Einfuehrung in die Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie
Contents
- 1 Einführung in die empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie
- 2 4.4 Literatur
- 3 5 Ausgewählte Weiterentwicklungen der ethnographischen Feldforschung
- 4 5.1 Ordnung vs. Konflikt: Die Extended-Case Method
- 5 5.2 Methodische Entwicklungen durch die Culture und Personality School
- 6 5.3 Dichte Beschreibung und interpretative Ethnographie
- 7 5.4 Postmoderne Kritik, literal turn und die Krise der Repräsentation
- 8 5.5 Globale Welt und multi-sited Ethnography
- 9 5.6 Transnationale Forschungen
- 10 5.7 Literatur
- 11 6 Strategien der Datenanalyse
- 12 6.1 Analyse der Fieldnotes
- 13 6.2 Inhaltsanalyse
- 14 6.3 weitere ausgewählte Verfahren der Textanalyse
- 15 6.4 Literatur
Einführung in die empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie
In verschiedenen Projekten, an denen das Institut für Kultur- und Sozialanthropologie beteiligt war, entstanden 2005 und 2006 hypermediale Lehr- und Lernunterlagen, die online genutzt werden können. 2019 wurden diese von Marlies Madzar und Clemens Schmid in ein aktuelles Wikiformat überführt. Für Anregungen, Hinweise und Kommentare, schreiben Sie bitte ein Mail an eksa.univie.ac.at
Verfasst von Ernst Halbmayer
Kapitelübersicht
1. Die Herausbildung der kultur- und sozialanthropologischen Forschungsmethoden
- 1.1 Zur Institutionalisierung der Kultur- und Sozialanthropologie
- 1.2 Nationale Traditionen und unterschiedliche Bezeichnungen der Disziplin
- 1.3 Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie vor der systematischen Feldforschung
- 1.4 Bronislaw Malinowski: Das klassische Modell der Feldforschung
- 1.5 Literatur
2. Einige wissenschaftstheoretische Grundlagen der empirischen Sozialforschung
- 2.1 Methoden, Methodik und Methodologie
- 2.2 Der Positivismus
- 2.3 Nicht-positivistische wissenschaftstheoretische Ansätze in den Geistes- und Sozialwissenschaften
- 2.4 Emisch und etisch
- 2.5 Empiristen versus Rationalisten
- 2.6 Arten von Theorien
- 2.7 Begriffsbildung, Begriffsdefinitionen und Begriffsrelationen
- 2.8 Literatur
3. Projektentwicklung: von der Idee zum Forschungsprojekt
- 3.1 Vom Interesse zur wissenschaftlichen Fragestellung
- 3.2 Von der Fragestellung zum Forschungskonzept
- 3.3 Kontexte eines Forschungsprojekts
- 3.3.1 Ethik der Forschung
- 3.3.1.1 Ethik gegenüber den Untersuchten
- 3.3.1.2 Ethik im Umgang mit Ergebnissen
- 3.3.1.3 Ethik gegenüber der wissenschaftlichen Gemeinschaft
- 3.3.1.4 Ethik gegenüber der Öffentlichkeit
- 3.3.1.5 Ethik gegenüber Sponsoren, Geld- und Arbeitsgebern
- 3.3.1.6 Ethik gegenüber Regierungen
- 3.3.1.7 The War against Terror und das Human Terrain System
- 3.3.1.1 Ethik gegenüber den Untersuchten
- 3.3.1 Ethik der Forschung
- 3.4 Literatur
- 4.1 Der lineare theorie- und hypothesenprüfende Forschungsablauf
- 4.2 Der zirkuläre theorieentwickelnde Forschungsablauf
- 4.3 Qualitätskriterien in der empirischen Sozialforschung
- 4.4 Literatur
5. Ausgewählte Weiterentwicklungen der ethnographischen Feldforschung
- 5.1 Ordnung vs. Konflikt: Die Extended-Case Method
- 5.2 Methodische Entwicklungen durch die Culture und Personality School
- 5.3 Dichte Beschreibung und interpretative Ethnographie
- 5.4 Postmoderne Kritik, literal turn und die Krise der Repräsentation
- 5.5 Globale Welt und multi-sited Ethnography
- 5.6 Transnationale Forschungen
- 5.7 Literatur
Weitere Kapitel dieser Lernunterlage
1. Die Herausbildung der kultur- und sozialanthropologischen Forschungsmethoden
2. Einige wissenschaftstheoretische Grundlagen der empirischen Sozialforschung
3. Projektentwicklung: von der Idee zum Forschungsprojekt
4. Forschungsablauf
5. Ausgewählte Weiterentwicklungen der ethnographischen Feldforschung
6. Strategien der Datenanalyse
4.4 Literatur
Böhm, Andreas (2004 [2000]): „Theoretisches Codieren: Textanalyse in der Grounded Theory“. In: Flick et al.: Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg: 475-485.
Diekmann, Andreas (1995): Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg.
Hildenbrand, Bruno (2004 [2000]): „Anselm Strauss“ In: Flick et al.: Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg: 32-42.
Steinke, Ines (2004 [2000]): Gütekriterien qualitativer Forschung. In: Flick et al.: Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg: 319-331.
Strauss, Anselm; Corbin, Juliet (1996): Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. Beltz Psychologie Verlags Union, Weinheim
- (1996): Theoretisches Sampling. In: dies. Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. Beltz, Psychologie Verlags Union, Weinheim: S.148-165.
Witt, Harald (2001): Forschungsstrategien bei quantitativer und qualitativer Sozialforschung. Forum Qualitative Sozialforschung[1] (Online-Journal), 2(1).
Wulff, Helena (2002): ’Yo-yo- fieldwork: mobility and time in a multi- local study of dance in Ireland’, Anthropological Journal on European Culture 11: 117-136.
Verweise:
[1] http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/969
5 Ausgewählte Weiterentwicklungen der ethnographischen Feldforschung
Die methodischen Anweisungen und Grundlagen der Feldforschung, wie sie Malinowski[1] formuliert hat, haben Standards innerhalb der Disziplin gesetzt. Insbesondere die teilnehmende Beobachtung wurde zu einem identitätsbildenden Kern der Disziplin. Dennoch kam es im Laufe des 20. Jahrhunderts zu zentralen Weiterentwicklungen der ethnographischen Verfahren. Diese sind durch unterschiedliche, miteinander in Beziehung stehende Entwicklungen bedingt.
Dazu gehört
- die Veränderung der kultur- und sozialanthropologischen Forschungsfelder,
- die Veränderung des Verständnisses ethnographischer Daten: von der objektiven Abbildung zu Daten zweiter Ordnung
- die Entwicklung neuer theoretischer Perspektiven,
- die Entwicklung neuer technischer Möglichkeiten der Dokumentation und Analyse, z.B. durch audio-visuelle Aufnahmegeräte und den Einsatz von Computern,
- und damit zusammenhängend neue Formen der Darstellung ethnographischer Ergebnisse, die über die klassische Monographie hinausgehen.
Im Folgenden sollen einige dieser Entwicklungen skizziert werden.
Verweise:
[1] [&&&] Siehe Kapitel 1.4
5.1 Ordnung vs. Konflikt: Die Extended-Case Method
Innerhalb der britischen Sozialanthropologie kam es ab den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem bis dahin vorherrschenden (struktur)funktionalistischen Paradigma, welches durch B. Malinowski und A. R. Radcliffe-Brown geprägt wurde. Dieses stellte auf vermeintlich stabile soziale Strukturen ab und, wie bereits anhand des klassischen Modells der Feldforschung von Malinowski[1] gezeigt wurde, dienten direkte Beobachtungsdaten und indigene Klassifikationen primär dazu, diese allgemeinen Ordnungsmodelle zu illustrieren und möglichst anschaulich zu vermitteln. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde zunehmend deutlich, dass diese Modelle eine eigene Selektivität der Darstellung produzierten und aktuelle Phänomene, wie antikoloniale Bewegungen, Industrialisierung und Urbanisierung neue Herausforderungen an das methodische Vorgehen stellten.
Eine methodische Antwort auf diese Herausforderung war die Entwicklung der extended-case method (ECM), die insbesondere von Max Gluckman[2] vorgenommen wurde und mit der so genannten Manchester Schule der britischen Anthropologie in Zusammenhang steht. Die zentrale Umorientierung besteht darin, nicht vermeintlich stabile Ordnungsstrukturen ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen, sondern "den Wettbewerb individueller Akteure um Ressourcen und Status im Rahmen widersprüchlicher, inkonsistenter Normen und Regeln" (Rössler 2003: 144). Im Zentrum der ethnographischen Darstellung stand "das alltägliche Handeln konkreter Personen in der sozialen Praxis" (ebd.) und nicht eine abstrahierte Struktur. Dieses Verfahren stellt darauf ab, die Entwicklung sozialer Konflikte, das Aushandeln individueller Interessen, die unterschiedliche Interpretation sozialer Regeln und Normen darzustellen. Dadurch gewinnt die zeitliche Dimension in der ethnographischen Darstellung im Gegensatz zur rein synchronen Betrachtung eine zentrale Bedeutung. Dies führt zur Durchführung von Langzeit- und Wiederholungsstudien, welche es erlauben, den Wandel in den sozialen Beziehungen zu dokumentieren. Wandel, Abweichung und divergierende Interessen werden nun nicht mehr als dysfunktionale Abweichung von im Prinzip harmonischen Strukturen betrachtet, sondern als zentraler Bestandteil des sozialen Lebens. Es steht also nicht mehr die Suche nach Ordnung und allgemeinen Gesetzmäßigkeiten, wie noch bei Malinowski, im Zentrum. Vielmehr wird die vermeintliche, funktionalistische Kohärenz des Ganzen durch eine Konfliktorientierung der ethnographischen Vorgangsweise abgelöst.
Die extended-case method wurde primär aus der Analyse von Rechtsfällen (cases) entwickelt und ist akteurs-, handlungs- und prozessorientiert. Mitchell (1983: 193f) schlägt folgende ethnographische Verfahren vor:
1) Die angemessene Illustration (abt illustration) eines einzelnen Ereignisses, welches ein generelles Prinzip illustriert.
2) Die Situationsanalyse, welche mehrere miteinander verbundene Situationen innerhalb eines begrenzten Zeitraumes miteinander verbindet.
3) Die extended-case method, welche solche Situationen mit denselben Akteuren über einen längeren Zeitraum hinweg miteinander verbindet.
4) Die Analyse sozialer Dramen, welche Mitchell als inhaltlich und zeitlich beschränkte extended-case method bezeichnet.
Rössler (2003: 146) stellt zu diesen Verfahren fest, dass es sich bei den letzen drei Punkten um das selbe methodische Prinzip mit unterschiedlichen "Nuancen hinsichtlich zeitlicher Tiefe und der Komplexität der dargestellten sozialen Beziehungen (handelt). Es ist von daher durchaus legitim, alle genannten Verfahren 2-4 als ECM zu bezeichnen."
Innerhalb der ECM ist eine detaillierte Kenntnis des Feldes und der einzelnen Fälle notwendig, denn "bevor die Manipulation von Regeln und Institutionen (...) methodisch in den Mittelpunkt gerückt werden können, muss ein umfassendes Wissen über die besagten Regeln und Institutionen erworben sein" (Rössler 2003: 148). Dazu gehört eine lange Feldforschungsdauer, eine intime Kenntnis der untersuchten Gemeinschaft, ein gutes Vertrauensverhältnis zu den untersuchten Personen, eine gute Kenntnis der lokalen Sprache, ebenso ist es notwendig die Vorgeschichte der Ereignisse zu dokumentieren.
Zu den methodischen Problemen der ECM gehören der besonders hohe Zeit- und Arbeitsaufwand aber auch die Notwendigkeit Informationen zur Vorgeschichte der einzelnen Fälle zu erheben, wobei man auf die selektiven Aussagen der Informanten angewiesen ist. Auch die Frage der Repräsentativität der Fälle und deren Auswahl stellt sich als schwierig dar. Einerseits erfordert die detaillierte Dokumentation ausgewählter Fälle eine Auswahl, andererseits will laut Rössler (2003: 149) die ECM nicht die gesamte Gesellschaft erfassen sondern auf der Mikroebene exemplarische Akteure und ihre Handlungen dokumentieren. Es geht um "bewusst nach räumlichen und zeitlichen Kriterien definierten Ausschnitten der alltäglichen Praxis" (ebd.). Als weiterer methodisch problematischer Punkt wird die unvermeidbare Einbindung des Ethnographen als Mitwisser in Krisen- und Konfliktsituationen genannt, welche besondere ethische Probleme[3] mit sich bringt.
Verweise:
[1] [&&&] Siehe Kapitel 1.4
[2] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/organthro/organthro-38.html
[3] [&&&] Siehe Kapitel 3.3.1
5.2 Methodische Entwicklungen durch die Culture und Personality School
Die zweite Generation von Boas SchülerInnen', zu denen u.a. Margaret Mead, Ruth Benedict, Clyde Kluckholm und Ralph Linton gehörten, wendeten sich von der historischen Agenda Boas ab und einer synchronen Analyse zu. Dabei waren sie sowohl von der Psychoanalyse, wie der Gestaltpsychologie aber auch vom britischen Funktionalismus und den 'malinowskischen Feldforschungsmethoden[1] beeinflusst. Erstmals wurden auch Feldforschungen außerhalb der USA, insbesondere im Pazifik, durchgeführt und neue Themen, wie Jugend und Gender erforscht.
Insbesondere Margaret Mead betonte die Notwendigkeit umfassender Feldforschungstechniken und den Bedarf an teilnehmender Beobachtung zur Aufnahme des Alltagslebens. Sie misst der Sprachkompetenz im Vergleich zu Boas geringere Bedeutung bei und argumentiert, dass es ausreichend ist, wenn AnthropologInnen die Sprache so weit beherrschen, dass sie alltägliche Gespräche verstehen, Vertrauen aufbauen und grundlegende Fragen stellen können. Es geht also weniger darum komplexe Textsammlungen und Übersetzungen anzufertigen, als um alltagssprachliche Kompetenz, die zur Beobachtung des Alltagslebens notwendig ist.
Margaret Mead entwickelte gemeinsam mit Gregory Bateson' in Bali und Papua Neuguinea neue minutiöse Methoden der Datenerhebung[2]', die insbesondere auf der visuellen Dokumentation von Verhalten mittels systematischer Foto- und Filmdokumentation beruhten.
Verweise:
[1] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-57.html
[2] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-20.html
5.3 Dichte Beschreibung und interpretative Ethnographie
Clifford Geertz[1] leitete innerhalb der Ethnographie die so genannte interpretative Wende ein, aus der auch eine Veränderung des Objektverständnisses und eine Neubestimmung des ethnographischen Tuns resultiert. Er vollzieht damit eine Wende zur Hermeneutik[2]. Seine Grundannahme ist, dass der Mensch der Welt immer einen Sinn verleiht, die Welt also immer schon interpretiert ist. Bei den Interpretationen der lokalen InformantInnen und jenen der Kultur- und SozialanthropologInnen handelt es sich also nur um Interpretationen auf unterschiedlichen Ordnungsebenen[3]. Die Erschließung dieses Sinns bzw. der Bedeutung wird zum zentralen Moment der interpretativen Ethnographie, aber auch der Auffassung von Kultur, die Geertz seinen Überlegungen zu Grunde legt. Er schreibt: "Ich meine mit Max Weber, dass der Mensch ein Wesen ist, das in selbst gesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe" (Geertz 1983: 9). Diese Bedeutungen sind den Angehörigen einer Gesellschaft sozial verfügbar und dem/der FeldforscherIn, der/die sich diese aneignen will, zugänglich. Geertz legt seinen Untersuchungen also einen nicht-subjektivistischen Bedeutungsbegriff zu Grunde. "Bedeutung ist etwas Öffentliches." (Geertz 1983: 18)
Aus dieser Orientierung rücken die kulturellen Artikulationsweisen und Objektivierungen sowie die symbolischen Dimensionen des sozialen Handelns ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Es geht also nicht um reine Verhaltensbeobachtung, sondern um eine bedeutungstheoretische Fundierung sozialer Handlungen und Prozesse.
An dieser Unterscheidung schließt auch die Differenz von dünner und dichter Beschreibung an, welche Geertz in Anlehnung an Ryle (1971) an Hand eines zwinkernden Jungens veranschaulicht. Eine dünne Beschreibung beschreibt bloß, was der Junge tut (schnell das rechte Augenlid bewegen), während eine dichte Beschreibung diese Tätigkeit im kulturellen Kontext interpretiert und versucht die kulturellen Kategorien des Verständnisses dieser Tätigkeit zu identifizieren. So kann es sich bei dem Zwinkern bloß um ein Nervenleiden handeln, aber auch um ein "bißchen Verhalten, ein wenig Kultur und - voilá - eine Gebärde" (ebd.: 11). Es kann also ein Kode zwischen Freunden sein, mittels dem eine bestimmte Nachricht absichtlich an eine ausgewählte Person, nach gesellschaftlich festgelegten Regeln, übermittelt wird, ohne dass die anderen Anwesenden davon wissen. Es kann sich aber auch um eine Parodie handeln, die das Zwinkern eines Anderen lächerlich macht, oder aber um eine Probe, wenn der Junge vor einem Spiegel steht und das Zwinkern übt. In all den Fällen geht es um bestimmte kulturelle Bedeutungen des Zwinkerns und bestimmte Interpretations- bzw. Auslegungsmöglichkeiten dieses Verhaltens. Dichte Beschreibungen beinhalten die Bedeutungsebenen des Verhaltens.
Forschungstechnisch geht es Geertz also um die Deutung von Symbolsystemen und nicht primär um Empathie mit den Beforschten. Es geht ihm nicht darum, den Standpunkt der Anderen einzunehmen, vielmehr will er die kulturell verfügbaren Handlungsorientierungen aufdecken. Seine Analyse des sozialen Handelns fokussiert auf die Handlungsorientierung und die damit verbundenen Bedeutungen, nicht aber - etwa im Gegensatz zu Pierre Bourdieu - auf die Handlungspraxis. Ganz im Sinne einer nicht- positivistischen und hermeneutischen Tradition fordert Geertz eine Wissenschaft, die nicht nach Gesetzen sucht, sondern interpretiert und Bedeutungen finden will.
Daraus folgt auch, dass die ethnologische Forschung nach Geertz nicht primär eine Sache der Beobachtung ist, sondern vielmehr eine der Interpretation und Analyse des Beobachteten. Hauptteil der ethnographischen Beschreibungen sind nicht konkrete Verhaltensweisen, sondern die darin enthaltenen Bedeutungsstrukturen. Die ethnographische Analyse besteht im Herausarbeiten dieser Bedeutungsstrukturen und dem Bestimmen ihrer gesellschaftlichen Tragweite. Was tut also der Ethnograph? Er "’schreibt’ den sozialen Diskurs ’nieder’, er hält ihn fest" und es ist seine Aufgabe "dem Ganzen" (Geertz 1987: 28) eine vermutete Bedeutung zu verleihen und diese zu bewerten. Kurz: Geertz zu Folge besteht die Untersuchung von Kultur darin, Vermutungen über Bedeutungen anzustellen, diese Vermutungen zu bewerten und aus den besten Vermutungen erklärende Schlüsse zu ziehen. Es handelt sich also um eine kontextgebundene, mikroskopische und kulturrelativistische Herangehensweise.
Aus dem mikroskopischen Modell der Geertz’schen Ethnographie folgt, dass die untersuchte Mikroebene immer im Licht der allgemeinen Kultur und kulturellen Bedeutungen interpretiert wird (Jonesville-ist-die-USA bzw. der Hahnenkampf[4] ist ein Ausdruck der balinesischen Kultur).
Verweise:
[1] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-65.html
[2] [&&&] Siehe Kapitel 2.3.1
[3] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-66.html
[4] https://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-67.html
5.4 Postmoderne Kritik, literal turn und die Krise der Repräsentation
Interpretationen als Vermutungen über Bedeutungen sind also etwas Gemachtes oder Hergestelltes. Geertz zu Folge sind sie also keine Fakten, sondern Fiktionen.
Geertz wird damit zum Wegbereiter der postmodernen Kritik und der writing culture-Debatte (Marcus und Fischer 1986; Clifford und Marcus 1986). Diese gehen davon aus, dass Anthropologie ihren Gegenstand nicht repräsentiert, sondern erfindet. Geertz beharrt allerdings auf der Vorstellung, dass Kultur eine gegebene und abgrenzbare Einheit sei, deren Bedeutung verstanden und erschlossen werden kann. Im Gegensatz dazu stellen postmoderne AutorInnen eine kulturelle Gesamtbedeutung in Frage und fokussieren vielmehr auf die Vielstimmigkeit und Polyphonie der Diskurse. D.h. sie gehen von widersprüchlichen Vorgängen kultureller Bedeutungsproduktion aus und wenden sich gegen "große Erzählungen", die eine Gesamtbedeutung unterstellen.
In weiterer Folge wurden die ethnographischen Beschreibungen selbst als solche Erzählungen gelesen und hinterfragt. Daraus resultierte z.B. die literaturwissenschaftlich inspirierte Frage, welche Strategien AutorInnen anwenden, um ihren Ethnographien Autorität zu verleihen. In den "künstlichen Wilden" (1990) untersucht Geertz diese Strategien in klassischen Ethnographien von Claude Lévi-Strauss, Bronislaw Malinowski, Evans-Pritchard und Ruth Benedict. Ethnographie wird aus dieser Leseweise zu einem Spiel mit unterschiedlichen Textverfahren und literarischen Strategien, welches in letzter Konsequenz mehr über den/die AutorIn, als über die Untersuchten aussagt. Geertz zu Folge gibt es bei der Ethnographie - ähnlich wie in der Kunst - keine Grenze zwischen Darstellungsweise und zugrunde liegendem Inhalt, was in weiterer Folge zu einer Kritik der klassischen Darstellungsweise anthropologischer Erkenntnisse in Form von Ethnographien führt. Insgesamt führte diese Entwicklung insbesondere innerhalb der US- amerikanischen Anthropologie zu einem Fokus auf die Politik des Schreibens, die Frage der Darstellung und der Repräsentation, während die Methodendiskussion in den Hintergrund rückte. Dies führte zur Forderung nach experimentellen Schreibstrategien und neuen Darstellungsformen jenseits der klassischen "großen Erzählungen".
In dieser Auffassung wird Ethnographie mit dem Schreiben gleich gesetzt und die Unterscheidung zwischen Feldforschung (der Teilnahme, dem Beobachten, der dabei generierten Erfahrung) und dem Aufschreiben bzw. zwischen ethnographischen Daten und der Theorie annulliert. Schreiben ist Theorie und die ethnographische Erfahrung und ihre Repräsentation im Schreiben sind aus einem Guss. (vgl. Silverman 2005: 324)
In diesem Sinne ist auch Stephen Taylors Definition der postmodernen Ethnographie zu verstehen: "a cooperatively evolved text consisting of fragments of discourse intended to evoke ... a emergent fantasy of a possible World of commonsense reality .... It is, in a word, poetry." (in Clifford und Marcus 1986: 125)
So wurden dialogisch-plurivoke Textstrategien sowie Strategien multipler Autorenschaft vorgeschlagen, welche die Polyphonie der Stimmen besser repräsentieren sollten. Kulturelle Phänomene und Prozesse sollten evoziert statt repräsentiert werden. Dabei wurde übersehen, dass die Anordnung dialogisch-plurivokaler Texte selbst wieder eine Schreib- und Darstellungsform ist, die in letzter Konsequenz wieder eine/n AutorIn und seine/ihre Selektionen erfordert. Noch wichtiger ist, dass die Versuche nicht autoritative plurivokale Texte zu produzieren nicht zur Aufhebung von Autoritäts-, Macht- und Ausbeutungsverhältnissen in der realen Welt führt. Die postmoderne Wende und literarische Kritik hat vielmehr dazugeführt, dass das Interesse weg von sozialen Institutionen, Machtverteilungen und materiellen Bedingungen einseitig auf die Ebene der Texte und Symbolik verschoben wurde. Dies führte zu einer mangelnden Beachtung des politisch- gesellschaftlichen Kontextes und zu einer radikalen Verabschiedung des Repräsentationsmodells, was in letzter Konsequenz zu einer Verunmöglichung der Erkenntnis von politischen Machtstrukturen führt. Nicht zu letzt deshalb wurden die Werke von Clifford, Marcus und Fischer radikal kritisiert, insbesondere auch von positivistischen WissenschaftlerInnen, wie etwa Marvin Harris[1], deren Ziel es ist, verifizierbare Wahrheiten zu erforschen. So bezeichnet Harris diese Gruppe von Autoren als "untrained would-be novelists and ego-tripping narcissists afflicted with congenial logo-diarrhea." (Silverman 2005: 325)
Gleichzeitig arbeitet eine Wissenschaft, die vorgibt nur Fiktionen zu produzieren, systematisch an ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit. Das methodisch Zentrale an diesen Diskussionen ist aber die reflexive Einsicht, dass es sich bei ethnographischen Daten nicht um eins zu eins Abbildungen einer objektiven Realität handelt. Im Gegensatz zu solchen direkten Abbildungen erster Ordnung, sind ethnographische Daten solche zweiter oder höherer Ordnung. Es handelt sich also um Interpretationen von Interpretationen bzw. um Beobachtungen von Beobachtungen. Insofern beinhalten sie immer auch die Perspektive des/der EthnographIn. D.h. sie können sowohl darauf hin gelesen werden, was sie uns über einen bestimmten Ausschnitt der Welt sagen, wie was sie uns über den/die EthnographIn, seine/ihre Herkunft, seine/ihre theoretischen Annahmen und seine/ihre methodische Vorgangsweise vermitteln.
Erst aus diesem doppelten Charakter der Daten erschließt sich ihre Aussagekraft und Bedeutung. Die gilt für alle im Zuge sozialwissenschaftlicher Forschungen erhobenen/produzierten Daten, nicht nur für ethnographische Beschreibungen. Auch scheinbar harte statistische Daten können darauf hin befragt werden, was sie uns über einen bestimmten Ausschnitt der Welt berichten oder darauf hin, durch welche Form der Operationalisierung[2] und Fragebogenkonstruktion diese Daten zu Stande gekommen sind.
Das besondere Qualitätsmerkmal ethnographischer Daten besteht, im Gegensatz zu anderen sozialwissenschaftlichen Daten, darin, dass sie auf einer ethnographischen Erfahrung beruhen, die durch lang andauernde und intensive Beziehungen zum Feld generiert werden. Ihre Qualität liegt also in einer intimen persönlichen Kenntnis der Praxis und nicht nur in einem Sammeln verbaler Aussagen über diese. Die zentralen methodischen Probleme sind somit die Transformation der ethnographischen Erfahrung[3] in ethnographische Daten und Beschreibungen sowie deren Analyse[4].
Verweise:
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Marvin_Harris
[2] [&&&] Siehe Kapitel 2.7.1.1
[3] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-93.html
[4] [&&&] Siehe Kapitel 6
5.5 Globale Welt und multi-sited Ethnography
Eine weitere Herausforderung für eine aktuelle Ethnographie ergibt sich aus den Prozessen der Globalisierung und den daraus folgenden Konsequenzen für das Verständnis von Kultur. In den 90er Jahren wurde die räumliche Verortung von Kultur kritisiert, hinterfragt und neu konzeptioniert (z.B. Gupta und Ferguson 1997). Die Vorstellung von Kulturen als abgrenzbare, homogene Ganzheiten, die mit bestimmten Orten oder Regionen in einem ursächlichen Zusammenhang stehen, wurde verworfen und machte einem dynamischen nicht- essentialistischen Kulturverständnis Platz, welches versucht lokale Subjekte und Gesellschaften in ihren vielfältigen Beziehungen mit dem Weltsystem in Verbindung zu bringen und in seine Strukturen einzubetten. Dies führte auch zu einer Neudefinition des ethnographischen Feldes und der Feldforschung jenseits einer lokal verankerten Örtlichkeit. Das Feld ist somit nichts mehr Gegebenes, Einheitliches und an einem Ort Lokalisierbares, sondern muss im Zuge der Feldforschung erst konstruiert und konstituiert werden (Amit 2000).
Ein Vorschlag der Konstitution eines solchen multiplen Feldes stammt von George Marcus und wurde unter dem Begriff der multi-sited ethnography bekannt. Ziel der multi-sited ethnography ist es, transnational und global agierende Lebenswelten ethnographisch erforschen zu können und sie geht von der Annahme aus, dass „any ethnography of a cultural formation in the world system is also an ethnography of the system, and therefore cannot be understood only in terms of the conventional single site mise-en-scène of ethnographic research ..." (Marcus 1995:83). Das Objekt der Untersuchung ist unter diesen Bedingungen mobil und mehrfach verortet. Ziel des Verfahrens ist es, diese vielfachen Verortungen, die oft als getrennte Welten wahrgenommen werden, miteinander in Beziehung zu setzten. Das Objekt der Untersuchung wird also an unterschiedlichen Örtlichkeiten erforscht, was dazu führt, dass diesem Verfahren eine vergleichende Dimension inhärent ist, ohne jedoch im Vorfeld von abgeschlossenen oder homogenen Einheiten auszugehen.
George Marcus schlägt sechs Strategien vor, die zu einer Verknüpfung von Feldern im Sinne einer multi-sited ethnography führen. Dazu gehören die Aufforderungen
- Follow the people: Damit ist die Ausrichtung der ethnographischen Recherche entlang der Entwicklungen und Bewegungen von bestimmten Personen und Gruppe gemeint, z. B. im Zuge von Migrationsprozessen.
- Follow the Thing: Hier ist das Nachspüren von Zirkulationsprozessen von Dingen wie beispielsweise Waren, Geschenken, Geldflüssen oder Kunst gemeint, welche ein multipel verortetes Feld konstituieren. Als klassisches Beispiel kann hier etwa Sidney Mintz kulturhistorische Analyse des Zuckers (1985) genannt werden.
- Follow the Metapher: Wenn sich das Objekt der Untersuchung innerhalb von Diskursen und Arten und Weisen zu denken manifestiert, dann spielt die Zirkulation von Zeichen, Symbolen und Metaphern eine zentrale Rolle und kann die Konstitution eines multiplen Feldes anleiten. Marcus nennt in diesem Zusammenhang etwa Martins Untersuchung "Flexible Bodies" (1994), welche darauf abstellt, die Arten und Weisen, wie über das menschliche Immunsystem an verschiedenen Orten innerhalb der amerikanischen Gesellschaft gedacht wird ethnographisch abzubilden. Dabei verknüpft sie Darstellungen in den Massenmedien, auf der Straße im Zusammenhang mit der Behandlung von Aids im Bereich alternativer Therapietechniken und unter WissenschaftlerInnen.
- Follow the Plot, Story, or Allegory: Hier werden Geschichten oder Erzählung, die an einem Feldforschungsort in Erfahrung gebracht werden, als Ausgangspunkt genommen, um ein multipel situiertes, ethnographisches Forschungsprojekt zu entwickeln. Marcus schreibt: "Reading for the plot and then testing this against the reality of ethnographic investigation that constructs its sites according to a compelling narrative is an interesting, virtually untried mode of constructing multi-sited research." (1998 [1995]: 93)
- Follow the Life or Biography: Hier wird die Lebensgeschichte einer Person dazu verwendet, unterschiedliche Örtlichkeiten und ethnographische Felder miteinander in Beziehung zu setzten und die Lebensgeschichte entlang und durch diese verschiedenen Felder verfolgt.
- Follow the Conflict: Eine weitere Form, Felder miteinander zu verknüpfen, besteht darin, den unterschiedlichen Parteien in Konflikten zu folgen, wie es auch innerhalb der Extended-Case Method[1] bereits gemacht wurde. (vgl.: Marcus 1995: 90ff)
Der Vorteil der multi-sited ethnography besteht also in der systematischen Verknüpfung unterschiedlicher und geographisch und sozial oft sehr weit entfernter Felder. Die Schwierigkeit dieser Strategie ergibt sich daraus, dass die einzelnen Felder bei einer insgesamt gleich bleibenden Feldforschungsdauer nur vergleichsweise kurz und oberflächlich untersucht werden können. Dadurch besteht die Gefahr, dass eine zentrale Stärke der ethnographischen Feldforschung verloren geht und dies führte auch zur Kritik an den resultierenden "traveling anthropologists".
Verweise:
[1] [&&&] Siehe Kapitel 5.1
5.6 Transnationale Forschungen
Während die interpretative Anthropologie Clifford Geertz, die postmoderne Kritik der Writing Culture und die daraus resultierenden Überlegungen zur multi-sited Ethnography selbstreflektive Mikroanalysen ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit stellen, steht die transnationale Anthropologie in einem stärkeren Naheverhältnis zu einem Projekt der Makroanthropologie, welches auch die übergeordneten Strukturen der globalen Transformation der Welt in den Blick nimmt. Als Vorläufer sind hier insbesondere die Weltsystemtheorie Immanuel Wallersteins und die aus einer anthropologischen Perspektive darauf reagierende klassische Untersuchung Eric Wolfs "Die Völker ohne Geschichte" zu nennen, sowie in späterer Folge die Arbeiten von Arjun Appadurai (1996) und Ulf Hannerz (1992, 1996).
Transnationale Forschung (vgl. Hannerz 1998) überschreitet die Grenzen politisch definierter Einheiten und setzt räumlich gesehen weit entfernte Örtlichkeiten miteinander in Beziehung. Solche Forschungsfelder umfassen eine Bandbreite unterschiedlicher Bedeutungen und kultureller Formen. Sie fokussiert insbesondere auf die Verbundenheit, den Austausch, die Mobilität und die Interaktion zwischen unterschiedlichen Örtlichkeiten, sowie die Besonderheiten nationaler bzw. lokaler Aneignungen und Kontextualisierungen von Phänomenen. Sie hat somit auch eine vergleichende Dimension, ohne aber - wie die traditionelle vergleichende Anthropologie - von unabhängigen oder abgeschlossenen Untersuchungseinheiten auszugehen.
Zentrale Foschungsthemen und -bereiche, die aus dieser Perspektive Wichtigkeit erlangen sind Formen des Widerstandes gegenüber translokalen Einflüssen, aber auch die dadurch entstehende kulturelle Kreativität und neue Formen kultureller Diversität, der Hybridität und Kreolisierung.
Zu den untersuchten Translokalitäten (Appadurai 1995: 216) gehören Knotenpunkte innerhalb der transnationalen kulturellen Prozesse. Solche sind etwa Hotels, Flughäfen, Weltstädte oder Weltausstellungen, also Örtlichkeiten, die durch Mobilität und dem Zusammentreffen von Menschen unterschiedlicher Herkunft geprägt sind, die Marc Augé (1994) auch als Nicht-Orte bezeichnet.
Solche Translokalitäten werden auch entlang politischer Grenzen untersucht (border studies), wobei insbesondere die grenzüberschreitenden Beziehungen in den Fokus genommen werden. Es wird also das Verbindende und nicht das Trennende an den Grenzen thematisiert. Hier reihen sich auch die mittlerweile klassischen Themen der Migration und der Diaspora ein.
Andere zentrale Forschungsbereiche sind transnationale Organisationen und Unternehmen, Medien, Cyberspace aber auch Waren und das "soziale Leben von Objekten" (Appadurai 1988) in einer globalisierten Welt.
Methodisch basieren diese transnationalen Forschungen auf klassischen Verfahren, wie der teilnehmenden Beobachtung, dem Arbeiten mit Informanten, der Aufnahme von Lebensgeschichten, unterschiedlichen Interviewtechniken und textanalytischen Verfahren. Insgesamt kommt dem reinen face-to-face-Kontakt mit den Beforschten jedoch eine nicht mehr ganz so zentrale Rolle zu, da insbesondere die Untersuchung von Medien und medialen Produkten einen wichtigen Bestandteil dieser Untersuchungen darstellt.
Auch hier entscheidet das Thema bzw. das zu untersuchende Problem wer, wo und was untersucht wird. Die Untersuchungseinheiten sind aber nicht nur mulitlokal bzw. multi-sited, sondern translokal. Es handelt sich um ein Netzwerk von Örtlichkeiten und die deterritorialisierten Beziehungen zwischen diesen, wobei eine adäquate Konzeptualisierung und Beschreibung der translokalen Beziehungen und Verbindungen eine zentrale Rolle spielen (siehe Hannerz 1998).
5.7 Literatur
Amit; Vered (2000): Constructing the Field. Ethnographic Fieldwork in the Contemporary World. Routledge: London, New York.
Appadruai, Arjun (1988): The social Live of Things. Cambridge University Press, Cambridge.
- (1996): Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization. University of Minnesota Press: Minneapolis.
Augé, Marc (1994): Orte und Nicht-Orte. Vorlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit. Fischer, Frankfurt am Main.
Clifford, James; George, Marcus (Hrsg.) (1986): Writing Culture: The Poetics und Politics of Ethnography. University of California Press: Berkeley.
Fischer, Hans (2003): Dokumentation. In: Beer, Bettina (Hg.) Methoden und Techniken der Feldforschung. Reimer Verlag, Berlin: S. 264-294
Geertz, Clifford (1987): Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Suhrkamp, Frankfurt am Main.
- (1990): Die künstlichen Wilden. Anthropologen als Schriftsteller. Hanser, München, Wien.
- (1997): Spurenlesen. Der Ethnologe und das Entgleiten der Fakten. Beck, München.
Gottowik, Volker (1997): Konstruktionen des Anderen. Clifford Geertz und die Krise der ethnographischen Repräsentation. Reimer Verlag, Berlin.
Gupta, Akhil; Ferguson, James (1997): Culture, Power, Place: Explorations in Critical Anthropology. Duke University Press, Durham.
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6 Strategien der Datenanalyse
Grundsätzlich sind die Entscheidungen, die in Bezug auf die Datenanalyse zu treffen sind, von mehreren Faktoren abhängig. Dazu gehören
- die theoretische Ausrichtung des Projekts und die verfolgten Forschungsfragen,
- die Art der im Projekt erhobenen bzw. zu analysierenden Daten,
- daraus resultierende mögliche Analyseebenen,
die mit spezifischen methodischen Verfahren weiter verfolgt werden können.
Bei der Auswahl geeigneter Datenanalysemethoden ist also darauf zu achten, dass diese der theoretischen Ausrichtung des Projekts und den vorhandenen Daten entsprechen und dazu beitragen, die verfolgten Fragestellungen auf ausgewählten Analyseebenen systematisch und gewinnbringend bearbeiten zu können.
Es sollte beachtet werden, dass spezifische Datenanalyseverfahren nicht nur mit Datenerhebungsstrategien in Zusammenhang stehen, sondern auch mit (erkenntnis)theoretischen Positionen. Wenn man z.B. unterschiedliche Textanalysestrategien (siehe z.B. Titscher et al 1998) betrachtet, wir deutlich, dass diese mit unterschiedlichen theoretischen Grundkonzeptionen in Zusammenhang stehen - so etwa die Grounded Theory mit dem Pragmatismus, die Tiefenhermeneutik mit der Psychoanalyse, die Semiotik mit dem Strukturalismus oder die kritische Diskursanalyse mit der kritischen Theorie.
Eine weitere zentrale Frage ist natürlich, welche Arten von Daten analysiert werden sollen. Handelt es sich um numerisch quantitative Daten, für deren Analyse statistische Verfahren eingesetzt[1] werden, um Daten, die mittels spezifischer Interviewtechniken[2] (z.B. Analyse von Leitfadeninterviews [Schmidt 2000] oder narrativ- biographischer Interviews [Rosenthal et al 2000]) erhoben wurden, um visuelle Daten für die Methoden der Bild- und Filmanalyse eingesetzt werden müssen, um Dokumente (Wolff 2000) oder um Daten die im Rahmen einer längeren Feldforschung erhoben wurden und unterschiedliche Datanarten und Textsorten[3] umfassen.
Im Bereich der qualitativen Daten gibt es einerseits weit entwickelte und spezialisierte Auswertungsverfahren für bestimmte Datenerhebungsmethoden (z.B. Bildanalyseverfahren, Analyseverfahren für Leitfadeninterviews oder narrativ- biographische Interviews, etc.), andererseits existieren integrativere Datenanalysestrategien, die es erlauben, unterschiedliche Datenarten zu inkludieren und etwa im Rahmen der Analyse von Feldnotizen[4] oder der Grounded Theory zum Einsatz kommen. Insbesondere für die allgemeine Analyse von Feldforschungsdaten, welche ja immer unterschiedliche Datenarten umfasst sind integrative Datenanalysestrategien von Vorteil. Nicht nur für quantitative statistische Auswertungen sondern auch für qualitative Auswertungsstrategien stehen heute eine Reihe von Qualitativen Datenanalyseprogrammen (QDA) (z.B. Atlas.ti[5], MAXQDA[6], NVIVO[7] ) zur Verfügung (Kelle 2000).
Wenn nun in einem qualitativen Forschungsprojekt die Daten z.B. in verschriftlichter Form vorliegen (transkribierte Interviews, Feldnotizen, zu analysierende Dokumente oder Zeitungsausschnitte), so bieten sich immer noch zahlreiche Möglichkeiten, wie diese Texte analysiert werden können und vor allem 'auf welche der möglichen Ebenen die Analyse' abzielen soll. Diese Analysemöglichkeiten können z.B. anhand der Unterscheidung von Syntaktik, Semantik und Pragmatik veranschaulicht werden:
- Auf der syntaktischen Ebene geht es um die Beziehung zwischen den Zeichen. D.h. es handelt sich um eine formale Textanalyse, die einerseits im Sinne der Ethnolinguistik auf die grammatikalischen Strukturen (Phonetik, Lehre vom Satzbau etc.) und die Mittel der Zeichendarstellung abstellt, aber auch im Sinne einer AutorInnenanalyse den spezifischen Stil von KommunikatorInnen untersuchen kann.
- Auf der semantischen Ebene geht es um die Beziehung zwischen den Zeichen und dem Bezeichneten. Es steht also die Frage nach der Assoziation der Zeichen zu bestimmten Objekten, Ideen und Begriffen und ihrer Bedeutung im Zentrum. Unter diesem Aspekt würde man einen Text z.B. auf die in ihm vorkommenden Themen und ihre Bedeutung hin analysieren, wie es z.B. auch im Rahmen der interpretativen Anthropologie[8] der Fall ist.
- Auf der pragmatischen Ebene steht die Frage nach der Beziehung von Zeichen und ihren Benutzern sowie der Situation im Vordergrund. Es geht also um die Wirkung der Zeichen bzw. der Kommunikation in der sozialen Praxis. Hier können einerseits Bewertungsanalysen der Folgen und Wirkungen von Kommunikation durchgeführt werden, andererseits aber auch der Frage nach gegangen werden, wie mit Kommunikation Macht-, Ungleichheits- und Herrschaftsverhältnisse verschleiert, legitimiert und aufrecht erhalten werden können (z.B. kritische Diskursanalyse). Es geht also in diesen Ansätzen, die oft ein Naheverhältnis zur Soziolinguistik und zur linguistischen Anthropologie aufweisen, um Sprache als eine Form sozialer Praxis, oder - mit John Austin (1967) formuliert - um die Frage "how to do things with words".
Die konkreten methodischen Anweisungen, wie eine Analyse durchzuführen ist, unterscheiden sich je nach gewählter Strategie. Bisher liegen keine überzeugenden Systematisierungen der jeweiligen methodischen Anweisungen vor.
Viele Analysemethoden arbeiten mit einem Kode- Indikator-Modell. In dieser Logik werden einzelnen Datenausschnitten abstraktere Begrifflichkeiten (Kodes) zugeordnet und in weiterer Folge Beziehungen zwischen den Kodes entwickelt. Dies ist etwa im Rahmen der Grounded Theory, der qualitativen Inhaltsanalyse oder häufig bei der ethnographischen Analyse von Feldnotizen der Fall. Eine solche Analyse bricht die zeitliche Struktur der Ereignisse auf und verbindet entlang allgemeinerer Konzepte Daten miteinander, die von unterschiedlichen Beobachtungen und aus unterschiedlichen Kontexten stammen können.
Dem stehen Verfahren gegenüber, die sich am Ablauf bzw. der Abfolge von Ereignissen orientieren und davon ausgehen, dass ein adäquates Verständnis nur entlang der sequentiellen Abfolge der Ereignisse erreicht werden kann. Dazu gehört etwa das sequenzanalytische Vorgehen im Rahmen der objektiven Hermeneutik (Reichertz 2000), die Konversationsanalyse, welche unter anderem danach fragt, in wie weit in einem Dialog kommunikative Äußerungen sinnhafte soziale Ordnungen hervorbringen, absichern und die Handelnden sich wechselseitig aneinander orientieren. Innerhalb der Mythenanalyse sind hier syntagmatische[9], an der Ereignisstruktur des Mythos orientierte Analysestrategien (z.B. Propp), im Gegensatz zur paradigmatisch-strukturalistischen[10] Mythenanalyse von Claude Lévi-Strauss zu nennen. Die Unterscheidung zwischen am zeitlichen Ablauf orientierten Analysen und solchen, die primär synchron vorgehen reproduziert sich aber auch in unterschiedlichen Formen der Diskursanalyse[11].
Eine grundlegende Unterscheidung der Analyseverfahren besteht also darin, ob sie die Bedeutung sequentiell, aus dem was vorausgeht und dem was folgt ableiten bzw. rekonstruieren, oder aber nicht- sequentiell, ein Ereignis mit anderen Ereignissen bzw. Kontexten in Beziehung setzten und daraus allgemeine Aussagen zu gewinnen trachten.
Im Folgenden werden kurze Einführungen in die Möglichkeiten der Analyse von Feldnotizen und der qualitativen Inhaltsanalyse gegeben, sowie einige weitere ausgewählte Verfahren der Textanalyse kurz skizziert.
Verweise:
[1] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/quantitative/quantitative-titel.html
[2] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-38.html
[3] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-95.html
[4] [&&&] Siehe Kapitel 6.1
[5] http://www.atlasti.com/
[6] http://www.maxqda.de/index.php
[7] http://www.qsrinternational.com//products_nvivo.aspx
[8] [&&&] Siehe Kapitel 5.3
[9] http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-411.html
[10] http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-423.html
[11] [&&&] Siehe Kapitel 6.3.3
6.1 Analyse der Fieldnotes
Neben der systematischen Datenerhebung empfiehlt es sich nach einiger Zeit - im Sinne einer Verschränkung von Datenerhebung und Datenanalyse[1] - analytische Phasen im Forschungsprozess vorzusehen. Auch bei längeren Feldforschungen sollte man Phasen des Rückzugs vom Feld einplanen und mit der Analyse der gesammelten Daten bereits vor Ort beginnen. Das heißt längere Feldforschungen sind nicht nur reine Datenerhebungszeiten, sondern inkludieren neben der systematischen Ausarbeitung der Feldnotizen auch deren erste Analyse.
Zu einer ersten Analyse der eigenen Feldnotizen gehört:
- das Lesen des gesamten Korpus der Aufzeichnungen[2]
- das Stellen von Fragen an die Fieldnotes[3]
- das Kodieren der Feldnotizen[4]
- das Verfassen von Memos[5]
Verweise:
[1] [&&&] Siehe Kapitel 4.2
[2] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-116.html
[3] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-117.html
[4] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-118.html
[5] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-125.html
6.2 Inhaltsanalyse
Bei der Inhaltsanalyse handelt es sich um eine Textanalysemethode, die ursprünglich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in den USA zur Analyse von Massenmedien entwickelt wurde. Diese hat sich primär auf quantifizierbare Aspekte von Textinhalten (quantitative Inhaltsanalyse) bezogen, erst später wurden auch Verfahren zur Durchführung qualitativer Inhaltsanalysen entwickelt. Insgesamt fokussiert die Inhaltsanalyse auf manifeste Kommunikationsinhalte, mit dem Ziel von den Textmerkmalen auf den Kontext (auf den Autor, die Situation bzw. die Rezipienten) zu schließen.
6.2.1 quantitative Inhaltsanalyse
Die Entwicklung der quantitativen Inhaltsanalyse steht wesentlich im Zusammenhang mit der Entwicklung der modernen Massenkommunikationsmedien wie Zeitung und Fernsehen. Die forschungsleitende Frage ist dabei "Wer sagt was zu wem mit welcher Wirkung?". Ziel ist es dabei, Aussagen über die Verfasser der Nachricht, die Empfänger derselben, sowie die Wirkung bzw. Rezeption der Kommunikation zu erforschen. "Am Beginn inhaltsanalytischer Forschung stand zweifelsohne ein einfaches, behavioristisch orientiertes Reiz- Reaktions-Modell der Kommunikation, welches eine asymmetrische Beziehung zwischen Sender, Stimulus und Rezipient konstruiert." (Titscher et al. 1998: 76) Um diese kausal konzipierten Zusammenhänge der Beeinflussung der Rezipienten mittels Nachrichten zu erforschen, werden innerhalb der quantitativen Inhaltsanalyse die Kommunikationsinhalte möglichst präzise gemessen. Diese Messung bezieht sich zum Beispiel auf die Häufigkeit von Wörtern pro Text oder die Größe von Texten in Zeitschriften. Dieses Auszählen, Bewerten und In-Beziehung-Setzen von Textelementen spielte insbesondere auch eine zentrale Rolle in der politischen Propagandaforschung.
Ein zentrales Moment jeder Inhaltsanalyse ist ihr Kategoriensystem, mit dessen Hilfe jede Analyseeinheit kodiert werden muss. Diese Kategorien werden mit Hilfe operationaler Definitionen[1] von Variablen, also a priori auf deduktivistische Weise[2] festgelegt. Das heißt, das Kategoriensystem wird im Unterschied zur Ethnographie, zur Grounded Theory, aber auch zur qualitativen Inhaltsanalyse bereits im Vorfeld der Untersuchung ausgearbeitet. Nach dem Kodieren werden mittels quantitativer Verfahren Häufigkeiten und Zusammenhänge zwischen einzelnen Variablen berechnet. Lamnek (2005: 505) nennt unterschiedliche Formen der quantitativen Inhaltsanalyse, wie zum Beispiel die Frequenzanalyse, die Dokumentenanalyse, die Valenzanalyse, die Intensitätsanalyse, die Kontingenzanalyse und die Bedeutungsfeldanalyse. Für eine Darstellung der unterschiedlichen inhaltsanalytischen Verfahren und Analyseebenen (syntaktisch, semantisch, pragmatisch) siehe Merten (1983).
Die quantitative Inhaltsanalyse wurde dahingehend kritisiert, dass sie folgende vier Dimensionen zu wenig berücksichtige:
- "den Kontext von Textbestandteilen
- latente Sinnstrukturen
- markante Einzelfälle
- das, was im Text nicht vorkommt" (Mayring 2002: 114).
Aus dieser Kritik entwickelte sich die qualitative Inhaltsanalyse.
Verweise:
[1] [&&&] Siehe Kapitel 2.7.1.1
[2] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-6.html
6.2.2 qualitative Inhaltsanalyse
Die qualitative Inhaltsanalyse wurde in kritischer Abgrenzung zur quantitativen Inhaltsanalyse entwickelt. Innerhalb des deutschsprachigen Raums steht die qualitative Inhaltsanalyse insbesondere mit dem von Philipp Mayring entwickelten Verfahren in Zusammenhang. Mayring zu Folge ist der Anspruch der qualitativen Inhaltsanalyse folgender: Sie "will Texte systematisch analysieren, indem sie das Material schrittweise mit theoriegeleitet am Material entwickelten Kategoriesystemen bearbeitet" (Mayring 2002: 114). Mayring konzipiert ein allgemeines Ablaufmodell der qualitativen Inhaltsanalyse, welches er wie folgt veranschaulicht:
Abbildung: inhaltsanalytisches Ablaufmodell
Im Zentrum des qualitativen inhaltsanalytischen Vorgehens steht also die Entwicklung eines Kategoriensystems, welches in einem Wechselverhältnis zwischen Theorie (der Fragestellung) und dem konkreten Material entwickelt wird. Die Kategorisierungsdimensionen und das Abstraktionsniveau werden jedoch vorab festgelegt und mit theoretischen Erwägungen und dem Ziel der Analyse begründet (Mayring 2002: 115f). Innerhalb dieser Festlegungen wird das konkrete Kategoriensystem an Hand des vorliegenden Materials entwickelt.
Im Weiteren unterscheidet Mayring drei verschiedene inhaltsanalytische Analyseverfahren: die Zusammenfassung, die Explikation und die Strukturierung.
6.2.2.1 Zusammenfassende Inhaltsanalyse
Abbildung: zusammenfassende Inhaltsanalyse
Ziel der zusammenfassenden Inhaltsanalyse ist es, "das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben [und] durch Abstraktion ein überschaubares Corpus zu schaffen, das immer noch ein Abbild des Grundmaterials ist" (Mayring 1988: 53; 2002: 115).
Die inhaltsanalytische Zusammenfassung spielt auch eine wichtige Rolle bei der induktiven[1] Kategorienbildung. Dabei werden nicht nur wie beim offenen Codieren[2] abstrakte Konzepte mit Textstellen verbunden, sondern Kategorien mittels Paraphrasen, Generalisierungen und Reduktionen erarbeitet, wie es auch im folgenden Ablaufmodell der zusammenfassenden Inhaltsanalyse zum Ausdruck kommt.
Folgende tabellarische Aufstellung veranschaulicht das Verhältnis von Paraphrase, Generalisierung und den mittels Reduktion (Streichungen) gewonnenen Kategorien, die Teil des zu entwickelnden Kategoriensystems sind und für die weiteren Formen der Inhaltsanalyse genutzt werden.
Im Rahmen des folgenden Beispiels wurde das Abstraktionsniveau des Reduktionsdurchganges wie folgt festgelegt: "Es sollten möglichst allgemeine aber fallspezifische (pro Lehrer) Äußerungen über die Referendarzeit sein." (Mayring 1988: 58) In der mittleren Hauptspalte werden die einzelnen Paraphrasen auf dieses Abstraktionsniveau hin generalisiert. Doppelte oder unwichtige Äußerungen werden gestrichen und in der letzen Spalte werden Kategorien genannt, die aus den übrig gebliebenen Äußerungen "durch Bündelung, Integration und Konstruktion zu neuen Äußerungen fallspezifisch zusammengestellt" (ebd.) wurden.
Abbildung: Beispiel Reduktionsdurchgang
Die Reduktionsschritte im Rahmen der zusammenfassenden Inhaltsanalyse lassen sich wie folgt veranschaulichen:
Abbildung: Materialreduzierung
Verweise:
[1] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-5.html
[2] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-119.html
6.2.2.2 Explikative Inhaltsanalyse
Abbildung: explizierende Inhaltsanalyse
Ziel der explikativen Inhaltsanalyse "ist es, zu einzelnen fraglichen Textteilen (Begriffen, Sätzen, ...) zusätzliches Material heranzutragen, das das Verständnis erweitert, das die Textstelle erläutert, erklärt, ausdeutet" (Mayring 1988: 53; 2002: 115). Dafür muss festgelegt werden, wo nach zusätzlichem Material gesucht wird, um fragliche Textstellen zu explizieren.
Mayring unterscheidet hier eine "engen" Textkontext und versteht darunter das direkte Textumfeld der interpretationsbedürftigen Textstelle und einen "weiten" Textkontext, welcher über den Text hinausgehende Informationen über den Autor, Adressaten, Interpreten, kulturelles Umfeld, etc. umfassen können (Mayring 2002: 117f). Mayring versteht die Explikation auch als Kontextanalyse der fraglichen Textteile.
Ziel dieser Analyse ist die Formulierung so genannter explifizierender Paraphrasen, welche Formulierungen beinhalten, die die fragliche Textstelle erklären. Diese entstehen "im Allgemeinen dadurch, dass das gesammelte Material zusammengefasst wird (...). Wenn jedoch Widersprüche im Material auftauchen, müssen alternative Paraphrasen formuliert werden" Mayring 1988: 71).
Im letzten Schritt der explikativen Inhaltsanalyse muss im Gesamtzusammenhang überprüft werden, ob eine sinnvolle Explikation erreicht wurde, falls dies nicht der Fall ist, muss neues und zusätzliches Material herangezogen werden. Insgesamt ergibt sich daraus folgendes Ablaufmodell der explizierenden Inhaltsanalyse.
6.2.2.3 Strukturierende Inhaltsanalyse
Ziel der strukturierenden Inhaltsanalyse ist es, "eine bestimmte Struktur aus dem Material herauszufiltern. Das können formale Aspekte, inhaltliche Aspekte oder bestimmte Typen sein; es kann aber auch eine Skalierung, eine Einschätzung auf bestimmten Dimensionen angestrebt werden (Mayring 2002: 118). Diese Form der Analyse geht vom erstellten Kategoriensystem aus und legt in einem ersten Schritt der Definition der Kategorien fest, welche Textbestandteile unter eine Kategorie fallen. In einem zweiten Schritt identifiziert es an Hand konkreter Textstellen Ankerbeispiele für die jeweilige Kategorie und drittens werden Codierregeln formuliert, welche eindeutige Zuordnungen zwischen den einzelnen Kategorien ermöglichen.
Abbildung: strukturierte Inhaltsanalyse
Mayring betrachtet dieses Modell allerdings als zu allgemein und unterscheidet verschiedene Formen der Strukturierung, die unterschiedlichen Zielen folgen.
- Die formale Strukturierung will die innere Struktur des Materials nach formalen Strukturierungsgesichtspunkten herausfiltern. Dabei ist es notwendig das Kriterium der Strukturierung, nach dem der Text analysiert werden soll, im Vorfeld genau zu bestimmen. Mayring (1988: 78f) unterscheidet folgende vier Arten von Kriterien:
- syntaktische Kriterien, die die Struktur der sprachlichen Formulierungen, z.B. Besonderheiten im Satzbau, Abweichungen, Brücken etc. aufdecken wollen,
- thematische Kriterien, welche die inhaltliche Struktur, die thematische Abfolge und inhaltliche Gliederung sichtbar machen,
- semantische Kriterien, die die Beziehung zwischen einzelnen Bedeutungseinheiten, etwa im Sinn eines semantischen Netzwerkes, rekonstruieren
- und dialogische Kriterien, welche die Abfolge einzelner Gesprächsbeiträge und Gesprächsschritte analysieren.
- Die inhaltliche Strukturierung will Material zu bestimmten Themen und Inhaltsbereichen extrahieren und zusammenfassen.
- Die typisierende Strukturierung will auf einer Typisierungsdimension einzelne markante Ausprägungen im Material finden und diese genauer beschreiben.
- Die skalierende Strukturierung will zu einzelnen Dimensionen Ausprägungen in Form von Skalenpunkten definieren.
Insgesamt beruht die strukturierende Inhaltsanalyse auf drei zentralen Schritten:
1) Die Definition der Kategorien, wobei explizit definiert wird, welche Textbestandteile unter eine Kategorie fallen.
2) Die Identifikation von Ankerbeispielen für die jeweilige Kategorie.
3) Die Festlegung von Kodierregeln, um eindeutige Zuordnungen bei Abgrenzungsproblemen zwischen Kategorien zu ermöglichen. (Mayring 2002: 118f)
Diese Regeln werden in einem Kodierleitfaden zusammengefasst.
Die strukturierende Inhaltsanalyse eignet sich insbesondere für die theoriegeleitete Analyse von Textmaterial.
6.3 weitere ausgewählte Verfahren der Textanalyse
Neben den zur Analyse der Feldnotizen[1] angewandten Kodierstrategien werden auch innerhalb der Ethnographie unterschiedliche Traditionen der Textanalyse angewandt. Dazu gehören z.B.
- struktural semiotische Analysen, welche insbesondere der Analyse von Narrationen, Mythen und Märchen dient (Vladimir Propp, Claude Lévi-Strauss, Roland Barthes) und
- die auf John Austins Theorie der Sprechakte zurückgehende Ethnographie des Sprechens (z.B. Dell Hymes, John Gumperz) im Rahmen einer linguistischen Anthropologie,
- aber auch diskursanalytische und konversationsanalytische Verfahren.
Verweise:
[1] [&&&] Siehe Kapitel 6.1
6.3.1 Strukturale Semiotik
Unter strukturaler Semiotik fallen eine Reihe von Analysemethoden, die sich auf Theoriekonzeptionen der Semiotik (die allgemeine Lehre von den Zeichen, Zeichensystemen und Zeichenprozessen) und des Strukturalismus beziehen.
Zu den Wegbereitern gehören der US-Amerikaner Charles Sanders Peirce (1839 - 1914), der Schweizer Linguist Ferdinand de Saussure (1857 - 1913), der russische Folklorist Vladimir Propp (1895 - 1970), der französische Strukturalist Claude Lévi- Strauss (geb. 1908) sowie der poststrukturalistische Philosoph und Literaturkritiker Roland Barthes (1915 - 1980).
Innerhalb der Kultur- und Sozialanthropologie wurden diese Verfahren insbesondere zur Analyse standardisierter Erzählformen, wie Mythen und Märchen[1], eingesetzt.
Roland Barthes hat die strukturale Semiotik weiterentwickelt und u.a. auch auf moderne Mythen des Alltags (1967) angewandt (vgl. Mader 2008: 174ff).
Die beiden klassischen Verfahren der strukturellen kulturanthropologischen Mythenanalyse wurden von Vladimir Propp und Claude Lévi-Strauss entwickelt. Während Vladimir Propp’s syntagmatische Mythenanalyse[2] primär am sequentiellen Handlungsablauf der Erzählung und der in ihr vorkommenden Akteure interessiert ist, fokussiert die paradigmatische Mythenanalyse[3] von Claude Lévi- Strauss auf allgemeine Regelsysteme des menschlichen Denkens, welche u.a. in strukturellen Oppositionspaaren zum Ausdruck kommen und die sich auch in den mythischen Erzählungen realisieren. Es stehen hier die Strukturen des menschlichen Denkens im Zentrum und nicht der sequentielle Handlungsablauf einer Erzählung.
Verweise:
[1] http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-18.html
[2] http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-413.html
[3] http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-411.html
6.3.2 Ethnographie des Sprechens - linguistische Anthropologie
Die Ethnographie des Sprechens wurde als Teil der linguistischen Anthropologie von Dell Hymes (geb. 1927) entwickelt. Diese baut auf John Austins (1911-1960) Theorie der Sprechakte auf und versteht die linguistische Anthropologie als einen Teilbereich der Kulturanthropologie, im Gegensatz zur Ethnolingusitik bzw. der anthropologischen Linguistik, welche sich primär an Methoden und Theorien der Linguistik orientieren.
Insgesamt werden in der Ethnographie des Sprechens die Kommunikationsmuster als Teil kulturellen Wissens und Verhaltens verstanden. Es geht also nicht um die strukturalen Aspekte standardisierter Erzählungen, sondern um die soziokulturelle Dimension der Sprechakte. Die Betonung liegt auf der deskriptiv-ethnographischen Dokumentation der Sprachverwendung und der Beschreibung von Sprechweisen, die das soziale Leben bestimmter Sprachgemeinschaften (speech-communities) konstituieren und reflektieren. Es geht darum, Sprechakte innerhalb von Einflussbeziehungen, d.h. im Rahmen der Struktur des sozialen Verhaltens (die Sprechsituation, der Äußerungskontext), zu verorten, wobei die kommunikative Kompetenz der SprecherInnen eine zentrale Rolle spielt.
Zu den zentralen Fragestellungen gehören, welche Sprechmuster in welchen gesellschaftlichen Kontexten verfügbar sind und wie, wo und wann sie ins Spiel kommen. Wer spricht mit wem, wann und wo, in welchem Stil und in welchem Sprachcode über welche Angelegenheit? Die wichtigsten Analyseeinheiten sind Sprechsituationen, Sprechereignisse und Sprechakte, wobei Sprechakte innerhalb kulturell spezifischer Sprechereignisse analysiert werden und die Analyse des soziokulturellen Kontextes ein Kernbestandteil der Methode ist.
Die linguistische Anthropologie ist insbesondere innerhalb der US-amerikanischen Anthropologie verankert. Zu den wichtigsten Vertretern gehören u.a. AutorInnen wie John Gumperz, Joel Sherzer, Greg Urban, Ellen Basso und Bambi Schieffelin.
6.3.3 Diskurs- und konverstationsanalytische Verfahren
Unter den Begriffen diskurs- und konversationsanalytische Verfahren werden eine ganze Reihe sowohl methodisch, wie theoretisch unterschiedlich ausgerichteter Techniken subsumiert. Insbesondere der Begriff der Diskursanalyse umfasst kein einheitliches und klar definiertes Feld. Dies liegt unter anderem daran, dass bereits der Begriff des Diskurses selbst unterschiedlich verstanden werden kann.
So findet etwa im Rahmen der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule ein normativer Diskursbegriff Verwendung, der einen herrschaftsfreien Diskurs der gleichberechtigten Aushandlung ins Zentrum stellt.
Im Gegensatz dazu fokussiert die US-amerikanische ethnomethodologische Tradition (Garfinkel) in ihrem Diskursbegriff auf den Ablauf, die Themenorganisation und die Rollen in face- to-face-Gesprächen. Diese Mikro-Analysen von interpersonellen Gesprächen werden in der Literatur im Gegensatz zur Diskursanalyse als Konversationsanalyse bezeichnet. Für eine ethnographische Anwendung der Konversationsanalyse siehe etwa Moerman (1988).
Der (post)strukturalistische Diskursbegriff, in Anschluss an Foucault, stellt hingegen die Frage, wie gesellschaftliche Interaktion Gegenstände, Themen, Begriffe etc. konsituiert und wie sich diese, im Sinne einer historischen Diskursanalyse, im Laufe der Zeit verändern.
Nicht-diachron-historische sondern synchrone Weiterentwicklungen der Diskursanalyse stellen die unterschiedlichen Ansätze der so genannten kritischen Diskursanalyse dar. Diese beziehen sich neben Michel Foucault insbesondere auf Theorien von Antonio Gramsci und der Frankfurter Schule, d.h. des Neomarxismus.
6.3.3.1 historische Diskursanalyse
Die historische Diskursanalyse geht auf Foucault zurück und beschäftigt sich mit Diskursformationen, die unterschiedliche Texte durchziehen. Es geht im Unterschied zur Hermeneutik[1] nicht darum, einen Text in seiner Ganzheit zu verstehen und zu interpretieren, sondern darum, wie gesellschaftliche Interaktion Gegenständen, Themen, Begriffen etc. konsituiert und wie sich diese, im Sinne einer "Archäologie des Wissens", im Laufe der Zeit verändern.
Zentrale Fragestellungen sind
- die kommunikative Konstitution von Wirklichkeit,
- Veränderungen dieser Wirklichkeitskonstruktionen,
- das soziale Wissen bestimmter Gruppen oder der Gesamtgesellschaft
- diskursive Machtwirkungen: Was darf gesagt werden? Was darf nicht gesagt werden?
Der Diskurs im Sinne Foucaults trägt dazu bei, Gesellschaft zu konstituieren und er legt die Möglichkeiten des Sagbaren fest. D.h. Diskurse konstituieren gleichzeitig Ausschließungsmechanismen in Form von Verboten, Grenzziehungen, Theorien, Doktrinen und Ritualen, welche das Sagbare unter gewissen sozialen und historischen Bedingungen eingrenzen. Unter solchen Bedingungen, die Foucault Möglichkeitsbedingungen nennt, werden jeweils nur bestimmte Dinge als wahr angenommen und diese wirken prägend auf zukünftige diskursive Ereignisse. Foucault geht es um die Rekonstruktion dieser diskursiven Voraussetzungen und deren Transformationen.
Dabei unterscheidet er zwischen Ereignissen (spontane Elemente in einer Äußerung), die zu Serien (Keimzellen diskursiver Formationen) werden können. Durch die Verdichtung von Serien können neue diskursive Strukturen mit spezifischer Regelhaftigkeit entstehen, die selbst wieder Möglichkeitsbedingungen des Sagbaren konstituieren.
Weiterführende Literatur:
Foucault, Michel (1973): Die Archäologie des Wissens. Suhrkamp, Frankfurt am Main.
Foucault, Michel (1976): Überwachen und Strafen. Suhrkamp, Frankfurt am Main.
Foucault, Michel (1989): Sexualität und Wahrheit. Suhrkamp, Frankfurt am Main. 3 Bände.
Foucault, Michel (1991 [1970]): Die Ordnung der Diskurse. Fischer, Frankfurt am Main.
http://evakreisky.at/onlinetexte/nachlese_diskurs.php[2]
Verweise:
[1] [&&&] Siehe Kapitel 2.3.1
[2] http://evakreisky.at/onlinetexte/nachlese_diskurs.php
6.3.3.2 kritische Diskursanalyse
So wie unter der Diskursanalyse an sich ist auch bei der kritischen Diskursanalyse (KDA) keine einheitliche und homogene Methode zu verstehen, vielmehr werden unter diesem Begriff unterschiedliche Verfahren subsumiert. Neben Michel Foucault stellen insbesondere Antonio Gramsci und die Frankfurter Schule, d.h. der Neomarxismus, den theoretischen Hintergrund der kritischen Diskursanalyse dar.
Wodak veranschaulicht die allgemeinen Prinzipien der kritischen Diskursanalyse in acht Punkten (1996: 17-20), die wie folgt zusammengefasst werden können:
- Die kritische Diskursanalyse beschäftigt sich mit sozialen Problemen und nicht mit Sprache oder Sprachgebrauch per se. Im Zentrum steht der linguistische Charakter sozialer und kultureller Prozesse und Strukturen.
- Die KDA untersucht diskursiv konstituierte Machtbeziehungen in Diskursen als auch Macht über den Diskurs.
- Gesellschaft und Kultur werden einerseits diskursiv geschaffen und konstituieren andererseits in einem dialektischen Verhältnis den Diskurs. Sprachgebrauch reproduziert/transformiert Gesellschaft und Kultur sowie die Machtbeziehungen.
- Sprachgebrauch kann ideologisch sein.
- Diskurse sind historisch und nur kontextuell/situativ zu verstehen.
- Die Verbindung zwischen Text und Gesellschaft wird mittels eines soziopsychologischen Modells des Textverstehens erklärt, welches als Vermittlungsinstanz dient.
- Diskursanalyse versteht sich sowohl als interpretativ wie auch erklärend.
- Diskurs wird als Form sozialer Handlung konzipiert und die kritische Diskursanalyse versteht sich als sozialwissenschaftliche Richtung.
"Die Zielsetzung der kritischen Diskursanalyse ist es die meist nicht bewusste gegenseitige Beeinflussung von Sprache und sozialer Struktur bewusst zu machen" (Titscher et al. 1998: 181). Dies geschieht z.B. im Rahmen der Vorurteilsforschung (Rassismus, Sexismus), des Sprachgebrauchs in Organisationen, etc.
6.3.3.3 Einige methodische Anweisungen
Ganz allgemein formuliert beruht die Durchführung einer Diskursanalyse[1] auf der Festlegung einer Fragestellung (des zu untersuchenden Diskursthemas) und des den Diskurs konstituierenden Praxisfeldes (z.B. zentrale Akteure, Medien, Institutionen).
Auf Basis dieser Voraussetzung wird der zu untersuchende Textkorpus anhand von Schlüsselwörtern des Themas und damit verbundenen Inhaltsaspekten festgelegt und begründet. Es handelt sich dabei um eine explizite und begründete Auswahl und Begrenzung des Korpus, entlang von zentralen Akteuren, wichtigen Medien und Institutionen, innerhalb eines gewählten Untersuchungszeitraums und nicht um ein repräsentatives Sample[2] im statistischen Sinne.
So ein Korpus kann mittels unterschiedlicher Strategien analysiert werden.
Verweise:
[1] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/ksamethoden/ksamethoden-98.html
[2] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-8.html
6.3.3.3.1 Grob- und Feinanalysen
Im Allgemeinen kann man zwischen Grob- und Feinanalyse unterscheiden.
Die Grobanalyse kann sich sowohl auf die Abfolge des Diskurses (diachron), als auch auf bestimmte Inhalte und Positionen (synchron) beziehen.
Bei der Abfolge des Diskurses stehen die thematischen Diskursstränge und ihre unterschiedlichen Ebenen im Zentrum der Aufmerksamkeit, sowie die unterschiedlichen Phasen und Sequenzen in der Diskursabfolge.
Bei der synchronen Analyse geht es um die Rekonstruktion unterschiedlicher Positionen an Hand von Streitfragen, konkurrierenden Auffassungen, Auslassungen sowie häufig vorkommenden Allgemeinpositionen.
Neben einer solchen Grobanalyse existieren eine Reihe unterschiedlicher Anweisungen zur Durchführung diskursanalytischer Feinanalysen (siehe z.B. unterschiedliche Strategien der kritischen Diskursanalyse in Titscher et al. 1998: 182ff; Jäger 2004). Im Folgenden werden einige ausgewählte Aspekte genannt, auf die sich solche Feinanalysen beziehen können, ohne damit jedoch den Anspruch zu verbinden hier deren methodische Umsetzung vermitteln zu können.
Auf der Textebene kann nach Inhalt und Form (der Organisation) des Textes gefragt werden. Dazu gehören sowohl linguistische Aspekte des Textes (Phonologie, Grammatik, Vokabular, Semantik) aber auch die Textorganisation, d.h. die Makrostruktur des Textes und bestimmter Textgattungen.
Auf der Ebene der argumentativen bzw. diskursiven Praxis stehen z.B. Fragen nach
- den Diskursen der Differenz (Wir/Sie- Diskurs) und deren sprachliche Realisierung,
- den Strategien und Techniken der Argumentation, Rechtfertigung und Beschuldigung (Schwarz/Weiß-Malerei, Opfer/Täter-Umkehr, Abschieben von Schuld etc.),
- sowie den Formen der Versprachlichung auf Textebene (Vergleiche, Zitate, irreale Szenarien etc.), Satzebene (rhetorische Fragen, Anspielungen, Metaphern etc.) und Wortebene (Vagheiten, Verharmlosungen etc.)
im Zentrum.
Auf der Ebene der sozialen Praxis steht das Verständnis des Kontextes des Diskurses, sowie die Konfrontation der getätigten Aussagen mit überprüfbaren Daten und Fakten im Zentrum der Analyse, welche die Spezifität und Selektivität der Aussagen deutlich machen soll.
6.4 Literatur
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