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===Kapitel dieser Lernunterlage===
In verschiedenen Projekten, an denen das Institut für Kultur- und Sozialanthropologie beteiligt war, entstanden 2005 und 2006 hypermediale Lehr- und Lernunterlagen, die online genutzt werden können. 2019 wurden diese von Marlies Madzar und Clemens Schmid in ein aktuelles Wikiformat überführt. Für Anregungen, Hinweise und Kommentare, schreiben Sie bitte ein Mail an eksa.univie.ac.at
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[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden|1. Die Herausbildung der kultur- und sozialanthropologischen Forschungsmethoden]]<br/>
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[[Einige wissenschaftstheoretische Grundlagen der empirischen Sozialforschung|2. Einige wissenschaftstheoretische Grundlagen der empirischen Sozialforschung]]<br/>
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[[Projektentwicklung_-_Von_der_Idee_zum_Forschungsprojekt|3. Projektentwicklung: von der Idee zum Forschungsprojekt]]<br/>
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[[Forschungsablauf|4. Forschungsablauf]]<br/>
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[[Ausgewaehlte_Weiterentwicklungen_der_ethnographischen_Feldforschung|5. Ausgewählte Weiterentwicklungen der ethnographischen Feldforschung]]<br/>
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[[Strategien_der_Datenanalyse|6. Strategien der Datenanalyse]]<br/>
  
Verfasst von Ernst Halbmayer
 
  
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== Kapitelübersicht ==
 
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[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden|1. Die Herausbildung der kultur- und sozialanthropologischen Forschungsmethoden]]
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[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden|1. Die Herausbildung der kultur- und sozialanthropologischen Forschungsmethoden]]<br/>
 
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:[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Institutionalisierung|1.1 Zur Institutionalisierung der Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Institutionalisierung|1.1 Zur Institutionalisierung der Kultur- und Sozialanthropologie]]
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[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Institutionalisierung#1.1.1 Die Herausbildung ethnographischer Museen|1.1.1 Die Herausbildung ethnographischer Museen]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Institutionalisierung#1.1.2 Die Herausbildung anthropologischer Gesellschaften|1.1.2 Die Herausbildung anthropologischer Gesellschaften]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Institutionalisierung#1.1.3 Die universitäre Verankerung der Disziplin|1.1.3 Die universitäre Verankerung der Disziplin]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Traditionen|1.2 Nationale Traditionen und unterschiedliche Bezeichnungen der Disziplin]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Anfangsphase|1.3 Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie vor der systematischen Feldforschung]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Anfangsphase#1.3.1 Fragebögen der Armchair Anthropologists|1.3.1 Fragebögen der Armchair Anthropologists]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Anfangsphase#1.3.2 Ausgewählte Expeditionen deutschsprachiger Forscher|1.3.2 Ausgewählte Expeditionen deutschsprachiger Forscher]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Anfangsphase#1.3.3 Die Torres-Straits Expedition|1.3.3 Die Torres-Straits Expedition]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski|1.4 Bronislaw Malinowski: Das klassische Modell der Feldforschung]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski#1.4.1 Probleme des Feldeinstiegs|1.4.1 Probleme des Feldeinstiegs]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski#1.4.1.1 Feldforschung und die Rolle der nicht-indigenen Bevölkerung vor Ort|1.4.1.1 Feldforschung und die Rolle der nicht-indigenen Bevölkerung vor Ort]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski#1.4.1.2 Feldforschung und mangelnde Sprachkenntnisse|1.4.1.2 Feldforschung und mangelnde Sprachkenntnisse]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski#1.4.1.3 Konkrete Beobachtungen als totes Material: Das Fehlen lokaler Interpretationen|1.4.1.3 Konkrete Beobachtungen als totes Material: Das Fehlen lokaler Interpretationen]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski#1.4.2 Das Geheimnis der Feldforschung: methodische Grundlagen|1.4.2 Das Geheimnis der Feldforschung: methodische Grundlagen]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski#1.4.2.1 Feldforschung als dauerhafte In-Beziehungsetzung zum Feld|1.4.2.1 Feldforschung als dauerhafte In-Beziehungsetzung zum Feld]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski#1.4.2.1.1 Die Konstruktion des Feldes|1.4.2.1.1 Die Konstruktion des Feldes]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski#1.4.2.2 Lernen vom Feld|1.4.2.2 Lernen vom Feld]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski#1.4.2.3 Aktive Methoden|1.4.2.3 Aktive Methoden]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski#1.4.2.4 Induktion - Deduktion|1.4.2.4 Induktion - Deduktion]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski#1.4.2.5 Trennung von Empirie und Theorie|1.4.2.5 Trennung von Empirie und Theorie]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski#1.4.2.6 Die Suche nach Ordnung und Gesetzen|1.4.2.6 Die Suche nach Ordnung und Gesetzen]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski#1.4.3 Drei zentrale methodische Verfahren|1.4.3 Drei zentrale methodische Verfahren]]
 
 
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski#1.4.3.1 Das Skelett: die Dokumentation objektiver Daten|1.4.3.1 Das Skelett: die Dokumentation objektiver Daten]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski#1.4.3.2 Das Fleisch: Teilnahme und Deskription des sozialen Lebens|1.4.3.2 Das Fleisch: Teilnahme und Deskription des sozialen Lebens]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Malinowski#1.4.3.3 Der Geist: die Sammlung charakteristischer Erzählungen|1.4.3.3 Der Geist: die Sammlung charakteristischer Erzählungen]]
 
 
 
[[Die_Herausbildung_der_kultur-_und_sozialanthropologischen_Forschungsmethoden/Literatur|1.5 Literatur]]
 
 
 
2 Einige wissenschaftstheoretische Grundlagen der empirischen Sozialforschung
 
 
 
2.1 Methoden, Methodik und Methodologie
 
 
 
2.2 Der Positivismus
 
 
 
2.2.1 Neopositivismus und kritischer Rationalismus
 
 
 
2.2.2 Thomas Samuel Kuhn und die wissenschaftlichen Revolutionen
 
 
 
2.3 Nicht-positivistische wissenschaftstheoretische Ansätze in den Geistes- und Sozialwissenschaften
 
 
 
2.3.1 Die Hermeneutik
 
 
 
2.3.2 Der Pragmatismus
 
 
 
2.3.3 Die Phänomenologie
 
 
 
2.4 Emisch und etisch
 
 
 
2.5 Empiristen versus Rationalisten
 
 
 
2.6 Arten von Theorien
 
 
 
2.7 Begriffsbildung, Begriffsdefinitionen und Begriffsrelationen
 
 
 
2.7.1 Die Begriffsdefinition
 
 
 
2.7.1.1 Operationale Definition: Operationalisierung
 
 
 
2.7.2 Die Begriffsbildung
 
 
 
2.7.3 Die Begriffsrelationen
 
 
 
2.7.3.1 Klassifikation
 
 
 
2.7.3.2 Taxonomie
 
 
 
2.7.3.3 Typologie
 
 
 
2.7.4 Hypothesen
 
 
 
2.8 Literatur
 
 
 
3 Projektentwicklung: von der Idee zum Forschungsprojekt
 
 
 
3.1 Vom Interesse zur wissenschaftlichen Fragestellung
 
 
 
3.1.1 Spezifizierung des Phänomenbereichs
 
 
 
3.1.2 Literaturrecherche
 
 
 
3.1.2.1 Zentrale Bibliothekskataloge
 
 
 
3.1.2.2 Verbundkataloge und Metasuchmaschinen
 
 
 
3.1.2.3 Zeitschriftenkataloge
 
 
 
3.1.2.4 Zeitschriftendatenbanken
 
 
 
3.1.2.5 andere Internetressourcen
 
 
 
3.2 Von der Fragestellung zum Forschungskonzept
 
 
 
3.2.1 Zentrale Inhalte von Forschungskonzepten
 
 
 
3.3 Kontexte eines Forschungsprojekts
 
 
 
3.3.1 Ethik der Forschung
 
 
 
3.3.1.1 Ethik gegenüber den Untersuchten
 
 
 
3.3.1.2 Ethik im Umgang mit Ergebnissen
 
 
 
3.3.1.3 Ethik gegenüber der wissenschaftlichen Gemeinschaft
 
 
 
3.3.1.4 Ethik gegenüber der Öffentlichkeit
 
 
 
3.3.1.5 Ethik gegenüber Sponsoren, Geld- und Arbeitsgebern
 
 
 
3.3.1.6 Ethik gegenüber Regierungen
 
 
 
3.3.1.7 The War against Terror und das Human Terrain System
 
 
 
3.4 Literatur
 
 
 
4 Forschungsablauf
 
 
 
4.1 Der lineare theorie- und hypothesenprüfende Forschungsablauf
 
 
 
4.2 Der zirkuläre theorieentwickelnde Forschungsablauf
 
 
 
4.3 Qualitätskriterien in der empirischen Sozialforschung
 
 
 
4.3.1 Quantitative Qualitätskriterien
 
 
 
4.3.2 Qualitative Qualitätskriterien
 
 
 
4.4 Literatur
 
 
 
5 Ausgewählte Weiterentwicklungen der ethnographischen Feldforschung
 
 
 
5.1 Ordnung vs. Konflikt: Die Extended-Case Method
 
 
 
5.2 Methodische Entwicklungen durch die Culture und Personality School
 
 
 
5.3 Dichte Beschreibung und interpretative Ethnographie
 
 
 
5.4 Postmoderne Kritik, literal turn und die Krise der Repräsentation
 
 
 
5.5 Globale Welt und multi-sited Ethnography
 
 
 
5.6 Transnationale Forschungen
 
 
 
5.7 Literatur
 
 
 
6 Strategien der Datenanalyse
 
 
 
6.1 Analyse der Fieldnotes
 
 
 
6.2 Inhaltsanalyse
 
 
 
6.2.1 quantitative Inhaltsanalyse
 
 
 
6.2.2 qualitative Inhaltsanalyse
 
 
 
6.2.2.1 Zusammenfassende Inhaltsanalyse
 
 
 
6.2.2.2 Explikative Inhaltsanalyse
 
 
 
6.2.2.3 Strukturierende Inhaltsanalyse
 
 
 
6.3 weitere ausgewählte Verfahren der Textanalyse
 
 
 
6.3.1 Strukturale Semiotik
 
 
 
6.3.2 Ethnographie des Sprechens - linguistische Anthropologie
 
 
 
6.3.3 Diskurs- und konverstationsanalytische Verfahren
 
 
 
6.3.3.1 historische Diskursanalyse
 
 
 
6.3.3.2 kritische Diskursanalyse
 
 
 
6.3.3.3 Einige methodische Anweisungen
 
 
 
6.3.3.3.1 Grob- und Feinanalysen
 
 
 
6.4 Literatur
 
 
 
-----
 
 
 
== 1 Die Herausbildung der kultur- und sozialanthropologischen Forschungsmethoden ==
 
 
 
Die '''Kultur- und sozialanthropologischen Forschungs- und Arbeitsmethoden''' zeichnen sich durch einen '''großen Pluralismus''' und eine vergleichsweise lange Entwicklung aus. Diese Entwicklung erfolgte unter anderem entlang '''unterschiedlicher nationalsprachlicher Entwicklungslinien''', so dass man z.B. von deutschsprachigen, britischen, französischen, US-amerikanischen aber auch russischen (u.a.) Traditionen innerhalb der Wissenschaftsdisziplin sprechen kann. (siehe Barth et al. 2005) Innerhalb dieser einzelnen Entwicklungslinien kam es zu unterschiedlichen Zeitpunkten auch zu verschiedenen Auffassungen, was den Kern der Wissenschaftsdisziplin ausmacht. Dies kommt in '''unterschiedlichen methodischen Ausrichtungen''' und Auffassungen, wie Ethnographie zu betreiben sei, zum Ausdruck. Auf einer Metaebene zeigt sich diese Vielfalt auch in den unterschiedlichen '''Bezeichnungen der Disziplin[1]''', wie Anthropologie, Kulturanthropologie und Sozialanthropologie, aber auch in den Begrifflichkeiten Völkerkunde, Ethnologie bzw. Ethnographie, die aus jeweils unterschiedlichen Positionen und zu verschiedenen Zeitpunkten verwendet wurden.
 
 
 
Damit wird nicht nur eine Wissenschaftsdisziplin unterschiedlich bezeichnet, sondern es steht die '''Ausrichtung dieser Disziplin selbst zur Debatte'''. Was heute unter dem Begriff „Kultur- und Sozialanthropologie“ zusammengefasst wird, umfasst unterschiedliche fachliche Ausrichtungen, die sich u.a. rund um folgende Schnittstellen positionieren:
 
 
 
Eine Schnittstelle, nämlich jene zwischen Kultur- und Sozialwissenschaft, kommt bereits im Doppelnamen der Kultur- und Sozialanthropologie und ihrem jeweiligen Naheverhältnis zur britischen bzw. US-amerikanischen Tradition zum Ausdruck. Hier reproduziert sich die '''Differenz zwischen Kultur- und Sozialwissenschaften'''.
 
 
 
Eine zweite Schnittstelle kommt in der Frage zum Ausdruck, ob und in wie weit Kultur- und Sozialanthropologie primär an zeitlichen, '''diachronen Abfolgen und Entwicklungen''' interessiert ist und damit als eine historisch orientierte Wissenschaft verstanden werden kann, oder aber primär auf '''synchrone Analysen''' kultureller und sozialer Zusammenhänge zu bestimmten Zeitpunkten abstellt. Nach dem Evolutionismus des 19. Jahrhunderts spielte die historische Ausrichtung insbesondere in der deutschsprachigen Ethnologie (Diffusionismus, Kulturkreislehre, Ethnohistorie) und der US- amerikanischen Anthropologie (historischer Partikularismus) eine zentrale Rolle, während sich die britische und die französische Tradition auf unterschiedliche Art und Weise einem funktionalistischen bzw. strukturalistischen sozialwissenschaftlichen Paradigma verpflichtet fühlten.
 
 
 
Eine dritte Schnittstelle, die bis heute - insbesondere im US-amerikanischen Kontext – diskutiert wird, ist die prinzipielle Unterscheidung zwischen '''„scientists'''“ und „'''humanists'''“. Diese verweist auf die bereits von Dilthey eingeführte Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften und die damit einhergehende Differenz zwischen „harten“, '''an die Naturwissenschaften angelehnten Verfahren''' und Erklärungen und '''„weichen“, interpretativen und verständnisorientierten Methoden.''' Innerhalb der Kultur- und Sozialanthropologie kommt dieser Gegensatz auch in der Unterscheidung von '''emisch und etisch[2]''' zum Ausdruck.
 
 
 
Die jeweilige Positionierung des Faches bzw. einer Forschung entlang dieser Schnittstellen kommt nicht nur in unterschiedlichen theoretischen Orientierungen, sondern auch in der Methodik der wissenschaftlichen Vorgangsweise und den angewandten und eingesetzten methodischen Verfahren zur Fragenbeantwortung zum Ausdruck.
 
 
 
 
 
 
 
'''Verweise in diesem Kapitel:'''<br />
 
[1] Siehe Kapitel 1.2<br />
 
[2] Siehe Kapitel 2.4<br />
 
 
 
 
 
-----
 
 
 
== 1.1 Zur Institutionalisierung der Kultur- und Sozialanthropologie ==
 
 
 
Die akademische Institutionalisierung der Kultur- und Sozialanthropologie (KSA) fand hauptsächlich '''im Laufe des 19. Jahrhunderts''' statt und vollzog sich auf drei Ebenen:
 
 
 
* anthropologischen Gesellschaften
 
* Museen
 
* der universitären Verankerung der Disziplin
 
 
 
Im Vergleich zu anderen Sozialwissenschaften (z.B. Soziologie, Politikwissenschaft, Publizistik), hat sich die KSA bzw. Völkerkunde früh als eigenständige Wissenschaftsdisziplin im akademischen Kontext etabliert.
 
 
 
Die frühe Relevanz der Kultur- und Sozialanthropologie stand insbesondere mit der '''europäischen Expansion und dem Kolonialismus''' in Zusammenhang und der damit einhergehenden Konfrontation, Transkulturation und (partiellen) Integration nicht-industrialisierter Gesellschaften in die sich herausbildende Weltgesellschaft. Im Gegensatz dazu fokussierte die Soziologie auf die sich industrialisierende euro-amerikanische Gesellschaft und den resultierenden Folgen des Kapitalismus, wie Landflucht, Verstädterung, Zuspitzung sozialer Gegensätze und die „soziale Frage“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
 
 
 
Die frühe '''Institutionalisierung der Völkerkunde''' lässt sich auch an der '''Universität Wien''' verdeutlichen. Von den Studienrichtungen, die heute an der Fakultät für Sozialwissenschaften angesiedelt sind, wurde die „Völkerkunde“ als erste universitär verankert. Bereits 1912 gab es an der Universität Wien eine '''Professur für Anthropologie und Ethnographie''', die der Arzt Rudolf Pöch innehatte. 1929 kam es zur '''Trennung in 2 eigenständige Institute''', in jenes für physische Anthropologie und in das Institut für Völkerkunde (siehe '''Geschichte des Instituts[1]''').
 
 
 
Ein Vorläufer des heutigen Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaften wurde 1939, also im Dritten Reich, als Institut für Zeitungswissenschaft gegründet. Für das Institut galt es im Allgemeinen - ganz im Sinne des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, Goebbels - die &quot;Dienstfähigkeit und Relevanz der Zeitungswissenschaft für die nationalsozialistische Presselenkung zu sichern.&quot; (Duchkowitsch 1989: 166).
 
 
 
Das Institut für Volkskunde wurde in Wien 1961 gegründet, davor bestand von 1939 bis 1945 das &quot;Institut für germanisch deutsche Volkskunde&quot;, dessen Leiter Wolfram 1945 zwar suspendiert wurde, jedoch ab 1961 erneut die Professur am Institut für Volkskunde antrat.
 
 
 
Im Gegensatz dazu wurde der erste Lehrstuhl für Soziologie in Wien an
 
  
 
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Latest revision as of 14:21, 24 September 2020

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Einführung in die empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie

Verfasst von Ernst Halbmayer
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Kapitel dieser Lernunterlage

1. Die Herausbildung der kultur- und sozialanthropologischen Forschungsmethoden
2. Einige wissenschaftstheoretische Grundlagen der empirischen Sozialforschung
3. Projektentwicklung: von der Idee zum Forschungsprojekt
4. Forschungsablauf
5. Ausgewählte Weiterentwicklungen der ethnographischen Feldforschung
6. Strategien der Datenanalyse


Kapitelübersicht

1. Die Herausbildung der kultur- und sozialanthropologischen Forschungsmethoden

1.1 Zur Institutionalisierung der Kultur- und Sozialanthropologie
1.1.1 Die Herausbildung ethnographischer Museen
1.1.2 Die Herausbildung anthropologischer Gesellschaften
1.1.3 Die universitäre Verankerung der Disziplin
1.2 Nationale Traditionen und unterschiedliche Bezeichnungen der Disziplin
1.3 Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie vor der systematischen Feldforschung
1.3.1 Fragebögen der Armchair Anthropologists
1.3.2 Ausgewählte Expeditionen deutschsprachiger Forscher
1.3.3 Die Torres-Straits Expedition
1.4 Bronislaw Malinowski: Das klassische Modell der Feldforschung
1.4.1 Probleme des Feldeinstiegs
1.4.1.1 Feldforschung und die Rolle der nicht-indigenen Bevölkerung vor Ort
1.4.1.2 Feldforschung und mangelnde Sprachkenntnisse
1.4.1.3 Konkrete Beobachtungen als totes Material: Das Fehlen lokaler Interpretationen
1.4.2 Das Geheimnis der Feldforschung: methodische Grundlagen
1.4.2.1 Feldforschung als dauerhafte In-Beziehungsetzung zum Feld
1.4.2.1.1 Die Konstruktion des Feldes
1.4.2.2 Lernen vom Feld
1.4.2.3 Aktive Methoden
1.4.2.4 Induktion - Deduktion
1.4.2.5 Trennung von Empirie und Theorie
1.4.2.6 Die Suche nach Ordnung und Gesetzen
1.4.3 Drei zentrale methodische Verfahren
1.4.3.1 Das Skelett: die Dokumentation objektiver Daten
1.4.3.2 Das Fleisch: Teilnahme und Deskription des sozialen Lebens
1.4.3.3 Der Geist: die Sammlung charakteristischer Erzählungen
1.5 Literatur

2. Einige wissenschaftstheoretische Grundlagen der empirischen Sozialforschung

2.1 Methoden, Methodik und Methodologie
2.2 Der Positivismus
2.2.1 Neopositivismus und kritischer Rationalismus
2.2.2 Thomas Samuel Kuhn und die wissenschaftlichen Revolutionen
2.3 Nicht-positivistische wissenschaftstheoretische Ansätze in den Geistes- und Sozialwissenschaften
2.3.1 Die Hermeneutik
2.3.2 Der Pragmatismus
2.3.3 Die Phänomenologie
2.4 Emisch und etisch
2.5 Empiristen versus Rationalisten
2.6 Arten von Theorien
2.7 Begriffsbildung, Begriffsdefinitionen und Begriffsrelationen
2.7.1 Die Begriffsdefinition
2.7.1.1 Operationale Definition: Operationalisierung
2.7.2 Die Begriffsbildung
2.7.3 Die Begriffsrelationen
2.7.3.1 Klassifikation
2.7.3.2 Taxonomie
2.7.3.3 Typologie
2.7.4 Hypothesen
2.8 Literatur

3. Projektentwicklung: von der Idee zum Forschungsprojekt

3.1 Vom Interesse zur wissenschaftlichen Fragestellung
3.1.1 Spezifizierung des Phänomenbereichs
3.1.2 Literaturrecherche
3.1.2.1 Zentrale Bibliothekskataloge
3.1.2.2 Verbundkataloge und Metasuchmaschinen
3.1.2.3 Zeitschriftenkataloge
3.1.2.4 Zeitschriftendatenbanken
3.1.2.5 andere Internetressourcen
3.2 Von der Fragestellung zum Forschungskonzept
3.2.1 Zentrale Inhalte von Forschungskonzepten
3.3 Kontexte eines Forschungsprojekts
3.3.1 Ethik der Forschung
3.3.1.1 Ethik gegenüber den Untersuchten
3.3.1.2 Ethik im Umgang mit Ergebnissen
3.3.1.3 Ethik gegenüber der wissenschaftlichen Gemeinschaft
3.3.1.4 Ethik gegenüber der Öffentlichkeit
3.3.1.5 Ethik gegenüber Sponsoren, Geld- und Arbeitsgebern
3.3.1.6 Ethik gegenüber Regierungen
3.3.1.7 The War against Terror und das Human Terrain System
3.4 Literatur

4. Forschungsablauf

4.1 Der lineare theorie- und hypothesenprüfende Forschungsablauf
4.2 Der zirkuläre theorieentwickelnde Forschungsablauf
4.3 Qualitätskriterien in der empirischen Sozialforschung
4.3.1 Quantitative Qualitätskriterien
4.3.2 Qualitative Qualitätskriterien
4.4 Literatur

5. Ausgewählte Weiterentwicklungen der ethnographischen Feldforschung

5.1 Ordnung vs. Konflikt: Die Extended-Case Method
5.2 Methodische Entwicklungen durch die Culture und Personality School
5.3 Dichte Beschreibung und interpretative Ethnographie
5.4 Postmoderne Kritik, literal turn und die Krise der Repräsentation
5.5 Globale Welt und multi-sited Ethnography
5.6 Transnationale Forschungen
5.7 Literatur

6. Strategien der Datenanalyse

6.1 Analyse der Fieldnotes
6.2 Inhaltsanalyse
6.2.1 quantitative Inhaltsanalyse
6.2.2 qualitative Inhaltsanalyse
6.2.2.1 Zusammenfassende Inhaltsanalyse
6.2.2.2 Explikative Inhaltsanalyse
6.2.2.3 Strukturierende Inhaltsanalyse
6.3 weitere ausgewählte Verfahren der Textanalyse
6.3.1 Strukturale Semiotik
6.3.2 Ethnographie des Sprechens - linguistische Anthropologie
6.3.3 Diskurs- und konverstationsanalytische Verfahren
6.3.3.1 historische Diskursanalyse
6.3.3.2 kritische Diskursanalyse
6.3.3.3 Einige methodische Anweisungen
6.3.3.3.1 Grob- und Feinanalysen
6.4 Literatur