Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie

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Contents

Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie

Verfasst von Gertraud Seiser und Elke Mader, Universität Wien OEKU-Online: Finanziert durch den Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank (Projekt 10707, Jubiläumsfonds).

In verschiedenen Projekten, an denen das Institut für Kultur- und Sozialanthropologie beteiligt war, entstanden 2005 und 2006 hypermediale Lehr- und Lernunterlagen, die online genutzt werden können. 2019 und 2020 wurden diese von Marlies Madzar und Clemens Schmid in ein aktuelles Wikiformat überführt. Für Anregungen, Hinweise und Kommentare, schreiben Sie bitte ein Mail an eksa(at)univie.ac.at

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Die aktuellen Modelle und Ansätze der Ökonomischen Anthropologie speisen sich aus zwei Quellen:

  • den Wirtschaftswissenschaften und
  • der Sozial- und Kulturanthropologie


Kapitelübersicht

Theogrundlagen 4.gif

1 Vorläufer

1.1 Merkantilismus
1.2 Physiokratie
1.3 Klassische ökonomische Theorie
1.3.1 Historischer Kontext
1.3.2 Adam Smith
1.3.2.1 Wert bei Adam Smith
1.3.2.2 Smith's moralische Ableitung des Marktprinzips
1.3.3 David Ricardo
1.3.4 Bibliographie und weiterführende Literatur

2 Marxismus, historischer Materialismus, Evolutionismus

2.1 Karl Marx
2.1.1 Historischer Kontext
2.1.2 Zum Gesamtwerk von Marx und Engels
2.1.2.1 Die Werttheorie von Karl Marx
2.1.2.1.1 Güter und Waren
2.1.2.1.2 Warenproduktion
2.1.2.1.3 Gebrauchswert und Tauschwert
2.1.2.1.4 Gebrauchswert und Tauschwert der Ware Arbeitskraft
2.1.2.1.5 Mehrwert und Kapital
2.1.2.1.6 Wert einer Ware bei Marx
2.1.2.1.7 Mehrwertproduktion im Kapitalismus
2.1.2.2 Arbeitsprozess und Produktionsprozess
2.1.2.3 Sozioökonomische Formationen: Begriffe
2.1.2.3.1 Produktivkräfte
2.1.2.3.2 Produktionsverhältnisse
2.1.2.3.3 Produktionsweisen
2.1.2.3.4 Sozioökonomische Formationen als historische Abfolge von Produktionsweisen
2.1.2.3.4.1 Kritik, Weiterentwicklung
2.2 Evolutionismus
2.2.1 Grundgedanken des unilinearen Evolutionismus
2.2.2 Lewis H. Morgans "Urgesellschaft"
2.2.3 Kritik am Evolutionismus
2.3 Marxismus und Ethnologie: Wechselverhältnis in vier Phasen
2.4 Bibliographie und weiterführende Literatur

3 Neoklassik oder Rational Choice

3.1 Raymond Firth
3.1.1 Allgemeine Gesetzmäßigkeiten und spezifische ökonomische Systeme bei Firth
3.2 Melville J. Herskovits
3.3 Späte 1950er bis frühe 1970er Jahre: Der große Streit
3.3.1 Der Angriff der Substantivisten
3.3.2 Die Reaktion der Formalisten
3.3.3 Kritik an den Formalisten
3.3.3.1 Kritik am homo oeconomicus aus nicht-formalistischer Perspektive
3.3.3.2 Revisionen der formalistischen Theorie: Ian Prattis und sein strategising man
3.4 Bibliographie und weiterführende Literatur

4 Institutionalismus und Substantivismus

4.1 Vordenker
4.1.1 Émile Durkheim
4.1.1.1 Anti-Utilitarismus: Soziale und ökonomische Solidarität
4.1.1.2 Von der sozialen Teilung der Arbeit
4.1.1.3 Anti-Individualismus und Kollektive Repräsentationen
4.1.1.4 Wert, Gesellschaft, Symbol
4.1.1.5 Kontrollierte Bedürfnisse, kontrollierte Ökonomie
4.1.1.6 Typologischer Evolutionismus: Organische und mechanische Solidarität
4.1.2 Max Weber
4.1.2.1 Kultur und Wert
4.1.2.2 Wirtschaft, Werte, Religion: "Die protestantische Ethik und der "Geist" des Kapitalismus"
4.1.2.3 Form und "Geist" des Kapitalismus
4.1.2.4 Wirkungsweisen und geistige Ursachen des Kapitalismus
4.1.2.5 Askese und wirtschaftliches Handeln
4.1.2.6 Berufsidee und Gnadenwahllehre
4.1.2.7 Zeit ist Geld
4.1.2.8 Geistige und materielle Grundlagen des Kapitalismus
4.1.2.9 Ökonomie und Weltbild
4.1.3 Weber und Durkheim
4.1.3.1 Religiöse Weltbilder und die "Entzauberung der Welt"
4.1.4 Bibliographie und weiterführende Literatur
4.2 Frühe VertreterInnen
4.2.1 Richard Thurnwald
4.2.2 Tausch und Gabe: Frühe Beiträge zur ökonomischen Anthropologie
4.2.2.1 Bronislaw Malinowski
4.2.2.1.1 Funktionalismus und Ökonomie
4.2.2.1.2 Kula
4.2.2.1.2.1 Kula-Objekte und Tauschbeziehungen
4.2.2.1.2.2 Andere Tausch-Objekte
4.2.2.1.2.3 Von Person zu Person, von Insel zu Insel
4.2.2.1.2.4 Ruhm, Macht und Reichtum
4.2.2.1.2.5 Ökonomie, Gesellschaft, Symbol
4.2.2.1.2.6 Kula, Reziprozität und "primitive" Ökonomie
4.2.2.2 Marcel Mauss
4.2.2.2.1 Die Gabe
4.2.2.2.1.1 Reziprozitäts- und Tauschprinzip
4.2.2.2.1.2 Ökonomie und Philosophie der Gabe
4.2.2.3 Mauss und Malinowski
4.2.3 Bibliographie und weiterführende Literatur
4.3 Substantivisten
4.3.1 Karl Polanyi
4.3.1.1 The Great Transformation
4.3.1.2 Wirtschaftstypen nach Polanyi
4.3.1.2.1 Prinzip der Reziprozität
4.3.1.2.2 Prinzip der Redistribution
4.3.1.2.3 Prinzip der Haushaltung
4.3.1.2.4 Marktprinzip
4.3.1.3 Polanyi und die Zerstörung der Gesellschaft durch den Markt
4.3.1.4 Grundlagen des selbst regulierenden Marktes: Arbeit, Boden und Geld
4.3.1.5 Formen des Handels nach Polanyi
4.3.2 George Dalton
4.3.3 Marshall Sahlins
4.3.3.1 Beispiel Tausch
4.3.3.1.1 Formen der Reziprozität nach Sahlins
4.3.3.1.2 Reziprozität und soziale Entfernung nach Sahlins
4.3.3.1.3 Kritik an Sahlins' Modell der abnehmenden generalisierten Reziprozität
4.3.3.2 Beispiel: The original affluent society
4.3.3.2.1 Mobilität und Besitz: die !Kung San
4.3.3.2.2 Sahlins Conclusion
4.3.3.2.3 Armut, Mangel und einfache Bedürfnisse
4.3.3.3 Beispiel: Domestic Mode of Production
4.3.4 Bibliographie und weiterführende Literatur

5 Neomarxismus

5.1 Neomarxismus in Frankreich und in den USA: ein Vergleich
5.2 Französische VertreterInnen
5.2.1 Claude Meillassoux
5.2.1.1 Verwandtschaft als Teil der Produktionsverhältnisse
5.2.1.2 Reproduktion und die Entstehung von Ungleichheit
5.2.1.3 Reproduktion und die fortgesetzte "ursprüngliche Akkumulation"
5.2.2 Maurice Godelier
5.2.2.1 Die Produktion der Großen Männer
5.2.2.1.1 Die Herrschaft der Männer über die Frauen bei den Baruya
5.2.2.1.2 Die Ursachen der Ungleichheit
5.2.2.1.3 Zur Beteiligung der Frauen an der Herrschaft der Männer
5.2.2.2 Marx, Durkheim und Lévi-Strauss bei Godelier
5.2.3 Emmanuel Terray
5.2.3.1 Terrays Operationalisierung des Produktionsweisenkonzeptes
5.3 VertreterInnen in den USA
5.3.1 Eric Wolf
5.3.1.1 "Die Völker ohne Geschichte" Kulturelle Verflechtungen und Politische Ökonomie
5.3.1.1.1 Produktionsweisen und Kulturen in Interaktion
5.3.1.1.2 Menschen und Ökonomien im weltweiten "Geflecht von Zusammenhängen"
5.3.1.1.2.1 Silberökonomie und Hacienda
5.3.1.1.2.2 Handelsplätze und Plantagen
5.3.1.1.2.3 Sklavenhandel und Weltmarkt
5.3.1.1.2.3.1 Sklavenschiff
5.3.1.1.2.3.1.1 Sklavenschiff als künstlerische Installation
5.3.1.1.2.4 Warenströme
5.3.1.1.2.4.1 Biberhüte und Robbenmäntel: Der Pelzhandel in Nordamerika
5.3.1.1.2.4.2 Opium gegen Tee
5.3.1.1.2.4.3 Der Kautschukboom im Amazonasgebiet
5.3.1.1.2.4.4 Kautschukgewinnung bei den Mundurucú (Brasilien)
5.3.2 Sidney Mintz
5.3.2.1 Süße Macht: Sidney Mintz und die Geschichte des Zuckers
5.3.2.1.1 Die Süße und der Konsum von Zucker
5.3.2.1.2 Bedeutung und Politische Ökonomie des Zuckers
5.3.2.1.3 Zucker und Sklaverei
5.3.2.1.4 Zucker, Konsum und Macht
5.3.3 Sidney Mintz und Eric Wolf: Verflechtungen, Politische Ökonomie und Konstruktion von Bedeutung
5.3.4 Immanuel Wallerstein: Weltsystemtheorie und Dependenz
5.3.4.1 Die Welt als System
5.3.4.2 Zentrum und Peripherie
5.3.5 Ökonomische und kulturelle Verflechtungen: Weltsystem, Globalisierung und Diversität
5.4 Bibliographie und weiterführende Literatur


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  • USA: stark historisch orientiert


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5.2 Französische VertreterInnen

Verfasst von Gertraud Seiser und Elke Mader

Die marxistisch orientierte Gruppe in Frankreich, zu der mit Ausnahme von Maurice Godelier vor allem Afrikaspezialisten gehören, wird aufgrund des 'starken Einflusses des Strukturalismus'* auch als Structural Marxists'*' (Robotham 2005: 42f; Wilk 1996: 86) bezeichnet.

Das Spezifische dieser Gruppe besteht in der Kombination von traditioneller ethnographischer Empirie mit einer "self-consciously theoretical Orientation" (Robotham 2005: 43). Robotham weist auch darauf hin, dass vorher die theoretischen marxistischen Konzepte dazu tendiert hätten, anthropologische Erkenntnisse zu ignorieren. Vor Beginn der 1960er Jahre versuchte man die ethnographischen Fakten in vorgefertigte theoretische Schemen zu pressen. Anthropologen wie Claude Meillassoux, Maurice Godelier, Emmanuel Terray, Pierre-Phillip Rey, Georges Dupré oder Marc Augé sehen die Feldforschung als notwendigen Ausgangspunkt für Theorienbildung. Sie legen daher auch feinkörnige und detailreiche ethnographische Beschreibungen der ökonomischen, sozialen und politischen Beziehungen der von ihnen untersuchten Gesellschaften vor. "On this basis, they approached theory as a construct that should respect and be supported by the data" (Robotham 2005: 43).

Inhalt

5.2.1 Claude Meillassoux

Claude Meillassoux (1925 -- 2005)

Relevante Werke:

1964: Anthropologie économique des Gouro de Côte d'Ivoire

1975: Femmes, greniers et capitaux

Claude Meillassoux wird als Begründer der Ökonomischen Anthropologie in Frankreich bezeichnet (vgl. Copans 2005: 1). Er studierte zuerst in den USA Ökonomie, dann bei Georges Balandier in Paris, welcher eine gegenwartsbezogene, problemorientierte Afrikaforschung initiierte. Balandier gründete 1958 das Centre d'études africaines (CEA), aus dem eine Reihe links orientierter Ethnologen hervor gegangen sind (Petermann 2004: 831).

Was Claude Meillassoux zeitlebens auszeichnete, ist die enge Verbindung von Empirie, marxistisch inspirierter theoretischer Analyse und politischem Engagement (Schlemmer 2004; Copans 2005).

Meillassoux geht davon aus, dass die Konzepte von Marx über Ausbeutung, Ideologie und Macht gleichermaßen dazu verwendet werden können, staatenlose Gesellschaften und Gesellschaften ohne elaborierte politische Hierarchien zu verstehen. Er argumentiert, dass Verwandtschaft Teil der politischen Ökonomie ist und dass auch in egalitären Gesellschaften und Haushalten es Gruppen gibt, die andere ausbeuten. Die "traditionelle" Ideologie und der Symbolismus, den die Anthropologen so lieben, dienen tatsächlich zu nichts anderem, als diese Ausbeutung zu verstecken und zu rechtfertigen.

Meillassoux im WWW:

https://web.archive.org/web/20051127024807/http://www.alencontre.org/page/France/MeillassouxHommage.htm [1]

https://web.archive.org/web/20060211102345/http://www.alencontre.org/page/print/MeillassouxHommage.htm [2]

https://web.archive.org/web/20051013061642/http://etudesafricaines.revues.org/document4887.html [3]

Verweise:

[1] https://web.archive.org/web/20051127024807/http://www.alencontre.org/page/France/MeillassouxHommage.htm
[2] https://web.archive.org/web/20060211102345/http://www.alencontre.org/page/print/MeillassouxHommage.htm
[3] https://web.archive.org/web/20051013061642/http://etudesafricaines.revues.org/document4887.html


5.2.1.1 Verwandtschaft als Teil der Produktionsverhältnisse


Auf Basis seiner Feldforschung bei den Gouro an der Elfenbeinküste (Cote d'Ivoire) stellt Meillassoux fest, dass Verwandtschaft eng mit den Produktions- und Distributionsverhältnissen verknüpft ist. Jagd, Viehzucht, Ackerbau für den eigenen Verbrauch, aber auch der Anbau von Cash-Crops sind entlang der Verwandtschaft organisiert.

Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Lineage entscheidet über den Zugang zum wichtigsten Produktionsmittel Land. Ähnlich ist es im Bereich der Zirkulation der wesentlichen Güter, wie sie z.B. über den Brautpreis erfolgen. Meillassoux schließt daraus, dass Verwandtschaft keineswegs Teil des "Überbaus" ist, sondern das wesentliche Produktionsverhältnis in der klassenlosen Gesellschaft der Gouro.

Meillassoux definiert eine häusliche Produktionsweise (*domestic mode of production*), in der die älteren Männer die jüngeren Männer und die Frauen ausbeuten, in dem sie die Kontrolle über deren Arbeitskraft ausüben. Ältere Männer steuern über das Verwandtschaftssystem die Heiraten der Töchter und Söhne, deren Brautpreis oder Mitgift.

Während in der kapitalistischen Produktionsweise die Abschöpfung von Mehrwert über das Eigentum an Produktionsmittel erfolgt, sind in der häuslichen Produktionsweise die Abschöpfung von Mehrarbeit und Mehrprodukt in der Kontrolle von Menschen begründet. Die Ältesten entscheiden, wer wen heiratet, zu welcher Lineage die Kinder gehören und wer ein Stück Land zur Bearbeitung erhält. Der ökonomische Surplus wird über Gebräuche und Familienverbindungen gesteuert und nicht über Löhne oder Tribute.

Für Meillassoux und Godelier ist Verwandtschaft jedenfalls ein Machtsystem, über das Arbeit organisiert und die Produkte von Arbeit gesteuert werden.

  • Auf einer Hochzeit in Ghana. Foto: Ulrike Davis-Sulikowski
  • Auf einer Hochzeit in Ghana. Foto: Ulrike Davis-Sulikowski


5.2.1.2 Reproduktion und die Entstehung von Ungleichheit


"Cash and Carry Ventures", Ghana. Foto: Ulrike Davis-Sulikowski

In den "Wilden Früchten der Frauen" (1978) arbeitet Meillassoux im ersten Teil heraus, wie Produktion und Reproduktion in verschiedenen Wirtschaftsweisen organisiert sind, insbesondere die Spezifika der Haushaltswirtschaft in Getreidebaugesellschaften. Diese Produktionsform zieht ihre Stabilität aus der Fähigkeit, die Hausgemeinschaft über Generationen hinweg auf einer ständigen Kreditbasis zu reproduzieren.

Die Rhythmen des Jahreszyklusses bedingen das Anlegen von Vorräten, die reinvestiert werden müssen, um ein Mehrprodukt zu erringen. Dies bindet die Individuen aneinander. Es macht Sinn, bis zur Ernte zusammen zu bleiben und wegen des Saatguts bis zur nächsten Aussaat.

In dieser Sicht ist der landwirtschaftliche Zyklus von einer immer wieder erneuerten Zirkulation von Vorschüssen und Rückzahlungen des Produkts zwischen den produzierenden Gruppen der aufeinander folgenden Jahreszeiten begleitet: Die Gesamtheit der Arbeiter einer Saison schießt denen der folgenden Saison Nahrung und Saatgut vor" (Meillassoux 1978: 55).

Im Laufe der Zeit erfolgt ein Wechsel der Generationen, die Alten schießen den Jungen Saatgut vor, sie speichern das Produkt, während die Jungen die Aussaat besorgen und somit die Arbeit leisten. In der Hausgemeinschaft, die so aus dem Ackerbau entstand, sind die Hierarchisierung der Gesellschaft und das dauerhafte Zusammenleben in einer Haushaltsgemeinschaft angelegt. Die Hierarchisierung ergibt sich daraus, dass die Alten den Jungen immer etwas vorschießen.

Dies entspricht auch der Mauss'schen[1] Logik der Gabe, die davon ausgeht, dass das Geschenk, die Gabe, immer eine Schuld begründet, die den Nehmenden in eine untergeordnete Position gegenüber den Gebenden setzt.

Meillassoux sieht in den internen Dynamiken, die den Produktions- und vor allem den Reproduktionsverhältnissen der Hauswirtschaften im Ackerbau inhärent sind, das Potenzial für deren Ausbeutbarkeit angelegt. Durch die Notwendigkeit, über das Jahr und über die Generationen hinweg Vorräte zu erwirtschaften, die zur Risikominimierung das Niveau des unbedingt Nötigen überschreiten müssen, wird Mehrarbeit zur Selbstverständlichkeit und zur Quelle von Mehrprodukt, das abschöpfbar ist.

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 4.2.2.2


5.2.1.3 Reproduktion und die fortgesetzte "ursprüngliche Akkumulation"


"Everything is step by step", Ghana. Foto: Ulrike Davis-Sulikowski

Im zweiten Teil der 'Wilden Früchte der Frauen' überprüft Meillassoux die Theorien des Lohns und der ursprünglichen Akkumulation (Meillassoux 1978: 113ff).

Die Phase der ursprünglichen Akkumulation wurde von Karl Marx als Übergangsphase aufgefasst, in der es im Bereich der kapitalistischen Produktionsweise zu einem besonders raschen Anwachsen des Kapitals gekommen ist. Durch den ständigen Zustrom von Arbeitskräften aus den nicht kapitalisierten Bereichen konnten die Löhne unter den gesamten Reproduktionskosten der Arbeitskraft[1] gehalten werden.

Für die von diesen Prozessen betroffenen Menschen[2] bedeutete dies Verelendung, Enteignung, Migrationsdruck, Migration in rasch wachsende Städte, entfremdete Arbeit unter meist katastrophalen Bedingungen, Slumbildung.

Zumindest die Produktion der Arbeitskraft als solche erfolgte im vorkapitalistischen Sektor. Diese Phase der ursprünglichen Akkumulation wurde als Übergangszeit theoretisiert, die mit der vollständigen Durchkapitalisierung abgeschlossen sein würde.

Meillassoux (1978:116f) weist nun darauf hin, dass der Bereich der bäuerlichen Hauswirtschaften keineswegs zur Gänze dem kapitalistischen Sektor unterworfen ist und auch hinreichend viel Spielraum erhält, um selbst reproduktionsfähig zu sein. Bäuerliche Gesellschaften bleiben qualitativ von der kapitalistischen Produktionsweise verschieden, aber:

die allgemeinen Bedingungen der Reproduktion des sozialen Ganzen dagegen hängen nicht mehr von den der häuslichen Produktionsweise innewohnenden Determinanten ab, sondern von im kapitalistischen Sektor getroffenen Entscheidungen. Durch diesen im Wesen widersprüchlichen Prozess wird die häusliche Produktionsweise sowohl erhalten wie zerstört: Erhalten als soziale Organisationsform, die für den Imperialismus Wert produziert; zerstört, da die Ausbeutung sie allmählich ihrer Reproduktionsmittel beraubt" (Meillassoux 1978: 116).

Durch die mehr oder weniger künstliche Aufrechterhaltung eines nicht vollständig durchkapitalisierten Sektors lässt sich die ursprüngliche Akkumulation in ein permanentes Ausbeutungsverhältnis umwandeln, insofern als es Regionen und gesellschaftliche Bereiche gibt, die Arbeitskräfte außerhalb der Zirkulationssphäre der reinen Warenwirtschaft produzieren und reproduzieren.

Meillassoux bezieht dieses Phänomen insbesondere auf Rotationswanderungen, wie sie beispielsweise durch das südafrikanische Apartheidsystem erzwungen wurden. In den Homelands wurde die häusliche Produktionsweise künstlich aufrechterhalten, um den Minenarbeitern nicht die vollen Reproduktionskosten bezahlen zu müssen (Meillassoux 1978: 135ff).

Regionen, in denen Subsistenzwirtschaft zumindest zum Teil beibehalten wird, dienen als Arbeitskraftreserven für die Industriegebiete. Ein klassischer Indikator für die Existenz und damit die Ausbeutung solcher nicht zur Gänze durchkapitalisierter Bereiche ist ein "doppelter" Arbeitsmarkt. Damit sind Berufssparten gemeint, in denen deutlich niedrigere Löhne ausbezahlt werden und in die bestimmte Bevölkerungsgruppen gezwungen werden.

Meillassoux hat sich damit als einer der ersten Anthropologen mit Fragen der Arbeitsmigration und dem Verhältnis zwischen kapitalistischer und häuslicher Produktionsweise befasst. Die häusliche Produktionsweise geht durch die kapitalistische Produktionsweise nicht unter, sondern liefert beständig billige Arbeitskräfte nach.

Trotz Kritik in vielen Teilbereichen wurde diese Arbeit von Meillassoux sowohl in der feministischen Anthropologie als auch in der Migrationsforschung und in der ökonomischen Anthropologie rezipiert und weiter entwickelt.

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 2.1.2.1
[2] Siehe Kapitel 2.1.1


5.2.2 Maurice Godelier

Maurice Godelier (geb. 1934)

Relevante Werke:

1982: La production des Grands Hommes

1984: L'idéel et le matériel

Maurice Godelier studierte zuerst Philosophie, interessierte sich dann für Ökonomie und kam durch Claude Lévi-Strauss zur Sozialanthropologie. Als Schüler des marxistischen Philosophen Louis Althusser und durch den Einfluss von Lévi-Strauss ist er stark strukturalistisch geprägt. Zwischen 1966 und 1988 führte Maurice Godelier mehrere Feldforschungen bei den Baruya im Hochland Papua-Neuguineas durch. Auf dieser ethnographischen Basis aufbauend beschäftigte er sich mit dem Verhältnis zwischen Ökonomie und Sozialstruktur, mit der Entstehung politischer Macht und der Bedeutung von ideellen Konstrukten.

Über die intensive Beschäftigung mit klassenlosen Gesellschaften wie den Baruya kommt er zum Schluss, dass soziale Ungleichheit auch über das Verwandtschaftsverhältnis und die Ideologie hergestellt werden kann. Diese werden zum Produktionsverhältnis, das Alte und Junge, Männer und Frauen von einander trennt. Insbesondere die Frauen werden mit ideologischen Konstruktionen ihrer Produktionsmittel beraubt.

Es gibt nämlich keine Beziehung zwischen ökonomischer und politischer Macht in dieser klassenlosen Gesellschaft. Manche Baruyamänner werden zwar über den Salzhandel, den Gartenbau und die Jagd reich, sie können aber diesen Reichtum nicht in Macht verwandeln und Chefs werden. Politische Macht entsteht ausschließlich durch Erfolg in der Kriegsführung, durch die Kontrolle über Magie und Ritual und in erster Linie durch die Manipulation von Verwandtschaft. Verwandtschaft ist die wahre Basis aller Machtdifferenzen in der Baruyagesellschaft. Verwandtschaft ist in einer Ideologie verankert, welche die Macht den Männern auf Basis ihrer Kontrolle über die Fruchtbarkeit der Frauen zuordnet.

Godelier im WWW:

https://de.wikipedia.org/wiki/Maurice_Godelier [2]

https://web.archive.org/web/20051226022937/http://www.virginia.edu/anthropology/events/godelier-bio.html [3]

https://web.archive.org/web/20050909002410/http://www.soc.hawaii.edu/asao/pacific/honoraryf/godelier.htm [4]

Verweise:

[1] https://web.archive.org/web/20050216115222/http://europa.eu.int/comm/research/rtdinfo/37/article_61_en.html
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Maurice_Godelier
[3] https://web.archive.org/web/20051226022937/http://www.virginia.edu/anthropology/events/godelier-bio.html
[4] https://web.archive.org/web/20050909002410/http://www.soc.hawaii.edu/asao/pacific/honoraryf/godelier.htm


5.2.2.1 Die Produktion der Großen Männer


"Großer Mann" der Baruya, Godelier 1986, Abb. 18.

Die Baruya, ein etwa 2000 Menschen zählender Stamm im Hochgebirge Papua-Neuguineas, kamen 1951 erstmals mit Weißen "physisch" in Berührung, waren aber bereits ein Jahrzehnt früher von deren materiellen Gütern wie Stahläxte und Macheten ökonomisch abhängig. 1960 fielen sie unter australische Kolonialverwaltung.

Godelier, der ab 1966 immer wieder lange und umfangreiche Feldforschungen bei ihnen durchführte, fasst sein Material 1982 unter dem Titel Die Produktion der Großen Männer'*'. Macht und männliche Vorherrschaft bei den Baruya in Neuguinea'*' zusammen. Es geht ihm dabei explizit um die Analyse der Mechanismen und Vorstellungen, die in dieser klassenlosen und bis 1960 staatenlosen Gesellschaft die männliche Herrschaft organisieren und legitimieren. Denn ohne Führungsklasse zu sein bedeutet nicht, dass es auch keine Ungleichheiten gibt:

Ein Teil der Gesellschaft, die Männer, lenkte den anderen, die Frauen; sie regierten die Gesellschaft zwar nicht ohne die Frauen, aber gegen sie. Damit kommt der Fall der Baruya, einer klassenlosen Gesellschaft, zu all denen hinzu, die bereits deutlich davon zeugen, daß die Ungleichheit unter den Geschlechtern, die Unterordnung, Unterdrückung, ja Ausbeutung der Frauen gesellschaftliche Realitäten sind, die nicht erst mit dem Auftauchen der Klassen entstanden, sondern schon vorher existierten, auch wenn sich die Herrschaft der Männer mit den tausend Formen der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, die den unseren vorausgingen, auf tausenderlei Arten gefestigt und erneuert hat." (Godelier 1987: 10)

Auch unter den Männern sind nicht alle gleich. Obwohl es keine soziale Klasse gibt, die sich über eine andere erhebt, existieren doch eine Anzahl von Funktionen, verdient oder ererbt, die Große Männer hervorbringen.

"Die Produktion »Großer Männer« ist somit die unerläßliche Ergänzung und Krönung der männlichen Herrschaft" (Godelier 1987: 11) und Godelier's zentrale Fragestellung.


5.2.2.1.1 Die Herrschaft der Männer über die Frauen bei den Baruya


Die Baruya leben in zwei Hochtälern im östlichen Hochland Neuguineas zwischen 1600 und 2300 Meter Seehöhe auf etwa 17 Dörfer verteilt. Es gibt keinen Häuptling, sondern 15 Clans, die wiederum in Lineages und diese in Segmente unterteilt sind. Die soziale Organisation der Clans und Untergruppen ist patrilinear und patrilokal.

Die wesentlichen Produktionszweige sind Brandrodungsfeldbau und der Anbau von Süßkartoffeln in dauerhaften Gärten, sowie die Schweinezucht. Ergänzend kommen Jagd- und Sammelwirtschaft hinzu, die von hohem zeremoniellen Wert aber geringem Subsistenzwert sind. Große ökonomische Bedeutung hatte bis in die 1960er Jahre die Salzproduktion aus einer Trockengrassorte, da Salz bei den Nachbarstämmen gegen Stein- und später Stahläxte und Macheten eingetauscht wurde.

Alle Tätigkeiten unterliegen einer strengen gesellschaftlichen Arbeitsteilung und sind einem bestimmten Geschlecht oder einer Altersgruppe zugewiesen. Nur die Salzproduktion bildet ein spezialisiertes Handwerk, das auf technischen und magischen Geheimnissen beruht und ausschließlich von eigens dafür ausgebildeten Männern durchgeführt wird. Grund und Boden ist im Besitz einer männlichen Abstammungsgruppe und kann von Frauen niemals ge- oder vererbt werden. Insgesamt sind Frauen vom Zugang zu den wichtigsten Produktionsmitteln (Grund und Boden, die Herstellung von und Kontrolle über Werkzeuge) und Destruktionsmitteln (Waffen), sowie von der Salzproduktion kategorisch ausgeschlossen.

Die Unterordnung der Frauen ist in der räumlichen Anordnung der Dörfer, in den Begegnungen, Gesten und Verhaltensnormen zwischen den Geschlechtern tagtäglich sichtbar und präsent. Die an den Hängen gelegenen Dörfer haben im höchst gelegenen Teil einen Bereich mit einem oder mehreren Männerhäusern, der ausschließlich Knaben und Männern vorbehalten ist. Im mittleren Teil leben die Familien und im unteren Teil des Dorfes befinden sich Gestrüpp und Laubverschläge. Dorthin ziehen sich die Frauen zum menstruieren und gebären zurück. Der Bereich der Frauen gilt bei den Männern als unrein und Ekel erregend. Begegnen sich Männer und Frauen am Weg, so haben die Frauen stehen zu bleiben, auszuweichen, sich weg zu drehen und das Gesicht zu bedecken, während die Männer vorbeigehen, als wäre da niemand.

Godelier fragt sich nun, worauf diese offensichtliche Herrschaft der Männer über die Frauen begründet ist.

An der Arbeitsteilung kann es nicht liegen, weil diese die Unterordnung der Frauen unter die Männer bereits voraussetzt. Die Tätigkeiten der Frauen werden systematisch abgewertet. Es sind ihnen nur die mühsamen, eintönigen, sich täglich wiederholenden Arbeiten erlaubt. Frauen ist es verboten - und zwar zum Teil unter Androhung der Todesstrafe - Wissen und Kenntnisse über die hoch bewerteten Männerarbeiten zu erwerben.

Frauen verrichten fast die gesamte Arbeit in den Kartoffelgärten und füttern die Schweine. Wird ein Tier geschlachtet, so steht der überwiegende Teil des Fleisches -- mit Ausnahme der Eingeweide und der Zunge, die als unrein gelten -- wiederum nur den Männern zu. Die besten Teile werden ins Männerhaus geliefert und dort von den Initianten und verheirateten Männern gemeinsam gegessen.

Diese Entnahme und dieser kollektive Verzehr bezeugen deutlich die männliche Herrschaft und bekräftigen die kollektive Kontrolle der Männer über ein Produkt, das sie im wesentlichen der Arbeit der Frauen verdanken." (Godelier 1987: 35f)


5.2.2.1.2 Die Ursachen der Ungleichheit


Während der Initiationszeremonie der Baruya, Godelier 1986, Abb. 16.

Nachdem Godelier die Subsistenzweise, die Produktions- und Arbeitsprozesse, die soziale Struktur der Baruya, die Rituale der Männer -- und Fraueninitiationen, die Vorstellungen über Körper und Sexualität dargelegt hat, gelangt er zu folgenden Schlüssen: Es ist "die Maschinerie der männlichen und weiblichen Initiationen", welche die "allgemeine, prinzipielle Herrschaft der Männer, aller Männer als solcher, über die Frauen, alle Frauen als solche, zu instituieren und zu legitimieren" vermag. (Godelier 1987: 111)

Was passiert nun in der Knabeninitiation, die insgesamt zehn Jahre dauert und in der Initiation der Mädchen, die nach zwei Wochen abgeschlossen ist:

Die Knabeninitiation trennt die etwa zehn Jahre alten Buben von ihren Müttern und überführt sie ins Männerhaus, wo sie in einer ausschließlichen Männerwelt bis zu ihrem zwanzigsten Lebensjahr erzogen werden. Sie werden ohne Frauen als Männer quasi neu geboren, der Anteil der Frauen an der Produktion von Männern soll damit ausgelöscht werden. Im Männerhaus werden die Initianten in die Grundlagen der sozialen und kosmischen Ordnung eingeführt, die sie später zu den Großen Männern in ihrer Gesellschaft machen können. Dazu gehört vor allem das Wissen über die Bedeutung, die den Körperflüssigkeiten, insbesondere dem Sperma zukommt: "Und auch im Prozess der Produktion des Lebens behaupten sie, die erste Rolle zu spielen, da sie das Kind im Bauch der Mutter erzeugen, mit ihrem Sperma den Fötus und die Mutter ernähren, mit Hilfe der Sonne, des göttlichen Vaters aller Menschen" (Godelier 1987: 298).

Für die ältern Schwestern eines jüngeren Knaben wird dieser durch die

Initiation zum älteren Bruder.
Die männliche Initiation verwandelt folglich alle Frauen in die jüngeren Schwestern ihrer jüngeren Brüder und verschiebt aus politischen und ideologischen Gründen den Platz, den die Frauen innerhalb der Genealogien und Verwandtschaftsbeziehungen einnehmen, nach unten" (Godelier 1987: 111).

Die Schwelle zum Männerhaus bildet ein bemaltes Brett und dieses Brett ist das Symbol für den Körper aller Frauen, den jeder Initiant, jeder erwachsene Mann im Laufe seines Lebens viele hunderte Male überschreitet. Das Geheimnis dieser symbolischen Unterordnung der Frauen wird aber nicht den zehnjährigen Buben, die ins Männerhaus kommen, mitgeteilt, dieses Geheimnis erfahren sie erst kurz bevor sie mit etwas über zwanzig das Männerhaus verlassen, um dann als erster Frau ihrer Ehegattin gegenüber zutreten. Die Ehen werden nämlich bereits bei der Geburt der Kinder oder spätestens zu Beginn der Pubertät zwischen den Patrilineages arrangiert, meist in Form des einfachen Schwesterntauschs.

Verwandtschaftssystem und Ideologie, die am stärksten in der Knabeninitiation zum Ausdruck kommen, begründen und legitimieren somit die Abwertung und Unterordnung der Frauen.

Verstärkt wird dies durch die Mädcheninitiation, die nach der ersten Menstruation durchgeführt wird, und in der alle Frauen dem jungen Mädchen nur eines versuchen zu vermitteln: Dass sie die Unterordnung unter die Männer zu akzeptieren haben.

5.2.2.1.3 Zur Beteiligung der Frauen an der Herrschaft der Männer


Ritueller Übergang von der weiblichen zur männlichen Welt, Godelier 1986, Abb. 9.

Im letzten Teil der Produktion der Großen Männer, den Godelier mit 'Die Bauchrednermaschine' übertitelt, geht er auf die Beteiligung der Frauen an der Herrschaft der Männer ein:

Dieser Glaube [an die Überlegenheit der Männer] aber wurde von beiden Geschlechtern geteilt, den eben diese gemeinsamen Vorstellungen bildeten die wichtigste, stumme und unsichtbare Kraft der männlichen Herrschaft" (Godelier 1987: 299).

Aber das Teilen der Ideen reicht nicht aus, Herrschaft funktioniert überall dann am klaglosesten, wenn die Unterdrückten die Schuld am eigenen Schicksal tragen:

Und wir wissen, daß, was die Unterdrückung betrifft, die Herrschaft eines Teils der Gesellschaft über einen anderen (Geschlecht, Kaste, Klasse, Rasse) nur dann wirklich begründet, legitimiert ist, wenn die Opfer die schuldigen werden, wenn sie für das Los das sie erdulden, als erste verantwortlich sind." (Godelier 1987: 303f)

Die einfachste Möglichkeit, einen gesellschaftlichen Unterschied zu legitimieren, besteht darin, ihn in der "Natur " fest zu machen, an natürlichen Unterschieden. Die Körper von Männer und Frauen unterscheiden sich und damit kann das gesellschaftliche Unterdrückungsverhältnis für alle evident gemacht werden. Die Frauen stimmen ihrem Schicksal zu, da sie ihren anderen Körper nicht zum Verschwinden bringen können (vgl. Godelier 1987: 304).

Die Sexualität wirkt wie eine Bauchrednermaschine. Sie spricht selbst nicht und doch wird ständig durch sie gesprochen. Durch sie wird gezeigt, wo der Platz der Männer und wo jener der Frauen im ideologischen System und im realen Leben der Baruya ist.

Diese Argumentationsweise Godelier's wurde von Nicole-Claude Mathieu (1985, vgl. auch Langheiter 1989) heftig kritisiert. Die These der Zustimmung und des Mitmachens unterschätzt nämlich die Gewalt, der Frauen physisch wie symbolisch tagtäglich ausgesetzt sind. Obwohl man nicht sagen kann, dass Godelier diese Gewalt gänzlich verleugnet, so schwächt er sie doch deutlich ab:

In der männlichen Macht gibt es neben der Gewalt auch die List, den Betrug, das Geheimnis, bewußt eingesetzt, um den Abstand, der die Männer von den Frauen trennt und sie vor ihnen schützt und ihre Überlegenheit sichert, aufrecht zu erhalten und zu vertiefen." (Godelier 1987: 303)

5.2.2.2 Marx, Durkheim und Lévi-Strauss bei Godelier


Godelier verwendet eine marxistische Terminologie, gleichzeitig sind seine Ansichten in hohem Ausmaß von Durkheim und Lévi-Strauss geprägt. Ein Beispiel für diese Synthese bietet folgendes Zitat:

Und was eigentlich besagt das Inzesttabu? Grundsätzlich ist es in jeder Gesellschaft die Anwesenheit eines Ordnungsgesetzes, einer grundlegenden Eigenschaft des menschlichen Daseins. Weil die Menschen im Unterschied zu den geselligen Tieren und ihren Vettern, den Schimpansen und Pavianen -- ungeachtet der Soziologen und Anthropologen -, nicht nur in Gesellschaft leben, sondern auch Gesellschaft produzieren, um leben zu können. Und eben dieses Ordnungsgesetz zeigt sich und wirkt durch das Inzesttabu und weit darüber hinaus. Das wurde von Lévi-Strauss ausgezeichnet gesehen und gesagt. Doch woran liegt es, daß der Mensch sich nicht damit zufrieden gibt, in Gesellschaft zu leben, sondern seine Gesellschaft auch produziert und verändert, um leben zu können, wenn nicht an einem objektiven, unumgänglichen Faktum, das nicht von seinem Willen abhängt: nämlich an der Tatsache, daß er die ihn umgebende Natur verändern und damit seine eigene Natur verändern kann? Das Inzestverbot, das den Wunsch des Individuums von denjenigen ablenkt, die zusammengearbeitet haben, um ihm das Leben zu schenken (und nicht nur seine nahen Angehörigen), bekräftigt tagtäglich und überall, daß das Individuum, so groß es auch sei, niemals der Ausgangspunkt der Gesellschaft ist, daß kein Individuum und keine Gruppe aus sich selbst, in der Isolierung und der Autarkie alle Bedingungen finden kann, die notwendig sind, um real, das heißt gesellschaftlich zu existieren." (Godelier 1987: 308f)

Durch den Produktionsprozess[1] verändert der Mensch die Natur um sich und damit auch sich selbst. Da er ein grundsätzlich gesellschaftliches Wesen ist, produziert er auch Gesellschaft[2]. Gesellschaft wird damit zur Existenzbedingung von Menschen, die nicht auf dem Willen von Individuen beruht. Der Beweis dafür ist das Inzesttabu als Ordnungsgesetz, das in jeder Gesellschaft "tagtäglich und überall" wirkt (vgl. Lévi-Strauss [3]).

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 2
[2] Siehe Kapitel 4.1.1
[3] Siehe Kapitel 3.3 in der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung


5.2.3 Emmanuel Terray

Romuald Hazoumé, "Citoyenne", 1997, Foto: Pascal Maître. Quelle: Zinsou 2005.

Emmanuel Terray geb. 1935

Relevante Werke:

1974 Zur politischen Ökonomie der 'primitiven' Gesellschaften

1974 Long Distance Exchange and the Formation of the State. The Case of the Abron Kingdom of Gyaman

Als Schüler von Louis Althusser geht Terray davon aus, dass die Inhalte, Widersprüche und Antagonismen einer Produktionsweise für jede Gesellschaft einzeln bestimmt werden können, wobei immer eine Interdependenz von lokalen Ausprägungen und der jeweiligen, in letzter Instanz übergeordneten, globalen Produktionsweise besteht.

Seine methodisch - theoretischen Überlegungen sind ursächlich mit seinen Forschungen in Westafrika, im Senegal (Dida) und in der Elfenbeinküste (Abron), verbunden, da gerade das postkoloniale Afrika von tief greifenden Widersprüchen zwischen politischer Form und materieller Basis geprägt ist. Für die ökonomische Anthropologie ist sein Ansatz von großer Bedeutung, da er genaue ethnographische und lokale Fragestellungen unter Beibehaltung überlokaler sozio-historischer Perspektiven ermöglicht, was Terray vor allem in seiner Arbeit über Staatsmacht und Fernhandel am Beispiel des Abron Reiches ausführt. Sein Konzept der Produktionsweise ist aber auch insofern wegweisend, als es methodischen Umgang mit sozialer Dynamik operationalisiert.

Das Gesamtwerk von Terray ist von einem anhaltenden Interesse an den Antagonismen zwischen Staat und Ökonomie, Fragen zu Macht, Gewalt und politischer Aktion geprägt. Seit den 1990er Jahren beschäftigt er sich unter großem persönlichem Engagement (Terray und Goussault 1990) vorwiegend mit europäischer Politik, Menschenrechten, Asyl und Migration.


5.2.3.1 Terrays Operationalisierung des Produktionsweisenkonzeptes


In Terrays Analysezugang ist die "Produktionsweise" die zentrale anthropologisch-ökonomische Grundkategorie. Die Produktionsweise umfasst Produktivkräfte (Beziehung Mensch -- Natur) und Produktionsverhältnisse (Beziehung Mensch -- Mensch), hat also technologische und soziale Dimensionen. Er versteht sie als historischen Komplex, der drei Ebenen umfasst:

1) ökonomische Basis

2) rechtlich-politischer Überbau

3) ideologischer Überbau

Anders als Meillassoux[1] sieht Emmanuel TerrayVerwandtschaft nicht als Teil der Ökonomie, die wiederum bei ihm die eigentlich determinierende gesellschaftliche Instanz ist. Verwandtschaft, Politik, Religion, Recht sind Instanzen des Überbaus, in welchem sie auf zahlreichen Ebenen "Repräsentationen" haben, die die Produktionsverhältnisse reflektieren. Letztere allein können Aufschluss geben über die politisch-ideologischen Verhältnisse. In diesem Sinne sind Repräsentationen in der Superstruktur sowohl Ausdruck wie Deformation ihrer Basis, wobei es aber erst durch sie zum Funktionieren jener kommt und sie beträchtliche Eigendynamik entwickeln.

Basierend auf seiner Sichtweise von Marx schlägt er zur Untersuchung einer bestimmten sozioökonomischen Formation oder Gesellschaft folgende Analyseschritte vor:

  • erstens die Bestimmung der Arbeitsprozesse, die Rohstoffe in Produkte verwandeln;
  • zweitens die Verteilung der Produkte, daraus folgt der Zugang zu den Produktionsverhältnissen, die wiederum über die Distribution die Konsumption regeln.

Subjekte des Arbeitsprozesses sind die Produktionseinheiten, die ihrerseits von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen bestimmt sind, z.B. bedingt ein dorfgemeinschaftliches Produktionsverhältnis andere Wirtschaftssubjekte (Haushalt) als ein kapitalistisches (Lohnarbeiter und Kapitaleigner).

Alle drei Ebenen der Produktionsweise spielen in einem einzelnen sozioökonomischen Phänomen eine Rolle und sind in einer *causalité triplement complex*, einer dreifach komplexen Kausalität, miteinander verwoben. Eine Produktionseinheit (Ebene 1) kann z.B. zugleich Verwandtschaftseinheit (Ebene 2) sein, wie auch gleichzeitig eine religiöse Gruppe (Ebene 3) konstituieren. Terray besteht darauf, dass gerade in der Sozialanthropologie immer alle drei Ebenen einer Erscheinung oder Handlung analytisch zu trennen und für sich zu betrachten sind, wobei er voraussetzt, dass sie in der sozialen Realität vernetzt sind oder gleichzeitig auftreten. Weiters nimmt er an, dass die Koexistenz mehrerer Produktionsweisen gleichzeitig möglich ist.

Heftige Kritik erfährt Terray von Pierre-Philippe Rey, der ihm theoretisch unzulängliche Vernachlässigung der Ausbeutungs- und Klassenverhältnisse bei nicht-kapitalistischen Formationen vorwirft (Rey 1975). Eine weitere Kritik kommt von feministischer Seite von Maxine Molyneux, die seine ökonomischen Schlussfolgerungen aufgrund seiner androzentristischen Perspektive als verfälscht und damit ungültig ansieht (Molyneux 1977).

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 5.2.1


Nächstes Kapitel: 5.3 VertreterInnen in den USA


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Vorheriges Kapitel: 5.2 Französische VertreterInnen

5.3 VertreterInnen in den USA

Verfasst von Gertraud Seiser und Elke Mader

In den USA entwickelte sich ebenfalls eine marxistisch orientierte Politische Ökonomie, die sich mit Fragen nach den Zusammenhängen und Abhängigkeiten zwischen Weltregionen befasst (Narotzky 2005: 84f). Wichtige Werke in diesem Zusammenhang sind '*Eric Wolf's'Europe and the People without History (1982) und 'Sidney Mintz's'Sweetness and Power'*' (1985). Anhand der Produktion, Distribution und Konsumtion von Gütern versuchen beide globale historische Entwicklungen im ökonomischen Bereich nachzuzeichnen. Gerade diese zwei Werke bauen nicht auf eigener Empirie auf, sondern versuchen in einer Langzeitperspektive herauszuarbeiten, wie verschiedene Gesellschaften und Regionen in die kapitalistische Weltökonomie einbezogen wurden.

Inhalt

5.3.1 Eric Wolf

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Eric Wolf (1923-1999)

  • My primary interest is to explain something out there that impinges me,

and I would sell my soul to the devil if I thought it would help.* (Wolf im Interview mit Friedman, 1987:144)

Relevante Werke:

1966: Peasants.

1969: Peasant Wars of the Twentieth Century.

1982: Europe and the People without History

Eric Wolf wurde 1923 als Sohn jüdischer Eltern in Wien geboren. Er verbrachte seine Kindheit in Böhmen bevor seine Eltern auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus über Großbritannien in die USA übersiedelten. Das Ende des Zweiten Weltkrieges erlebte er als Soldat auf Seiten der Alliierten an der deutsch-italienischen Sprachgrenze in Südtirol. Dorthin kehrte er Anfang der 1960er Jahre mit John Cole zurück, um mit diesem gemeinsam die Ursachen der ethnischen Konflikte in Südtirol/Trentino zu beforschen (Cole/Wolf 1974/1995).

1946 nahm er sein Ph.D. Studium der Anthropologie bei Ruth Benedict und Julian Steward auf. Insbesondere Steward mit seiner Kulturökologie und seinem 'cultural materialism' (Harris 2001/1968: 654) übte nachhaltigen Einfluss auf Eric Wolf aus. Er nahm -- wie auch Sidney Mintz -- in den späten 1940er Jahren an Steward's Puerto Rico Forschungsprojekt teil und beschäftigte sich ab dann mit Peasants (è link), Macht und Klassen. Dabei richtete er seine Aufmerksamkeit immer auf historische Prozesse und kritisierte eine Anthropologie, welche die von ihr untersuchten Gesellschaften als statisch und isoliert präsentierte.

"Unsere Menschenwelt stellt sich als eine vielfältige Totalität miteinander verbundener Prozesse dar, und Untersuchungen, die diese Totalität zerstückeln, ohne sie wieder zusammenzusetzen, verfälschen die Realität." (Wolf 1991: 17)

Eric Wolf leistete wesentliche Beiträge zu vielen Forschungsfeldern der Kultur- und Sozialanthropologie.

  • Im Rahmen der allgemeinen Theorienbildung dieses Faches bildet sein Werk eine wichtige Grundlage für eine Reihe von theoretischen Ansätzen in Bezug auf transkulturelle bzw. transnationale Beziehungen und Globalisierung (Wolf 1982).
  • In Bezug auf Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas [1] entwickelte er Modelle zur Analyse der Verflechtungen[2] ökonomischer, sozialer und historischer Faktoren, welche die komplexe Gesellschaft Lateinamerikas prägen. Im Mittelpunkt seiner Untersuchungen steht immer wieder die Frage nach den historischen Prozessen sowie nach den Machtverhältnissen und ihren Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Personen und Gruppen.

Für die ökonomische Anthropologe leistet er u.a. wesentliche Beiträge zur Analyse von

  • Wirtschaft und Gesellschaft von Bauern
  • dem Konzept der Produktionsweisen[3]
  • kulturellen, ökonomischen und politischen Verflechtungen in der Neuzeit

Eric Wolf im WWW:

https://web.archive.org/web/20051111074710/http://www.mnsu.edu/emuseum/information/biography/uvwxyz/wolf_eric.html [4]

https://web.archive.org/web/20051112110639/http://www.indiana.edu/~wanthro/wolf.htm [5]

https://web.archive.org/web/20110607105352/http://www.univie.ac.at/alumni.ethnologie/journal/volltxt/Artikel%203%20_Kreff.pdf [6]

https://web.archive.org/web/20060208093805/http://www.vanderbilt.edu/AnS/Anthro/Anth234/wolf.htm [7]

Verweise:

[1] Siehe Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas: Eine Einführung[2 Siehe Kapitel %%chapter-id%% der Lernunterlage Lernunterlagen-title]
[2] Siehe Kapitel 3.4 der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung
[3] Siehe Kapitel 2.1.2.3.3
[4] https://web.archive.org/web/20051111074710/http://www.mnsu.edu/emuseum/information/biography/uvwxyz/wolf_eric.html
[5] https://web.archive.org/web/20051112110639/http://www.indiana.edu/~wanthro/wolf.htm
[6] https://web.archive.org/web/20110607105352/http://www.univie.ac.at/alumni.ethnologie/journal/volltxt/Artikel%203%20_Kreff.pdf
[7] https://web.archive.org/web/20060208093805/http://www.vanderbilt.edu/AnS/Anthro/Anth234/wolf.htm


5.3.1.1 "Die Völker ohne Geschichte" Kulturelle Verflechtungen und Politische Ökonomie


Allegorie Europas, die von den anderen Erdteilen gehuldigt wird. B.Picart 1719. Quelle: Kohl 1982.

Das bekannteste und einflussreichste Werk von Eric Wolf bildet sein Buch: Die Völker ohne Geschichte. Europa und die andere Welt seit 1400 (1986). Er versteht es als einen Beitrag zu einer analytischen Geschichtsbetrachtung, welche "die Wurzeln der Gegenwart in der Vergangenheit" aufdecken will.

Eine solche Untersuchung kann sich nicht auf eine Kultur, Gesellschaft oder Region beschränken, sondern muss die Vielfalt der Verflechtungen berücksichtigen, durch welche sich die verschiedenen Kulturen wechselseitig beeinflussen. Diese kulturellen Verbindungen werden im Lichte einer historisch orientierten Politischen Ökonomie neu durchdacht.

Dabei überschreitet Wolf die gängigen Darstellungsweisen der Geschichte der westlichen Welt. Er geht davon aus, dass weltweite historische und ökonomische Prozesse die verschiedenen Völker miteinander verknüpfen. Unterschiedlichste Gesellschaften waren an Veränderungsprozessen beteiligt, welche durch die Expansion der Europäer in der Neuzeit in Gang gekommen waren, und haben zu diesen Prozessen einen eigenen Beitrag geleistet. Wolf zeigt die Vielfalt solcher Prozesse in diversen Regionen und Kulturen auf und analysiert sie mit Konzepten der Politischen Ökonomie.

Das Studium von Kultur und Geschichte ist demnach aufs Engste mit dem Studium von ökonomischen und politischen Verhältnissen verbunden. Durch die Betrachtung der Welt "als ganze, als Totalität, als System", will das Buch dazu beitragen Grenzen zwischen westlicher und nicht-westlicher Geschichte aufzuheben. Dieser Ansatz erfordert einen interdisziplinären Zugang: So integriert das Werk Konzepte und Kenntnisse der Kultur- und Sozialanthropologie, der Geschichte und der Politischen Ökonomie (vgl. Wolf 1991: 9-11).


5.3.1.1.1 Produktionsweisen und Kulturen in Interaktion


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Die Grundlagen der Politischen Ökonomie[1] bilden in Eric Wolf's"Die Völker ohne Geschichte"' den analytischen Rahmen für die Untersuchung historischer, kultureller und ökonomischer Verflechtungen.

Die Basis bildet die These von Karl Marx, dass keine Trennung zwischen sozialen und ökonomischen Prozessen besteht. Wie Marx vertritt Eric Wolf einen ganzheitlichen Ansatz der Wissenschaft vom Menschen: Ökonomische Prozesse sowie die Beziehung zwischen Mensch und Natur sind als Teil eines gesellschaftlichen Gefüges zu betrachten. Besonderen Stellenwert nimmt dabei das Konzept der Produktionsweisen und der sozio-ökonomischen Formationen ein. (èLink- Gerti)

Auf dieser theoretischen Basis untersucht Wolf die ökonomische und politische Bedingtheit der Verflechtungen von Kulturen, wobei er von der bestimmenden Natur der ökonomischen und politischen Prozesse ausgeht. Die weltweiten Vernetzungen betreffen vor allem verschiedene Produktionsweisen, die miteinander in Interaktion bzw. in Konflikt treten.

Diese Betrachtungsweise impliziert einen Kulturbegriff, der sich vom Konzept einer eigenständigen und integralen Kultur - das aus den politischen Bestrebungen des Nationalismus des 19.Jahrhunderts erwachsen ist - unterscheidet.

Wenn wir demgegenüber die Realität von Gesellschaft in historisch wandelbaren, nicht endgültig abgegrenzten, vielfältigen und aufgefächerten gesellschaftlichen Formationen verorten, wird damit allerdings die Vorstellung einer ein für allemal feststehenden innerlich geschlossenen und deutlich nach außen abgegrenzten Kultur abgelöst durch ein Gespür für die Unbeständigkeit und Durchlässigkeit kultureller Gebilde." (Wolf 1991: 534)

Verweise:

[1] Siehe Lernunterlage Internationale Politische Ökonomie - Eine Einführung

5.3.1.1.2 Menschen und Ökonomien im weltweiten "Geflecht von Zusammenhängen"


Romuald Hazoumé, "Dogon", 1996, Foto Pascal Maître. Quelle: Zinsou 2005.

Menschen bzw. Gesellschaften sind "... unauflösbar sowohl mit nahen als auch weit entfernten anderen Gesamtheiten in eine Art Netz oder Geflecht von Zusammenhängen eingebunden..." (Lesser 1961: 42 in Wolf 1991: 531), Kulturen und Ökonomien werden durch diese Netzwerke geformt.

Den zeitlichen Ausgangspunkt für die Analyse dieser Verflechtungen bildet bei Eric Wolf das Jahr 1400, als die Welt bereits eine Fülle regionaler Verknüpfungen und Zusammenhänge aufweist:

Aber erst das Ausgreifen der Europäer über die Ozeane hinweg hat diese regional geknüpften Verbindungsnetzwerke zu einer globalen Partitur vereint und sie einem weltumspannenden Rhythmus unterworfen. Von diesen Kräften wurden Menschen von ganz unterschiedlicher Herkunft und aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnissen in gleichartige Tätigkeiten hineingezogen und dazu gedrängt, sich am Aufbau einer einzigen gemeinsamen Welt zu beteiligen. [...] Die Gesellschaften und Kulturen all dieser Menschen machten während dieses Prozesses entscheidende Veränderungen durch." (Wolf 1991: 531-532)

Eric Wolf (1986) untersucht diese Prozesse an Hand von vielfältigen Beispielen. Er analysiert u.a.:

  • Die politischen und ökonomischen Bedingungen und Ziele der europäischen Expansion in der Neuzeit und erarbeitet Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Bezug auf einzelne Staaten oder Verbände (Spanien, Portugal, England, Frankreich, Niederlande).
  • Die "Jagd nach den Reichtümern der Welt": Hier verortet Wolf die diversen Unternehmungen in verschiedenen Regionen in einem immer stärker weltumspannenden Gefüge von Produktion, Zirkulation und Macht. Die Kolonisation Lateinamerikas durch die Iberer, der Pelzhandel in Nordamerika, der Sklavenhandel sowie Handel- und Eroberungspolitik in Asien zeigen verschiedene Facetten dieser Prozesse und ihrer Auswirkungen auf die Menschen.
  • Die industrielle Revolution und der aufstrebende Kapitalismus prägen im 19.Jahrhundert die sozioökonomischen Bedingungen der diversen Verflechtungen. Diese wirken sich auf die verschiedenen Abschnitte des ökonomischen Prozesses (Produktion, Zirkulation, Konsumtion) aus. Sie bedingen z.B. die Entstehung neuer Warenströme sowie der neuer Arbeiter, Arbeitsmärkte und des Handels mit Arbeitskräften (z.B. chinesische Arbeitskräfte in Amerika) und binden immer wieder andere regionale Kulturen und Ökonomien in das weltumspannende Netzwerk ein.

Auf den folgenden Seiten werden aus der Fülle der Analysen von Eric Wolf einige Fallbeispiele ausgewählt und kurz skizziert.


5.3.1.1.2.1 Silberökonomie und Hacienda


Bergbau im kolonialen Südamerika. Stich von de Bry 1601. Quelle: Kohl 1982.

Die Conquista, die Eroberung und Kolonisation der indianischen Gesellschaften in Mittel- und Südamerika durch Spanien und Portugal etablierte das erste große Kolonialsystem der Neuzeit (èlink). Die koloniale Ökonomie und (Kultur-) Politik stellt eine Arena für Verflechtungen auf verschiedenen Ebenen dar, die stark von den Herrschaftsverhältnissen in dem System geprägt werden. Ein wesentliches Element in diesem Gefüge war der Handel:

Spanien bezog aus der Neuen Welt Silber, Gold, Kakao, Koschenille und Indigo, in umgekehrter Richtung lieferte es teure Manufaktur- und Luxusprodukte. Ein großer, wenn nicht der größte Teil dieser Produkte stammte nicht aus Spanien selber, sondern vor allem aus Nordwesteuropa." (Wolf 1991: 204)

Die Ökonomie der spanischen Kronländer beruhte zu einem guten Teil auf der Gewinnung von Edelmetallen. Zwischen 1503 und 1660 trafen in Sevilla knapp 3,5 Millionen Kilo amerikanischen Silbers ein, wodurch sich die europäischen Silbervorräte verdreifachten. Die "Silberökonomie" (besonders ausgeprägt in Mexiko, Peru und Bolivien) band durch transkontinentalen Handel mit Europa und Asien lokale (indianische) Gemeinschaften in ein großräumiges ökonomisches Gefüge ein.

Wolf spricht in diesem Zusammenhang von "erzwungenem Handel" (erzwungen durch die einseitige Nachfrage auf europäischer Seite), der zwei unterschiedliche kommerzielle Kreisläufe umfasste: einen transatlantischen und einen inneramerikanischen. Die Preispolitik und die Kontrolle der Handelsaktionen lag in der Hand der spanischen Krone, und war geprägt durch steigende Preise für europäische Manufakturwaren - dementsprechend sank der Tauschwert von Silber und anderen amerikanischen Waren (Wolf 1991: 205).

Die sozioökonomische Organisation des kolonialen Lateinamerikas beruhte auf feudalen Strukturen, die eng mit der (land)wirtschaftlichen Produktion verbunden sind. Besonders deutlich kommt dies in der Institution der 'encomienda' und später der hacienda (èlink) zum Ausdruck, welche der Herrschaft über die lokale Bevölkerung und der Aneignung und Kontrolle ihrer Arbeitskraft diente. Eine 'encomienda' war ein zeitlich begrenzter treuhänderischer Besitztitel, der von der Krone an bestimmte Personen vergeben wurde. Ihr Inhaber konnte Tribute und Arbeitsleistungen der Indianer (landwirtschaftliche und handwerkliche Produkte, Arbeitsdienste in den Minen etc.) für die Krone und bis zu einer gewissen Grenze für die eigenen Zwecke in Anspruch zu nehmen.

In der späteren Kolonialzeit gingen die Ländereien in das Privateigentum der Besitzer über ('hacienda'), die Leibeigenschaft der indianischen Bewohner blieb jedoch in vielen Regionen (z.B. Ecuador, Peru) erhalten. Das Hacienda'-System' war in einigen Andenländern bis ca. 1960 in Kraft und prägt bis heute das sozioökonomische Gefüge vieler Regionen Lateinamerikas (vgl. Wolf 1991: 192-216).

5.3.1.1.2.2 Handelsplätze und Plantagen


Zuckerverarbeitung in Brasiien. Gemälde von M.Rugendas 1835, Quelle Kohl 1982.

In Brasilien war die frühe koloniale Ökonomie durch weitreichende Handels- und Tauschbeziehungen geprägt (z.B. im Rahmen des Handels mit Brasil-Holz und Gewürzen), welche im Rahmen einer Kolonisationsgrenze ('colonial frontier') verschiedene indianische und europäische Gruppen und Akteure (Portugiesen, Franzosen, Deutsche) in einem komplexen Geflecht von Handelsplätzen[1], Handelsketten, Allianzen, und Feindschaften [2] vernetzt.

Kulturelle und ökonomische Verflechtungen ergaben sich auch im Zuge der Aneignung und Verbreitung von Nahrungspflanzen. Pflanzen indianischer Züchtung wurden in anderen Teilen der Welt verbreitet und beeinflussten deren (Eß-) Kulturen und Ökonomien nachhaltig - u.a. Kartoffel, Mais [3], Tomate, Kakao, Tabak, Maniok und Kürbis. Zu Nahrungspflanzen aus Asien, die über Europa nach Lateinamerika gelangten, zählen u.a. Zuckerrohr[4], Kaffee, Reis und Bananen. Sie prägten maßgeblich Subsistenz und Ernährungsgewohnheiten (link Maria?) lokaler Gemeinschaften sowie nationale und globale ökonomische Prozesse.

Eric Wolf behandelt vor allem die Entwicklung der Zuckerökonomie in Brasilien und der Karibik (1986: 217-227). Im Nord-Osten Brasiliens wurden im 16. Jahrhundert die ersten Zuckerrohrplantagen angelegt:

...wurde damit eine Agrikultur in die Neue Welt verpflanzt, die schon lange im östlichen Mittelmeer zuhause war, wo die Araber sie gegen Ende des ersten Jahrtausends n.Chr. eingeführt hatten. In den Jahrhunderten vor der Eroberung der Neuen Welt hatte sich der Zuckeranbau über die Mittelmeerinseln langsam nach Westen vorgeschoben." (Wolf 1991: 217)

Die Zuckerproduktion wurde von mehreren Staaten und ihren Handelsagenturen dominiert. In Brasilien bestimmten die Portugiesen die Produktion, während Flamen und Holländer die Verbreitung des Produkts und die Finanzierung des Transports bewerkstelligten. So wurden Antwerpen und Amsterdam zu den wichtigsten Zentren der Zuckerraffinerien, wie auch zu Finanzzentren des portugiesischen Zuckerhandels (Wolf 1991: 218).

In Brasilien involvierte die Zuckerökonomie verschiedene Bevölkerungsgruppen: Der ständige wachsende Bedarf an billigen Arbeitskräften führte zur Versklavung der lokalen indianischen Gemeinschaften. Die Sklavenjagden im Amazonasgebiet und im heutigen Paraguay wurden teilweise von den Jesuiten [5] militärisch gebremst, die den Indianern Schutz gewährten. Sie siedelten einen Teil der indianischen Gemeinschaften in reduccionen' [6]' an und unterzogen sie einer intensiven Missionierung und Europäisierung.

Die relativ kleine indianische Bevölkerung konnte jedoch den Bedarf an Sklaven keineswegs decken. So sind Zuckerproduktion und andere Formen der Plantagenwirtschaft aufs Engste mit dem transatlantischen Sklavenhandel[7] verbunden, der das kulturelle und soziale Gefüge in Brasilien[8], der Karibik und den USA maßgeblich prägte.

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 4.3.1.5
[2] Siehe Kapitel 1.4 der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung
[3] Siehe die Lernunterlage Mais - Ernährung und Kolonialismus in Lateinamerika
[4] Siehe Kapitel 5.3.2.1
[5] Siehe Kapitel 1.6 der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung
[6] Siehe Kapitel 1.5.1 der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung
[7] Siehe Kapitel 5.3.1.1.2.3
[8] Siehe die Lernunterlage Brasilien 1889 - 1985: Von der Ersten Republik bis zum Ende der Militärdiktatur

5.3.1.1.2.3 Sklavenhandel und Weltmarkt


Sklaven auf dem Weg in die Neue Welt. Quelle: Assogba (1990: 29).

Eric Wolf ordnet den Sklavenhandel im Zuge der aggressiven Expansion Europas als wesentlichen Bestandteil in der Konstituierung des internationalen Handelsnetzes und des Aufstiegs Europas zur Weltmacht ein.

Wenn auch Sklaverei und Sklavenhandel keine historischen Neuerscheinungen waren (Wolf 1991: 286; weiters z.B. Patterson 1982) und sich zum Beispiel über den Mittelmeerraum als Drehscheibe seit langem ein etabliertes Sklavenhandelsnetz zwischen Europa und der islamischen Welt erstreckte, so entfaltete sich mit der Kolonialisierung der Amerikas eine völlig neue Dynamik. Mit dem 15.Jahrhundert stieg der Bedarf an menschlicher Arbeitskraft in den Amerikas rapide an und diese wurde vorwiegend aus Afrika importiert: "Schwarzes Elfenbein" -- versklavte Menschen, wurden damit zur wichtigsten Exportware Afrikas.

Die Portugiesen initiierten den transatlantischen Sklavenhandel im Zuge ihrer Erkundungsfahrten und Kolonialisierungen entlang der afrikanischen Küsten, sie erhielten bald Konkurrenz durch die Holländer, dann folgten Engländer und Franzosen als internationale Hauptlieferanten und Konsumenten. Alle afrikanischen Küstenregionen und auch die meisten Binnengesellschaften wurden vom Handel erfasst -- so erhielten zum Beispiel in Westafrika zahlreiche Staaten durch den Sklavenhandel ihren Gründungsimpuls, wie Ashanti, Oyo oder Dahomey, während im Kongo-Gebiet bereits bestehende Staaten geschwächt oder zerstört wurden.

Ursprünglich suchten die europäischen Händler primär nach Edelmetallen und --hölzern, Gewürzen, Kautschuk und Tabak und erst in zweiter Linie Sklaven. Da aber die Profitspannen im Vergleich zu den anderen Handelsgütern um das Vier- bis mitunter Zwanzigfache höher waren, wurden Sklaven bald die Hauptware, was direkte und indirekte ökonomische Auswirkungen auf alle beteiligen Länder und ihre Innen- und Außenmärkte hattte. Warum gerade Afrika zum Hauptlieferanten der Ware Mensch für die Europäer wurde, erläutert Wolf an zahlreichen historischen Beispielen und jeweils bestehenden sozio-politischen und -ökonomischen Verflechtungen wie Verwandtschaftsstrukturen, Kriegstechnologien und Produktionsformen in Europa, Afrika und den Amerikas wie auch dem pazifischen Raum.

Der transatlantische Sklavenhandel durchlief mehrere Phasen:

Im 15. und 16. Jahrhundert wurden die Sklaven in der Neuen Welt hauptsächlich für den Minenabbau von Silber, Gold und anderen Metallen eingesetzt, ab dem 17. Jahrhundert dominierte der Zuckerrohranbau auf den karibischen Inseln und der Tabakanbau in Nordamerika und damit wurde Plantagensklaverei die zentrale Produktionsweise der Neuen Welt. Das 18. Jahrhundert bezeichnet Wolf als "Goldenes Zeitalter der Sklaverei", mit Jamaica und Haiti als ökonomischen Zentren. Obwohl die Sklaverei um die Jahrhundertwende von den meisten am transatlantischen Handel beteiligten Mächten offiziell abgeschafft wurde, gelangten laut Wolf bis 1870 noch über 2 Mill. afrikanische Sklaven auf den Markt, wobei 80% davon in die Neue Welt importiert wurden, ein großer Teil davon nach Kuba als zentraler Zuckerproduzent des 19. Jahrhundert.

Wolf beschäftigt sich mit dem historischen Verlauf der Involvierung der europäischen und afrikanischen Mächte und Regionen, wobei sein Hauptinteresse auf den politisch-ökonomischen Motivationen und Auswirkungen des Handels liegt. Als einer der ersten im Bereich der Sozialanthropologie thematisiert Wolf die so entstehende internationale Arbeitsteilung wie die lokal-regionalen Auswirkungen auf alle Beteiligten:

Die Aufgabe, die Sklaven zu ergreifen, zu versorgen und innerhalb Afrikas zu transportieren, lag in afrikanischen Händen; die Europäer hingegen sorgten anschließend dafür, daß sie nach Übersee verfrachtet, dort akklimatisiert bzw. 'gebrochen' und abschließend an die Sklavenhalter verkauft wurden. Um die amerikanische Nachfrage befriedigen zu können, war der Sklavehandel darauf angewiesen, daß Menschenaufkäufer und Menschenlieferanten aktiv zusammenarbeiteten und daß diese Aktivitäten von beiden Seiten subtil aufeinander abgestimmt waren". (Wolf 1991: 322f)

In Auseinandersetzung mit den Thesen von Eric Williams zu frühem Kapitalismus und Industrialisierung Europas (Williams 1996), in denen er erläutert, dass England aufgrund seiner Dominanz im transatlantischen Handel die führende Position in der ökonomisch-technologischen Entwicklung einnahm, sieht Wolf den Sklavenhandel nicht als einziges Element, wohl aber als den "maßgeblichen dynamischen Faktor" der wirtschaftlichen Transformationen und des Aufstiegs Europas an.

Der transatlantische Sklavenhandel hatte auf alle Beteiligten, ob Profiteure, Agenten, Organisatoren oder Opfer, tief greifende und bis in die Gegenwart anhaltende Auswirkungen von globaler Dimension.


5.3.1.1.2.3.1 Sklavenschiff


Aufriss des Sklavenschiffs "La Vigilante", Fassungsvermögen 227 Männer und 120 Frauen, ca 1822. Quelle: Assogba (1990: 31).

5.3.1.1.2.3.1.1 Sklavenschiff als künstlerische Installation


Bouche du roi. Installation von Romuald Hazoumé (2005), Houston, Texas: The Menil Collection.Quelle: Zinsou (2005: 83).

5.3.1.1.2.4 Warenströme


Romuald Hazoumé, "Porta via" (Installation), 2002, Foto Philippe Roudy. Quelle: Zinsou 2005.

Im 19. Jahrhundert erhöhte sich in Europa die Nachfrage nach Rohstoffen und Nahrungsmitteln und ließ einen stark erweiterten Markt von weltweiten Dimensionen entstehen.

Ganze Regionen spezialisierten sich auf die Produktion einiger weniger Rohstoffe oder landwirtschaftlich erzeugter Nahrungs- und Genussmittel. Ein solche regionale Spezialisierung hatte sich zum Teil schon unter der Ägide des Handels entwickelt - ein Beispiel ist die Zuckerproduktion in der karibischen Region. In anderen Fällen - das gilt z.B. für die Baumwollanbauregionen der Vereinigten Staaten, Ägyptens und Indiens - war die Spezialisierung die Antwort auf die Anfänge der kapitalistischen Entwicklung." (Wolf 1991: 432)

Diese Entwicklungen intensivierten den Warentausch zwischen unterschiedlichen kulturellen und ökonomischen Gefügen bzw. Produktionsweisen. Wolf bezeichnet diesen Markt als "eine Arena, in der sich die widerstreitenden Produktionsweisen - auf der Ebene des Austausches ihrer verschiedenartigen Waren - aufeinander beziehen und miteinander in Konkurrenz treten konnten." Seine Analyse geht davon aus, dass jede Ware einen Bruchteil der gesellschaftlichen Arbeit verkörpert, die zur Umwandlung der Natur zum Nutzen des Menschen verausgabt wird, wobei diese gesellschaftliche Arbeit gemäß den herrschenden Bedingungen einer bestimmten Produktionsweise aufgeboten wird. "Im Rahmen dieser Verflechtungen von Ökonomie und Gesellschaft hat der Kapitalismus die anderen Produktionsweisen nicht immer liquidiert, aber - häufig auf direktem Wege, ebenso häufig aber auch über Fernwirkungen - das Leben anderer Völker beeinflußt und umgekrempelt" (Wolf 1991: 433).

Warenströme prägen bis heute maßgeblich die ökonomischen und kulturellen Prozesse und werden meist in Zusammenhang mit Fragestellungen der Globalisierung (link maria) und/oder des transkulturellen Konsums untersucht (link maria). Da Waren bzw. Dinge nicht nur über Gebrauchs- und Tauschwert sondern auch über Bedeutung verfügen, fließen Warenströme und Kulturströme ('cultural flows') oft mit- und ineinander (vgl. z.B. Appadurai 2001, Spittler 2002).

5.3.1.1.2.4.1 Biberhüte und Robbenmäntel: Der Pelzhandel in Nordamerika


Routen für den Nordamerikanischen Pelzhandel. Quelle: Wolf (1997), Karte: 162.
Über drei Jahrhunderte lang blühte und expandierte der Pelzhandel in Nordamerika und zog ständig neue Gruppen der Ureinwohner in die immer weiter aufgreifende Kreisläufe des Warentausches, der sich zwischen den hereinströmenden Europäern und ihren eingeborenen Handelpartnern angebahnt hatte. (Wolf 1991: 274)

Native Americans (USA, Kanada) lieferten seit dem 17. Jahrhundert durch eine Intensivierung der Jagd vor allem Biberpelze für den europäischen Hutmarkt und erwarben dafür diverse Produkte aus landwirtschaftlicher und industrieller Produktion. Neben den Hackbau treibenden Gruppen der Ostküste waren vor allem Jäger und Sammler-Gemeinschaften in die Handelsnetzwerke involviert. Der Pelzhandel und die europäischen Händler wanderten im Laufe der nächsten Jahrhunderte von Neufundland bis an die kanadische Pazifikküste, da die Biber-Bestände nach und nach ausgerottet wurden (Wolf 1986: 232).

Kwakiutl Chief, Ethnologisches Museum, Berlin, Foto JohnsonQuelle: https://web.archive.org/web/20050218072841/http://sorrel.humboldt.edu/~rwj1/KWA/kwa0g.html [1]

An der kanadischen Pazifikküste bei den Kwakiutl, Tlingit, Haida und Tsimian bildeten im 18. und 19. Jahrhundert Seeotterfelle eine wichtige Handelsware, die gegen Metallgegenstände, Stoffe, Decken, Rum, Tabak und Gewehre eingetauscht wurde. Der Handel hatte - neben den ökologischen Auswirkungen (Dezimierung der Seeotter) - eine Reihe von ökonomischen und sozialen Implikationen. Er stärkte die Position einiger Häuptlinge, die als lokale Händler fungierten und dadurch Macht über die neuen Güter besaßen. Diese Personen nutzten ihre führende Rolle im Pelzhandel u.a. "zur Aufstockung ihres potlatch - Vermögens (link Jäger und Sammler), zum Ausbau ihrer Verwandtschaftsbeziehungen durch gezielte Heiratspolitik, zur Ausweitung ihres Handelsnetzwerkes und zur Stärkung ihrer gesellschaftlichen Vorrechte" (Wolf 1991: 269).

Die wachsende Konservenindustrie (Lachs) in der Region beschäftigte im 19. Jahrhundert Männer der Kwakiutl als Fischer und Frauen als Arbeiterinnen. In dieser Zeit ging die Bevölkerungszahl in katastrophalem Ausmaß zurück, was größtenteils durch europäische Krankheiten wie Syphilis und Pocken verursacht war. Der folgende Goldrausch führte zur intensiven Kolonisierung der Region und zur Aneignung von Land und Ressourcen der lokalen Jäger- und Sammler - Gemeinschaften durch die USA und Kanada (Wolf 1991: 273-274). Die Auseinandersetzungen um Rechte auf Land, Ressourcen und politische Autonomie halten bis heute an.

Kwakiutl im WWW:

https://web.archive.org/web/20051231225705/http://college.hmco.com/history/readerscomp/naind/html/na_019100_kwakiutl.htm [2]

https://web.archive.org/web/20050904102029/http://www.bcfn.org/profile/kwakiutl.htm [3]

https://web.archive.org/web/20050220121215/http://www.ethnologue.com/show_language.asp?code=kwk [4]

https://web.archive.org/web/20051201025745/http://sorrel.humboldt.edu/~rwj1/kwa.html [5]

Verweise:

[1] https://web.archive.org/web/20050218072841/http://sorrel.humboldt.edu/~rwj1/KWA/kwa0g.html
[2] https://web.archive.org/web/20051231225705/http://college.hmco.com/history/readerscomp/naind/html/na_019100_kwakiutl.htm
[3] https://web.archive.org/web/20050904102029/http://www.bcfn.org/profile/kwakiutl.htm
[4] https://web.archive.org/web/20050220121215/http://www.ethnologue.com/show_language.asp?code=kwk
[5] https://web.archive.org/web/20051201025745/http://sorrel.humboldt.edu/~rwj1/kwa.html

5.3.1.1.2.4.2 Opium gegen Tee


Warenströme kennzeichnen Handel und Eroberungspolitik in Asien im 18. und 19. Jahrhundert. Seit dem Beginn der europäischen Expansion in diesem Raum besteht ein Naheverhältnis von Handel (z.B. Gewürzhandel) und der Ausdehnung des Machtgefüges verschiedener europäischer Staaten (Portugal, Niederlande, England). So galt den Portugiesen der Pfeffer - der in Europa vor allem als Konservierungsmittel für Fleisch und Fisch gefragt war - als die "Substanz Ostindiens". Die frühe Phase der Expansion wurde maßgeblich von Handelshäusern - wie der 'East India Company' - bestimmt.

In verschiedenen Etappen der Kolonisation großer Teile Süd- und Südostasiens gewannen immer wieder andere Produkte und Warenströme besondere Bedeutung. So bestand im 18. und 19. Jahrhundert ein komplizierter Dreieckshandel zwischen Indien, England und China, dessen Triebfeder die rasant anwachsende Nachfrage nach Tee in Europa war: Im Jahre 1644 wurden das erste Kilo Tee von Holländern nach Europa importiert, 1783 verkauft allein die East India Company über 2,5 Millionen Kilo, zwei Jahre später fast 7 Millionen. Zusätzlich wurde etwa noch dieselbe Menge von privaten Händlern, die um die Teesteuer herumkommen wollten, nach England geschmuggelt (Wolf 1991: 357).

Die Teemengen, die in erster Linie aus China kamen, mussten in Silber bezahlt werden. Der Dreieckshandel, der dieses Unterfangen teilweise finanzierte, bestand aus

  • Baumwolllieferungen von Indien nach China, die in Silber an regionale Händler bezahlt wurden,
  • die Händler kauften mit diesem Silber Kreditbriefe der East India Company,
  • die East India Company kaufte mit dem Silber Tee in China.

Der Dreieckshandel konnte jedoch den Tee-Import nicht ausreichend finanzieren, und immer größere Mengen des amerikanischen Silbers[1] mussten in den Handel investiert werden. Es kam zu einem Abfluss an Edelmetallen - eine Dynamik, die seit dem römischen Reich immer wieder den europäischen Handel mit Indien und China gekennzeichnet hat.

Um diesen Kreislauf zu ihrem Vorteil zu unterbrechen, begann die schwer verschuldete 'East India Company' mit dem massiven Verkauf von indischem Opium in China, ein illegales doch äußerst profitables Geschäft. Der Bedarf an Opium stieg mit der raschen Verbreitung des Suchtmittels und nach einigen Jahrzehnten setzten bengalische, englische und amerikanische Händler Mengen von Opium um, die viermal so viel Wert waren als das gesamte Warenvolumen des China-Handels (Tee und andere Waren).

Der chinesische Staat versuchte immer wieder mit verschiedenen Maßnahmen den Handel mit, und den Konsum von Opium zu stoppen. Durch die Niederlage gegen England im Opiumkrieg (1839-1842) wurde China jedoch gezwungen, den unbegrenzten Import von Opium zuzulassen (Wolf 1991: 357-360, 475-480).

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 5.3.1.1.2.1
[2] https://web.archive.org/web/20050818142830/http://www.opioids.com/opium/opiumwar.html
[3] https://web.archive.org/web/20051214233007/http://www.rotten.com/library/crime/drugs/opium/

5.3.1.1.2.4.3 Der Kautschukboom im Amazonasgebiet


Die Warenströme im 19. Jahrhundert beinhalteten auch pflanzliche Produkte für gewerbliche Zwecke. Dazu zählte der Kautschuk, der als industrieller Grundstoff nach der Erfindung der Vulkanisierungstechnik (1839) zuerst zur Herstellung von Regenmänteln, Schuhen, Fahrradreifen, Präservativen und anderen Bedarfsartikeln diente. Später wurde Kautschuk im Bereich des Eisenbahn- und Maschinenbaus, als Isoliermaterial in den neuen Brachen der Elektroindustrie und schließlich in der Automobilindustrie verwendet (Wolf 1991: 453).

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Kautschuk

(das Harz des Baums 'Hevea Brasliliensis') wurde während des größten Teils des 19. Jahrhunderts von wild wachsenden Bäumen in den tropischen Regenwäldern des Amazonasgebiets gezapft. Der Kautschukboom - die intensive Ausbeutung dieser natürlichen Ressource - begann in der Mitte des 19.Jahrhunderts, erreichte seinen Höhepunkt zwischen 1880 und 1910 und kam um 1920, nach der Ausbreitung der Kautschukplantagen in Malaysia und Indonesien zum Erliegen. In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde Kautschuk als Rohmaterial zum Großteil durch Kunststoffe abgelöst.

  • Kautschukbearbeitung und Transport im Amazonasgebiet.
  • Kautschukbearbeitung und Transport im Amazonasgebiet.

Kautschuk wurde im Amazonasgebiet von Indianern und Siedlern gesammelt, in lokalen Manufakturen aufbereitet (eingedickt), von Großhändlern ("Kautschukbaronen") aufgekauft und nach Europa transportiert. Alle Akteure waren miteinander in einem ausgedehnten Produktions- und Zirkulationsnetz verbunden: Großhändler bzw. Handelshäuser statteten regionale Händler mit einem Vorschuss (Geld, Handelswaren) aus, der durch die entsprechenden Mengen an Kautschuk abgegolten werden musste. Das Prinzip setzte sich (mit immer schlechter werdenden Konditionen) bis zu den Kautschuksammlern fort und etablierte ein brutales System von Schuldknechtschaft und Zwangsarbeit.

Der Kautschukboom hatte weitreichende Folgen für die Bevölkerung des Amazonasgebiets, er wird von Santos-Granero (1996) als zweite Welle der Kolonisation bezeichnet (nach Conquista und Missionsherrschaft im 17. und 18 Jahrhundert). Die Auswirkungen auf indianische Gemeinschaften umfassen eine große Bandbreite von Phänomenen:

  • Genozid (etwa in der Region des Rio Putumayo in Kolumbien)
  • Zwangsumsiedlungen (z.B. Quechua in Ecuador und Peru)
  • Hungersnöte (durch die erzwungene Vernachlässigung der Subsistenztätigkeiten)
  • massiver Bevölkerungsrückgang durch eingeschleppte Krankheiten
  • großräumige Migrationsbewegungen
  • interethnische Konflikte
  • Aneignung von neuen Gütern
  • kulturelle Hybridisierung
  • Genese neuer kultureller und sozialer Gefüge
  • verschiedene Transformationen der bestehenden sozialen und ökonomischen Ordnung einzelner Gruppen

5.3.1.1.2.4.4 Kautschukgewinnung bei den Mundurucú (Brasilien)


Marilda Castanha. Die Schöpfung der Welt in der Mythologie der MundurukuQuelle: https://web.archive.org/web/20060508172122/http://www.icoloridelsacro.org/2003/img_pagine/full_stampa/04.html [1]

Aufbauend auf den Studien von Robert Murphy (1960) erörtert Wolf Veränderungsprozesse der bestehenden sozialen und ökonomischen Ordnung am Beispiel der Mundurucú in Brasilien. Die Kautschukgewinnung beeinflusste dort Siedlungsstruktur, Mobilität (link) und Subsistenz: Die traditionelle Subsistenz der Mundurucú ist eine Form der "tropical forest horticulture" (link) und umfasste Pflanzungen (primär Maniok), Sammeln, Jagd und Fischfang. Während sich die Wohnorte der Mundurucú - Gemeinschaften vorher stark an dem saisonalen Vorhandensein verschiedener natürlicher Ressourcen für ihre Subsistenz richteten, war später die Nähe von Kautschukbäumen ausschlaggebend für die Siedlungsstruktur. Einzelne Mundurucú - Gemeinschaften gründeten an den Flussufern Dauersiedlungen, in deren Umgebung sie bestimmte Waldgebiete exklusiv beanspruchten. Der Kautschuk wurde gegen Metallwerkzeuge, Kleidung und Nahrungsmittel eingetauscht.

Die Mundurucú - Gemeinschaften wurden zunehmend von den Artikeln abhängig, die ihnen die Händler als Vorschuss überließen. Die Dörfer lösten sich in zahlreiche kleine Haushalte auf, die jeder für sich über ein ganzes Netz von Austauschbeziehungen und wachsenden Schulden an den Handelposten gekettet waren. So wurde der Händler anstelle des Mundurucú-Häuptlings zum Drehpunkt der örtlichen Produktions- und Austauschbeziehungen (Wolf 1991: 453-456).

Verweise:

[1] https://web.archive.org/web/20060508172122/http://www.icoloridelsacro.org/2003/img_pagine/full_stampa/04.html

5.3.2 Sidney Mintz

Sidney Mintz (*1922)

Relevante Werke:

1960: Worker in the Cane

1985: Sweetness and Power

Sidney Mintz studierte gleichzeitig mit Eric Wolf an der Columbia University und gehörte wie dieser zum engeren Schülerkreis von Julian Steward. Ab den späten 1940er Jahren beschäftigte er sich mit der Zuckerproduktion in der Karibik, arbeite die inneren Widersprüche der Plantagensklaverei und deren ökonomische Verflechtung mit der Arbeiterklasse in englischen Fabriken auf (vgl. Durrenberger 2005: 131; Robotham 2005: 46).

Mit Eric Wolf teilt er auch sein intensives Interesse für historische Prozesse und Verbindungen. Auf theoretischer Ebene versucht er kulturanthropologische Ansätze mit historisch- materialistischen Konzepten zu verbinden. Regional liegt sein Fokus auf der Karibik und thematisch konzentriert er sich nach Sweetness and Power (1985) zunehmend auf eine Anthropologie der Ernährung.

Sidney Mintz im WWW:

https://web.archive.org/web/20060524225423/http://anthropology.jhu.edu/Sidney%20Mintz/ [2]

Verweise:

[1] http://www.mc.vanderbilt.edu/reporter/reporter_jpgs/reporter_4.10.98_3.jpg
[2] https://web.archive.org/web/20060524225423/http://anthropology.jhu.edu/Sidney%20Mintz/


5.3.2.1 Süße Macht: Sidney Mintz und die Geschichte des Zuckers


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"Wenn man anfängt, danach zu fragen, wohin die tropischen Produkte gehen, wer sie nutzt und wozu und wieviel ihre Abnehmer für sie zu zahlen gewillt sind - worauf sie verzichten und welchem Preis sie zustimmen, um in ihren Besitz zu gelangen - , dann stellt man Fragen nach dem Markt. Damit aber fragt man auch nach der mutterländischen Metropole, dem Zentrum von Macht, und nicht nach der abhängigen Kolonie, dem Objekt, an dem und über das Macht ausgeübt wird. Und wenn man versucht, Konsumtion und Produktion, Kolonie und Metropole zusammenzubringen, dann geschieht es leicht, daß man die eine oder die andere - den »Mittelpunkt« oder den »Außenrand« nicht mehr so richtig scharf sieht. Wenn man auf Europa schaut, um Genaueres über die Kolonien als Produzenten und Europa als Konsumenten - oder auch umgekehrt - zu erfahren, dann heißt das nicht, daß man sich damit auch schon über die andere Seite der Beziehung ausreichend Klarheit verschaffen könnte. Wiewohl die Beziehungen zwischen Kolonien und Metropole in ihrem unmittelbaren Sinne klar und augenfällig sind, sind sie daneben auch verwirrend und voller Mysterien." (Mintz 1987: 13)

"Die süße Macht" (Mintz 1987) analysiert diese Prozesse am Beispiel des Zuckers. Das Buch beschäftigt sich mit verschiedenen Elementen bzw. Stadien im Zuge der "Biographie" (Kopytoff 1986) dieses tropischen Produkts. Dazu zählen:

  • Anthropologie der Ernährung
  • Bedeutung der Süße
  • Produktion von Zucker für das britische Königreich
  • Plantagenwirtschaft und Sklaverei in der Karibik
  • Geschichte des Konsums von Zucker im Abendland
  • Bedeutung von Zucker für die moderne Gesellschaft - Umstände, Zusammenhänge, Ursachen


5.3.2.1.1 Die Süße und der Konsum von Zucker


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Der anthropologische Blick auf Essen und Ernährung als Teilstück einer Anthropologie des modernen Lebens fokussiert sich im ersten Abschnitt des Buches von Mintz (1987) das Süße: Süße ist ein Geschmack und eine Qualität, die von allen Menschen empfunden wird, jedoch in unterschiedlichen sozialen und kulturellen Gefügen spezifische Bedeutungen erfährt. Das Ausmaß und die Bedeutungen des Konsums von Süßem sind in ein breites Spektrum von historischen, sozialen und ökonomischen Prozessen eingebunden.

Mintz analysiert die Bedeutung der Süße im Rahmen der Geschichte der Nahrung in Europa.

Wenngleich Fürchte und Honig für die Engländer vor 1650 die Hauptquelle für Süße darstellten, scheinen sie in der englischen Kost keine wesentliche Rolle gespielt zu haben. Zucker, gewonnen aus dem Saft des Zuckerrohrs, erreichte England in kleinen Mengen etwa ums Jahr 1100; während der folgenden 500 Jahre stieg die Menge des verfügbaren Rohrzuckers ohne Zweifel an, aber nur langsam und keineswegs stetig. (Mintz 1987:26)

Ab dem 16. Jahrhundert kommt es zu einer erheblichen Steigerung des Konsums von Süßen, und zwar in erster Linie von Zucker, ein Prozess, der im 19.Jahrhundert extrem akzeleriert und im 20.Jahrhundert seinen Höhepunkt erreicht. Heute stellt Zucker einen unentbehrlichen Bestandteil der Ernährung in Europa (und anderswo) dar.

5.3.2.1.2 Bedeutung und Politische Ökonomie des Zuckers


Zuckerwatte am Wiener Christkindlmarkt. Foto: Elke Mader

In Anbetracht der geringen Relevanz von Zucker bzw. Süßem für die europäischen Ernährungsgewohnheiten bis zum 19. Jahrhundert, wo Zucker zu einem festen Bestandteil der Ernährung wurde, analysiert Mintz (1987) die verschiedenen Gründe für diese Veränderungen. Eine zentrale Frage beschäftigt sich mit der Bedeutung des Zuckers.

Die »Bedeutung« läßt sich in diesem Fall nicht einfach »ablesen« oder »entziffern«, sie erwächst vielmehr aus dem kulturellen Gebrauch, den der Zucker von sich machen ließ, aus den Verwendungen, denen er zugeführt wurde. Kurz, die Bedeutung ist eine Konsequenz einer Aktivität. Das heißt nicht, Kultur sei nichts als eine Art von Verhalten (oder lasse sich alleine darauf reduzieren). Aber nicht danach zu fragen, wie die Bedeutung in das Verhalten hineingelangt, das Produkt ohne Kenntnis seiner Produktion erfassen zu wollen, heißt die Geschichte - wieder einmal - auszublenden, sie zu ignorieren. [...] Es gilt den Prozess der Kodifizierung und nicht nur den Kode selbst zu entschlüsseln. (Mintz 1987: 41)

Mintz widmet sich demnach primär einer politischen Ökonomie der Bedeutungen des Zuckers, die eng mit der Untersuchung der sozio-ökonomischen Dynamik von Produktion, Zirkulation und Konsum verflochten ist.

5.3.2.1.3 Zucker und Sklaverei


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Zuckerrohr wurde erstmals (ca. 8000 v. Chr.) in Neuguinea als Kulturpflanze angebaut und verbreitete sich von dort in mehreren Wellen durch Asien, nach Europa und schließlich nach Amerika. Die frühesten schriftlichen Beweise für die Herstellung von Zucker stammen aus Indien (500 n. Chr.), wo er wahrscheinlich schon lange existierte. Byzantinische Quellen verweisen auf die Verwendung von Zucker in Persien, die arabische Expansion nach Westen im 8. Jahrhundert bringt schließlich den Zucker nach Europa (Spanien). Bald darauf handeln bereits die Venezianer mit Zucker, um 1000 n. Chr. ist Zucker in großen Teilen Europas bekannt. Im 12. Jahrhundert kontrollieren die Kreuzfahrer einen Teil der - von den Sarazenen aufgebauten - Zuckerproduktion im Königreich Jerusalem und intensivieren den Handel mit Europa (Mintz 1987: 47-53).

In seiner langen Geschichte war Zucker nie ein Grundnahrungsmittel gewesen, in Europa stellte er bis ins 18.Jahrhundert einen Luxusartikel dar, nach dem jedoch zunehmende Nachfrage bestand. Die drastischen Veränderungen in Hinblick auf die Bedeutung und den Konsum von Zucker in Europa vom 17. zum 19. Jahrhundert stehen in direktem Zusammenhang mit einer bestimmten Produktionsweise des Zuckers, nämlich mit Plantagenwirtschaft und Sklaverei. Es bildeten sich Handelsdreiecke[1] heraus, die im 17. Jahrhundert entstanden und im 18. Jahrhundert zur Blüte gelangten:

Das erste und berühmtere Dreieck verband Britannien mit Afrika und der Neuen Welt: Fertigwaren wurden an Afrika verkauft, afrikanische Sklaven an beide Amerikas und amerikanische tropische Produkte (insbesondere Zucker) an das englische Mutterland und seine auf Importe angewiesenen Nachbarn. (Mintz 1987: 71)

Eine wichtige Besonderheit dieser beiden Dreiecke bestand darin, daß menschliches Frachtgut in ihrem Funktionszusammenhang eine entscheidend wichtige Rolle spielte. Es war nicht nur so, daß Zucker, Rum und Melasse nicht direkt gegen europäische Fertigwaren ausgetauscht wurden; in beiden transatlantischen Dreiecken gab es eine »falsche Ware« - die aber für das System absolut unentbehrlich war - sie bestand in menschlichen Wesen, in Menschen. Sklaven waren deshalb eine »falsche Ware«, weil der Mensch kein Gegenstand ist, selbst wenn er als solcher behandelt wird. (Mintz 1987: 72)</blockquote> Die Geschichte der Produktion von Zucker in der Neuzeit ist also aufs Engste mit dem Kolonialismus und insbesondere mit dem transatlantischen Sklavenhandel verflochten. Die Steigerung des Absatzes bzw. des Konsums von Zucker steht wiederum in Zusammenhang mit den Transformationen der Ökonomie und der Arbeitswelt in Europa.

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 5.3.1.1.2.3

5.3.2.1.4 Zucker, Konsum und Macht


Der Zucker durchdrang das soziale Verhalten und wurde, indem er neuen Verwendungsarten zugeführt und mit neuen Bedeutungen versehen wurde, von einer Kuriosität und einem Luxusgut in einen alltäglichen, notwendigen Gebrauchsartikel transformiert. Das Verhältnis von Produktion und Konsumtion findet möglicherweise sogar eine Parallele in dem Verhältnis von Verwendung und Bedeutung." (Mintz 1987: 27)

Mintz betrachtet die Veränderungen von Verwendung und Bedeutung von Zucker im Kontext der sozio-ökonomischen Veränderungen in Europa im 18. und 19. Jahrhundert. Durch die umfangreiche Produktion in den Zuckerkolonien mit Sklaverei wurde Zucker billiger und war reichlicher vorhanden, dementsprechend nahm sein Potential als Machtsymbol ab. Zucker wandelte sich von einer prestigereichen Zierde am Tisch des Adels und der Oberschicht zum Kapital. Der symbolische Prestigeverlust von Zucker ging Hand in Hand mit einem erhöhten Potential des Produkts als Quelle von Profit.

Im 18. Jahrhundert wurde das Geschäft mit dem Zucker, ob es sich um die Produktion, den Transport, das Raffinieren oder die Besteuerung handelte, insofern zu einer viel effektiveren Machtquelle für die Herrschenden, als die Geldsummen, um die es ging, nun sehr viel größer waren." (Mintz 1987: 125)

Die gestiegene Verwendung von Zucker stand auch in Zusammenhang mit drei anderen exotischen Importgütern - Tee, Kaffee und Kakao. Sie stammen ebenfalls aus den Tropen und ihre Produktion, Zirkulation und Konsumption ist wiederum aufs engste mit dem Kolonialismus verbunden (z.B. der Teehandel[1] mit der britischen Expansion in Asien). Alle drei stimulierenden Getränke sind bitter und ihre rapide Verbreitung in Europa seit dem 18. Jahrhundert geht Hand in Hand mit der Verbreitung des Zuckers.

Im 19.Jahrhundert steht der Konsum von zuckerreicher Nahrung, die sich auf immer größere Teile der Bevölkerung erstreckte, auch in Zusammenhang mit den veränderten Lebens- und Arbeitsverhältnissen der Menschen durch Industrialisierung und Urbanisierung. Zucker liefert schnelle Kalorien und stillt den Hunger: Süßspeisen wurden immer stärker zur Nahrung der Arbeiter und der Armen. Bis hin zur Imbissgesellschaft der Gegenwart geht diese Entwicklung weiter und Zucker nimmt (z.B. in Gestalt des "Power-Riegels") immer neue Formen und Bedeutungen an.

  • Zucker in einem Wiener Supermarkt. Foto: Elke Mader
  • Zucker in einem Wiener Supermarkt. Foto: Elke Mader

Für die Entwicklung des Kapitalismus war der Zucker (ebenso wie Tee und Kaffee) eine geradezu ideale Substanz:

Ein arbeitsreiches Leben sah mit seiner Hilfe weniger aufreibend aus; in der Erfrischungspause erleichterte er tatsächlich oder scheinbar den Übergang von Arbeit zur Erholung und umgekehrt; er sorgte schneller für Völle - oder Sattheitsgefühle als komplexe Kohlehydrate dies vermochten; er ließ sich leicht mit anderen Nahrungsmitteln verbinden, deren Bestandteil er bisweilen war ( wie z.B. bei Tee und Keksen, Kaffee und Brötchen, Kakao und Marmeladebrot). [...] Kein Wunder, daß die Reichen und Mächtigen ihn so liebten, und kein Wunder, daß auch die Armen ihn lieben lernten." (Mintz 1987: 220)

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 5.3.1.1.2.4.2


5.3.3 Sidney Mintz und Eric Wolf: Verflechtungen, Politische Ökonomie und Konstruktion von Bedeutung

"'Die süße Macht'"' (Mintz 1987) und "'Die Völker ohne Geschichte'"' (Wolf 1991) gehören der selben Forschungsrichtung an und weisen viele gemeinsame Ansätze und Fragestellungen auf. Die theoretische und thematische Ausrichtung beider Werke fokussiert auf Verflechtungen zwischen Menschen bzw. Kulturen durch Flüsse von Ideen und Gütern. Die ökonomischen Grundlagen dieser Verflechtungen und ihre Auswirkungen auf verschiedene Facetten der Gesellschaft in verschiedenen Weltgegenden stehen im Mittelpunkt der Betrachtung.

Während die "Die Völker ohne Geschichte" (Wolf 1991) globale Prozesse an Hand von Beispielen aus vielen verschiedenen Weltregionen analysieren, stellt "Die süße Macht" (Mintz 1987) eine Fallstudie dar, die sich an einem Produkt - in dem Geflecht von ökonomischen und kulturellen Verknüpfungen und Interaktionen - orientiert. Wolf legt das Hauptaugenmerk auf die Interaktionen von verschiedenen Produktionsweisen und untersucht vor allem weltumspannende Kreisläufe von Produktion und Zirkulation. Mintz konzentriert sich stärker auf Fragen des Konsums und der Konstruktion von Bedeutungen eines Produkts.

Beide Werke sind historisch orientiert und beschäftigen sich mit Aspekten der europäischen Expansion. So umfasst die "Kulturgeschichte des Zuckers" den Zeitraum zwischen der Entstehung des Welthandels in der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Beide Werke gegen von folgenden Ansätzen aus:

  • das Studium von Kultur und Geschichte ist aufs Engste mit dem Studium von ökonomischen und politischen Verhältnissen verbunden;
  • die Welt ist "als ganze, als Totalität, als System" zu betrachten;
  • die verschiedenen Teile des Systems sind auf komplexe Weise miteinander verflochten;
  • das Augenmerk gilt der Unbeständigkeit und Durchlässigkeit kultureller Gebilde;
  • für die Analyse von komplexen gesellschaftlichen Gefügen ist die Untersuchung der Machtverhältnisse [1] sowie der historischen Prozesse von grundlegender Bedeutung (vgl. auch Wolf 1991).

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 3.4 der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung


5.3.4 Immanuel Wallerstein: Weltsystemtheorie und Dependenz

Phone Shop in Ghana. Foto: Ulrike Davis-Sulikowski

Der Weltsystemansatz entstand in den 1970er Jahren und ist eng mit dem Namen Immanuel Wallerstein verbunden. Aufbauend auf der aus dem Funktionalismus entstandenen, Systemtheorie wird dabei der weltweite Kapitalismus als einheitliches System [1] betrachtet. Die Weltsystemtheorie wurden in der Folge in verschiedenen Fachdisziplinen und Forschungsfeldern rezipiert, kritisiert und weiterentwickelt, u.a. im Rahmen der Ökonomie, der Ökonomischen Anthropologie, der Entwicklungssoziologie und der historischen Forschung.

Die zentralen Thesen von Wallerstein betreffen

  • die systematische Ganzheit des Weltsystems in der modernen Welt
  • die ökonomische Differenzierung des Systems in verschiedene Zonen
  • Macht und Wirkungspotential der einzelnen Zonen

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 2.4.4.3 der Lernunterlage Internationale Politische Ökonomie


5.3.4.1 Die Welt als System


Foto: Ulrike Davis-Sulikowski
"Leaving aside the now defunct mini-systems, the only kind of social system is a world-system, which we define quite simply as a unit with a single division of labor and multiple cultural systems. it follows logically that there can, however, be two varieties of such world-systems, one with a common political system and one without. We shall designate these respectively as world-empires and world-economies." (Wallerstein 2004: 63)

Ausgehend von der These des Funktionalismus, die Sozialwissenschaft solle soziale Ganzheiten studieren, argumentiert Wallerstein, dass in der modernen Welt nur noch eine soziale Einheit existiert: das Weltsystem. Das Weltsystem ist ökonomisch integriert, nicht aber politisch, d.h. Staaten können politisch voneinander unabhängig sein, ökonomisch sind sie jedenfalls interdependent.

Der Weltsystemansatz steht in enger Verbindung mit der Dependenztheorie[1], die eine Abhängigkeit (Dependenz) zwischen dominanten und ausgebeuteten Räumen, seien dies Kontinente, Nationen oder Regionen und die damit verbundenen Machtverhältnisse ins Zentrum ihrer Untersuchungen stellt.

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 2.4.4.2 der Lernunterlage Internationale Politische Ökonomie

5.3.4.2 Zentrum und Peripherie


Graffiti in Akra (Ghana). Foto: Ulrike Davis-Sulikowski

Laut Immanuel Wallerstein ist das Weltsystem ökonomisch differenziert in

  • Zentren (cores) = USA und Westeuropa
  • Peripherie = 3. Welt
  • Semiperipherie = Pufferstaaten wie Mexiko, Südafrika, "Tiger-Staaten" etc.

Zwischen den verschiedenen Zonen besteht Ungleichheit, die als historisches Produkt der kapitalistischen Entwicklung ab dem 16. Jahrhundert zu betrachten ist. Die Machtverhältnisse im Weltsystem sind das Produkt von vier Jahrhunderten kolonialer und postkolonialer Veränderungsprozesse.

Soziale Prozesse in konkreten Regionen können nur aus der Rolle, die diese Regionen im Weltsystem einnehmen, erklärt werden; wesentlich sind dabei zwei Faktoren:

  • neue Entwicklungen in den Zentren
  • Aufrechterhaltung der Erfordernisse des Systems als Ganzes

Wallersteins Theorie wurde vor allem aufgrund ihres statischen Modells kritisiert: So werden nur die Zentren als aktiv und bestimmend für das Weltsystem erachtet, die Ökonomie im Zentrum gilt als Maßstab für die ganze Welt. Die Peripherie wird ausschließlich als passiv - als Opfer bzw. Vollstrecker der Entwicklungen im Zentrum - betrachtet.

Während Eric Wolf[1] und Sidney Mintz[2] die komplexen Vernetzungen von kulturellen, ökonomischen und politischen Prozessen im Weltsystem herausarbeiten (Mintz 1987, Wolf 1991), kann das Modell Wallersteins bei weitem nicht alle Prozesse in der Peripherie erklären. Auch dort gibt es lebendige, funktionierende Märkte sowie Widerstand gegen die Forderungen des fremden Kapitals. Aus der Perspektive der Ökonomischen Anthropologie gibt es darüber hinaus Einwände gegen die vollständige Vernachlässigung der Bedeutung von (lokalen) kulturellen Gefügen für die Analyse des Weltsystems (Roseberry in Plattner 1989: 110f).

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 5.3.1
[2] Siehe Kapitel 5.3.2

5.3.5 Ökonomische und kulturelle Verflechtungen: Weltsystem, Globalisierung und Diversität

Airport Vienna. Foto: Elke Mader

Menschen, Kulturen und Ökonomien stehen und standen nie für sich allein. Sie sind immer auch durch Kontakte und Verflechtungen gekennzeichnet, die zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Regionen mehr oder weniger intensiv verlaufen. Im Zeitalter der Globalisierung gewinnen solche Interaktionen besonders an Bedeutung, sie erfolgen schneller, weiträumiger (globaler), intensiver und wirken sich auf mehr Menschen gleichzeitig aus als bisher. Hauser-Schäublin und Braukämper beschreiben diese Prozesse folgendermaßen:

Weltweite Verflechtungen, Verflechtungen verschiedenster Art und von verschiedenster Qualität, Verflechtungen die in unterschiedlichste Richtungen verlaufen, Verflechtungen mittels verschiedenster Medien, Verflechtungen von Menschen und ihren Handlungen, von Gütern, Ideen und Systemen, Verflechtungen, die mit unterschiedlichster Macht ausgestattet sind und Verflechtungen, die zur Erringung von Herrschaft und/oder Profit unterschiedlichster Gruppen dienen. (Hauser-Schäublin, Braukämper 2002: 10)

Die Dynamik der Verflechtungen prägt viele ökonomische Prozesse und ihre Untersuchung umfasst verschiedene Forschungsfelder, wie z.B.:

  • Analysen des Weltsystems[1] und seiner Interaktionen mit lokalen ökonomischen und kulturellen Gefügen (u.a. Eric Wolf[2], Sidney Mintz[3], Immanuel Wallerstein[4])
  • Warenströme und das "soziale Leben der Dinge" (u.a. Sidney Mintz[5], Arjun Appadurai, Igor Kopytoff, Gerd Spittler [6])
  • Globalisierung [7] (u.a. Ulrich Beck[8], Arjun Appadurai [9])

Verweise:

[1] Siehe Kapitel 2.4.4.3 der Lernunterlage Internationale Politische Ökonomie
[2] Siehe Kapitel 5.3.1
[3] Siehe Kapitel 5.3.2
[4] Siehe Kapitel 5.3.4
[5] Siehe Kapitel 5.3.2
[6] https://web.archive.org/web/20050507084508/http://www.uni-bayreuth.de/departments/ethnologie/spittler.html
[7] Siehe Kapitel 7 der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Beck
[9] https://web.archive.org/web/20051028064735/http://www.appadurai.com/


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5.4 Bibliographie und weiterführende Literatur

Verfasst von Gertraud Seiser und Elke Mader

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Zinsou, Marie-Cécile 2005: 'Romuald Hazoumé'. Fondation Zinsou.

Verweise:

[1] https://web.archive.org/web/20051013061642/http://etudesafricaines.revues.org/document4887.html
[2] https://web.archive.org/web/20060211102345/http://www.alencontre.org/page/print/MeillassouxHommage.htm

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#5.4 Bibliographie und weiterführende Literatur
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