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Vorheriges Kapitel: 3.2 Ritual
Contents
3.3 Kolonialismus
verfasst von Elke Mader
Kolonialismus, Kolonialität, Imperialismus oder Neokolonialismusbezeichnen historische, politische, ökonomische oder kulturelle Prozesse in Verbindung mit einer Herrschaftsform, die auf territorialer Expansion und hegemonialen Ansprüchen auf Menschen und Ressourcen beruht. Diese gehen oft Hand in Hand mit ideologischen Rechtfertigungsdoktrinen der kulturellen[1] Höherwertigkeit - z.B. Zivilisierte vs. Wilde, richtiger Glaube vs. Aberglaube, Rationalität vs. Irrationalität (vgl. Osterhammel 1995). Kolonialistische (Denk-)Systeme zeichnen sich daher durch eine Abwertung der Kolonisierten und eine entsprechende Aufwertung der Kolonialherrschaft aus. Sie stehen in enger Verbindung mit Rassismus und Ethnozentrismus[2].
Im Zuge von Kolonialismus kommt es auch zu einer Reihe von inter- und transkulturellen Prozessen, die unter bestimmten Herrschaftsverhältnissen vonstatten gehen. Transkulturalität, Anpassung, Synkretismus, Hybridisierung oder Kreolisierung sind oft Teil von lange andauernden kulturellen Interkationen, die unter anderem koloniale Systeme und diverse Formen von Kolonialität kennzeichnen. Ein gutes Beispiel für solche kulturellen Baukästen und Verflechtungen ist Lateinamerika[3].
Inhalt
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 1.1.8
[2] Siehe Kapitel 1.2.4
[3] Siehe Kapitel 5.2 der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung
3.3.1 Dimensionen des Kolonialismus
Koloniale und imperiale Herrschaftssysteme etablierten sich in verschiedenen historischen Epochen (z.B. Antike, Neuzeit) und kulturellen Kontexten (z.B. Römisches Imperium, Reich der Inka, chinesischer Kolonialismus). Die größte räumliche Ausdehnung hatte das europäische Kolonialsystem der Neuzeit: "In der Weltgeschichte hat kein Kontinent so viele unterschiedliche Formen an Kolonien besessen und keiner den Zugriff auf die Welt über die Zivilisierungsmission als einem säkularem Programm so unvergleichlich definiert wie das neuzeitliche Europa." (Stuchtey 2010: 1)
Für allgemeine Definitionen und Konzepte sowie einen Überblick zum europäischen Kolonialismus der Neuzeit vgl. z.B. Stuchtey[1] 2010. Eine interaktive Karte[2] veranschaulicht die Entwicklung kolonialer Herrschaftssysteme.
Verweise:
[1] http://www.ieg-ego.eu/de/threads/hintergruende/kolonialismus-und-imperialismus/benedikt-stuchtey-kolonialismus-und-imperialismus-von-1450-bis-1950
[2] http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/89/Colonisation2.gif
3.3.1.1 Colonial Frontier
Eine besondere Dimension des Kolonialismus bildet die colonial frontier ("Kolonisationsfront", Grenzzone). Sie befindet sich an inneren und äußeren Rändern kolonialer Gefüge, an denen es oft (noch) keine eindeutigen Herrschaftsverhältnisse gibt, und involviert verschiedene Akteure, Interessen, Konzepte und Handlungsweisen in ein komplexes Feld von Interaktionen und Gewalt.
Eine colonial frontier kann in einer Region über Jahrhunderte in veränderten Konstellationen bestehen und mit unterschiedlichen historischen und ökonomischen Prozessen vernetzt sein. So umfasst die colonial frontier im südamerikanischen Tiefland eine Vielfalt von regionalen Facetten in unterschiedlichen Zeitepochen. Beispiele für die Diversität dieser Grenzzonen sind etwa die Küste Brasiliens in der frühen Kolonialzeit[1], der Kautschukboom im 19. und 20. Jahrhundert und seine Folgen (vgl. Taussig 1987), aber auch Konfrontationen zwischen indigenen Gemeinschaften, Nationalstaaten und transnationalen Konzernen im Amazonasgebiet bezüglich Ressourcennutzung und Landrechtsfragen oder die anhaltende Missionstätigkeit in der Gegenwart.
Ein klassisches Beispiel für die Ränder und Fronten des Kolonialismus ist auch die US-Amerikanische "frontier"[2], der sogenannte "Wilde Westen". So repräsentiert der "spirit of the frontier" eine typisch kolonialistische Ideologie der Überlegenheit, die Hand in Hand mit der gewaltsamen Aneignung von Land und Ressourcen geht.
Auch der ehemalige "Wilde Westen" (sowie andere Regionen der USA und Kanadas) sind bis heute durch Kolonialität, d.h. durch eine andauernde koloniale Machtmatrix in Hinblick auf die Native Americans/First Nations gekennzeichnet. Diese Prozesse werden beispielsweise im Dokumentarfilm "No More Smoke Signals"[3] (Bräuning 2008) thematisiert.
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 1.4.2 der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung
[2] http://en.wikipedia.org/wiki/Frontier
[3] http://www.youtube.com/watch?v=ufHU1UnnhrE
3.3.1.2 Kolonialität
Unter dem Begriff der Kolonialität werden Prozesse und Strukturen verstanden, die aus kolonialen Verhältnissen hervorgehen: Er bezeichnet die Kontinuität solcher Machtverhältnisse auch nach dem Ende von kolonialen Verwaltungen. Kolonialität ist Teil des Strukturierungsprozesses im Rahmen spezifischer politischer Gefüge (z.B. in den USA oder in Lateinamerika in Hinblick auf die indigenen Gemeinschaften/Native Americans oder Afro- AmerikanerInnen). So sind Gesellschaft und Politik in vielen Ländern von einer "kolonialen Machtmatrix" bzw. der "Kolonialität der Macht" geprägt (vgl. Grosfoguel 2010). Ökonomische und politische Aspekte der Globalisierung[1] stehen ebenfalls oft in einem Naheverhältnis zu kolonialen Prozessen, weil sie alte, jedoch meist immer noch fortwirkende Machtverhältnisse aufs Neue verstärken oder neue kolonialistische Beziehungen etablieren.
Kolonialität beeinflusst heute viele Aspekte des Lebens weltweit: Sie kommt in ökonomischen Zusammenhängen[2], sozialen und politischen Machtverhältnissen oder kulturelle Verflechtungen, Praktiken und Diskursen zum Ausdruck. Kolonialität kann als ein Prozess verstanden werden, der mit Machtansprüchen und Herrschaftsverhältnissen verbunden ist, die in unterschiedlichen historischen und politischen Konditionen immer wieder neu definiert, angeeignet, aber auch in Frage gestellt werden (vgl. auch Davis-Sulikowski, Khittel und Slama 2009).
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.4.1.1
[2] Siehe Kapitel 3.6
3.3.1.3 Kolonialität am Beispiel Lateinamerikas
Lateinamerika war das erste große Kolonialsystem Europas in der Neuzeit. Im 19. Jahrhundert kam es zwar zur politischen Trennung der lateinamerikanischen Staaten vom spanischen und im Fall von Brasilien portugiesischen "Mutterland" - dies implizierte jedoch nur in wenigen Fällen eine Entkolonialisierung der lateinamerikanischen Gesellschaft. Vielmehr orientieren sich jene Eliten, die schon während der Kolonialzeit hohe gesellschaftliche Positionen innehatten (also primär Menschen iberischer Herkunft - in manchen Fällen durch Heirat mit der lokalen Bevölkerung vermischt), in ihren Lebensweisen und Praktiken weiter an Europa. Die Unabhängigkeit der lateinamerikanischen Staaten implizierte keine grundlegenden Veränderungen der kolonialen Machtmatrix in Bezug auf die indigene und afro-amerikanische Bevölkerung.
Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der Phase der Entkolonialisierung und des Postkolonialismus[1] in Afrika und Asien, entwickelte sich in Lateinamerika ein gesellschaftlicher Prozess, der als Entkolonialisierung verstanden werden kann (z.B. entsprechende Änderungen der Verfassung). Dies erfolgte allerdings nur partiell in einzelnen Staaten. Generell ist die Gesellschaft Lateinamerikas durch Kolonialität[2] geprägt.
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.3.1.4
[2] Siehe Kapitel 1.7.8 der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung
3.3.1.4 Postkolonialismus
Der Begriff "postkolonial"entstand Ende der 1980er Jahre und bezieht sich auf den Zeitraum nach der Entkolonisierung, das heißt nach dem Erlangen der politischen Unabhängigkeit der europäischen Kolonien - in erster Linie in Afrika und Asien. Die postkoloniale Periode steht in enger Verbindung mit Migration und Diaspora sowie mit Prozessen der Globalisierung[1]. Der Begriff des Postkolonialismus impliziert auch eine kritische Position zu kolonialen Systemen und beinhaltet eine Sichtweise auf die Welt jenseits eurozentrischer[2] Mächtigkeiten (vgl. Davis- Sulikowski, Khittel und Slama 2009: 94).
Die interdisziplinäre Forschungsrichtung der Postcolonial Studies (für einen Überblick siehe z.B. Reuter und Karentzos 2012) umfasst unter anderem auch kultur-und sozialanthropologische Untersuchungen. Einen Schwerpunkt bildet die Analyse und Dekonstruktion von bis in die Gegenwart hinein wirkmächtigen kolonialen Strukturen, Diskursen und Denkmustern im Sinne der Kolonialität[3]. Wesentlich für die Postcolonial Studies sind auch neue Konzepte der (kulturellen) Zugehörigkeit und Verortung, wie sie zum Beispiel von Homi Bhabha[4] (1994) entwickelt wurden.
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.4
[2] Siehe Kapitel 1.2.4
[3] Siehe Kapitel 3.3.1.2
[4] http://en.wikipedia.org/wiki/Homi_K._Bhabha
3.3.2 Kolonialismus und Kultur-und Sozialanthropologie
Eine Reihe von wissenschaftlichen Disziplinen (u.a. Geschichte, Ökonomie, Politikwissenschaften, Religionswissenschaft oder Kultur- und Sozialanthropologie[1]) untersucht verschiedene Dimensionen von Kolonialismus. Entsprechende Studien stehen in Zusammenhang mit Fragen nach Macht und Herrschaft sowie nach spezifischen Konditionen ökonomischer, sozialer und (trans)kultureller Entwicklungen und Interaktionen.
In der Kultur- und Sozialanthropologie steht Kolonialismus in Zusammenhang mit
- den Rahmenbedingung der Entwicklung des Faches
- epistemologischen und methodologischen Überlegungen
- diversen Forschungsfeldern und Fragestellungen
- theoretischen Konzepten und Modellen.
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 1
3.3.2.1 Kolonialismus als Rahmenbedingung des Faches
Die Entwicklung der Kultur- und Sozialanthropologie als Fachdisziplin muss in Zusammenhang mit ihren Verflechtungen mit dem Kolonialismus und dessen Machtstrukturen verstanden werden. Das Verhältnis von KSA und Kolonialismus ist als Teil der weltweiten Herrschaftsstrukturen des europäischen Kolonialismus der Neuzeit zu betrachten und stellt seit circa 1970 auch ein wichtiges Forschungsfeld einer kritischen Fachgeschichte dar. Zur Debatte stehen dabei anthropologische Diskurse als eine Form der Repräsentation der Kolonisierten sowie Fragen nach theoretischen Fundamenten des Faches und ihren kolonialen Perspektiven.
So sind zentrale Konzepte des Faches im 19. Jahrhundert[1] und darüber hinaus - so etwa der Begriff der "primitiven Gesellschaft" - eng mit Kolonialismus und einem eurozentrischen Überlegenheitsdenken verbunden. Adam Kuper[2] (1988) zeigt in seinem Buch The Invention of Primitive Society wie Erklärungsmodelle zur Entstehung der Gesellschaft oder der Religion, die seit dem Evolutionismus diskutiert werden, ein unzivilisiertes Gegenbild zur westlichen Gesellschaft konstruieren.
Die kolonialen Konditionen beeinflussten die ethnographische Datenerhebung[3] in diversen Regionen und in Bezug auf unterschiedliche koloniale Regime. Das betrifft einerseits frühe Quellen, die oft aus der Feder von Personen stammen, die direkt an Eroberung, Missionierung oder Verwaltung der entsprechenden Kolonien beteiligt waren. Ein gutes Beispiel für diese Form der Konstruktion von ethnographischem Wissen sind Chronisten und Missionare in Lateinamerika[4].
Auch im 20. Jahrhundert arbeiteten einige Forscher direkt für die Kolonialherrschaft (z.B. Sir Edward Evan Evans-Pritchard[5] in Afrika im Auftrag der englischen Krone), oder sie unterstützten kolonialistische Politik (z.B. Julian Steward[6] in Bezug auf Native Americans in den USA - vgl. Pinkoski 2008).
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 2.1
[2] http://en.wikipedia.org/wiki/Adam_Kuper
[3] Siehe Kapitel 1.3.1
[4] Siehe Kapitel 1 der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung
[5] http://en.wikipedia.org/wiki/E._E._Evans-Pritchard
[6] http://en.wikipedia.org/wiki/Julian_Steward
3.3.2.1.1 Chronisten und Missionare in Lateinamerika
Die Geschichte der Ethnographie sowie der Kultur- und Sozialanthropologie in Lateinamerika[1] beginnt mit den ersten Berichten von Conquistadoren, Chronisten und Missionaren über Land und Leute. Bei diesen Frühformen ethnographischen Schreibens und den dort formulierten Kulturtheorien handelt es sich zwar nicht um wissenschaftliche Texte im Sinne der modernen Kultur- und Sozialwissenschaften als akademische Disziplinen[2], die sich im 19. Jahrhunderts konstituierten, sie stellen jedoch eine wichtige Form der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen dar und haben die Entstehung dieser Wissenschaften wesentlich beeinflusst.
Die Chroniken und Berichte entstanden im Zuge von Kontakten und Konfrontationen der EuropäerInnen mit den BewohnerInnen der "Neuen Welt". Der soziale und politische Kontext, in dem die frühen ethnographischen Texte entstanden, ist die gewaltsame Eroberung von Mittel- und Südamerika und das Implementieren des kolonialen Systems in Lateinamerika. Beispiele für solche Texte sind etwa die Rechenschaftsberichte an die Herrschenden (relaciones), das Bordbuch des Kolumbus[3] (1492/1970), Hans Stadens[4] Buch Die wahrhaftige Historie der wilden, nackten, grimmigen Menschenfresser-Leute (1557) oder die Chronik des Poma de Ayala[5] (1615).
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 1 der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung
[2] Siehe Kapitel 2
[3] Siehe Kapitel 1.2 der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung
[4] Siehe Kapitel 1.4 der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung
[5] Siehe Kapitel 1.5 der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung
3.3.2.2 Kolonialismus als Forschungsgegenstand
"Anthropologists mostly think of colonialism in three ways: as the universal, evolutionary progress of modernization; as a particular strategy or experiment in domination and exploitation; and as the unfinished business of struggle and negotiation. All these views, in both positive and negative versions, were common colonial currency. Anthropological views of colonialism commonly stressed a combination of the three." (Pels 1997: 164)
Kolonialismus ist mit diversen Forschungsfeldern und Fragestellungen der KSA verbunden. Diese beziehen sich zum einen - im Sinne der historischen Anthropologie - auf die spezifische historische Phase der Kolonialherrschaft in verschiedenen Regionen. Zum anderen untersucht die Kultur- und Sozialanthropologie diverse kolonialistische Strukturen und Prozesse, die kulturellen Praktiken und sozio-politischen Gefügen der Gegenwart zugrunde liegen und/oder in diesen zum Ausdruck kommen.
Beispiele für die Vielfalt an Themen und Forschungsfeldern der Anthropologie des Kolonialismus sind (vgl. auch Pels 1997):
- ökonomische und kulturelle Verflechtungen in Sinne eines von Kolonialismus geprägten Weltsystems (vgl. Eric Wolf[1] 1982/1991 und Sidney Mintz[2] 1987)
- Konflikt, Gewalt, Widerstand (u.a. in Zusammenhang mit neo-kolonialen Aktivitäten)
- Weltbild, Ritual[3], Religion[4] (u.a. in Zusammenhang mit Missionierung). Zu Weltbild und Menschenbild im Rahmen der Kolonialherrschaft in Lateinamerika siehe Mader[5], zur kolonialen Debatte der Frage "Sind Indianer Menschen?"
- Sklaverei und ihre Folgen für die betroffenen Bevölkerungsgruppen in der Gegenwart
- Einfluss von Kolonialismus auf lokale Gesellschaften/Kulturen (z.B. Gemeinschaft, Ökonomie, Religion, Familie, Gender) bzw. interaktive Prozesse zwischen diversen AkteurInnen
- Transkulturelle Prozesse und die Entstehung neuer kultureller Praktiken (z.B. im religiösen und rituellen Bereich oder in Hinblick auf materielle Kultur und Konsum)
- Entkolonialisierung, Postkolonialismus und die Konstruktion neuer Identitäten
- Verbindung von vorkolonialer und postkolonialer Praxis - u.a. die Neubewertung und Neuinszenierung von indigenen Traditionen
- Migration und Diaspora
- Repräsentation von Kolonialismus und Postkolonialismus in visueller oder materieller Kultur
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 5.3.1 der Lernunterlage Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie
[2] Siehe Kapitel 5.3.2 der Lernunterlage Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie
[3] Siehe Kapitel 3.2
[4] Siehe Kapitel 3.1
[5] Siehe Kapitel 1.7 der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung
3.3.3 Eric Wolf: Kolonialismus, Ökonomie und Verflechtungen
"Unsere Menschenwelt stellt eine vielfältige Totalität miteinander verbundener Prozesse dar, und Untersuchungen, die diese Totalität zerstückeln, ohne sie wieder zusammenzusetzen, verfälschen die Realität." (Wolf 1982/1991: 17)
Eric Wolf[1] leistete einen wesentlichen Beitrag zur Kolonialismus-Forschung in der Kultur- und Sozialanthropologie und darüber hinaus. In seinem Werk Europe and the People without History / Die Völker ohne Geschichte (1982/1991) betont er die Vielfalt historischer Beispiele für unterschiedlichste Verflechtungen, konzentrierte sich dabei jedoch vor allem auf den europäischen Kolonialismus der Neuzeit. In dieser Zeit konstituierte sich erstmals eine Art dichtes globales Netzwerk, in dem Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnissen in einem ökonomischen Gefüge miteinander verbunden waren.
Wolf analysiert den Kolonialismus als ein weltumspannendes wirtschaftliches Gefüge von Produktion und Zirkulation verschiedenster Waren und der damit zusammenhängenden Akkumulation von Macht in bestimmten Zentren. Im Mittelpunkt seiner theoretischen Grundlagen steht die politische Ökonomie[2] und damit verbunden Fragen nach dem Verhältnis von Macht und Geschichte sowie nach Gruppenbeziehungen in komplexen Gesellschaften.
Wolf thematisierte verschiedene ökonomische Bedingungen und Ziele der europäischen Expansion im Zuge der Kolonialisierung. Er untersucht dabei auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowohl verschiedener europäischer Staaten, als auch kolonialisierter Zonen. In diesem Sinne ist Eric Wolf[3] auch als ein Vorläufer von Globalisierungstheorien[4] zu verstehen, die ebenfalls von einer Intensivierung solcher Vernetzungsprozesse ausgehen.
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 5.3.1 der Lernunterlage Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie
[2] Siehe Kapitel 3.6.1
[3] Siehe Kapitel 3.4 der Lernunterlage Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung
[4] Siehe Kapitel 3.4.6.2
3.3.4 Repräsentation von Kolonialismus im Spielfilm
"...fictional feature film can also act as a guide to cultural constructions of everyday life, to symbolic and metaphoric communication, and to political and economic forces." (Gray 2010: XI)
Die Auseinandersetzung mit der Repräsentation von Kolonialismus im Spielfilm liegt an der Schnittstelle zwischen der Anthropologie des Kolonialismus[1], der visuellen Anthropologie und der Medienanthropologie[2].
Die Analyse von Spielfilmen aus der Perspektive der Kultur- und Sozialanthropologie ist eine relativ neue Forschungsrichtung, die sich sowohl mit Inhalten der Filme als auch mit deren Kontext beschäftigt (vgl. Gray 2010, Mader 2008, Sutton und Wogan 2009). Sie geht davon aus, dass Filme in spezifischen sozio-kulturellen, ökonomischen und politischen Kontexten entstehen und rezipiert werden, und untersucht verschiedene Dimensionen von Inhalt, Produktion, Zirkulation und Rezeption.
Spielfilme können als visuelle Diskurse zu verschiedenen Aspekten von Kolonialismus, Kolonialität[3] und Postkolonialismus[4] verstanden werden. Die filmische Umsetzung kolonialistischer Welten erfolgt in unterschiedlichen Formen: Historische Darstellungsweisen verlegen die Handlung in konkrete räumliche und zeitliche Kontexte, andere Darstellungsweisen (vor allem im Rahmen des Science Fiction Genres) transferieren die Repräsentation von Kolonialismus in andere Welten und Zeiträume.
Parallelen zwischen "Dances with Wolves" & "Avatar" werden beispielsweise in einer Trailer Parodie[5] aufgegriffen.
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.3.2
[2] Siehe Kapitel 3.8
[3] Siehe Kapitel 3.3.1.2
[4] Siehe Kapitel 3.3.1.4
[5] http://www.youtube.com/watch?v=Q9uo4nOD__s
3.3.4.1 Konflikt, Kultur und Transformation
Zentrale Themen in Spielfilmen bilden die Repräsentation und Reflexion der eigenen Vergangenheit als Kolonialherrn oder Kolonisierte, sie umfassen die Aufarbeitung der Beziehung zu (ehemaligen) Kolonien sowie die Konstruktion von postkolonialen Identitäten[1]. Die Filme erzählen Geschichten, in denen Machtverhältnisse interpretiert, bestätigt oder in Frage gestellt werden. Im Mittelpunkt der Handlung steht häufig die Gegenüberstellung von Kolonialherrschaft und Kolonisierten im Zuge von Konflikten, Gegensätzen und Interaktionen. Dabei wird das Verhältnis von Homogenität und Diversität[2], Individuum und Gesellschaft[3], Zustimmung und Widerstand angesprochen.
Spielfilme über Kolonialismus konstruieren und/oder dekonstruieren Identitäten, und zwar oft aus einer Perspektive des Postkolonialismus. Dabei kommt der Darstellung kultureller Praktiken besondere Bedeutung zu. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Repräsentation von transkulturellen Prozessen, die oft mit Liebesgeschichten verbunden werden. Diese Verflechtungen, Transfers und Transformationen betreffen des weiteren unter anderem materielle Kultur, Technologien und diverse kulturelle Praktiken. Wesentliche Themen sind aber auch Krieg, Kampf und Gewalt. (Vgl. z.B. Needham und Eleftheriotis 2006)
Verweise:
[1] Siehe Kapitel 3.3.1.4
[2] Siehe Kapitel 1.2.1
[3] Siehe Kapitel 1.1.3
3.3.5 Literatur
Bhabha, Homi 1994: The Location of Culture. London: Routledge.
Davis-Sulikowski, Ulrike, Stefan Khittel und Martin Slama 2009: Migration, Diaspora und postkoloniale Zugehörigkeiten. Identitäten, Grenzen, Verortungen. In: Maria Six-Hohenbalken und Jelena Tošić (Hg.): Anthropologie der Migration. Theoretische Grundlagen und interdisziplinäre Aspekte. Wien: Facultas: 93-109.
Eleftheriotis, Dimitri und Gary Needham (Hg.) 2006: Asian Cinemas: A Reader and Guide. Edinburgh: Edinburgh University Press.
Gray, Gordon 2010: Cinema: A Visual Anthropology. London und NewYork: Berg.
Grosfoguel, Ramón 2010: Die Dekolonisation polit-ökonomischer und postkolonialer Studien -- Transmoderne, Grenzdenken und Postkolonialität. In: Manuela Boatcă und Willfried Spohn (Hg.): Globale, multiple und postkoloniale Modernen. München: Rainer Hampp Verlag: 309-339.
Kuper, Adam 1988: The Invention of Primitive Society: Transformations of an Illusion. London: Routledge.
Mader, Elke 2008: Anthropologie der Mythen. Wien: Facultas.
Mintz, Sidney 1987: Die süße Macht. Eine Kulturgeschichte des Zuckers. Frankfurt/Main: Campus.
Osterhammel, Jürgen 1995: Kolonialismus: Geschichte, Formen, Folgen. München: Beck.
Pels, Peter 1997: The Anthropology of Colonialism: Culture, History, and the Emergence of Western Governmentality. In: Annual Revue of Anthropology 26: 163-113.
Pinkoski, Marc 2008: Julian Steward, American Anthropology, and Colonialism. In: Histories of Anthropology Annual, Vol 4. No. 1: 172-204.
Reuter, Julia und Alexandra Karentzos (Hg.) 2012: Schlüsselwerke der Postcolonial Studies. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Stuchtey, Benedikt 2010: Kolonialismus und Imperialismus von 1450 bis 1950.[1] [Zugriff: 03.09.2013].
Sutton, David und Peter Wogan 2009: Hollywood Blockbusters: The Anthropology of Popular Movies. London und NewYork: Berg.
Taussig, Michael 1987: Shamanism, Colonialism, and the Wild Man. Chicago: University of Chicago Press.
Wolf, Eric 1982/1991: Die Völker ohne Geschichte. Europa und die andere Welt seit 1400. Frankfurt/Main und New York: Campus Verlag.
Verweise:
[1] http://www.ieg-ego.eu/de/threads/hintergruende/kolonialismus-und-imperialismus/benedikt-stuchtey-kolonialismus-und-imperialismus-von-1450-bis-1950
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