationalität|&uarr; Nach oben]]<br/>
  
[[File:debattenksa-59_1.jpg|400x533px|Der erschöpfte Staat, H. Mückler]]
 
  
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'''[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Rationalitaet#3.3 Kommunikative Rationalität|Vorheriges Kapitel: 3.3 Kommunikative Rationalität]]'''
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=3.4 Faktizität und Geltung=
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<sup>verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest</sup>
  
== 3.6.5.1 Koloniales Erbe ==
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Die Rationalität veständigungsorientierten Handelns wirkt nicht normativ, liefert keine verbindliche Orientierung des Handelns. '''Im Begriff der kommunikativen Vernunft findet sich bei Habermas keine Anleitung mehr zu einer normativen Theorie des Rechts und der Moral.''' Ihr kommt ein heuristischer Wert für die Rekonstruktion des Geflechts meinungsbildender und entscheidungsvorbereitender Diskurse zu, in das die rechtsförmig ausgeübte demokratische Herrschaft eingebettet ist. Die rechtsstaatlichen Kommunikationsformen der politischen Willensbildung, der Gesetzgebung und der richterlichen Entscheidungspraxis sind somit als ein prozessualer Bestandteil der Rationalisierung der Lebenswelten in modernen, unter dem Druck systemischer Imperative stehenden Gesellschaften zu lesen. In dieser theoretischen Rekonstruktionsweise liegt auch ein kritischer Maßstab, der die Praktiken einer unübersichtlichen Verfassungswirklichkeit beurteilbar machen könnte (Habermas 1992: 19-20).
  
'''In fast allen entkolonisierten ehemaligen Kolonialgebieten haben wir heute moderne nach westlichem Vorbild strukturierte (National-)Staaten mit teilweise unter äußerst fragwürdigen Bedingungen festgelegten Grenzziehungen''', und gleichzeitig eine unter Umständen extrem ethnisch heterogene Situation, die sich in der Existenz zahlreicher Subgruppen manifestiert, die eine nur rudimentäre Anbindung an die Zentralmacht wollen und haben. In den Themenbereichen und Schlagworten wie Tribalismus, Sezessionskriege, Abspaltung, Autonomie- und Unabhängigkeitsbestrebungen, Befreiungsbewegungen, Aufstände, Cargo-Kulte, Erweckungsbewegungen, usw. stecken die aus solchen Gemengelagen resultierenden '''Konflikt- und Problemfelder'''. Gerade die Erforschung der Kolonialzeit, der Dekolonisierung und der heutigen postkolonialen Entwicklungen, aber auch die Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe birgt ein riesiges Potential an Inhalten, bei denen das '''konflikthafte Miteinander-in- Wechselwirkung-treten[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Konflikthaftigkeit#3.2 Konflikthaftigkeit|[1]]]''' von modernen und einfacheren gesellschaftlichen und politischen Organisationsformen beobachtet werden kann. Die '''Kolonialismuskritik[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.3 Postkoloniale Studien|[2]]]''' steht damit in Verbindung.
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'''Am Spannungsverhältnis zwischen Faktizität und Geltung spalten sich Politik- und Rechtstheorie''', wobei sich die eine wissenschaftstheoretische Position den normativistischen (dem Sollen vor dem Sein den Vorrang gebenden) Ansätzen verbunden sieht, während die andere Seite den '''objektivistischen Ansätzen[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.2 Objektivismus|[1]]]''' verhaftet ist. '''Dagegen hilft nur ein Offenhalten für alle methodischen Standorte''' (Teilnehmer vs. Beobachter) und '''theoretischen Zielsetzungen''' (sinnverstehende Explikation und begriffliche Analyse vs. Beschreibung und empirische Erklärung), '''verschiedene Rollenperspektiven''' (Richter, Politiker, Gesetzgeber, Klient, Staatbürger) '''und forschungspragmatische Einstellungen''' (Hermeneutiker, Kritiker, Analytiker etc.). Unter funktionalen Gesichtpunkten lässt sich begründen, warum die Gestalt der prinzipiengeleiteten Moral auf das positive Recht angewiesen ist. Dem kann sich der diskurstheoretische Ansatz nicht entziehen. Die Theorie des kommunikativen Handelns ordnet dem Recht einen zentralen Stellenwert zu und bildet daher den geeigneten Kontext für eine Diskurstheorie des Rechts. Habermas entscheidet sich bei diesem Vorgehen für einen rekonstruktiven Ansatz, der die beiden Perspektiven der soziologischen Rechts- und der philosophischen Gerechtigkeitstheorie in sich aufnimmt. Denn die Theorie des kommunikativen Handelns nimmt die Spannung zwischen Faktizität und Geltung schon in ihre Grundbegriffe auf (ebd.: 21-22).
  
[[File:debattenksa-60_1.jpg|600x450px|Der herausgeforderte Staat, H. Mückler; Plakat von Rapa Nui-Demonstranten für mehr Autonomie und gegen die chilenische Regierung. ]]
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'''Daher bejaht sie den internen Zusammenhalt zwischen Gesellschaft und Vernunft''': die Beschränkungen und Zwänge, unter denen sich die Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens vollzieht, bleiben mit der Idee einer bewussten Lebensführung (wie auch immer) vermittelt. Wie allerdings lässt sich die Reproduktion der Gesellschaft auf so einem fragilen Boden wie dem transzendierender (von einem Bereich in den anderen übergehender) Geltungsansprüche erklären? Das (insbesondere positive) Recht bietet sich dafür an. Dessen Rechtsnormen ermöglichen nämlich hoch artifizielle Gemeinschaften von gleichen und freien Rechtsgenossen; deren Zusammenhalt beruht gleichermaßen auf der Androhung von Sanktionen wie auf der Unterstellung eines rational motivierten Einverständnisses. '''Sprache wird im Begriff des kommunikativen Handelns als ein universales Medium der Verkörperung von Vernunft begriffen.''' Mit ihrem verständigungsorientierten Gebrauch erfüllt sie die (illokutionäre) Funktion der Handlungskoordinierung. Durch diese theoretische Sicht zieht die Spannung zwischen Faktizität und Geltung in den Modus der Handlungskoordinierung ein und stellt somit hohe Anforderungen an die Aufrechterhaltung sozialer Ordnungen: &quot;Lebenswelt, naturwüchsige Institutionen und Recht müssen die Instabilitäten einer Vergesellschaftung auffangen, die sich über die Ja-/Nein- Stellungnahmen zu kritisierbaren Geltungsansprüchen vollzieht&quot; (ebd.: 23).
  
 
'''Verweise:'''<br />
 
'''Verweise:'''<br />
[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Konflikthaftigkeit#3.2 Konflikthaftigkeit|[1] Siehe Kapitel 3.2]]<br />
+
[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.1.2 Objektivismus|[1] Siehe Kapitel 2.3.1.2]]<br />
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.3 Postkoloniale Studien|[2] Siehe Kapitel 1.3.3]]<br />
 
  
  
== 3.6.5.2 Transnationalismus und Staat ==
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'''[[STEOP_-_Denkweisen-KSA#Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)|&crarr; Zurück zur Übersicht]]'''<br/>
 
 
Studien zu der '''Verbindung zwischen transnationalen Dynamiken''' haben innerhalb der Kultur- und Sozialanthropologie insbesondere zu einer sozialanthropologischen Erforschung von '''unterschiedlichen Formen von Staatlichkeit sowie der '''globalen Zirkulation von Personen, Ideen und Objekten[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|[1]]]''' geführt'''. Untersucht wird dabei beispielsweise, wie ökonomische, soziale, politische oder religiöse Ideen und Wissenskomplexe in unterschiedlichen Lokalitäten handlungswirksam werden können; wie z. B. Modelle einer staatlichen Ordnung zirkulieren, angeeignet und durchgesetzt werden, oder wie in Behörden, Schulen, Gerichten, aber auch im Alltagshandeln der Bürgerinnen und Bürger staatlich sanktionierte Rechte und Pflichten ausgehandelt werden. Thema ist dabei auch, wie Vergemeinschaftungsprozesse oder strategisches Handeln sozialer Gruppen über Staatsgrenzen hinweg neue Formen sozialer Organisation hervorbringen. In der '''globalisierten Welt[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[2]]]''' ist '''Staatlichkeit wesentlich durch transnationale Prozesse beeinflusst''', seien dies '''Migrationsbewegungen[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|[3]]]''', Rechtsexport oder wirtschaftliche Verkoppelungen. Insofern bilden die Elemente Transnationalismus und Staatlichkeit in ihrer wechselseitigen Verschränktheit einen zentralen Fokus bei der Betrachtung von Staat in seinen Wirkungen.
 
 
 
'''Verweise:'''<br />
 
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|[1] Siehe Kapitel 1.1]]<br />
 
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[2] Siehe Kapitel 1.2]]<br />
 
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|[3] Siehe Kapitel 2.5]]<br />
 
 
 
 
 
 
 
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Beispiele#3.7 Beispiele|Nächstes Kapitel: 3.7 Beispiele]]'''<br/>
 
 
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[[#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|&uarr; Nach oben]]<br/>
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[[#3.4 Faktizität und Geltung|&uarr; Nach oben]]<br/>
  
  
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Entstehung#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|Vorheriges Kapitel: 3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen]]'''
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'''[[Die_Diskurstheorie_von_Juergen_Habermas/Faktizitaet#3.4 Faktizität und Geltung|Vorheriges Kapitel: 3.4 Faktizität und Geltung]]'''
=3.7 Beispiele=
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=4 Bibliographie=
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
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<sup>verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest</sup>
  
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'''Bourdieu, Pierre'''
  
Im Buch ''Staat-Migration-Globalisierung'' (Hg: J. Dvorak u. H. Mückler; Wien 2011, Facultas Verlag) werden drei Beispiele angeführt, anhand derer exemplarisch detailliert unterschiedliche Formen früher Staatsbildung sowie die Wechselbeziehung zwischen modernen Staat und nichtsstaatlichen Strukturen erörtert werden. Es handelt sich dabei um die Industal-Kultur, den melanesischen &quot;Big-Man&quot; und die polynesische Ancestral Polynesian Society.
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1979. Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der Kabylischen Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  
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1983. Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
  
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1987. Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
  
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Bibliographie#3.8 Bibliographie|Nächstes Kapitel: 3.8 Bibliographie]]'''<br/>
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1992. Homo academicus. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
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[[#3.7 Beispiele|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
 
 
  
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Beispiele#3.7 Beispiele|Vorheriges Kapitel: 3.7 Beispiele]]'''
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'''Bonny Duala-M’bedy, Leopold-Joseph'''
=3.8 Bibliographie=
 
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>
 
  
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1997. Xenologie. Die Wissenschaft vom Fremden und die Verdrängung der Hunamität in der Anthropologie. Freiburg: Alber.
  
Carneiro, Robert Leonard (1970): A Theory of the Origin of the State. In: Science, Vol. 169, 21. August 1970, S. 733–738.
+
'''Derrida, Jacques'''
  
Claessen, Henri J. M./ Skalník, Peter (Hg.) (1978): The Early State. Studies in Social Sciences, Vol. 32, The Hague: Mouton Publishers.
+
1991. Gesetzeskraft. Der &quot;mystische Grund der Autorität&quot;. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
  
Dvorak, Johann/ Mückler, Hermann (Hg.) (2011): Staat-Migration- Globalisierung. Wien: Facultas Verlag.
+
'''Habermas, Jürgen'''
  
Engles, Friedrich (1884): Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. Hottingen-Zürich: Schweizerische Genossenschaft.
+
1985. Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1 u 2. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
  
Fortes, Meyer/Evans-Pritchard, Edward E. (1940): African Political Systems. Oxford: Oxford University Press.
+
1992. Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
  
Lewellen, Ted C. (1992): Political Anthropology: An Introduction. 2. Aufl. Westport: Bergin &amp; Garvy.
+
'''Honneth, Axel'''
  
Mair, Lucy (1962): Primitive Government. Harmondsworth: Penguin.
+
1985. Kritik der Macht. Reflexionsstufen einer kritischen Gesellschaftstheorie. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
  
Oppenheimer, Franz (1996): Der Staat. Original 1907; wiederveröffentlicht in: Franz Oppenheimer, Gesammelte Schriften, Band II, Politische Schriften, Berlin: Akademie Verlag, S. 309-385.
+
'''Luhmann, Niklas'''
  
Stagl, Justin (1998): Politikethnologie. In: Fischer, Hans (Hg.): Ethnologie. Einführung und Überblick. Berlin: Dietrich Reimer.
+
1992. Beobachtungen der Moderne. Opladen: Westdeutscher Verlag
  
Weggel, Oskar (1990): Indochina – Vietnam, Kambodscha, Laos. München: Beck’sche Reihe.
+
'''Schäffter, Ortfried'''
  
Wittfogel, Karl August (1977): Die orientalische Despotie. Eine vergleichende Untersuchung totaler Macht. Frankfurt/Main: Ullstein.
+
1991. Modi des Fremderlebens. Deutungsmuster im Umgang mit Fremdheit, 7–28. In: Ortfried Schäffter (Hg.), Das Fremde. Erfahrungsmöglichkeiten zwischen Faszination und Bedrohung. Opladen: Westdeutscher Verlag.
  
  
'''[[STEOP_-_Aktuelle_Debatten_-_Staat_Migration_Globalisierung#Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie|&crarr; Zurück zur Übersicht]]'''<br/>
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'''[[STEOP_-_Denkweisen-KSA#Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)|&crarr; Zurück zur Übersicht]]'''<br/>
 
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[[#3.8 Bibliographie|&uarr; Nach oben]]<br/>
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[[#4 Bibliographie|&uarr; Nach oben]]<br/>
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Latest revision as of 20:16, 28 September 2020

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Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)

verfasst von Werner Zips und Matthäus Rest

Die hier vorliegende Lernunterlage dient zur Unterstützung der Vorlesung: "Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen" von Ao. Univ.-Prof. DDr. Werner Zips. Sie fokussiert auf drei Fragestellungen, die zentral für einen sozialanthropologischen Zugang zu Sozialwissenschaften sind:

  • Wer sind die Anderen? Wer sind wir?
  • Wie werden wir, was wir sind?
  • Wie können wir zu einer Sprache finden, die unsere GesprächspartnerInnen nicht unterdrückt?

Auf die erste Frage antwortet Ortfried Schäffter mit seinen Modi des Fremdverstehens, für die zweite gibt uns Pierre Bourdieu mit seiner Praxeologie sehr brauchbare Werkzeuge in die Hand und die dritte hat Jürgen Habermas zu seiner spezifischen Form der Diskurstheorie inspiriert. Diese drei Ansätze werden in dieser Lernunterlage kurz dargestellt.


Kapitel dieser Lernunterlage

1 Das Fremde verstehen
2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus
3 Die Diskurstheorie von Jürgen Habermas
4 Bibliographie


Kapitelübersicht


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