Difference between revisions of "STEOP - Aktuelle Debatten - Staat Migration Globalisierung"

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* Texte und Bilder: Hermann Mückler;
 
* Texte und Bilder: Hermann Mückler;
 
* Aufbereitung, Gestaltung und Umsetzung der hypermedialen Lernunterlage: Philipp Budka.
 
* Aufbereitung, Gestaltung und Umsetzung der hypermedialen Lernunterlage: Philipp Budka.
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==Kapitel dieser Lernunterlage==
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[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
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[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie|2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
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[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat#3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat|3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat]]<br/>
  
  
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[[#Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie|&uarr; Nach oben]]<br/>
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[[#Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie|&uarr; Nach oben]]<br/><!--
  
  
 
'''[[STEOP_-_Aktuelle_Debatten_-_Staat_Migration_Globalisierung#Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie|&crarr; Zurück zur Übersicht]]'''
 
'''[[STEOP_-_Aktuelle_Debatten_-_Staat_Migration_Globalisierung#Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie|&crarr; Zurück zur Übersicht]]'''
 
=1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie=
 
=1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie=
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>[[File:debattenksa-1_1.jpg|300x400px|right|Der suchende Mensch, H. Mückler]]
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<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>[[File:debattenksa-1_1.jpg|thumb|300x400px|right|Der suchende Mensch, H. Mückler]]
  
 
Der &quot;homo globatus&quot;, wie '''Eric Hobsbawm[http://de.wikipedia.org/wiki/Eric_Hobsbawm &#91;1&#93;]''' (1999) einmal den modernen in einer globalisierten Welt lebenden Menschen bezeichnete, hat mit gravierenden Veränderungen umzugehen, die in vielerlei '''hybriden Identitäten''' ihren sichtbarsten Ausdruck finden. '''Für die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie (die beiden Begrifflichkeiten sind synonym zu verstehen) bedeutet dies neue Aufgaben und neue Herangehensweisen.''' Diese Veränderungen betreffen auch und vor allem ein '''Aufbrechen der Nah-Fern-Dichotomie[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.1 Auflösung von Dichotomien, Entgrenzung|[2]]]''', welche das Fach lange in seiner grundsätzlichen Orientierung bestimmte, und erfordern so eine Neudefinition des Faches.
 
Der &quot;homo globatus&quot;, wie '''Eric Hobsbawm[http://de.wikipedia.org/wiki/Eric_Hobsbawm &#91;1&#93;]''' (1999) einmal den modernen in einer globalisierten Welt lebenden Menschen bezeichnete, hat mit gravierenden Veränderungen umzugehen, die in vielerlei '''hybriden Identitäten''' ihren sichtbarsten Ausdruck finden. '''Für die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie (die beiden Begrifflichkeiten sind synonym zu verstehen) bedeutet dies neue Aufgaben und neue Herangehensweisen.''' Diese Veränderungen betreffen auch und vor allem ein '''Aufbrechen der Nah-Fern-Dichotomie[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.1 Auflösung von Dichotomien, Entgrenzung|[2]]]''', welche das Fach lange in seiner grundsätzlichen Orientierung bestimmte, und erfordern so eine Neudefinition des Faches.
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== 1.1.5 Beschleunigung in der jüngsten Vergangenheit ==
 
== 1.1.5 Beschleunigung in der jüngsten Vergangenheit ==
[[File:debattenksa-7_1.jpg|494x448px|right|Der mobile Mensch, H. Mückler ]]
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[[File:debattenksa-7_1.jpg|thumb|494x448px|right|Der mobile Mensch, H. Mückler ]]
 
Ohne das &quot;ab wann?&quot; endgültig klären zu können, kann eine Richtungsänderung und ein nochmaliger Sprung in der Beschleunigung ab dem '''Zeitpunkt des Jahres 1989''' festgestellt werden, dem Jahr des Falls der '''Berliner Mauer[http://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Mauer &#91;1&#93;]'''. Mit Sicherheit hat die Ausbreitung des westlichen marktwirtschaftlichen kapitalistischen Systems auf die Länder des ehemaligen Ostblocks eine zusätzliche Dynamisierung im Bereich wirtschaftlicher Durchdringung und eine Beschleunigung von Verflechtungen im Warenverkehr gebracht (natürlich haben auch die hohen Wachstumsraten in den Staaten Südost- und Ostasiens vor der Asienkrise einen ebenso großen Effekt für diese Dynamisierung und den Zugewinn an Geschwindigkeit in diesem Prozess der 1990er Jahre).
 
Ohne das &quot;ab wann?&quot; endgültig klären zu können, kann eine Richtungsänderung und ein nochmaliger Sprung in der Beschleunigung ab dem '''Zeitpunkt des Jahres 1989''' festgestellt werden, dem Jahr des Falls der '''Berliner Mauer[http://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Mauer &#91;1&#93;]'''. Mit Sicherheit hat die Ausbreitung des westlichen marktwirtschaftlichen kapitalistischen Systems auf die Länder des ehemaligen Ostblocks eine zusätzliche Dynamisierung im Bereich wirtschaftlicher Durchdringung und eine Beschleunigung von Verflechtungen im Warenverkehr gebracht (natürlich haben auch die hohen Wachstumsraten in den Staaten Südost- und Ostasiens vor der Asienkrise einen ebenso großen Effekt für diese Dynamisierung und den Zugewinn an Geschwindigkeit in diesem Prozess der 1990er Jahre).
  
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== 1.2.2 Dynamik der zyklischen Expansion und Kontraktion ==
 
== 1.2.2 Dynamik der zyklischen Expansion und Kontraktion ==
[[File:debattenksa-13_1.jpg|400x434px|right|Der akkumulierende Mensch]]
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[[File:debattenksa-13_1.jpg|thumb|400x434px|right|Der akkumulierende Mensch]]
 
Beim Prozess der Globalisierung handelt es sich nicht notwendigerweise um einen unumkehrbaren gerichteten Prozess, der nur in eine Richtung stetig voranschreitet. Vielmehr gab es auch in der '''Vergangenheit[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.4 Historische Formen von Globalisierung|[1]]]''' immer wieder Phasen, in denen es zu einer Verlangsamung oder zu einem Stillstand gesellschaftlicher Entwicklungen kam, ja sogar zu Umkehrtrends, die in unserem Fall als Deglobalisierung bezeichnet werden müßten.
 
Beim Prozess der Globalisierung handelt es sich nicht notwendigerweise um einen unumkehrbaren gerichteten Prozess, der nur in eine Richtung stetig voranschreitet. Vielmehr gab es auch in der '''Vergangenheit[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Zugaenge_der_KSA#1.1.4 Historische Formen von Globalisierung|[1]]]''' immer wieder Phasen, in denen es zu einer Verlangsamung oder zu einem Stillstand gesellschaftlicher Entwicklungen kam, ja sogar zu Umkehrtrends, die in unserem Fall als Deglobalisierung bezeichnet werden müßten.
  
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'''[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|Vorheriges Kapitel: 1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung]]'''
 
'''[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|Vorheriges Kapitel: 1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung]]'''
 
=1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder=
 
=1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder=
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>[[File:debattenksa-17_1.jpg|600x400px|right|Der vordringende Mensch, H. Mückler]]
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<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>[[File:debattenksa-17_1.jpg|thumb|600x400px|right|Der vordringende Mensch, H. Mückler]]
  
 
'''Es geht um Globalisierung von Kulturen bzw. des Kulturellen.''' Unser Fach, welches sich grundsätzlich mit lebensweltlichen Prozessen befasst, die direkt oder indirekt auf die prägenden demographischen, politischen und technologischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts zurückgehen, hat hier zu analysieren und Antworten zu geben. Es beobachtet beispielsweise Veränderungen der Sozialstrukturen in bäuerlichen Gesellschaften im Gefolge der grünen Revolution in der Landwirtschaft sowie der '''Abwanderung in die Städte[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|[1]]]''', beschäftigt sich mit den '''politischen, sozialen und kulturellen Langzeitwirkungen des Kolonialismus''' in Form von verschiedenen Spielarten von Post- und Neokolonialismus, mit '''regionalen und transnationalen Migrationsströmen[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4 Aufgabenfelder|[2]]]''' sowie mit der zunehmenden '''Dominanz urbaner Lebensformen''' und der dort anzutreffenden Auffächerung in neue soziokulturelle Aggregatszustände. Neue Formen der Ethnizität, der Religiosität, der familiären Solidarität, der sozialen Organisation des Zugangs zu Arbeit, zu Wohnraum usw. stehen in engem Zusammenhang mit diesen gesellschaftlichen Prozessen, in denen auch '''der Faktor Demographie eine entscheidende Rolle spielt'''.
 
'''Es geht um Globalisierung von Kulturen bzw. des Kulturellen.''' Unser Fach, welches sich grundsätzlich mit lebensweltlichen Prozessen befasst, die direkt oder indirekt auf die prägenden demographischen, politischen und technologischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts zurückgehen, hat hier zu analysieren und Antworten zu geben. Es beobachtet beispielsweise Veränderungen der Sozialstrukturen in bäuerlichen Gesellschaften im Gefolge der grünen Revolution in der Landwirtschaft sowie der '''Abwanderung in die Städte[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|[1]]]''', beschäftigt sich mit den '''politischen, sozialen und kulturellen Langzeitwirkungen des Kolonialismus''' in Form von verschiedenen Spielarten von Post- und Neokolonialismus, mit '''regionalen und transnationalen Migrationsströmen[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4 Aufgabenfelder|[2]]]''' sowie mit der zunehmenden '''Dominanz urbaner Lebensformen''' und der dort anzutreffenden Auffächerung in neue soziokulturelle Aggregatszustände. Neue Formen der Ethnizität, der Religiosität, der familiären Solidarität, der sozialen Organisation des Zugangs zu Arbeit, zu Wohnraum usw. stehen in engem Zusammenhang mit diesen gesellschaftlichen Prozessen, in denen auch '''der Faktor Demographie eine entscheidende Rolle spielt'''.
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'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Abgrenzungen#2.1 Abgrenzungen|Vorheriges Kapitel: 2.1 Abgrenzungen]]'''
 
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Abgrenzungen#2.1 Abgrenzungen|Vorheriges Kapitel: 2.1 Abgrenzungen]]'''
 
=2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien=
 
=2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien=
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>[[File:debattenksa-26_1.jpg|298x400px|right|Verlassenheit, F. Drtikol (&quot;Die Seele&quot;, 1931)]]
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<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>[[File:debattenksa-26_1.jpg|thumb|298x400px|right|Verlassenheit, F. Drtikol (&quot;Die Seele&quot;, 1931)]]
  
 
Bei der '''Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie[[Einfuehrung_in_die_Methoden_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#Einführung in die empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie|[1]]]''' stehen häufig nach wie vor '''qualitative Forschungsmethoden[[Qualitative_Methoden_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie|[2]]]''' im Vordergrund, auch wenn sich in der Realität überwiegend eine '''Triangulation '''qualitativer und quantitativer[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Gütekriterien#2.6 Gütekriterien empririscher Forschung|[3]]]''' Herangehensweisen und Forschungsmethoden''' als sinnvoll erwiesen hat. Es ist der Einzelfall, das betroffene Individuum, dass aus der Anonymität komplexer prozessual ablaufender Entwicklungen herausgegriffen und beleuchtet wird. Somit werden '''MigrantInnen als selbstständig Agierende wahrgenommen''', die von den '''Bedingungen, unter denen Migration abläuft[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.1 Rahmenbedingungen, Arten, Ursachen und Auswirkungen von Migration|[4]]]''' geprägt werden, diese aber selbst wieder prägen. Anders ausgedrückt wird damit der Erkenntnis Rechnung getragen, dass deren migrationsspezifischen Erfahrungen verhaltensbestimmende Elemente zugrunde liegen, die zu analysieren sind, will man zu brauchbaren Aussagen über Ursachen und Konsequenzen in den individuellen Betroffenheitsszenarien kommen, die mit der räumlichen Bewegung zur Veränderung des Lebensmittelpunktes über substantielle Entfernungen verbunden sind. Zahlreiche einführende Werke beschäftigen sich mit diesen Fragen.
 
Bei der '''Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie[[Einfuehrung_in_die_Methoden_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#Einführung in die empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie|[1]]]''' stehen häufig nach wie vor '''qualitative Forschungsmethoden[[Qualitative_Methoden_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie|[2]]]''' im Vordergrund, auch wenn sich in der Realität überwiegend eine '''Triangulation '''qualitativer und quantitativer[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Gütekriterien#2.6 Gütekriterien empririscher Forschung|[3]]]''' Herangehensweisen und Forschungsmethoden''' als sinnvoll erwiesen hat. Es ist der Einzelfall, das betroffene Individuum, dass aus der Anonymität komplexer prozessual ablaufender Entwicklungen herausgegriffen und beleuchtet wird. Somit werden '''MigrantInnen als selbstständig Agierende wahrgenommen''', die von den '''Bedingungen, unter denen Migration abläuft[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.1 Rahmenbedingungen, Arten, Ursachen und Auswirkungen von Migration|[4]]]''' geprägt werden, diese aber selbst wieder prägen. Anders ausgedrückt wird damit der Erkenntnis Rechnung getragen, dass deren migrationsspezifischen Erfahrungen verhaltensbestimmende Elemente zugrunde liegen, die zu analysieren sind, will man zu brauchbaren Aussagen über Ursachen und Konsequenzen in den individuellen Betroffenheitsszenarien kommen, die mit der räumlichen Bewegung zur Veränderung des Lebensmittelpunktes über substantielle Entfernungen verbunden sind. Zahlreiche einführende Werke beschäftigen sich mit diesen Fragen.
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[[Einfuehrung_in_die_Methoden_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#Einführung in die empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie|[1] Siehe die Lernunterlage ''Einführung in die empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br />
 
[[Einfuehrung_in_die_Methoden_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#Einführung in die empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie|[1] Siehe die Lernunterlage ''Einführung in die empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br />
 
[[Qualitative_Methoden_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie|[2] Siehe die Lernunterlage ''Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br />
 
[[Qualitative_Methoden_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie|[2] Siehe die Lernunterlage ''Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br />
[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Gütekriterien#2.6 Gütekriterien empririscher Forschung|[3] Siehe Kapitel 2.6 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>r />
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[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Gütekriterien#2.6 Gütekriterien empririscher Forschung|[3] Siehe Kapitel 2.6 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
 
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.1 Rahmenbedingungen, Arten, Ursachen und Auswirkungen von Migration|[4] Siehe Kapitel 2.4.1]]<br />
 
[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4.1 Rahmenbedingungen, Arten, Ursachen und Auswirkungen von Migration|[4] Siehe Kapitel 2.4.1]]<br />
  
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'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Ethnohistorie#2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung|Vorheriges Kapitel: 2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung]]'''
 
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Ethnohistorie#2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung|Vorheriges Kapitel: 2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung]]'''
 
=2.4 Aufgabenfelder=
 
=2.4 Aufgabenfelder=
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>[[File:debattenksa-28_1.jpg|400x533px|right|Begrenztheit, H. Mückler]]
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<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>[[File:debattenksa-28_1.jpg|thumb|400x533px|right|Begrenztheit, H. Mückler]]
  
 
Grundsätzlich muss man betonen, dass man sich dem Thema '''Migration''' in all seinen Ausformungen nur sinnvoll nähern kann, wenn man sie als '''die Folge komplexer politischer, ideologischer, sozialer und ökonomischer Prozesse begreift''', deren Auslöser und Konsequenzen immer aus einer Vielzahl von Faktoren bestehen, was notwendigerweise in der Auseinandersetzung mit diesem Thema entsprechende Berücksichtigung finden muss und dem heute von der Ethnologie in Form inter- und transdisziplinär angelegter Forschungen Rechnung getragen wird. '''Die Aufmerksamkeit der Ethnologie wendet sich dabei zwei, respektive '''vier großen Aufgabenfeldern[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|[1]]]''' im Bereich Migration zu.'''
 
Grundsätzlich muss man betonen, dass man sich dem Thema '''Migration''' in all seinen Ausformungen nur sinnvoll nähern kann, wenn man sie als '''die Folge komplexer politischer, ideologischer, sozialer und ökonomischer Prozesse begreift''', deren Auslöser und Konsequenzen immer aus einer Vielzahl von Faktoren bestehen, was notwendigerweise in der Auseinandersetzung mit diesem Thema entsprechende Berücksichtigung finden muss und dem heute von der Ethnologie in Form inter- und transdisziplinär angelegter Forschungen Rechnung getragen wird. '''Die Aufmerksamkeit der Ethnologie wendet sich dabei zwei, respektive '''vier großen Aufgabenfeldern[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|[1]]]''' im Bereich Migration zu.'''
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'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4 Aufgabenfelder|Vorheriges Kapitel: 2.4 Aufgabenfelder]]'''
 
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Aufgabenfelder#2.4 Aufgabenfelder|Vorheriges Kapitel: 2.4 Aufgabenfelder]]'''
 
=2.5 Rezente Zugänge=
 
=2.5 Rezente Zugänge=
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>[[File:debattenksa-33_1.jpg|300x254px|right|Erschöpftheit, K. Kollwitz (&quot;Heimarbeit&quot;, 1925)]]
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<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>[[File:debattenksa-33_1.jpg|thumb|300x254px|right|Erschöpftheit, K. Kollwitz (&quot;Heimarbeit&quot;, 1925)]]
  
 
''''''Historiker[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Ethnohistorie#2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung|[1]]]''' sprechen von einer Universalgeschichte''' von Völkerwanderungen und Kriegen, Flucht und Vertreibung und verweisen dabei, bezogen auf die europäische Geschichte, auf jene Ereignisse, die zu den zentralen identitätsstiftenden literarischen Werken der abendländischen Kultur gehören. '''Bereits in den antiken Werken wird dem Thema Wanderung bzw. Migration breiter Raum gewidmet''', so beispielsweise die Reise des Aeneas nach Sizilien als Spiegelbild des Bevölkerungsdrucks in Westgriechenland und die griechische Koloniebildung in Italien. Ebenso finden sich in der Bibel zahlreiche Geschichten von Flucht und Vertreibung. Das jüdische Volk bildet geradezu den Archetypus für Flucht und Vertreibung, angefangen vom babylonischen Zwangsexil, über die Zerstreuung im Römischen Reich, den Massenausweisungen in Spanien, bis hin zu Flucht und &quot;Endlösung&quot; im Dritten Reich.
 
''''''Historiker[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Ethnohistorie#2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung|[1]]]''' sprechen von einer Universalgeschichte''' von Völkerwanderungen und Kriegen, Flucht und Vertreibung und verweisen dabei, bezogen auf die europäische Geschichte, auf jene Ereignisse, die zu den zentralen identitätsstiftenden literarischen Werken der abendländischen Kultur gehören. '''Bereits in den antiken Werken wird dem Thema Wanderung bzw. Migration breiter Raum gewidmet''', so beispielsweise die Reise des Aeneas nach Sizilien als Spiegelbild des Bevölkerungsdrucks in Westgriechenland und die griechische Koloniebildung in Italien. Ebenso finden sich in der Bibel zahlreiche Geschichten von Flucht und Vertreibung. Das jüdische Volk bildet geradezu den Archetypus für Flucht und Vertreibung, angefangen vom babylonischen Zwangsexil, über die Zerstreuung im Römischen Reich, den Massenausweisungen in Spanien, bis hin zu Flucht und &quot;Endlösung&quot; im Dritten Reich.
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'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|Vorheriges Kapitel: 2.5 Rezente Zugänge]]'''
 
'''[[Migrationsforschung_in_der_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Rezentes#2.5 Rezente Zugänge|Vorheriges Kapitel: 2.5 Rezente Zugänge]]'''
 
=2.6 Beispiele=
 
=2.6 Beispiele=
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>[[File:debattenksa-38_1.jpg|400x533px|right|Ausgeliefertheit, H. Mückler]]
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<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>[[File:debattenksa-38_1.jpg|thumb|400x533px|right|Ausgeliefertheit, H. Mückler]]
  
 
'''Zwei Beispiele für mögliche Themen aus dem Bereich der Migrationsforschung''', die für EthnologInnen bzw. Kultur- und SozialanthropologInnen interessant sein können sind
 
'''Zwei Beispiele für mögliche Themen aus dem Bereich der Migrationsforschung''', die für EthnologInnen bzw. Kultur- und SozialanthropologInnen interessant sein können sind
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'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Beduerfnisbefriedigung#3.3 Bedürfnisbefriedigung|Vorheriges Kapitel: 3.3 Bedürfnisbefriedigung]]'''
 
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Beduerfnisbefriedigung#3.3 Bedürfnisbefriedigung|Vorheriges Kapitel: 3.3 Bedürfnisbefriedigung]]'''
 
=3.4 Der Staat als Organisationsstruktur=
 
=3.4 Der Staat als Organisationsstruktur=
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>[[File:debattenksa-44_1.jpg|350x233px|right|Der kontrollierende Staat, H. Mückler]]
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<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>[[File:debattenksa-44_1.jpg|thumb|350x233px|right|Der kontrollierende Staat, H. Mückler]]
  
 
Das Fach der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie beschäftigt sich mit den drei Teilbereichen '''Interessensabgleich[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Interessensabgleich#3.1 Interessensabgleich|[1]]]''', '''Konflikthaftigkeit[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Konflikthaftigkeit#3.2 Konflikthaftigkeit|[2]]]''' und '''Bedürfnisbefriedigung[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Beduerfnisbefriedigung#3.3 Bedürfnisbefriedigung|[3]]]''' in ihren jeweiligen '''Bedingungen, Wechselwirkungen und Konsequenzen zueinander''', und zwar '''global, vergleichend''' und alle Spielarten berücksichtigend, die sich aus unterschiedlicher Größe der Gruppen und Gemeinwesen ergeben.
 
Das Fach der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie beschäftigt sich mit den drei Teilbereichen '''Interessensabgleich[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Interessensabgleich#3.1 Interessensabgleich|[1]]]''', '''Konflikthaftigkeit[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Konflikthaftigkeit#3.2 Konflikthaftigkeit|[2]]]''' und '''Bedürfnisbefriedigung[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Beduerfnisbefriedigung#3.3 Bedürfnisbefriedigung|[3]]]''' in ihren jeweiligen '''Bedingungen, Wechselwirkungen und Konsequenzen zueinander''', und zwar '''global, vergleichend''' und alle Spielarten berücksichtigend, die sich aus unterschiedlicher Größe der Gruppen und Gemeinwesen ergeben.
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'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Vor_und_Nicht#3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften|Vorheriges Kapitel: 3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften]]'''
 
'''[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Vor_und_Nicht#3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften|Vorheriges Kapitel: 3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften]]'''
 
=3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen=
 
=3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen=
<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>[[File:debattenksa-46_1.jpg|200x244px|right|Der unkontrollierte Staat, H. Mückler]]
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<sup>verfasst von Hermann Mückler</sup>[[File:debattenksa-46_1.jpg|thumb|200x244px|right|Der unkontrollierte Staat, H. Mückler]]
  
 
'''Die Entstehung staatlicher Strukturen bildet ein Kernthema innerhalb der Politik-Ethnologie bzw. Politischen Anthropologie''', eines Teilgebietes der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie. Dies folgt der Erkenntnis, dass verschiedene Faktoren wie demographisches Anwachsen, ökonomische Surplus (d.h. Mehrwert-) Produktion, günstige Lage, Ressourcenreichtum und zunehmende Arbeitsteiligkeit, um nur einige zu nennen, eine Vergrößerung und zunehmende Komplexität eines gesellschaftlichen Systems bedingen. Differenzierungen verursachen Hierarchisierungen und erfordern eine Verwaltung, welche wiederum den Aufbau einer Bürokratie und (zentral-)staatlicher Institutionen mit sich bringt. Welche Faktoren hier im Einzelnen wirksam werden und wie diese zueinander stehen, welche Entwicklungen zwangsläufig und welche optional sind - das sind die Inhalte, mit deren Beschäftigung eine Voraussetzung für die Definition, was Staat sein kann, geschaffen wird.
 
'''Die Entstehung staatlicher Strukturen bildet ein Kernthema innerhalb der Politik-Ethnologie bzw. Politischen Anthropologie''', eines Teilgebietes der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie. Dies folgt der Erkenntnis, dass verschiedene Faktoren wie demographisches Anwachsen, ökonomische Surplus (d.h. Mehrwert-) Produktion, günstige Lage, Ressourcenreichtum und zunehmende Arbeitsteiligkeit, um nur einige zu nennen, eine Vergrößerung und zunehmende Komplexität eines gesellschaftlichen Systems bedingen. Differenzierungen verursachen Hierarchisierungen und erfordern eine Verwaltung, welche wiederum den Aufbau einer Bürokratie und (zentral-)staatlicher Institutionen mit sich bringt. Welche Faktoren hier im Einzelnen wirksam werden und wie diese zueinander stehen, welche Entwicklungen zwangsläufig und welche optional sind - das sind die Inhalte, mit deren Beschäftigung eine Voraussetzung für die Definition, was Staat sein kann, geschaffen wird.
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== 3.6.5 Moderner Staat und andere Formen politischer Organisation ==
 
== 3.6.5 Moderner Staat und andere Formen politischer Organisation ==
[[File:debattenksa-59_1.jpg|400x533px|left|Der erschöpfte Staat, H. Mückler]]
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[[File:debattenksa-59_1.jpg|thumb|400x533px|left|Der erschöpfte Staat, H. Mückler]]
 
'''Interessante Forschungsthemen ergeben sich dort, wo es zu einer Berührung, Überlappung und meistens konfrontativen Situation zwischen Staaten und in diesen befindlichen kleineren Einheiten politischer Gemeinwesen kommt.''' Forschungen zu Rechtspluralismus lassen sich folgerichtig als Untersuchungsthema ableiten. Es geht um Wechselwirkungen zwischen dem modernen Staat und anderen, einfacheren Formen politischer Organisation. Der moderne Staat wird oft als organische Zusammenfassung einer einigermaßen homogenen Gesellschaft durch ein einziges Führungssystem, einer sogenannten Zentralinstanz, gesehen, welche innerhalb eines bestimmten Territoriums jederzeit das Monopol physischer Gewaltanwendung als letztes Mittel zur Herstellung von (erzwungener) Gemeinsamkeit beansprucht. Solche Staaten, die klare Grenzen haben, kennen Recht und Krieg als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ordnung nach innen und außen. Aus dieser Konstellation ergeben sich zwangsläufig zahlreiche Konfliktfelder.
 
'''Interessante Forschungsthemen ergeben sich dort, wo es zu einer Berührung, Überlappung und meistens konfrontativen Situation zwischen Staaten und in diesen befindlichen kleineren Einheiten politischer Gemeinwesen kommt.''' Forschungen zu Rechtspluralismus lassen sich folgerichtig als Untersuchungsthema ableiten. Es geht um Wechselwirkungen zwischen dem modernen Staat und anderen, einfacheren Formen politischer Organisation. Der moderne Staat wird oft als organische Zusammenfassung einer einigermaßen homogenen Gesellschaft durch ein einziges Führungssystem, einer sogenannten Zentralinstanz, gesehen, welche innerhalb eines bestimmten Territoriums jederzeit das Monopol physischer Gewaltanwendung als letztes Mittel zur Herstellung von (erzwungener) Gemeinsamkeit beansprucht. Solche Staaten, die klare Grenzen haben, kennen Recht und Krieg als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ordnung nach innen und außen. Aus dieser Konstellation ergeben sich zwangsläufig zahlreiche Konfliktfelder.
  
 
== 3.6.5.1 Koloniales Erbe ==
 
== 3.6.5.1 Koloniales Erbe ==
[[File:debattenksa-60_1.jpg|400x300px|right|Der herausgeforderte Staat, H. Mückler; Plakat von Rapa Nui-Demonstranten für mehr Autonomie und gegen die chilenische Regierung. ]]
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[[File:debattenksa-60_1.jpg|thumb|400x300px|right|Der herausgeforderte Staat, H. Mückler; Plakat von Rapa Nui-Demonstranten für mehr Autonomie und gegen die chilenische Regierung. ]]
 
'''In fast allen entkolonisierten ehemaligen Kolonialgebieten haben wir heute moderne nach westlichem Vorbild strukturierte (National-)Staaten mit teilweise unter äußerst fragwürdigen Bedingungen festgelegten Grenzziehungen''', und gleichzeitig eine unter Umständen extrem ethnisch heterogene Situation, die sich in der Existenz zahlreicher Subgruppen manifestiert, die eine nur rudimentäre Anbindung an die Zentralmacht wollen und haben. In den Themenbereichen und Schlagworten wie Tribalismus, Sezessionskriege, Abspaltung, Autonomie- und Unabhängigkeitsbestrebungen, Befreiungsbewegungen, Aufstände, Cargo-Kulte, Erweckungsbewegungen, usw. stecken die aus solchen Gemengelagen resultierenden '''Konflikt- und Problemfelder'''. Gerade die Erforschung der Kolonialzeit, der Dekolonisierung und der heutigen postkolonialen Entwicklungen, aber auch die Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe birgt ein riesiges Potential an Inhalten, bei denen das '''konflikthafte Miteinander-in- Wechselwirkung-treten[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Konflikthaftigkeit#3.2 Konflikthaftigkeit|[1]]]''' von modernen und einfacheren gesellschaftlichen und politischen Organisationsformen beobachtet werden kann. Die '''Kolonialismuskritik[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.3 Postkoloniale Studien|[2]]]''' steht damit in Verbindung.
 
'''In fast allen entkolonisierten ehemaligen Kolonialgebieten haben wir heute moderne nach westlichem Vorbild strukturierte (National-)Staaten mit teilweise unter äußerst fragwürdigen Bedingungen festgelegten Grenzziehungen''', und gleichzeitig eine unter Umständen extrem ethnisch heterogene Situation, die sich in der Existenz zahlreicher Subgruppen manifestiert, die eine nur rudimentäre Anbindung an die Zentralmacht wollen und haben. In den Themenbereichen und Schlagworten wie Tribalismus, Sezessionskriege, Abspaltung, Autonomie- und Unabhängigkeitsbestrebungen, Befreiungsbewegungen, Aufstände, Cargo-Kulte, Erweckungsbewegungen, usw. stecken die aus solchen Gemengelagen resultierenden '''Konflikt- und Problemfelder'''. Gerade die Erforschung der Kolonialzeit, der Dekolonisierung und der heutigen postkolonialen Entwicklungen, aber auch die Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe birgt ein riesiges Potential an Inhalten, bei denen das '''konflikthafte Miteinander-in- Wechselwirkung-treten[[Die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie_und_der_Staat/Konflikthaftigkeit#3.2 Konflikthaftigkeit|[1]]]''' von modernen und einfacheren gesellschaftlichen und politischen Organisationsformen beobachtet werden kann. Die '''Kolonialismuskritik[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_Ethnologie_bzw_Kultur-_und_Sozialanthropologie/KSA_Felder#1.3.3 Postkoloniale Studien|[2]]]''' steht damit in Verbindung.
  
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[[#3.8 Bibliographie|&uarr; Nach oben]]<br/>
 
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Latest revision as of 20:15, 28 September 2020

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Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten: Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie

verfasst von Hermann Mückler

Die Erörterungen in dieser Lernunterlage zu den Themen, Staat, Migration und Globalisierung beleuchten diese aus dem Blickwinkel der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie. Die drei Themenblöcke können jeder für sich gelesen werden, sie sind aber miteinander verknüpft und bilden ein großes Ganzes. Neben der Zugänge der Ethnologie zu den Themen soll klar werden, dass diese eng miteinander verflochten sind, was eine gemeinsame Betrachtung sinnvoll macht.

Im zu dieser Thematik erschienenen Buch Staat-Migration-Globalisierung (Hg.: J. Dvorak u. H. Mückler; Wien 2011, Facultas Verlag) werden die in dieser Lernunterlage angesprochenen Themen umfassender hinterfragt und weitere Definitionen, Literaturhinweise, Beispiele und kontextuelle Einbettungen angeboten. Der Kauf des Buches wird zum unfassenden Verständnis von Staat, Migration und Globalisierung aus ethnologischer Perspektive empfohlen.

  • Texte und Bilder: Hermann Mückler;
  • Aufbereitung, Gestaltung und Umsetzung der hypermedialen Lernunterlage: Philipp Budka.


Kapitel dieser Lernunterlage

1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie
2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie
3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat


Kapitelübersicht

1 Globalisierung als Herausforderung an die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie

1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie
1.1.1 Auflösung von Dichotomien, Entgrenzung
1.1.2 Schlagworte der Globalisierung
1.1.3 Begriffsdefinition
1.1.4 Historische Formen von Globalisierung
1.1.5 Beschleunigung in der jüngsten Vergangenheit
1.1.6 Eine neue globale "awareness" entsteht
1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung
1.2.1 Globalisierung und Fragmentierung
1.2.1.1 Reich-Arm-Dichotomie
1.2.1.2 Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft
1.2.2 Dynamik der zyklischen Expansion und Kontraktion
1.2.2.1 Re-Lokalisierung
1.2.2.2 Neue Themen für die Kultur- und Sozialanthropologie
1.2.3 Globalisierung und Grenzen
1.3 Kultur- und sozialanthropologische Forschungsfelder
1.3.1 Mega-Cities und rurale Entvölkerung
1.3.2 Subkulturforschung
1.3.3 Postkoloniale Studien
1.3.4 Eine "Neue Unübersichtlichkeit"
1.3.5 "Creolization Paradigm"
1.4 Bibliographie

2 Migrationsforschung in der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie

2.1 Abgrenzungen
2.2 Qualitative Erforschung von Betroffenheitsszenarien
2.3 Ethnohistorie und historische Migrationssforschung
2.4 Aufgabenfelder
2.4.1 Rahmenbedingungen, Arten, Ursachen und Auswirkungen von Migration
2.4.2 Konkreten Einzelstudien
2.4.2.1 Migrationsstudien in Österreich und in Europa
2.4.2.2 Migrationsstudien außerhalb Europas
2.5 Rezente Zugänge
2.5.1 Arbeitsmigration
2.5.2 Multikulturalität
2.5.3 Interkulturalität
2.5.4 Aufgaben der Ethnologie
2.6 Beispiele
2.7 Bibliographie

3 Die Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat

3.1 Interessensabgleich
3.2 Konflikthaftigkeit
3.3 Bedürfnisbefriedigung
3.4 Der Staat als Organisationsstruktur
3.5 Vor- und Nicht-staatliche Gesellschaften
3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen
3.6.1 Diffusität politischer Gemeinwesen
3.6.2 Segmentäre Gesellschaften
3.6.3 Vom Einfacheren zum Komplexeren
3.6.4 Historische Theoriebildung zur Staatsentstehung
3.6.4.1 "Early State"
3.6.4.2 Materialistische Theorie
3.6.4.3 Hydraulische Theorie
3.6.4.4 Theorie der natürlichen Grenzen
3.6.4.5 Eroberungs- und Unterwerfungstheorie
3.6.4.6 Patriarchal-, Patrimonial- und Vertragstheorie
3.6.4.7 Definition des frühen Staates
3.6.4.8 Typen des frühen Staates
3.6.5 Moderner Staat und andere Formen politischer Organisation
3.6.5.1 Koloniales Erbe
3.6.5.2 Transnationalismus und Staat
3.7 Beispiele
3.8 Bibliographie


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