Difference between revisions of "STEOP - Propaedeutikum KSA"

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An der Erstellung dieser Lernunterlage mitgewirkt haben als '''AutorInnen''': Elke Mader, Wolfgang Kraus, Philipp Budka und Matthias Reitter. '''Redaktionell bearbeitet''' wurde die Unterlage von Anna Ellmer, Matthias Reitter und Philipp Budka. <br/>
 
An der Erstellung dieser Lernunterlage mitgewirkt haben als '''AutorInnen''': Elke Mader, Wolfgang Kraus, Philipp Budka und Matthias Reitter. '''Redaktionell bearbeitet''' wurde die Unterlage von Anna Ellmer, Matthias Reitter und Philipp Budka. <br/>
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[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1 Was ist Kultur- und Sozialanthropologie?|1 Was ist Kultur- und Sozialanthropologie?]]<br/>
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[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Theoriengeschichte der Kultur- und Sozialanthropologie|2 Theoriengeschichte der Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
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[[Themenbereiche_der_KSA#3 Themenbereiche|3 Themenbereiche]]<br/>
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==Kapitelübersicht==
 
==Kapitelübersicht==
 
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::[[Themenbereiche_der_KSA/Gender#3.9.8 Literatur|3.9.8 Literatur]]<br/>
 
::[[Themenbereiche_der_KSA/Gender#3.9.8 Literatur|3.9.8 Literatur]]<br/>
 
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[[#Einführung und Propädeutikum Kultur- und Sozialanthropologie|&uarr; Nach oben]]
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Die '''historische Perspektive in der KSA beschäftigt sich mit '''kultureller und sozialer Diversität[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2.1 Die Prämisse der Diversität|[2]]]''' in zeitlicher Dimension'''. Sie setzt sich mit historischem Quellenmaterial auseinander, teils um die historischen Entwicklungen in bestimmten Regionen oder Gruppen zu rekonstruieren, teils weil sie davon ausgeht, dass die heutigen Verhältnisse in konkreten empirischen Feldern in ihrer historischen Gewordenheit interpretiert werden müssen. Vielfach wird sie ergänzend zu ethnographischen Methoden eingesetzt (vgl. Wernhart und Zips 2008). <br/>
 
Die '''historische Perspektive in der KSA beschäftigt sich mit '''kultureller und sozialer Diversität[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2.1 Die Prämisse der Diversität|[2]]]''' in zeitlicher Dimension'''. Sie setzt sich mit historischem Quellenmaterial auseinander, teils um die historischen Entwicklungen in bestimmten Regionen oder Gruppen zu rekonstruieren, teils weil sie davon ausgeht, dass die heutigen Verhältnisse in konkreten empirischen Feldern in ihrer historischen Gewordenheit interpretiert werden müssen. Vielfach wird sie ergänzend zu ethnographischen Methoden eingesetzt (vgl. Wernhart und Zips 2008). <br/>
 
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Der '''komparative ('''vergleichende[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Vergleich/Diffusionismus_und_Kulturkreislehre#2.24 Vergleich|[3]]]''') Ansatz fragt nach Unterschieden und Ähnlichkeiten partikularer kultureller und sozialer Phänomene in Zeit und Raum''' und leitet daraus verallgemeinernde Aussagen unterschiedlicher Reichweite ab (vgl. Gingrich und Fox 2002). '''Radcliffe-Brown[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/UK_Funktionalismus#2.4.1 A. R. Radcliffe-Brown|[4]]]''', einer der Begründer der britischen funktionalistischen Schule, der ein stark universalistisches Forschungsprogramm vertrat, formulierte um die Mitte des 20. Jahrhunderts, das Ziel der "komparativen Methode" sei: "... to explore the varieties of forms of social life as a basis for the theoretical study of human social phenomena" (1951: 15). Die zu vergleichenden Falleinheiten können sehr unterschiedlich definiert werden: "soziale Systeme" oder Gesellschaften, als analog verstandene Institutionen und Prozesse in verschiedenen Gesellschaften, kulturelle Phänomene, materielle Objekte und dergleichen mehr. Ebenso kann die Variabilität der Vergleichsfälle auf sehr unterschiedlichen Ebenen angenommen werden: räumlich oder zeitlich, aber auch als soziale oder kulturelle Variation innerhalb eines gemeinsamen soziokulturellen Kontexts. <br/>
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Der '''komparative (vergleichende[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Vergleich#2.24 Vergleich|[3]]]) Ansatz fragt nach Unterschieden und Ähnlichkeiten partikularer kultureller und sozialer Phänomene in Zeit und Raum''' und leitet daraus verallgemeinernde Aussagen unterschiedlicher Reichweite ab (vgl. Gingrich und Fox 2002). '''Radcliffe-Brown[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/UK_Funktionalismus#2.4.1 A. R. Radcliffe-Brown|[4]]]''', einer der Begründer der britischen funktionalistischen Schule, der ein stark universalistisches Forschungsprogramm vertrat, formulierte um die Mitte des 20. Jahrhunderts, das Ziel der "komparativen Methode" sei: "... to explore the varieties of forms of social life as a basis for the theoretical study of human social phenomena" (1951: 15). Die zu vergleichenden Falleinheiten können sehr unterschiedlich definiert werden: "soziale Systeme" oder Gesellschaften, als analog verstandene Institutionen und Prozesse in verschiedenen Gesellschaften, kulturelle Phänomene, materielle Objekte und dergleichen mehr. Ebenso kann die Variabilität der Vergleichsfälle auf sehr unterschiedlichen Ebenen angenommen werden: räumlich oder zeitlich, aber auch als soziale oder kulturelle Variation innerhalb eines gemeinsamen soziokulturellen Kontexts. <br/>
 
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Die '''ethnographische Feldforschung''' - also die systematische Datenerhebung in intensivem Kontakt mit Menschen in konkreten empirischen Forschungsfeldern - schließlich ist nicht per se wichtiger als die beiden anderen Standbeine. Sie ist aber insofern von zentraler Bedeutung für unser Fach, als sie '''als typische Erhebungsmethode der KSA ein definierendes Kriterium der Disziplin''' bildet und diese am deutlichsten von anderen sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen unterscheidet. <br/>
 
Die '''ethnographische Feldforschung''' - also die systematische Datenerhebung in intensivem Kontakt mit Menschen in konkreten empirischen Forschungsfeldern - schließlich ist nicht per se wichtiger als die beiden anderen Standbeine. Sie ist aber insofern von zentraler Bedeutung für unser Fach, als sie '''als typische Erhebungsmethode der KSA ein definierendes Kriterium der Disziplin''' bildet und diese am deutlichsten von anderen sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen unterscheidet. <br/>
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[http://ksa.univie.ac.at/  &#91;1&#93; http://ksa.univie.ac.at/]<br/>
 
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[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2.1 Die Prämisse der Diversität|[2] Siehe Kapitel 1.2.1]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2.1 Die Prämisse der Diversität|[2] Siehe Kapitel 1.2.1]]<br/>
[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Vergleich/Diffusionismus_und_Kulturkreislehre#2.24 Vergleich|[3] Siehe Kapitel 2.24 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
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[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Vergleich#2.24 Vergleich|[3] Siehe Kapitel 2.24 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
 
[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/UK_Funktionalismus#2.4.1 A. R. Radcliffe-Brown|[4] Siehe Kapitel 2.4.1]]<br/>
 
[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/UK_Funktionalismus#2.4.1 A. R. Radcliffe-Brown|[4] Siehe Kapitel 2.4.1]]<br/>
 
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'''Was das Fach der Kultur- und Sozialanthropologie ausmacht und von anderen unterscheidet''', ist nicht nur eine bestimmte Perspektive auf konkrete menschliche Lebenswelten, die soziale und kulturelle Zusammenhänge unter der Prämisse der Diversität in den Blick nimmt. Es '''ist auch ein spezifischer methodischer Zugang: die ethnographische Feldforschung''' (vgl. Eriksen 2010: 27-43). <br/>
 
'''Was das Fach der Kultur- und Sozialanthropologie ausmacht und von anderen unterscheidet''', ist nicht nur eine bestimmte Perspektive auf konkrete menschliche Lebenswelten, die soziale und kulturelle Zusammenhänge unter der Prämisse der Diversität in den Blick nimmt. Es '''ist auch ein spezifischer methodischer Zugang: die ethnographische Feldforschung''' (vgl. Eriksen 2010: 27-43). <br/>
 
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'''Ethnographische Feldforschung[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Ethnographie/Boas#2.3 Ethnographie|[1]]] setzt gewöhnlich die längerfristige physische Anwesenheit der ForscherInnen in einem mehr oder weniger überschaubaren Forschungsfeld voraus.''' EthnographInnen beobachten und begleiten konkrete Menschen über längere Zeiträume in ihrem Alltagsleben. In intensiver Kommunikation mit ihnen erheben sie '''Datenmaterial[[Der_Prozess_der_Datenerhebung/Prozess#5.2 Ethnographie als Prozess der Datenerhebung|[2]]]''', das zu beschreibenden, analytischen, interpretierenden und/oder erklärenden Aussagen über konkrete Forschungsfragen führen soll. In der Geschichte des Faches bildeten lokale Gemeinschaften in fernen nicht industrialisierten Gesellschaften das typische Feld für ethnographische Untersuchungen. Die Dauer solcher Feldaufenthalte betrug nicht selten ein bis zwei Jahre. '''In den letzten Jahrzehnten haben sich die beforschten Felder und mit ihnen auch die Rahmenbedingungen ethnographischer Erhebungen zunehmend verändert.''' <br/>
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'''Ethnographische Feldforschung[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Ethnographie#2.3 Ethnographie|[1]]] setzt gewöhnlich die längerfristige physische Anwesenheit der ForscherInnen in einem mehr oder weniger überschaubaren Forschungsfeld voraus.''' EthnographInnen beobachten und begleiten konkrete Menschen über längere Zeiträume in ihrem Alltagsleben. In intensiver Kommunikation mit ihnen erheben sie '''Datenmaterial[[Der_Prozess_der_Datenerhebung/Prozess#5.2 Ethnographie als Prozess der Datenerhebung|[2]]]''', das zu beschreibenden, analytischen, interpretierenden und/oder erklärenden Aussagen über konkrete Forschungsfragen führen soll. In der Geschichte des Faches bildeten lokale Gemeinschaften in fernen nicht industrialisierten Gesellschaften das typische Feld für ethnographische Untersuchungen. Die Dauer solcher Feldaufenthalte betrug nicht selten ein bis zwei Jahre. '''In den letzten Jahrzehnten haben sich die beforschten Felder und mit ihnen auch die Rahmenbedingungen ethnographischer Erhebungen zunehmend verändert.''' <br/>
 
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Nach wie vor ist unser Zugang zur Ethnographie aber durch diese historischen Erfahrungen geprägt. Wesentliche '''Ansprüche an ethnographische Feldforschung''' sind auch heute Merkmale wie: <br/>
 
Nach wie vor ist unser Zugang zur Ethnographie aber durch diese historischen Erfahrungen geprägt. Wesentliche '''Ansprüche an ethnographische Feldforschung''' sind auch heute Merkmale wie: <br/>
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'''Verweise:'''
 
'''Verweise:'''
 
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[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Ethnographie/Boas#2.3 Ethnographie|[1] Siehe Kapitel 2.3 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
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[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Ethnographie#2.3 Ethnographie|[1] Siehe Kapitel 2.3 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
 
[[Der_Prozess_der_Datenerhebung/Prozess#5.2 Ethnographie als Prozess der Datenerhebung|[2] Siehe Kapitel 5.2 der Lernunterlage ''Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
 
[[Der_Prozess_der_Datenerhebung/Prozess#5.2 Ethnographie als Prozess der Datenerhebung|[2] Siehe Kapitel 5.2 der Lernunterlage ''Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
 
[[Ausgewaehlte_Weiterentwicklungen_der_ethnographischen_Feldforschung/Global|[3] Siehe Kapitel 5.5 der Lernunterlage ''Einführung in die Empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
 
[[Ausgewaehlte_Weiterentwicklungen_der_ethnographischen_Feldforschung/Global|[3] Siehe Kapitel 5.5 der Lernunterlage ''Einführung in die Empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
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In der ethnographischen Feldforschung dagegen gehe ich nicht nur davon aus, dass meine Vorannahmen keineswegs gesichert sind, sondern dass sie mich - da sie potentiell ethnozentrisch sind - in die Irre führen können, wenn ich sie im Forschungsprozess nicht kritisch hinterfrage. '''Die Anpassung der methodischen Zugänge an die gewonnenen Einsichten und die Neuorientierung während des Forschungsprozesses sind in der Ethnographie daher nicht methodische Fehler; sie sind vielmehr selbstverständlich und markieren einen Erkenntnisgewinn.''' <br/>
 
In der ethnographischen Feldforschung dagegen gehe ich nicht nur davon aus, dass meine Vorannahmen keineswegs gesichert sind, sondern dass sie mich - da sie potentiell ethnozentrisch sind - in die Irre führen können, wenn ich sie im Forschungsprozess nicht kritisch hinterfrage. '''Die Anpassung der methodischen Zugänge an die gewonnenen Einsichten und die Neuorientierung während des Forschungsprozesses sind in der Ethnographie daher nicht methodische Fehler; sie sind vielmehr selbstverständlich und markieren einen Erkenntnisgewinn.''' <br/>
 
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Die Anwendung qualitativer Untersuchungsmethoden schließt den Anspruch auf Repräsentativität für eine klar definierte Gruppe oder Kategorie von Einzelfällen (die Grundgesamtheit oder Grundpopulation) von vornherein aus. Alle diese Begrifflichkeiten können nur in einem quantitativen Forschungszugang sinnvoll verwendet werden. '''Was wir für ethnographische Feldforschung beanspruchen können, ist '''Validität[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_kann_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.4.4 Validität|[4]]]''':''' dass bestimmte soziale und kulturelle Zusammenhänge auf gültige Weise dargestellt werden. Für welche Menschen diese Darstellung Gültigkeit hat - über diejenigen hinaus, mit denen wir in der Forschung kommuniziert haben -, ist eine kritische Frage, für die es keine simple, technisch korrekte Antwort gibt. Diese Frage steht auch mit dem Problem der sich verändernden Definition unserer Untersuchungseinheiten im Zusammenhang (früher "Gesellschaften" oder "Kulturen" und deren Strukturen, heute eher soziale Teilgruppen, Netzwerke oder Prozesse). Sie wird in Abhängigkeit von der jeweiligen Themenstellung unterschiedlich zu beantworten sein. '''Außer Zweifel steht jedenfalls, dass '''"dichte"[[Methodologische_Gegensatzpaare/Qualitativ-Quantitativ/Was_kann_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.4.1 qualitativ|[5]]]''', in die Tiefe gehende ethnographische Arbeiten sehr viel über Zusammenhänge oder Kollektive aussagen können''', an denen die untersuchten Personen teilhaben, die aber über diesen relativ kleinen Kreis unmittelbar Beteiligter weit hinausgehen. <br/>
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Die Anwendung qualitativer Untersuchungsmethoden schließt den Anspruch auf Repräsentativität für eine klar definierte Gruppe oder Kategorie von Einzelfällen (die Grundgesamtheit oder Grundpopulation) von vornherein aus. Alle diese Begrifflichkeiten können nur in einem quantitativen Forschungszugang sinnvoll verwendet werden. '''Was wir für ethnographische Feldforschung beanspruchen können, ist '''Validität[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_kann_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.4.4 Validität|[4]]]''':''' dass bestimmte soziale und kulturelle Zusammenhänge auf gültige Weise dargestellt werden. Für welche Menschen diese Darstellung Gültigkeit hat - über diejenigen hinaus, mit denen wir in der Forschung kommuniziert haben -, ist eine kritische Frage, für die es keine simple, technisch korrekte Antwort gibt. Diese Frage steht auch mit dem Problem der sich verändernden Definition unserer Untersuchungseinheiten im Zusammenhang (früher "Gesellschaften" oder "Kulturen" und deren Strukturen, heute eher soziale Teilgruppen, Netzwerke oder Prozesse). Sie wird in Abhängigkeit von der jeweiligen Themenstellung unterschiedlich zu beantworten sein. '''Außer Zweifel steht jedenfalls, dass '''"dichte"[[Methodologische_Gegensatzpaare/Qualitativ-Quantitativ#1.4.1 qualitativ|[5]]]''', in die Tiefe gehende ethnographische Arbeiten sehr viel über Zusammenhänge oder Kollektive aussagen können''', an denen die untersuchten Personen teilhaben, die aber über diesen relativ kleinen Kreis unmittelbar Beteiligter weit hinausgehen. <br/>
 
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[[Qualitative_Methoden_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie|[3] Siehe die Lernunterlage ''Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]
 
[[Qualitative_Methoden_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie|[3] Siehe die Lernunterlage ''Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_kann_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.4.4 Validität|[4] Siehe Kapitel 1.4.4]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_kann_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.4.4 Validität|[4] Siehe Kapitel 1.4.4]]<br/>
[[Methodologische_Gegensatzpaare/Qualitativ-Quantitativ/Was_kann_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.4.1 qualitativ|[5] Siehe Kapitel 1.4.1 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
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[[Methodologische_Gegensatzpaare/Qualitativ-Quantitativ#1.4.1 qualitativ|[5] Siehe Kapitel 1.4.1 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
 
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'''Verweise:'''
 
'''Verweise:'''
 
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[[Methodologische_Gegensatzpaare/Verstehen-Erklären/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.2 Sozialwissenschaft im Spannungsfeld zwischen Natur- und Geisteswissenschaften|[1] Siehe Kapitel 1.1.2 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
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[[Methodologische_Gegensatzpaare/Verstehen-Erklären#1.1.2 Sozialwissenschaft im Spannungsfeld zwischen Natur- und Geisteswissenschaften|[1] Siehe Kapitel 1.1.2 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
 
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'''Hermeneutik''' kommt vom griechischen Verb ''hermeneuo'', d.h. etwa "erklären", "übersetzen", "auslegen" (im Sinne von interpretieren). In der '''Wissenschaftstheorie[http://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaftstheorie  &#91;1&#93;]''' bezieht sich Hermeneutik auf die Deutung und Interpretation von Sinn- und Bedeutungszusammenhängen. '''Die KSA hat wesentliche hermeneutische Aspekte, die nicht strikt empirisch sind, weil sie nicht allein vom Beobachtbaren ausgehen, sondern versuchen, den Sinn, der hinter dem beobachtbaren Handeln von Menschen steht, zu deuten.''' <br/>
 
'''Hermeneutik''' kommt vom griechischen Verb ''hermeneuo'', d.h. etwa "erklären", "übersetzen", "auslegen" (im Sinne von interpretieren). In der '''Wissenschaftstheorie[http://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaftstheorie  &#91;1&#93;]''' bezieht sich Hermeneutik auf die Deutung und Interpretation von Sinn- und Bedeutungszusammenhängen. '''Die KSA hat wesentliche hermeneutische Aspekte, die nicht strikt empirisch sind, weil sie nicht allein vom Beobachtbaren ausgehen, sondern versuchen, den Sinn, der hinter dem beobachtbaren Handeln von Menschen steht, zu deuten.''' <br/>
 
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Der Begriff der '''Hermeneutik[[Einige_wissenschaftstheoretische_Grundlagen_der_empirischen_Sozialforschung/Nicht-Positivismus/Boas#2.3.1 Die Hermeneutik|[2]]]''' stammt vor allem aus sprach- und literaturwissenschaftlichen Kontexten, in denen es um das Auslegen und Interpretieren von Texten geht. In der KSA hat ein analoges Verständnis von '''Kultur als "Text"[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Geertz#2.7 Clifford Geertz und die Folgen|[3]]]''' eine große Rolle gespielt. Am deutlichsten ausgeprägt war diese Analogie in der sogenannten '''"postmodernen" Kulturanthropologie der 1980er Jahre''', als behauptet wurde, Kultur funktioniere wie Text und müsse demnach wie Text gelesen und interpretiert werden. Wenn auch die Gleichsetzung von Kultur mit Text heute nicht mehr so radikal vertreten wird, so lassen sich gewisse Analogien zwischen der Interpretation kultureller Zusammenhänge und der Textdeutung nicht bestreiten. Der Hauptgrund dafür liegt in der grundlegenden '''Ähnlichkeit der Realitäten[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.7 KSA als Lehre von den kulturellen und sozialen Aspekten des Menschseins|[4]]]''', mit denen sich das Fach beschäftigt, mit den Instrumenten, die es zu ihrer Darstellung und Erklärung verwendet: Da wie dort geht es um Denkmodelle, die letztlich kulturell geprägt sind. <br/>
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Der Begriff der '''Hermeneutik[[Einige_wissenschaftstheoretische_Grundlagen_der_empirischen_Sozialforschung/Nicht-Positivismus#2.3.1 Die Hermeneutik|[2]]]''' stammt vor allem aus sprach- und literaturwissenschaftlichen Kontexten, in denen es um das Auslegen und Interpretieren von Texten geht. In der KSA hat ein analoges Verständnis von '''Kultur als "Text"[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Geertz#2.7 Clifford Geertz und die Folgen|[3]]]''' eine große Rolle gespielt. Am deutlichsten ausgeprägt war diese Analogie in der sogenannten '''"postmodernen" Kulturanthropologie der 1980er Jahre''', als behauptet wurde, Kultur funktioniere wie Text und müsse demnach wie Text gelesen und interpretiert werden. Wenn auch die Gleichsetzung von Kultur mit Text heute nicht mehr so radikal vertreten wird, so lassen sich gewisse Analogien zwischen der Interpretation kultureller Zusammenhänge und der Textdeutung nicht bestreiten. Der Hauptgrund dafür liegt in der grundlegenden '''Ähnlichkeit der Realitäten[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.7 KSA als Lehre von den kulturellen und sozialen Aspekten des Menschseins|[4]]]''', mit denen sich das Fach beschäftigt, mit den Instrumenten, die es zu ihrer Darstellung und Erklärung verwendet: Da wie dort geht es um Denkmodelle, die letztlich kulturell geprägt sind. <br/>
 
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[http://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaftstheorie  &#91;1&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaftstheorie]<br/>
 
[http://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaftstheorie  &#91;1&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaftstheorie]<br/>
[[Einige_wissenschaftstheoretische_Grundlagen_der_empirischen_Sozialforschung/Nicht-Positivismus/Boas#2.3.1 Die Hermeneutik|[2] Siehe Kapitel 2.3.1 der Lernunterlage ''Einführung in die Empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
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[[Einige_wissenschaftstheoretische_Grundlagen_der_empirischen_Sozialforschung/Nicht-Positivismus#2.3.1 Die Hermeneutik|[2] Siehe Kapitel 2.3.1 der Lernunterlage ''Einführung in die Empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
 
[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Geertz#2.7 Clifford Geertz und die Folgen|[3] Siehe Kapitel 2.7]]<br/>
 
[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Geertz#2.7 Clifford Geertz und die Folgen|[3] Siehe Kapitel 2.7]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.7 KSA als Lehre von den kulturellen und sozialen Aspekten des Menschseins|[4] Siehe Kapitel 1.1.7]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.7 KSA als Lehre von den kulturellen und sozialen Aspekten des Menschseins|[4] Siehe Kapitel 1.1.7]]<br/>
 
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==1.4.2 Interpretation und Objektivität==
 
==1.4.2 Interpretation und Objektivität==
 
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Die Antwort auf die Frage, ob objektive Beschreibung und Erklärung in der KSA möglich ist, hat viel zu tun mit Art und Beschaffenheit der konkreten Realitäten, für die man sich gerade interessiert. Die mathematischen Prinzipien der Erbteilung etwa, die in einer bestimmten Gruppe zur Anwendung kommen, lassen sich recht gut objektivierend betrachten. Sie können unabhängig von der persönlichen Sichtweise beschrieben werden. Aber schon dort, wo erklärt werden soll, warum bei einer konkreten Teilung z.B. von Ackerland auf eine bestimmte Weise entschieden wird, die mit den abstrakten Regeln im Einklang steht, aber nicht zur Gänze durch diese determiniert wird, ist das nicht mehr möglich: Hier muss (im Dialog mit unseren Forschungssubjekten) interpretiert werden. <br/>
 
Die Antwort auf die Frage, ob objektive Beschreibung und Erklärung in der KSA möglich ist, hat viel zu tun mit Art und Beschaffenheit der konkreten Realitäten, für die man sich gerade interessiert. Die mathematischen Prinzipien der Erbteilung etwa, die in einer bestimmten Gruppe zur Anwendung kommen, lassen sich recht gut objektivierend betrachten. Sie können unabhängig von der persönlichen Sichtweise beschrieben werden. Aber schon dort, wo erklärt werden soll, warum bei einer konkreten Teilung z.B. von Ackerland auf eine bestimmte Weise entschieden wird, die mit den abstrakten Regeln im Einklang steht, aber nicht zur Gänze durch diese determiniert wird, ist das nicht mehr möglich: Hier muss (im Dialog mit unseren Forschungssubjekten) interpretiert werden. <br/>
 
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'''Objektivität[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Objektivität/Klassischer_Evolutionismus#2.15 Objektivität|[1]]]''' ist in Teilbereichen des Wissens, das die KSA anstrebt, also durchaus möglich.''' Aber gewöhnlich ist sie gerade dort, wo es für unser Fach interessant wird, nicht mehr möglich. Überall dort, wo es um sinngeleitetes Handeln geht, kann ich als BeobachterIn nicht von der Tatsache abstrahieren, dass ich selbst in Sinnzusammenhänge eingebettet bin und mir solche Zusammenhänge interpretierend erklären kann. '''Objektiv ist eine Aussage dann, wenn sie sich - unabhängig von der jeweiligen Person, die dies versucht - direkt an der Realität überprüfen lässt.''' '''In der KSA ist dies in den meisten Zusammenhängen nicht möglich''', weil zwischen der Realität und unseren Aussagen noch eine Zwischenebene liegt: jene des sinngeleiteten Verstehens, die sich nur der Interpretation erschließt, nicht aber der objektiven Beschreibung. <br/>
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'''Objektivität[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Objektivität#2.15 Objektivität|[1]]]''' ist in Teilbereichen des Wissens, das die KSA anstrebt, also durchaus möglich.''' Aber gewöhnlich ist sie gerade dort, wo es für unser Fach interessant wird, nicht mehr möglich. Überall dort, wo es um sinngeleitetes Handeln geht, kann ich als BeobachterIn nicht von der Tatsache abstrahieren, dass ich selbst in Sinnzusammenhänge eingebettet bin und mir solche Zusammenhänge interpretierend erklären kann. '''Objektiv ist eine Aussage dann, wenn sie sich - unabhängig von der jeweiligen Person, die dies versucht - direkt an der Realität überprüfen lässt.''' '''In der KSA ist dies in den meisten Zusammenhängen nicht möglich''', weil zwischen der Realität und unseren Aussagen noch eine Zwischenebene liegt: jene des sinngeleiteten Verstehens, die sich nur der Interpretation erschließt, nicht aber der objektiven Beschreibung. <br/>
 
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Die Gegenposition zu dieser Sicht, die davon ausgeht, dass ein direkter Zugang zu sozialen und kulturellen Realitäten möglich und unproblematisch ist, wird wissenschaftstheoretisch als Positivismus bezeichnet. In der Geschichte der KSA sind immer wieder auch positivistische Theorieansätze vertreten worden, so etwa durch '''Radcliffe-Brown[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/UK_Funktionalismus#2.4.1 A. R. Radcliffe-Brown|[2]]]'''. In der Gegenwart werden solche Perspektiven aber nur von wenigen VetreterInnen des Faches eingenommen; die Mehrheit der AnthropologInnen steht '''positivistischen Ansätzen[[Einige_wissenschaftstheoretische_Grundlagen_der_empirischen_Sozialforschung/Positivismus|[3]]]''' kritisch gegenüber. <br/>
 
Die Gegenposition zu dieser Sicht, die davon ausgeht, dass ein direkter Zugang zu sozialen und kulturellen Realitäten möglich und unproblematisch ist, wird wissenschaftstheoretisch als Positivismus bezeichnet. In der Geschichte der KSA sind immer wieder auch positivistische Theorieansätze vertreten worden, so etwa durch '''Radcliffe-Brown[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/UK_Funktionalismus#2.4.1 A. R. Radcliffe-Brown|[2]]]'''. In der Gegenwart werden solche Perspektiven aber nur von wenigen VetreterInnen des Faches eingenommen; die Mehrheit der AnthropologInnen steht '''positivistischen Ansätzen[[Einige_wissenschaftstheoretische_Grundlagen_der_empirischen_Sozialforschung/Positivismus|[3]]]''' kritisch gegenüber. <br/>
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'''Verweise:'''
 
'''Verweise:'''
 
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[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Objektivität/Klassischer_Evolutionismus#2.15 Objektivität|[1] Siehe Kapitel 2.15 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
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[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Objektivität#2.15 Objektivität|[1] Siehe Kapitel 2.15 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
 
[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/UK_Funktionalismus#2.4.1 A. R. Radcliffe-Brown|[2] Siehe Kapitel 2.4.1]]<br/>
 
[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/UK_Funktionalismus#2.4.1 A. R. Radcliffe-Brown|[2] Siehe Kapitel 2.4.1]]<br/>
 
[[Einige_wissenschaftstheoretische_Grundlagen_der_empirischen_Sozialforschung/Positivismus|[3] Siehe Kapitel 2.2 der Lernunterlage ''Einführung in die Empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
 
[[Einige_wissenschaftstheoretische_Grundlagen_der_empirischen_Sozialforschung/Positivismus|[3] Siehe Kapitel 2.2 der Lernunterlage ''Einführung in die Empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
 
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==1.4.3 Hindernisse für Objektivität in der Kultur- und Sozialanthropologie==
 
==1.4.3 Hindernisse für Objektivität in der Kultur- und Sozialanthropologie==
 
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'''Wenn wesentliche Zusammenhänge, für die sich die KSA interessiert, nur interpretierend erschlossen werden können, so ergibt sich daraus notwendigerweise, dass Objektivität kein realistisches Ziel für ihre Beschreibung und Erklärung sein kann''', weil sie nicht erreicht werden kann. Für einen sinnvollen Anspruch auf Objektivität gibt es vor allem '''zwei große Hindernisse'''. <br/>
 
'''Wenn wesentliche Zusammenhänge, für die sich die KSA interessiert, nur interpretierend erschlossen werden können, so ergibt sich daraus notwendigerweise, dass Objektivität kein realistisches Ziel für ihre Beschreibung und Erklärung sein kann''', weil sie nicht erreicht werden kann. Für einen sinnvollen Anspruch auf Objektivität gibt es vor allem '''zwei große Hindernisse'''. <br/>
 
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*  Das '''erste Hindernis ergibt sich aus der außerordentlichen Komplexität sozialer und kultureller Zusammenhänge'''. Menschliches Handeln und Denken ist einer unüberschaubaren Fülle an Einflüssen, äußeren Rahmenbedingungen und kausalen Wechselwirkungen unterworfen. Soziales Handeln ist zwar durchaus in '''kausale Zusammenhänge[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Kausalität/Klassischer_Evolutionismus#2.11 Kausalität|[1]]]''' eingebunden, an denen ein positivistisches Wissenschaftsverständnis ansetzt. Das Problem besteht aber darin, dass wir diese Zusammenhänge nicht in Isolation betrachten können. Wenn wir einen Zusammenhang zwischen zwei Beobachtungen zu erkennen glauben - und ihn vielleicht sogar statistisch bestätigen können - so heißt das noch lange nicht, dass dieser Zusammenhang kausaler Art sein muss. Vielleicht braucht es ja spezifische Rahmenbedingungen, die uns wegen ihrer Komplexität nicht klar sind, oder von uns nicht beachtete zusätzliche Faktoren, damit der beobachtete Zusammenhang zum Tragen kommt. Aufgrund dieser Komplexität unseres empirischen Feldes hat sich auch die Suche nach objektiven sozialen Gesetzmäßigkeiten als wenig ergiebig erwiesen. Es hat in der Geschichte des Faches immer wieder Versuche gegeben, solche Gesetzmäßigkeiten zu formulieren. Im Großen und Ganzen sind diese jedoch gescheitert, weil die behaupteten Gesetzmäßigkeiten entweder banal und somit uninteressant waren, oder weil sie im Fall weniger banaler Aussagen durch zusätzliche empirische Fallbeispiele meist relativ schnell widerlegt wurden.<br/>
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*  Das '''erste Hindernis ergibt sich aus der außerordentlichen Komplexität sozialer und kultureller Zusammenhänge'''. Menschliches Handeln und Denken ist einer unüberschaubaren Fülle an Einflüssen, äußeren Rahmenbedingungen und kausalen Wechselwirkungen unterworfen. Soziales Handeln ist zwar durchaus in '''kausale Zusammenhänge[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Kausalität#2.11 Kausalität|[1]]]''' eingebunden, an denen ein positivistisches Wissenschaftsverständnis ansetzt. Das Problem besteht aber darin, dass wir diese Zusammenhänge nicht in Isolation betrachten können. Wenn wir einen Zusammenhang zwischen zwei Beobachtungen zu erkennen glauben - und ihn vielleicht sogar statistisch bestätigen können - so heißt das noch lange nicht, dass dieser Zusammenhang kausaler Art sein muss. Vielleicht braucht es ja spezifische Rahmenbedingungen, die uns wegen ihrer Komplexität nicht klar sind, oder von uns nicht beachtete zusätzliche Faktoren, damit der beobachtete Zusammenhang zum Tragen kommt. Aufgrund dieser Komplexität unseres empirischen Feldes hat sich auch die Suche nach objektiven sozialen Gesetzmäßigkeiten als wenig ergiebig erwiesen. Es hat in der Geschichte des Faches immer wieder Versuche gegeben, solche Gesetzmäßigkeiten zu formulieren. Im Großen und Ganzen sind diese jedoch gescheitert, weil die behaupteten Gesetzmäßigkeiten entweder banal und somit uninteressant waren, oder weil sie im Fall weniger banaler Aussagen durch zusätzliche empirische Fallbeispiele meist relativ schnell widerlegt wurden.<br/>
 
*  Das '''zweite Hindernis ist die Notwendigkeit der Interpretation[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_kann_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.4.2 Interpretation und Objektivität|[2]]]'''. Menschliches Handeln ist nicht nur sinngeleitet, es steht auch mit objektiven Bedürfnissen und Interessen sowie kausalen Wechselwirkungen in Zusammenhang. Es ist aber immer auch sinngeleitet. Zumindest diese Sinnzusammenhänge lassen sich grundsätzlich nicht objektiv beschreiben. Sie müssen vielmehr interpretierend gedeutet werden, d.h. in das eigene Sinnsystem übersetzt werden. Natürlich lässt sich das eigene Verständnis im ethnographischen Kommunikationsprozess erweitern und über die eigenen kulturellen Prägungen hinaus entwickeln. Wäre das nicht möglich, so dürften wir den Anspruch, andere kulturelle Zusammenhänge verstehen zu können, gar nicht erheben. Ein solches Verständnis lässt sich jedoch nie objektivieren. Die Interpretation von Sinn bleibt notwendigerweise subjektiv.<br/>
 
*  Das '''zweite Hindernis ist die Notwendigkeit der Interpretation[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_kann_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.4.2 Interpretation und Objektivität|[2]]]'''. Menschliches Handeln ist nicht nur sinngeleitet, es steht auch mit objektiven Bedürfnissen und Interessen sowie kausalen Wechselwirkungen in Zusammenhang. Es ist aber immer auch sinngeleitet. Zumindest diese Sinnzusammenhänge lassen sich grundsätzlich nicht objektiv beschreiben. Sie müssen vielmehr interpretierend gedeutet werden, d.h. in das eigene Sinnsystem übersetzt werden. Natürlich lässt sich das eigene Verständnis im ethnographischen Kommunikationsprozess erweitern und über die eigenen kulturellen Prägungen hinaus entwickeln. Wäre das nicht möglich, so dürften wir den Anspruch, andere kulturelle Zusammenhänge verstehen zu können, gar nicht erheben. Ein solches Verständnis lässt sich jedoch nie objektivieren. Die Interpretation von Sinn bleibt notwendigerweise subjektiv.<br/>
 
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'''Verweise:'''
 
'''Verweise:'''
 
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[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Kausalität/Klassischer_Evolutionismus#2.11 Kausalität|[1] Siehe Kapitel 2.11 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
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[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Kausalität#2.11 Kausalität|[1] Siehe Kapitel 2.11 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_kann_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.4.2 Interpretation und Objektivität|[2] Siehe Kapitel 1.4.2]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_kann_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.4.2 Interpretation und Objektivität|[2] Siehe Kapitel 1.4.2]]<br/>
 
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==1.4.4 Validität==
 
==1.4.4 Validität==
 
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Der notwendige Wandel von gültigem Wissen bedeutet aber nicht, dass frühere Einsichten und Perspektiven für uns irrelevant sind oder dass sich in 30 Jahren niemand mehr für das interessieren wird, was heute geschrieben wird. Auch wenn dies hinter dem Innovationsdiskurs, mit dem WissenschaftlerInnen ihre Aktualität, die gesellschaftliche Relevanz ihrer Forschung und ihren Anspruch auf finanzielle Mittel legitimieren, manchmal in den Hintergrund tritt, beschäftigen wir uns auch heute noch intensiv mit dem, was vor Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten geschrieben wurde. Diese Auseinandersetzung ist manchmal vor allem historisch motiviert. Wenn wir heute z.B. '''Lewis Henry Morgan[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Klassischer_Evolutionismus#2.1.1 Lewis Henry Morgan und Henry Maine|[1]]]''' lesen, so kann es sein, dass wir in theoriengeschichtlicher Perspektive verstehen wollen, aus welchem Blickwinkel er zu welchen Ergebnissen kam, ohne nach deren heutiger Gültigkeit zu fragen. Ebenso können wir aber bei ihm - wie bei anderen AutorInnen der Vergangenheit - Datenmaterial finden, das uns, sofern es kritisch rezipiert wird, durchaus nützlich sein kann. Auch die theoretischen Konzepte, mit denen frühere VertreterInnen des Faches an ihr Material herangingen, können weiterhin von Interesse sein, selbst wenn wir aus heutiger Sicht und mit veränderten Interessen ihre Schwachstellen deutlicher erkennen können, als das den damaligen ZeitgenossInnen möglich war. <br/>
 
Der notwendige Wandel von gültigem Wissen bedeutet aber nicht, dass frühere Einsichten und Perspektiven für uns irrelevant sind oder dass sich in 30 Jahren niemand mehr für das interessieren wird, was heute geschrieben wird. Auch wenn dies hinter dem Innovationsdiskurs, mit dem WissenschaftlerInnen ihre Aktualität, die gesellschaftliche Relevanz ihrer Forschung und ihren Anspruch auf finanzielle Mittel legitimieren, manchmal in den Hintergrund tritt, beschäftigen wir uns auch heute noch intensiv mit dem, was vor Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten geschrieben wurde. Diese Auseinandersetzung ist manchmal vor allem historisch motiviert. Wenn wir heute z.B. '''Lewis Henry Morgan[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Klassischer_Evolutionismus#2.1.1 Lewis Henry Morgan und Henry Maine|[1]]]''' lesen, so kann es sein, dass wir in theoriengeschichtlicher Perspektive verstehen wollen, aus welchem Blickwinkel er zu welchen Ergebnissen kam, ohne nach deren heutiger Gültigkeit zu fragen. Ebenso können wir aber bei ihm - wie bei anderen AutorInnen der Vergangenheit - Datenmaterial finden, das uns, sofern es kritisch rezipiert wird, durchaus nützlich sein kann. Auch die theoretischen Konzepte, mit denen frühere VertreterInnen des Faches an ihr Material herangingen, können weiterhin von Interesse sein, selbst wenn wir aus heutiger Sicht und mit veränderten Interessen ihre Schwachstellen deutlicher erkennen können, als das den damaligen ZeitgenossInnen möglich war. <br/>
 
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Umgekehrt gilt: '''Alles anthropologische Wissen, das zum jetzigen Zeitpunkt anerkannt ist, ist mit größter Wahrscheinlichkeit nur vorläufig gültig'''. Somit ist es nicht nur unser Recht, sondern sogar unsere Pflicht, wissenschaftliche Aussagen und Perspektiven kritisch zu rezipieren und uns zu fragen, ob wir ihnen folgen können oder nicht. Dabei geht es um zweierlei: zum einen um die Plausibilität der '''empirischen Daten[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Empirie/Klassischer_Evolutionismus#2.1 Empirie|[2]]]''', zum anderen um die Begrifflichkeiten, Ideen und angenommenen Zusammenhänge, mittels welcher diese Daten organisiert und in einen erklärenden Zusammenhang gebracht werden - also um die Theorien. <br/>
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Umgekehrt gilt: '''Alles anthropologische Wissen, das zum jetzigen Zeitpunkt anerkannt ist, ist mit größter Wahrscheinlichkeit nur vorläufig gültig'''. Somit ist es nicht nur unser Recht, sondern sogar unsere Pflicht, wissenschaftliche Aussagen und Perspektiven kritisch zu rezipieren und uns zu fragen, ob wir ihnen folgen können oder nicht. Dabei geht es um zweierlei: zum einen um die Plausibilität der '''empirischen Daten[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Empirie#2.1 Empirie|[2]]]''', zum anderen um die Begrifflichkeiten, Ideen und angenommenen Zusammenhänge, mittels welcher diese Daten organisiert und in einen erklärenden Zusammenhang gebracht werden - also um die Theorien. <br/>
 
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Das große Feld anthropologischer Debatten betrifft immer wieder auch empirische Aussagen, vor allem aber die konkurrierenden und in Entwicklung begriffenen theoretischen Ansätze. Eine Theorie "ist eine Menge logisch miteinander verknüpfter Aussagen, die einen bestimmten Ausschnitt der Welt erklären" ( '''Halbmayer[[Einige_wissenschaftstheoretische_Grundlagen_der_empirischen_Sozialforschung/Theorien|[3]]]'''). Der '''Begriff "Theorie"''' wird aber auch in einem weiteren Sinn verwendet für die Summe unserer logisch möglichst konsistenten Annahmen über die Welt und über bestimmte Zusammenhänge in ihr, die es uns erlauben, unsere Beobachtungen zu strukturieren und zu systematisieren und aus ihnen erklärende Theorien im engeren Sinn abzuleiten. Theoretische Perspektiven sind in der KSA generell in höherem Ausmaß umstritten als empirische Beobachtungen. Eine kritische Rezeption wissenschaftlicher Aussagen bedeutet auch den Versuch, jene Ideen, Modelle und Ansätze zu erkennen und zu hinterfragen, mit denen in einem konkreten wissenschaftlichen Text operiert wird. Da diese theoretischen Werkzeuge vielfach zumindest teilweise implizit bleiben, ist auch dieser Versuch nicht selten ein interpretierender Vorgang. <br/>
 
Das große Feld anthropologischer Debatten betrifft immer wieder auch empirische Aussagen, vor allem aber die konkurrierenden und in Entwicklung begriffenen theoretischen Ansätze. Eine Theorie "ist eine Menge logisch miteinander verknüpfter Aussagen, die einen bestimmten Ausschnitt der Welt erklären" ( '''Halbmayer[[Einige_wissenschaftstheoretische_Grundlagen_der_empirischen_Sozialforschung/Theorien|[3]]]'''). Der '''Begriff "Theorie"''' wird aber auch in einem weiteren Sinn verwendet für die Summe unserer logisch möglichst konsistenten Annahmen über die Welt und über bestimmte Zusammenhänge in ihr, die es uns erlauben, unsere Beobachtungen zu strukturieren und zu systematisieren und aus ihnen erklärende Theorien im engeren Sinn abzuleiten. Theoretische Perspektiven sind in der KSA generell in höherem Ausmaß umstritten als empirische Beobachtungen. Eine kritische Rezeption wissenschaftlicher Aussagen bedeutet auch den Versuch, jene Ideen, Modelle und Ansätze zu erkennen und zu hinterfragen, mit denen in einem konkreten wissenschaftlichen Text operiert wird. Da diese theoretischen Werkzeuge vielfach zumindest teilweise implizit bleiben, ist auch dieser Versuch nicht selten ein interpretierender Vorgang. <br/>
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[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Klassischer_Evolutionismus#2.1.1 Lewis Henry Morgan und Henry Maine|[1] Siehe Kapitel 2.1.1]]<br/>
 
[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Klassischer_Evolutionismus#2.1.1 Lewis Henry Morgan und Henry Maine|[1] Siehe Kapitel 2.1.1]]<br/>
[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Empirie/Klassischer_Evolutionismus#2.1 Empirie|[2] Siehe Kapitel 2.1 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
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[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Empirie#2.1 Empirie|[2] Siehe Kapitel 2.1 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
 
[[Einige_wissenschaftstheoretische_Grundlagen_der_empirischen_Sozialforschung/Theorien|[3] Siehe Kapitel 2.6 der Lernunterlage ''Einführung in die Empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
 
[[Einige_wissenschaftstheoretische_Grundlagen_der_empirischen_Sozialforschung/Theorien|[3] Siehe Kapitel 2.6 der Lernunterlage ''Einführung in die Empirischen Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
 
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<sup>verfasst von Wolfgang Kraus und Matthias Reitter</sup>
 
<sup>verfasst von Wolfgang Kraus und Matthias Reitter</sup>
 
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'''Die Kultur- und Sozialanthropologie ist (so wie die anderen Sozialwissenschaften[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Sozialwissenschaft/Klassischer_Evolutionismus#2.17 Sozialwissenschaft|[1]]]) eine vergleichsweise junge Disziplin[http://ksa.univie.ac.at/institut/geschichte/  &#91;2&#93;]'''. Fragen, die wir heute als typisch anthropologisch ansehen, haben zwar Philosophen und Historiker schon seit der Antike beschäftigt. '''Thomas Hylland Eriksen[http://en.wikipedia.org/wiki/Thomas_Hylland_Eriksen  &#91;3&#93;]''' (2010: 10ff.) rechnet diese Vorläufer der "Proto-Anthropology" zu. Theoretische Modelle sozialer und kultureller Zusammenhänge, die als solche rezipiert und diskutiert wurden - kurz: eine explizite anthropologische Theorienbildung - gab es aber erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aus diesen Theoriediskursen bildete sich unser Fach, das etwa ab der Jahrhundertwende akademisch institutionalisiert wurde und sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts seine charakteristische Methodologie erarbeitete. '''Eriksen[http://www.amazon.co.uk/Small-Places-Large-Issues-Introduction/dp/0745317723  &#91;4&#93;]''' (2010: 10-26) gibt einen sehr nützlichen Überblick über die Entwicklung des Faches, der hier lediglich ergänzt und nuanciert werden soll. <br/>
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'''Die Kultur- und Sozialanthropologie ist (so wie die anderen Sozialwissenschaften[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Sozialwissenschaft#2.17 Sozialwissenschaft|[1]]]) eine vergleichsweise junge Disziplin[http://ksa.univie.ac.at/institut/geschichte/  &#91;2&#93;]'''. Fragen, die wir heute als typisch anthropologisch ansehen, haben zwar Philosophen und Historiker schon seit der Antike beschäftigt. '''Thomas Hylland Eriksen[http://en.wikipedia.org/wiki/Thomas_Hylland_Eriksen  &#91;3&#93;]''' (2010: 10ff.) rechnet diese Vorläufer der "Proto-Anthropology" zu. Theoretische Modelle sozialer und kultureller Zusammenhänge, die als solche rezipiert und diskutiert wurden - kurz: eine explizite anthropologische Theorienbildung - gab es aber erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aus diesen Theoriediskursen bildete sich unser Fach, das etwa ab der Jahrhundertwende akademisch institutionalisiert wurde und sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts seine charakteristische Methodologie erarbeitete. '''Eriksen[http://www.amazon.co.uk/Small-Places-Large-Issues-Introduction/dp/0745317723  &#91;4&#93;]''' (2010: 10-26) gibt einen sehr nützlichen Überblick über die Entwicklung des Faches, der hier lediglich ergänzt und nuanciert werden soll. <br/>
 
==Inhaltsverzeichnis==
 
==Inhaltsverzeichnis==
 
<div class="eksa_toc">
 
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'''Verweise:'''
 
'''Verweise:'''
 
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[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Sozialwissenschaft/Klassischer_Evolutionismus#2.17 Sozialwissenschaft|[1] Siehe Kapitel 2.17 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
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[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Sozialwissenschaft#2.17 Sozialwissenschaft|[1] Siehe Kapitel 2.17 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
 
[http://ksa.univie.ac.at/institut/geschichte/  &#91;2&#93; http://ksa.univie.ac.at/institut/geschichte/]<br/>
 
[http://ksa.univie.ac.at/institut/geschichte/  &#91;2&#93; http://ksa.univie.ac.at/institut/geschichte/]<br/>
 
[http://en.wikipedia.org/wiki/Thomas_Hylland_Eriksen  &#91;3&#93; http://en.wikipedia.org/wiki/Thomas_Hylland_Eriksen]<br/>
 
[http://en.wikipedia.org/wiki/Thomas_Hylland_Eriksen  &#91;3&#93; http://en.wikipedia.org/wiki/Thomas_Hylland_Eriksen]<br/>
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'''[[STEOP_-_Propaedeutikum_KSA|&crarr; Zurück zur Übersicht]]'''
 
'''[[STEOP_-_Propaedeutikum_KSA|&crarr; Zurück zur Übersicht]]'''
 
=3 Themenbereiche=
 
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<sup>verfasst von Elke Mader und Phillip Budka</sup>
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<sup>verfasst von Elke Mader und Philip Budka</sup>
 
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Auf den folgenden Seiten werden ausgewählte '''Themenbereiche und Forschungsfelder der Kultur- und Sozialanthropologie''' kurz vorgestellt. '''Detailinformationen''' können über die gesetzten '''Verlinkungen''' sowie die am Ende jedes Themenbereichs angeführte '''Literaturliste''' gefunden werden. <br/>
 
Auf den folgenden Seiten werden ausgewählte '''Themenbereiche und Forschungsfelder der Kultur- und Sozialanthropologie''' kurz vorgestellt. '''Detailinformationen''' können über die gesetzten '''Verlinkungen''' sowie die am Ende jedes Themenbereichs angeführte '''Literaturliste''' gefunden werden. <br/>
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'''Religiöse Institutionen und Praktiken stehen in enger Verbindung mit politischen und sozialen Organisationsformen.''' <br/>
 
'''Religiöse Institutionen und Praktiken stehen in enger Verbindung mit politischen und sozialen Organisationsformen.''' <br/>
 
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Dies betrifft zum einen die Verflechtungen von '''Religion und Herrschaft''': Während spirituelle und soziale Funktionen bzw. Ämter häufig voneinander getrennt sind, kommt bzw. kam es in diversen kulturellen und historischen Kontexten auch zu einer weitgehenden Verschränkung von religiöser und politischer Macht. Beispiele dafür reichen u.a. von den katholischen Erzbischöfen in Mitteleuropa, den '''Inka- Herrschern im Andenraum[[Chronisten_und_Missionare/Poma_de_Alaya/Literatur#1.5 Poma de Ayala oder die Chronik der Eroberten|[1]]]''', westafrikanischen "Gottkönigen", dem Dalai Lama in Tibet bis zu '''Schamanen[[Themenbereiche_der_KSA/Religion#3.1.5 Religion und spirituelle Erfahrung: Fallbeispiel Schamanismus|[2]]]''' in kleineren gesellschaftlichen Gefügen. <br/>
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Dies betrifft zum einen die Verflechtungen von '''Religion und Herrschaft''': Während spirituelle und soziale Funktionen bzw. Ämter häufig voneinander getrennt sind, kommt bzw. kam es in diversen kulturellen und historischen Kontexten auch zu einer weitgehenden Verschränkung von religiöser und politischer Macht. Beispiele dafür reichen u.a. von den katholischen Erzbischöfen in Mitteleuropa, den '''Inka- Herrschern im Andenraum[[Chronisten_und_Missionare/Poma_de_Alaya#1.5 Poma de Ayala oder die Chronik der Eroberten|[1]]]''', westafrikanischen "Gottkönigen", dem Dalai Lama in Tibet bis zu '''Schamanen[[Themenbereiche_der_KSA/Religion#3.1.5 Religion und spirituelle Erfahrung: Fallbeispiel Schamanismus|[2]]]''' in kleineren gesellschaftlichen Gefügen. <br/>
 
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Zum anderen weist die Organisation religiöser Institutionen in vielen Fällen Parallelen zu gesellschaftlichen Strukturen auf. Die Verhältnisse des größeren sozialen Umfelds - etwa in Bezug auf Hierarchie und Egalität oder auch Genderbeziehungen - finden sich dort oft in ähnlicher Weise wieder. In gewissen Fällen können religiöse Gruppen jedoch auch konträre soziale Prinzipien verkörpern (z.B. egalitäre Prinzipien im Rahmen stark hierarchisierter soziopolitischer Gefüge). Schließlich existieren innerhalb großer Religionen (etwa im Buddhismus oder im Christentum) auch '''unterschiedliche Organisationsformen'''. <br/>
 
Zum anderen weist die Organisation religiöser Institutionen in vielen Fällen Parallelen zu gesellschaftlichen Strukturen auf. Die Verhältnisse des größeren sozialen Umfelds - etwa in Bezug auf Hierarchie und Egalität oder auch Genderbeziehungen - finden sich dort oft in ähnlicher Weise wieder. In gewissen Fällen können religiöse Gruppen jedoch auch konträre soziale Prinzipien verkörpern (z.B. egalitäre Prinzipien im Rahmen stark hierarchisierter soziopolitischer Gefüge). Schließlich existieren innerhalb großer Religionen (etwa im Buddhismus oder im Christentum) auch '''unterschiedliche Organisationsformen'''. <br/>
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'''Verweise:'''
 
'''Verweise:'''
 
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[[Chronisten_und_Missionare/Poma_de_Alaya/Literatur#1.5 Poma de Ayala oder die Chronik der Eroberten|[1] Siehe Kapitel 1.5 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
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[[Chronisten_und_Missionare/Poma_de_Alaya#1.5 Poma de Ayala oder die Chronik der Eroberten|[1] Siehe Kapitel 1.5 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Religion#3.1.5 Religion und spirituelle Erfahrung: Fallbeispiel Schamanismus|[2] Siehe Kapitel 3.1.5]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Religion#3.1.5 Religion und spirituelle Erfahrung: Fallbeispiel Schamanismus|[2] Siehe Kapitel 3.1.5]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.3 Was ist Gesellschaft?|[3] Siehe Kapitel 1.1.3]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.3 Was ist Gesellschaft?|[3] Siehe Kapitel 1.1.3]]<br/>
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Schamanische Praktiken sind keineswegs statisch, sondern werden immer wieder an neue Konditionen angepasst. Ein Beispiel für die Vielfalt und Aktualität schamanischer Praktiken ist Tuva in Zentralsibirien (vgl. '''"Die Klinik der Schamanen"[http://www.youtube.com/watch?v=5pIOfhyVi_g  &#91;1&#93;]''' GEO 360, Ute Gebhardt 2005) an der Grenze zur Mongolei. Nachdem SchamanInnen und ihre Praktiken in Sibirien zur Zeit der Sowjetunion ausgegrenzt waren und teilweise verfolgt wurden, haben sie - nicht nur in Tuva - mittlerweile einen neuen Stellenwert und hohe Wertschätzung erlangt, wobei einerseits alte Traditionen revitalisiert und andererseits neue Aktionsfelder eröffnet wurden. <br/>
 
Schamanische Praktiken sind keineswegs statisch, sondern werden immer wieder an neue Konditionen angepasst. Ein Beispiel für die Vielfalt und Aktualität schamanischer Praktiken ist Tuva in Zentralsibirien (vgl. '''"Die Klinik der Schamanen"[http://www.youtube.com/watch?v=5pIOfhyVi_g  &#91;1&#93;]''' GEO 360, Ute Gebhardt 2005) an der Grenze zur Mongolei. Nachdem SchamanInnen und ihre Praktiken in Sibirien zur Zeit der Sowjetunion ausgegrenzt waren und teilweise verfolgt wurden, haben sie - nicht nur in Tuva - mittlerweile einen neuen Stellenwert und hohe Wertschätzung erlangt, wobei einerseits alte Traditionen revitalisiert und andererseits neue Aktionsfelder eröffnet wurden. <br/>
 
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'''Schamanismus wird meist mit und neben anderen Religionen praktiziert.''' So bestehen vielfältige Typen von interreligiösen Beziehungen zwischen schamanischen Praktiken und anderen religiösen Gefügen. Die Beziehungen und Interaktionen können durch Vermischung oder Abgrenzung geprägt sein und umfassen verschiedene Formen von Parallelismus (zwei oder mehrere Religionen werden von einer Person gleichzeitig praktiziert) und Synkretismus (Elemente aus verschiedenen Religionen vermischen sich). Beispiele für Synkretismus sind unter anderem das Verhältnis von Schamanismus und Buddhismus in Tuva, der Mongolei und Tibet (z.B. im Rahmen der '''Bön-Religion[[Ethnische_Religionen/Boen/Klassischer_Evolutionismus#2.1 Bön in Tibet|[2]]]''') sowie die Verbindungen von Schamanismus und Islam in Zentralasien oder im '''Iran[http://de.wikipedia.org/wiki/Iran  &#91;3&#93;]'''. <br/>
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'''Schamanismus wird meist mit und neben anderen Religionen praktiziert.''' So bestehen vielfältige Typen von interreligiösen Beziehungen zwischen schamanischen Praktiken und anderen religiösen Gefügen. Die Beziehungen und Interaktionen können durch Vermischung oder Abgrenzung geprägt sein und umfassen verschiedene Formen von Parallelismus (zwei oder mehrere Religionen werden von einer Person gleichzeitig praktiziert) und Synkretismus (Elemente aus verschiedenen Religionen vermischen sich). Beispiele für Synkretismus sind unter anderem das Verhältnis von Schamanismus und Buddhismus in Tuva, der Mongolei und Tibet (z.B. im Rahmen der '''Bön-Religion[[Ethnische_Religionen/Boen#2.1 Bön in Tibet|[2]]]''') sowie die Verbindungen von Schamanismus und Islam in Zentralasien oder im '''Iran[http://de.wikipedia.org/wiki/Iran  &#91;3&#93;]'''. <br/>
 
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Transkulturelle Interaktionen im Zuge der '''Globalisierung[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4 Globalisierung|[4]]]''' manifestieren sich auch im Rahmen eines '''spirituellen Tourismus''', der viele Parallelen zur Pilgerfahrt aufweist (vgl. Mader 2002). Dabei überschneiden sich religiöse bzw. spirituelle Anliegen mit der Suche nach Gesundheit bzw. Wellness sowie touristischen Erlebniswelten. <br/>
 
Transkulturelle Interaktionen im Zuge der '''Globalisierung[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4 Globalisierung|[4]]]''' manifestieren sich auch im Rahmen eines '''spirituellen Tourismus''', der viele Parallelen zur Pilgerfahrt aufweist (vgl. Mader 2002). Dabei überschneiden sich religiöse bzw. spirituelle Anliegen mit der Suche nach Gesundheit bzw. Wellness sowie touristischen Erlebniswelten. <br/>
 
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Zur Dynamik des Schamanismus in verschiedenen kulturellen und sozialen Kontexten vgl. u.a. '''Hoppal[http://www.folklore.ee/folklore/vol2/hoppal.htm  &#91;5&#93;]''' 1996, Van Bussel und Steinmann 1998. Für weitere Ausführungen zum Schamanismus (in Lateinamerika) siehe beispielsweise das Kapitel von Mader zu '''Kognition und Bewusstsein[http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/ethnologie/ethnologie-610.html  &#91;6&#93;]''' in der '''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas[[Kultur-_und_Sozialanthropologie_Lateinamerikas_-_Eine_Einführung|[7]]]'''. <br/>
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Zur Dynamik des Schamanismus in verschiedenen kulturellen und sozialen Kontexten vgl. u.a. '''Hoppal[http://www.folklore.ee/folklore/vol2/hoppal.htm  &#91;5&#93;]''' 1996, Van Bussel und Steinmann 1998. Für weitere Ausführungen zum Schamanismus (in Lateinamerika) siehe beispielsweise das Kapitel von Mader zu '''Kognition und Bewusstsein[[Schamanismus/Kognition_und_Bewusstsein#6.5 Kognition und Bewusstsein|[6]]]''' in der '''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas[[Kultur-_und_Sozialanthropologie_Lateinamerikas_-_Eine_Einführung|[7]]]'''. <br/>
 
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[http://www.youtube.com/watch?v=5pIOfhyVi_g  &#91;1&#93; http://www.youtube.com/watch?v=5pIOfhyVi_g]<br/>
 
[http://www.youtube.com/watch?v=5pIOfhyVi_g  &#91;1&#93; http://www.youtube.com/watch?v=5pIOfhyVi_g]<br/>
[[Ethnische_Religionen/Boen/Klassischer_Evolutionismus#2.1 Bön in Tibet|[2] Siehe Kapitel 2.1 der Lernunterlage ''Einführung in die Religions- und Bewusstseinsforschung - Das Spektrum der Religionen'']]<br/>
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[[Ethnische_Religionen/Boen#2.1 Bön in Tibet|[2] Siehe Kapitel 2.1 der Lernunterlage ''Einführung in die Religions- und Bewusstseinsforschung - Das Spektrum der Religionen'']]<br/>
 
[http://de.wikipedia.org/wiki/Iran  &#91;3&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Iran]<br/>
 
[http://de.wikipedia.org/wiki/Iran  &#91;3&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Iran]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4 Globalisierung|[4] Siehe Kapitel 3.4]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4 Globalisierung|[4] Siehe Kapitel 3.4]]<br/>
 
[http://www.folklore.ee/folklore/vol2/hoppal.htm  &#91;5&#93; http://www.folklore.ee/folklore/vol2/hoppal.htm]<br/>
 
[http://www.folklore.ee/folklore/vol2/hoppal.htm  &#91;5&#93; http://www.folklore.ee/folklore/vol2/hoppal.htm]<br/>
[http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/ethnologie/ethnologie-610.html  &#91;6&#93; http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/ethnologie/ethnologie-610.html]<br/>
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[[Schamanismus/Kognition_und_Bewusstsein#6.5 Kognition und Bewusstsein|[6] Siehe Kapitel 6.5 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/><br/>
 
[[Kultur-_und_Sozialanthropologie_Lateinamerikas_-_Eine_Einführung|[7] Siehe die Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]
 
[[Kultur-_und_Sozialanthropologie_Lateinamerikas_-_Eine_Einführung|[7] Siehe die Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]
 
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[[File:einfpropaedksa-74_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: Zulu Frauen und Mädchen bei einem Fest, Quelle: [flickr.com](http://www.flickr.com/photos/waltercallens/6559744165/in/photostream/)]]
 
[[File:einfpropaedksa-74_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: Zulu Frauen und Mädchen bei einem Fest, Quelle: [flickr.com](http://www.flickr.com/photos/waltercallens/6559744165/in/photostream/)]]
 
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In der Folge von Émile Durkheim, der die Bedeutung von Ritualen für gesellschaftliche Solidarität hervorhebt, betont der britische Sozialanthropologe '''Max Gluckman[[Geschichte_der_Organisations-_und_Betriebsanthropologie/Manchester/Diffusionismus_und_Kulturkreislehre#2.2.1 Max Gluckman und die Manchester School|[1]]]''' ihren Stellenwert im Rahmen des Umgangs mit Spannungen und Konflikten. Für Gluckmann sind '''Rituale primär Ausdruck sozialer Spannungen''': Im Rahmen der performativen Handlungen zeigen sie oft dramatisch Konfliktlinien auf und stellen erst am Ende wieder soziale Einigkeit her. <br/>
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In der Folge von Émile Durkheim, der die Bedeutung von Ritualen für gesellschaftliche Solidarität hervorhebt, betont der britische Sozialanthropologe '''Max Gluckman[[Geschichte_der_Organisations-_und_Betriebsanthropologie/Manchester#2.2.1 Max Gluckman und die Manchester School|[1]]]''' ihren Stellenwert im Rahmen des Umgangs mit Spannungen und Konflikten. Für Gluckmann sind '''Rituale primär Ausdruck sozialer Spannungen''': Im Rahmen der performativen Handlungen zeigen sie oft dramatisch Konfliktlinien auf und stellen erst am Ende wieder soziale Einigkeit her. <br/>
 
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In "Ritualen der Rebellion" wird der Status quo sozialer Hierarchien auf den Kopf gestellt, die normalen Regeln von Ordnung und Autorität werden ausgesetzt. Als Beispiel führt Gluckman unter anderem Agrarriten der Zulu in Südafrika an, in denen die Gender-Hierarchien umgekehrt werden: Die Frauen kleiden sich im Ritual als Männer und führen all jene Handlungen durch, die im Alltag den Männern vorbehalten sind. Diese temporäre Inversion der patriarchalen Gesellschaftsordnung trägt dazu bei, ihr Konfliktpotential einzuschränken. Das Ziel von '''"Ritualen der Rebellion"''' besteht laut Gluckmann darin, Konflikte zum Ausdruck zu bringen und dadurch das soziale Gleichgewicht zu erhalten (vgl. Bell 1997: 38-39). <br/>
 
In "Ritualen der Rebellion" wird der Status quo sozialer Hierarchien auf den Kopf gestellt, die normalen Regeln von Ordnung und Autorität werden ausgesetzt. Als Beispiel führt Gluckman unter anderem Agrarriten der Zulu in Südafrika an, in denen die Gender-Hierarchien umgekehrt werden: Die Frauen kleiden sich im Ritual als Männer und führen all jene Handlungen durch, die im Alltag den Männern vorbehalten sind. Diese temporäre Inversion der patriarchalen Gesellschaftsordnung trägt dazu bei, ihr Konfliktpotential einzuschränken. Das Ziel von '''"Ritualen der Rebellion"''' besteht laut Gluckmann darin, Konflikte zum Ausdruck zu bringen und dadurch das soziale Gleichgewicht zu erhalten (vgl. Bell 1997: 38-39). <br/>
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'''Verweise:'''
 
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[[Geschichte_der_Organisations-_und_Betriebsanthropologie/Manchester/Diffusionismus_und_Kulturkreislehre#2.2.1 Max Gluckman und die Manchester School|[1] Siehe Kapitel 2.2.1 der Lernunterlage "Einführung in die Organisations- und Betriebsanthropologie"]]
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[[Geschichte_der_Organisations-_und_Betriebsanthropologie/Manchester#2.2.1 Max Gluckman und die Manchester School|[1] Siehe Kapitel 2.2.1 der Lernunterlage "Einführung in die Organisations- und Betriebsanthropologie"]]<br/>
 
[http://en.wikipedia.org/wiki/Communitas  &#91;2&#93; http://en.wikipedia.org/wiki/Communitas]<br/>
 
[http://en.wikipedia.org/wiki/Communitas  &#91;2&#93; http://en.wikipedia.org/wiki/Communitas]<br/>
 
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==3.2.4 Rituale und Symbole==
 
==3.2.4 Rituale und Symbole==
 
[[File:einfpropaedksa-75_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: Austreiben "böser Geister" nach Neujahr (Teil eines größeren Komplexes von kalendarischen Riten am Balkan), Kukeri, Bulgarien, Quelle: [flickr.com](http://www.flickr.com/photos/aliarda/8469405588/)]]
 
[[File:einfpropaedksa-75_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: Austreiben "böser Geister" nach Neujahr (Teil eines größeren Komplexes von kalendarischen Riten am Balkan), Kukeri, Bulgarien, Quelle: [flickr.com](http://www.flickr.com/photos/aliarda/8469405588/)]]
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Eine besondere Dimension des Kolonialismus bildet die '''''colonial frontier''''' ("Kolonisationsfront", Grenzzone). Sie befindet sich '''an inneren und äußeren Rändern kolonialer Gefüge''', an denen es oft (noch) keine eindeutigen Herrschaftsverhältnisse gibt, und involviert verschiedene Akteure, Interessen, Konzepte und Handlungsweisen in ein komplexes Feld von Interaktionen und Gewalt. <br/>
 
Eine besondere Dimension des Kolonialismus bildet die '''''colonial frontier''''' ("Kolonisationsfront", Grenzzone). Sie befindet sich '''an inneren und äußeren Rändern kolonialer Gefüge''', an denen es oft (noch) keine eindeutigen Herrschaftsverhältnisse gibt, und involviert verschiedene Akteure, Interessen, Konzepte und Handlungsweisen in ein komplexes Feld von Interaktionen und Gewalt. <br/>
 
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Eine ''colonial frontier'' kann in einer Region über Jahrhunderte in veränderten Konstellationen bestehen und mit unterschiedlichen historischen und ökonomischen Prozessen vernetzt sein. So umfasst die ''colonial frontier'' im südamerikanischen Tiefland eine Vielfalt von regionalen Facetten in unterschiedlichen Zeitepochen. Beispiele für die Diversität dieser Grenzzonen sind etwa die '''Küste Brasiliens in der frühen Kolonialzeit[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden/Was_kann_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.4.2 Die Dynamik einer "colonial frontier"|[1]]]''', der Kautschukboom im 19. und 20. Jahrhundert und seine Folgen (vgl. Taussig 1987), aber auch Konfrontationen zwischen indigenen Gemeinschaften, Nationalstaaten und transnationalen Konzernen im Amazonasgebiet bezüglich Ressourcennutzung und Landrechtsfragen oder die anhaltende Missionstätigkeit in der Gegenwart. <br/>
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Eine ''colonial frontier'' kann in einer Region über Jahrhunderte in veränderten Konstellationen bestehen und mit unterschiedlichen historischen und ökonomischen Prozessen vernetzt sein. So umfasst die ''colonial frontier'' im südamerikanischen Tiefland eine Vielfalt von regionalen Facetten in unterschiedlichen Zeitepochen. Beispiele für die Diversität dieser Grenzzonen sind etwa die '''Küste Brasiliens in der frühen Kolonialzeit[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden#1.4.2 Die Dynamik einer "colonial frontier"|[1]]]''', der Kautschukboom im 19. und 20. Jahrhundert und seine Folgen (vgl. Taussig 1987), aber auch Konfrontationen zwischen indigenen Gemeinschaften, Nationalstaaten und transnationalen Konzernen im Amazonasgebiet bezüglich Ressourcennutzung und Landrechtsfragen oder die anhaltende Missionstätigkeit in der Gegenwart. <br/>
 
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Ein klassisches Beispiel für die Ränder und Fronten des Kolonialismus ist auch die '''US-Amerikanische '''"''frontier''"[http://en.wikipedia.org/wiki/Frontier  &#91;2&#93;]''', der sogenannte "Wilde Westen"'''. So repräsentiert der "''spirit of the frontier''" eine typisch kolonialistische Ideologie der Überlegenheit, die Hand in Hand mit der gewaltsamen Aneignung von Land und Ressourcen geht. <br/>
 
Ein klassisches Beispiel für die Ränder und Fronten des Kolonialismus ist auch die '''US-Amerikanische '''"''frontier''"[http://en.wikipedia.org/wiki/Frontier  &#91;2&#93;]''', der sogenannte "Wilde Westen"'''. So repräsentiert der "''spirit of the frontier''" eine typisch kolonialistische Ideologie der Überlegenheit, die Hand in Hand mit der gewaltsamen Aneignung von Land und Ressourcen geht. <br/>
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'''Verweise:'''
 
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[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden/Was_kann_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.4.2 Die Dynamik einer "colonial frontier"|[1] Siehe Kapitel 1.4.2 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
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[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden#1.4.2 Die Dynamik einer "colonial frontier"|[1] Siehe Kapitel 1.4.2 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
 
[http://en.wikipedia.org/wiki/Frontier  &#91;2&#93; http://en.wikipedia.org/wiki/Frontier]<br/>
 
[http://en.wikipedia.org/wiki/Frontier  &#91;2&#93; http://en.wikipedia.org/wiki/Frontier]<br/>
 
[http://www.youtube.com/watch?v=ufHU1UnnhrE  &#91;3&#93; http://www.youtube.com/watch?v=ufHU1UnnhrE]<br/>
 
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Die '''Geschichte der Ethnographie sowie der Kultur- und Sozialanthropologie in Lateinamerika[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden#1 Chronisten und Missionare|[1]]]''' beginnt mit den ersten Berichten von '''Conquistadoren, Chronisten und Missionaren''' über Land und Leute. Bei diesen Frühformen ethnographischen Schreibens und den dort formulierten Kulturtheorien handelt es sich zwar nicht um wissenschaftliche Texte im Sinne der modernen '''Kultur- und Sozialwissenschaften als akademische Disziplinen[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Theoriengeschichte der Kultur- und Sozialanthropologie|[2]]]''', die sich im 19. Jahrhunderts konstituierten, sie stellen jedoch eine wichtige Form der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen dar und haben die Entstehung dieser Wissenschaften wesentlich beeinflusst. <br/>
 
Die '''Geschichte der Ethnographie sowie der Kultur- und Sozialanthropologie in Lateinamerika[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden#1 Chronisten und Missionare|[1]]]''' beginnt mit den ersten Berichten von '''Conquistadoren, Chronisten und Missionaren''' über Land und Leute. Bei diesen Frühformen ethnographischen Schreibens und den dort formulierten Kulturtheorien handelt es sich zwar nicht um wissenschaftliche Texte im Sinne der modernen '''Kultur- und Sozialwissenschaften als akademische Disziplinen[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Theoriengeschichte der Kultur- und Sozialanthropologie|[2]]]''', die sich im 19. Jahrhunderts konstituierten, sie stellen jedoch eine wichtige Form der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen dar und haben die Entstehung dieser Wissenschaften wesentlich beeinflusst. <br/>
 
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Die Chroniken und Berichte entstanden im Zuge von Kontakten und Konfrontationen der EuropäerInnen mit den BewohnerInnen der "Neuen Welt". '''Der soziale und politische Kontext, in dem die frühen ethnographischen Texte entstanden, ist die gewaltsame Eroberung von Mittel- und Südamerika''' und das Implementieren des kolonialen Systems in Lateinamerika. Beispiele für solche Texte sind etwa die Rechenschaftsberichte an die Herrschenden (''relaciones''), das Bordbuch des '''Kolumbus[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2 Columbus und die willfährigen Wilden|[3]]]''' (1492/1970), '''Hans Stadens[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden/Was_kann_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.4 Hans Staden bei den "Menschenfresser-Leuten"|[4]]]''' Buch ''Die wahrhaftige Historie der wilden, nackten, grimmigen Menschenfresser-Leute'' (1557) oder die '''Chronik des Poma de Ayala[[Chronisten_und_Missionare/Poma_de_Alaya/Literatur#1.5 Poma de Ayala oder die Chronik der Eroberten|[5]]]''' (1615). <br/>
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Die Chroniken und Berichte entstanden im Zuge von Kontakten und Konfrontationen der EuropäerInnen mit den BewohnerInnen der "Neuen Welt". '''Der soziale und politische Kontext, in dem die frühen ethnographischen Texte entstanden, ist die gewaltsame Eroberung von Mittel- und Südamerika''' und das Implementieren des kolonialen Systems in Lateinamerika. Beispiele für solche Texte sind etwa die Rechenschaftsberichte an die Herrschenden (''relaciones''), das Bordbuch des '''Kolumbus[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden#1.2 Columbus und die willfährigen Wilden|[3]]]''' (1492/1970), '''Hans Stadens[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden#1.4 Hans Staden bei den "Menschenfresser-Leuten"|[4]]]''' Buch ''Die wahrhaftige Historie der wilden, nackten, grimmigen Menschenfresser-Leute'' (1557) oder die '''Chronik des Poma de Ayala[[Chronisten_und_Missionare/Poma_de_Alaya#1.5 Poma de Ayala oder die Chronik der Eroberten|[5]]]''' (1615). <br/>
 
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[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden#1 Chronisten und Missionare|[1] Siehe Kapitel 1 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
 
[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden#1 Chronisten und Missionare|[1] Siehe Kapitel 1 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
 
[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Theoriengeschichte der Kultur- und Sozialanthropologie|[2] Siehe Kapitel 2]]<br/>
 
[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Theoriengeschichte der Kultur- und Sozialanthropologie|[2] Siehe Kapitel 2]]<br/>
[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2 Columbus und die willfährigen Wilden|[3] Siehe Kapitel 1.2 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
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[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden#1.2 Columbus und die willfährigen Wilden|[3] Siehe Kapitel 1.2 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden/Was_kann_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.4 Hans Staden bei den "Menschenfresser-Leuten"|[4] Siehe Kapitel 1.4 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
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[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden#1.4 Hans Staden bei den "Menschenfresser-Leuten"|[4] Siehe Kapitel 1.4 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
[[Chronisten_und_Missionare/Poma_de_Alaya/Literatur#1.5 Poma de Ayala oder die Chronik der Eroberten|[5] Siehe Kapitel 1.5 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
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[[Chronisten_und_Missionare/Poma_de_Alaya#1.5 Poma de Ayala oder die Chronik der Eroberten|[5] Siehe Kapitel 1.5 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
 
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===3.3.2.2 Kolonialismus als Forschungsgegenstand===
 
===3.3.2.2 Kolonialismus als Forschungsgegenstand===
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'''Wolf analysiert den Kolonialismus als ein weltumspannendes wirtschaftliches Gefüge von Produktion und Zirkulation verschiedenster Waren und der damit zusammenhängenden Akkumulation von Macht in bestimmten Zentren.''' Im Mittelpunkt seiner theoretischen Grundlagen steht die '''politische Ökonomie[[Themenbereiche_der_KSA/Oekonomische#3.6.1 Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie Wirtschaftsanthropologie|[2]]]''' und damit verbunden Fragen nach dem Verhältnis von Macht und Geschichte sowie nach Gruppenbeziehungen in komplexen Gesellschaften. <br/>
 
'''Wolf analysiert den Kolonialismus als ein weltumspannendes wirtschaftliches Gefüge von Produktion und Zirkulation verschiedenster Waren und der damit zusammenhängenden Akkumulation von Macht in bestimmten Zentren.''' Im Mittelpunkt seiner theoretischen Grundlagen steht die '''politische Ökonomie[[Themenbereiche_der_KSA/Oekonomische#3.6.1 Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie Wirtschaftsanthropologie|[2]]]''' und damit verbunden Fragen nach dem Verhältnis von Macht und Geschichte sowie nach Gruppenbeziehungen in komplexen Gesellschaften. <br/>
 
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Wolf thematisierte verschiedene ökonomische Bedingungen und Ziele der europäischen Expansion im Zuge der Kolonialisierung. Er untersucht dabei auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowohl verschiedener europäischer Staaten, als auch kolonialisierter Zonen. In diesem Sinne ist '''Eric Wolf[[Grosse_Theorien_(1940-1970)/Eric_Wolf/Globalisierung#3.4 Komplexe Gesellschaft, Verflechtungen und Macht bei Eric Wolf|[3]]]''' auch als ein '''Vorläufer von Globalisierungstheorien[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.6.2 Historisches zu kultur- und sozialanthropologischen Globalisierungsstudien|[4]]]''' zu verstehen, die ebenfalls von einer Intensivierung solcher Vernetzungsprozesse ausgehen. <br/>
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Wolf thematisierte verschiedene ökonomische Bedingungen und Ziele der europäischen Expansion im Zuge der Kolonialisierung. Er untersucht dabei auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowohl verschiedener europäischer Staaten, als auch kolonialisierter Zonen. In diesem Sinne ist '''Eric Wolf[[Grosse_Theorien_(1940-1970)/Eric_Wolf#3.4 Komplexe Gesellschaft, Verflechtungen und Macht bei Eric Wolf|[3]]]''' auch als ein '''Vorläufer von Globalisierungstheorien[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.6.2 Historisches zu kultur- und sozialanthropologischen Globalisierungsstudien|[4]]]''' zu verstehen, die ebenfalls von einer Intensivierung solcher Vernetzungsprozesse ausgehen. <br/>
 
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[[Neomarxismus/USA#5.3.1 Eric Wolf|[1] Siehe Kapitel 5.3.1 der Lernunterlage ''Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie'']]<br/>
 
[[Neomarxismus/USA#5.3.1 Eric Wolf|[1] Siehe Kapitel 5.3.1 der Lernunterlage ''Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie'']]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Oekonomische#3.6.1 Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie Wirtschaftsanthropologie|[2] Siehe Kapitel 3.6.1]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Oekonomische#3.6.1 Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie Wirtschaftsanthropologie|[2] Siehe Kapitel 3.6.1]]<br/>
[[Grosse_Theorien_(1940-1970)/Eric_Wolf/Globalisierung#3.4 Komplexe Gesellschaft, Verflechtungen und Macht bei Eric Wolf|[3] Siehe Kapitel 3.4 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
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[[Grosse_Theorien_(1940-1970)/Eric_Wolf#3.4 Komplexe Gesellschaft, Verflechtungen und Macht bei Eric Wolf|[3] Siehe Kapitel 3.4 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.6.2 Historisches zu kultur- und sozialanthropologischen Globalisierungsstudien|[4] Siehe Kapitel 3.4.6.2]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.6.2 Historisches zu kultur- und sozialanthropologischen Globalisierungsstudien|[4] Siehe Kapitel 3.4.6.2]]<br/>
 
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[[File:einfpropaedksa-97_1.jpg|thumb|250px|right|Abbildung: Anteil der Internet NutzerInnen an der Gesamtbevölkerung 2012, International Telecommunications Union, Quelle: [wikimedia.org](http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/99/InternetPenetrationWorldMap.svg)]]
 
[[File:einfpropaedksa-97_1.jpg|thumb|250px|right|Abbildung: Anteil der Internet NutzerInnen an der Gesamtbevölkerung 2012, International Telecommunications Union, Quelle: [wikimedia.org](http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/99/InternetPenetrationWorldMap.svg)]]
 
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Auch wenn '''Globalisierung kein neues Phänomen ist[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.6.2 Historisches zu kultur- und sozialanthropologischen Globalisierungsstudien|[1]]]''' und sich über hunderte Jahre '''prozessual entwickelt[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Prozessuale_Entwicklungen/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[2]]]''' hat, finden sich sehr wohl '''neue Aspekte in der gegenwärtige Phase der Globalisierung''': <br/>
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Auch wenn '''Globalisierung kein neues Phänomen ist[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.6.2 Historisches zu kultur- und sozialanthropologischen Globalisierungsstudien|[1]]]''' und sich über hunderte Jahre '''prozessual entwickelt[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[2]]]''' hat, finden sich sehr wohl '''neue Aspekte in der gegenwärtige Phase der Globalisierung''': <br/>
 
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1.  Die '''globale Verbreitung und Dominanz des neoliberalen Kapitalismus''' (vgl. Lewellen 2002, Eriksen 2007).<br/>
 
1.  Die '''globale Verbreitung und Dominanz des neoliberalen Kapitalismus''' (vgl. Lewellen 2002, Eriksen 2007).<br/>
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[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.6.2 Historisches zu kultur- und sozialanthropologischen Globalisierungsstudien|[1] Siehe Kapitel 3.4.6.2]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.6.2 Historisches zu kultur- und sozialanthropologischen Globalisierungsstudien|[1] Siehe Kapitel 3.4.6.2]]<br/>
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Prozessuale_Entwicklungen/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[2] Siehe Kapitel 1.1 der Lernunterlage ''Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
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[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[2] Siehe Kapitel 1.1 der Lernunterlage ''Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Medien#3.8.6 Digitale Medientechnologien als Forschungsfelder der Kultur- und Sozialanthropologie|[3] Siehe Kapitel 3.8.6]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Medien#3.8.6 Digitale Medientechnologien als Forschungsfelder der Kultur- und Sozialanthropologie|[3] Siehe Kapitel 3.8.6]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.6.7 Globale kulturelle Landschaften und HandlungsRäume|[4] Siehe Kapitel 3.4.6.7]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.6.7 Globale kulturelle Landschaften und HandlungsRäume|[4] Siehe Kapitel 3.4.6.7]]<br/>
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==3.4.3 Globalismus, Globalität und Globalisierung==
 
==3.4.3 Globalismus, Globalität und Globalisierung==
 
[[File:einfpropaedksa-99_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: Geld, Quelle: [wikimedia.org](http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f9/Money_Cash.jpg)]]
 
[[File:einfpropaedksa-99_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: Geld, Quelle: [wikimedia.org](http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f9/Money_Cash.jpg)]]
Der Soziologe '''Ulrich Beck[https://web.archive.org/web/20150711072957/http://www.ulrichbeck.net-build.net/index.php?page=person  &#91;1&#93;]''' (1997) unterscheidet "Globalismus", "Globalität" und "Globalisierung" voneinander. Er beabsichtigt damit Orthodoxien aufzubrechen, die im Zuge der Entwicklung und Etablierung der '''Nationalstaaten[[Staat_in_der_KSA/Entstehung/Oekonomische#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|[2]]]''' in der, wie er es nennt '''"Ersten Moderne"''', entstanden sind (vgl. Beck 1997: 26). Diese "Erste Moderne" ist charakterisiert durch institutionelle Unterscheidungen, beispielsweise zwischen Politik und Ökonomie sowie durch die Vorstellung von geschlossenen, territorial gebundenen Einheiten wie Nationalstaaten. <br/>
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Der Soziologe '''Ulrich Beck[https://web.archive.org/web/20150711072957/http://www.ulrichbeck.net-build.net/index.php?page=person  &#91;1&#93;]''' (1997) unterscheidet "Globalismus", "Globalität" und "Globalisierung" voneinander. Er beabsichtigt damit Orthodoxien aufzubrechen, die im Zuge der Entwicklung und Etablierung der '''Nationalstaaten[[Staat_in_der_KSA/Entstehung#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|[2]]]''' in der, wie er es nennt '''"Ersten Moderne"''', entstanden sind (vgl. Beck 1997: 26). Diese "Erste Moderne" ist charakterisiert durch institutionelle Unterscheidungen, beispielsweise zwischen Politik und Ökonomie sowie durch die Vorstellung von geschlossenen, territorial gebundenen Einheiten wie Nationalstaaten. <br/>
 
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Während '''Globalismus''' die Ideologie der Weltmarktherrschaft - des Neoliberalismus - und die damit verbundene Ablöse politischer durch ökonomische Ideologien meint, lässt sich unter '''Globalität''' die Tatsache verstehen, "dass wir (längst) in einer Weltgesellschaft leben", in der die Vorstellung von geschlossenen Territorien fiktiv ist (ebd.: 28). '''Globalisierung''' schließlich meint "die Prozesse, in deren Folge die Nationalstaaten und ihre Souveränität durch transnationale Akteure, ihre Machtchancen, Orientierungen, Identitäten und Netzwerke unterlaufen und querverbunden werden" (ebd.). '''Globalisierung in diesem Sinn ermöglicht also die globale Vernetzung transnationaler AkteurInnen sowie die Schaffung neuer Verbindungen und Räume.''' <br/>
 
Während '''Globalismus''' die Ideologie der Weltmarktherrschaft - des Neoliberalismus - und die damit verbundene Ablöse politischer durch ökonomische Ideologien meint, lässt sich unter '''Globalität''' die Tatsache verstehen, "dass wir (längst) in einer Weltgesellschaft leben", in der die Vorstellung von geschlossenen Territorien fiktiv ist (ebd.: 28). '''Globalisierung''' schließlich meint "die Prozesse, in deren Folge die Nationalstaaten und ihre Souveränität durch transnationale Akteure, ihre Machtchancen, Orientierungen, Identitäten und Netzwerke unterlaufen und querverbunden werden" (ebd.). '''Globalisierung in diesem Sinn ermöglicht also die globale Vernetzung transnationaler AkteurInnen sowie die Schaffung neuer Verbindungen und Räume.''' <br/>
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[https://web.archive.org/web/20150711072957/http://www.ulrichbeck.net-build.net/index.php?page=person  &#91;1&#93; https://web.archive.org/web/20150711072957/http://www.ulrichbeck.net-build.net/index.php?page=person]<br/>
 
[https://web.archive.org/web/20150711072957/http://www.ulrichbeck.net-build.net/index.php?page=person  &#91;1&#93; https://web.archive.org/web/20150711072957/http://www.ulrichbeck.net-build.net/index.php?page=person]<br/>
[[Staat_in_der_KSA/Entstehung/Oekonomische#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|[2] Siehe Kapitel 3.6 der Lernunterlage ''Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
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[[Staat_in_der_KSA/Entstehung#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|[2] Siehe Kapitel 3.6 der Lernunterlage ''Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.6.4 Globalisierung und Kultur|[3] Siehe Kapitel 3.4.6.4]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.6.4 Globalisierung und Kultur|[3] Siehe Kapitel 3.4.6.4]]<br/>
 
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[[File:einfpropaedksa-107_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: Korea Town, Toronto, Ph. Budka]]
 
[[File:einfpropaedksa-107_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: Korea Town, Toronto, Ph. Budka]]
 
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Das '''kulturelle Vermischen durch Globalisierungsprozesse''' nimmt unterschiedlichste Formen an und ist immer auch ein Indikator für die Machtverhältnisse zwischen Menschengruppen. Dabei verhindert Vermischung nicht die Etablierung von Gruppenidentifikation und die Bildung kollektiver Identitäten. Und '''kulturelles Vermischen produziert nicht Homogenität sondern neue Konfigurationen von Diversität[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2.1 Die Prämisse der Diversität|[1]]]'''. Kultur an sich war nie "rein" oder "begrenzt". Eine Erkenntnis, die wiederum Theorien zu Kreolisierung und Hybridisierung - so diese von "reinen" oder "begrenzten" Kulturen ausgehen, die gemeinsam etwas Neues formen - in Frage stellt. Die kulturelle Diffusion, die mit Globalisierung in Verbindung gebracht wird, kann dabei nicht als "Verwestlichung" bezeichnet werden, sondern vielmehr als '''kulturelle Glokalisierung[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/KSA_Felder/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.4 Eine "Neue Unübersichtlichkeit"|[2]]]''' (vgl. Eriksen 2007: 122). <br/>
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Das '''kulturelle Vermischen durch Globalisierungsprozesse''' nimmt unterschiedlichste Formen an und ist immer auch ein Indikator für die Machtverhältnisse zwischen Menschengruppen. Dabei verhindert Vermischung nicht die Etablierung von Gruppenidentifikation und die Bildung kollektiver Identitäten. Und '''kulturelles Vermischen produziert nicht Homogenität sondern neue Konfigurationen von Diversität[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2.1 Die Prämisse der Diversität|[1]]]'''. Kultur an sich war nie "rein" oder "begrenzt". Eine Erkenntnis, die wiederum Theorien zu Kreolisierung und Hybridisierung - so diese von "reinen" oder "begrenzten" Kulturen ausgehen, die gemeinsam etwas Neues formen - in Frage stellt. Die kulturelle Diffusion, die mit Globalisierung in Verbindung gebracht wird, kann dabei nicht als "Verwestlichung" bezeichnet werden, sondern vielmehr als '''kulturelle Glokalisierung[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/KSA_Felder#1.3.4 Eine "Neue Unübersichtlichkeit"|[2]]]''' (vgl. Eriksen 2007: 122). <br/>
 
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[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2.1 Die Prämisse der Diversität|[1] Siehe Kapitel 1.2.1]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2.1 Die Prämisse der Diversität|[1] Siehe Kapitel 1.2.1]]<br/>
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/KSA_Felder/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.4 Eine "Neue Unübersichtlichkeit"|[2] Siehe Kapitel 1.3.4 der Lernunterlage ''Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
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[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/KSA_Felder#1.3.4 Eine "Neue Unübersichtlichkeit"|[2] Siehe Kapitel 1.3.4 der Lernunterlage ''Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
 
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===3.4.5.7 Verletzlichkeit===
 
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'''Globalisierung hat sich zu einem der wichtigsten Themen in der Kultur- und Sozialanthropologie[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1 Was untersucht Kultur- und Sozialanthropologie?|[1]]] entwickelt.''' Indem Globalisierung traditionelle Schlüsselthemen der Kultur- und Sozialanthropologie, wie Lokalkulturen, rurale Gemeinschaften sowie Jäger- und Sammlergesellschaften, verändert und deren (scheinbare) Begrenztheit in Frage stellt, öffnet sie der Wissenschaft neue Arbeitsfelder (vgl. Lewellen 2002). <br/>
 
'''Globalisierung hat sich zu einem der wichtigsten Themen in der Kultur- und Sozialanthropologie[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1 Was untersucht Kultur- und Sozialanthropologie?|[1]]] entwickelt.''' Indem Globalisierung traditionelle Schlüsselthemen der Kultur- und Sozialanthropologie, wie Lokalkulturen, rurale Gemeinschaften sowie Jäger- und Sammlergesellschaften, verändert und deren (scheinbare) Begrenztheit in Frage stellt, öffnet sie der Wissenschaft neue Arbeitsfelder (vgl. Lewellen 2002). <br/>
 
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Auch wenn Globalisierung ein wichtiges '''Forschungsthema[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Zugaenge_der_KSA/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|[2]]]''' für und in der Kultur- und Sozialanthropologie ist, wird sie sich, zumindest nach Ted C. Lewellen (2002), jedoch nicht zum dominierenden Paradigma in der Wissenschaft entwickeln. Die eigentliche Bedeutung von Globalisierung für die Kultur- und Sozialanthropologie liegt vielmehr darin, dass sie einen '''alternativen Verständniszugang''' ermöglicht und so Zugang zu Themenfeldern öffnet, die vormals ignoriert wurden. '''So stellt Globalisierung für die Kultur- und Sozialanthropologie eine weitere Analyseebene für unterschiedlichste soziokulturelle Phänomene dar.''' <br/>
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Auch wenn Globalisierung ein wichtiges '''Forschungsthema[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Zugaenge_der_KSA#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|[2]]]''' für und in der Kultur- und Sozialanthropologie ist, wird sie sich, zumindest nach Ted C. Lewellen (2002), jedoch nicht zum dominierenden Paradigma in der Wissenschaft entwickeln. Die eigentliche Bedeutung von Globalisierung für die Kultur- und Sozialanthropologie liegt vielmehr darin, dass sie einen '''alternativen Verständniszugang''' ermöglicht und so Zugang zu Themenfeldern öffnet, die vormals ignoriert wurden. '''So stellt Globalisierung für die Kultur- und Sozialanthropologie eine weitere Analyseebene für unterschiedlichste soziokulturelle Phänomene dar.''' <br/>
 
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In einer '''Anthropologie der Globalisierung''' lassen sich laut Lewellen (2002: 33- 37) und Michael Kearney (1995: 550) unter anderem folgende Forschungsfelder und Schlüsselthemen identifizieren: <br/>
 
In einer '''Anthropologie der Globalisierung''' lassen sich laut Lewellen (2002: 33- 37) und Michael Kearney (1995: 550) unter anderem folgende Forschungsfelder und Schlüsselthemen identifizieren: <br/>
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*  Gender<br/>
 
*  Gender<br/>
 
*  Verbreitung von Krankheiten und Epidemien (z.B. HIV/AIDS)<br/>
 
*  Verbreitung von Krankheiten und Epidemien (z.B. HIV/AIDS)<br/>
*  globale und globalisierte '''Städte[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/KSA_Felder/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.1 Mega-Cities und rurale Entvölkerung|[5]]]'''<br/>
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*  globale und globalisierte '''Städte[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/KSA_Felder#1.3.1 Mega-Cities und rurale Entvölkerung|[5]]]'''<br/>
 
*  transnationale '''religiöse Bewegungen[[Themenbereiche_der_KSA/Religion#3.1.2 Religion und Gesellschaft|[6]]]'''<br/>
 
*  transnationale '''religiöse Bewegungen[[Themenbereiche_der_KSA/Religion#3.1.2 Religion und Gesellschaft|[6]]]'''<br/>
 
*  Tourismus<br/>
 
*  Tourismus<br/>
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[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1 Was untersucht Kultur- und Sozialanthropologie?|[1] Siehe Kapitel 1.1]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1 Was untersucht Kultur- und Sozialanthropologie?|[1] Siehe Kapitel 1.1]]<br/>
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Zugaenge_der_KSA/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|[2] Siehe Kapitel 1.1 der Lernunterlage ''Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
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[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Zugaenge_der_KSA#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|[2] Siehe Kapitel 1.1 der Lernunterlage ''Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.4 "Kulturen" und Kultur|[3] Siehe Kapitel 1.1.4]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.4 "Kulturen" und Kultur|[3] Siehe Kapitel 1.1.4]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.6.1 Das Globale und das Lokale|[4] Siehe Kapitel 3.4.6.1]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.6.1 Das Globale und das Lokale|[4] Siehe Kapitel 3.4.6.1]]<br/>
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/KSA_Felder/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.1 Mega-Cities und rurale Entvölkerung|[5] Siehe Kapitel 1.3.1 der Lernunterlage ''Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
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[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/KSA_Felder#1.3.1 Mega-Cities und rurale Entvölkerung|[5] Siehe Kapitel 1.3.1 der Lernunterlage ''Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Religion#3.1.2 Religion und Gesellschaft|[6] Siehe Kapitel 3.1.2]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Religion#3.1.2 Religion und Gesellschaft|[6] Siehe Kapitel 3.1.2]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Medien#3.8.1 Medientechnologien aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive|[7] Siehe Kapitel 3.8.1]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Medien#3.8.1 Medientechnologien aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive|[7] Siehe Kapitel 3.8.1]]<br/>
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Michael Kearney (1995) zufolge bezieht sich Globalisierung auf die '''sozialen, ökonomischen, kulturellen und demographischen Prozesse''', die sowohl innerhalb von '''Nationalstaaten[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.4 Transnationalismus und Transnationalisierung|[1]]]''' stattfinden als auch deren Grenzen überschreiten. In diesem Kontext die Aufmerksamkeit alleine auf lokale Prozesse und Identitäten zu richten, bedeutet laut Kearney ein unvollständiges Verständnis des Lokalen. <br/>
 
Michael Kearney (1995) zufolge bezieht sich Globalisierung auf die '''sozialen, ökonomischen, kulturellen und demographischen Prozesse''', die sowohl innerhalb von '''Nationalstaaten[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.4 Transnationalismus und Transnationalisierung|[1]]]''' stattfinden als auch deren Grenzen überschreiten. In diesem Kontext die Aufmerksamkeit alleine auf lokale Prozesse und Identitäten zu richten, bedeutet laut Kearney ein unvollständiges Verständnis des Lokalen. <br/>
 
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Globalisierung lässt sich auch als '''Intensivierung von globalen Beziehungen''' verstehen, durch die distanzierte Lokalitäten miteinander verbunden werden (vgl. Giddens 1990). '''Das Verhältnis und die Verbindung zwischen dem Lokalen und dem Globalen sind hier entscheidend.''' Wir leben in einer geschrumpften Welt von Kontakten, Spannungen, Vergleichen, Kommunikation und Bewegung, die nicht (mehr) von Distanzen eingeschränkt ist. Gleichzeitig aber finden weiterhin Aktivitäten statt, die keine Auswirkung außerhalb des Lokalen haben. So würde eine weitere simple Definition von Globalisierung nach Eriksen (2007: 16) alle '''gegenwärtigen Prozesse[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Prozessuale_Entwicklungen/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[2]]]''' meinen, die Distanz (zwischen sozialen Lokalitäten) irrelevant machen. <br/>
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Globalisierung lässt sich auch als '''Intensivierung von globalen Beziehungen''' verstehen, durch die distanzierte Lokalitäten miteinander verbunden werden (vgl. Giddens 1990). '''Das Verhältnis und die Verbindung zwischen dem Lokalen und dem Globalen sind hier entscheidend.''' Wir leben in einer geschrumpften Welt von Kontakten, Spannungen, Vergleichen, Kommunikation und Bewegung, die nicht (mehr) von Distanzen eingeschränkt ist. Gleichzeitig aber finden weiterhin Aktivitäten statt, die keine Auswirkung außerhalb des Lokalen haben. So würde eine weitere simple Definition von Globalisierung nach Eriksen (2007: 16) alle '''gegenwärtigen Prozesse[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[2]]]''' meinen, die Distanz (zwischen sozialen Lokalitäten) irrelevant machen. <br/>
 
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'''Moderne Kommunikationsmedien[[Themenbereiche_der_KSA/Medien#3.8.1 Medientechnologien aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive|[3]]]''' tragen entscheidend zur Komprimierung von Zeit und Raum bei, beispielsweise durch Live-Berichterstattung oder Online- Spiele. Anthony Giddens (1990) argumentiert, dass durch neue Kommunikations- und Transporttechnologien Menschen in der Lage sind, ihr soziales Leben von lokalen ''Face-to-Face'' Interaktionen zu entfernten globalen Begegnungen zu erweitern. Moderne Lokalitäten sind so der Rahmen für distanzierte soziale Beziehungen, in denen Raum und Zeit gedehnt werden (Inda und Rosaldo 2002: 8). '''Das Lokale und das Globale sind also miteinander verbunden''' (vgl. beispielsweise Appadurai 1996, Robertson 1992, 1995). <br/>
 
'''Moderne Kommunikationsmedien[[Themenbereiche_der_KSA/Medien#3.8.1 Medientechnologien aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive|[3]]]''' tragen entscheidend zur Komprimierung von Zeit und Raum bei, beispielsweise durch Live-Berichterstattung oder Online- Spiele. Anthony Giddens (1990) argumentiert, dass durch neue Kommunikations- und Transporttechnologien Menschen in der Lage sind, ihr soziales Leben von lokalen ''Face-to-Face'' Interaktionen zu entfernten globalen Begegnungen zu erweitern. Moderne Lokalitäten sind so der Rahmen für distanzierte soziale Beziehungen, in denen Raum und Zeit gedehnt werden (Inda und Rosaldo 2002: 8). '''Das Lokale und das Globale sind also miteinander verbunden''' (vgl. beispielsweise Appadurai 1996, Robertson 1992, 1995). <br/>
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[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.4 Transnationalismus und Transnationalisierung|[1] Siehe Kapitel 3.4.4]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.4 Transnationalismus und Transnationalisierung|[1] Siehe Kapitel 3.4.4]]<br/>
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Prozessuale_Entwicklungen/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[2] Siehe Kapitel 1.1 der Lernunterlage ''Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
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[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[2] Siehe Kapitel 1.1 der Lernunterlage ''Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Medien#3.8.1 Medientechnologien aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive|[3] Siehe Kapitel 3.8.1]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Medien#3.8.1 Medientechnologien aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive|[3] Siehe Kapitel 3.8.1]]<br/>
 
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Globalisierung zwingt die Kultur- und Sozialanthropologie ihre '''methodologischen Werkzeuge''', wie '''ethnographische Feldforschung[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.1 Ethnographische Feldforschung|[1]]]''' und '''teilnehmende Beobachtung[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.2 Teilnehmende Beobachtung|[2]]]''', zu '''überdenken und manchmal neu zu definieren'''. Menschen befinden sich zunehmend in Bewegung und Kultur- und SozialanthropologInnen müssen ihnen folgen, um weiterhin an ihrem Lebensalltag teilnehmen zu können. Manche Gemeinschaften existieren nur für kurze Zeit und AnthropologInnen müssen ihren Zugang zu und ihre Anwesenheit in diesen '''fluktuierenden Vergemeinschaftungsformen''' adaptieren und beständig neu entwerfen. Anthropologische Globalisierungsstudien fördern dementsprechend auch andere Forschungsfelder und - themen: "The subjects of anthropological globalization studies are less likely to be communities or cultures than translocalities, border zones, migrations, diasporas, commodity chains, transnational corporations, foreign aid agencies, tourists, refugees, cyberspace, the influences of television and other communication media, the international processes of science, or commercialized art." (Lewellen 2002: 57) <br/>
 
Globalisierung zwingt die Kultur- und Sozialanthropologie ihre '''methodologischen Werkzeuge''', wie '''ethnographische Feldforschung[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.1 Ethnographische Feldforschung|[1]]]''' und '''teilnehmende Beobachtung[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.2 Teilnehmende Beobachtung|[2]]]''', zu '''überdenken und manchmal neu zu definieren'''. Menschen befinden sich zunehmend in Bewegung und Kultur- und SozialanthropologInnen müssen ihnen folgen, um weiterhin an ihrem Lebensalltag teilnehmen zu können. Manche Gemeinschaften existieren nur für kurze Zeit und AnthropologInnen müssen ihren Zugang zu und ihre Anwesenheit in diesen '''fluktuierenden Vergemeinschaftungsformen''' adaptieren und beständig neu entwerfen. Anthropologische Globalisierungsstudien fördern dementsprechend auch andere Forschungsfelder und - themen: "The subjects of anthropological globalization studies are less likely to be communities or cultures than translocalities, border zones, migrations, diasporas, commodity chains, transnational corporations, foreign aid agencies, tourists, refugees, cyberspace, the influences of television and other communication media, the international processes of science, or commercialized art." (Lewellen 2002: 57) <br/>
 
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Die Anthropologie der Globalisierung produziert ihre Theorien großteils über '''ethnographische Feldforschung''' (vgl. Lewellen 2002). Diese epistemologische und methodische Herangehensweise ist ein '''entscheidendes Merkmal der Kultur- und Sozialanthropologie''' und macht diese, durch die Etablierung eines eigenen, spezifischen Zuganges, zu einem potentiellen Vorreiter in der '''wissenschaftlichen Analyse von Globalisierungsprozessen[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Zugaenge_der_KSA/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|[3]]]''' (vgl. z.B. Burawoy et al. 2000, Eriksen 2003). So stellt etwa Michael Burawoy (2000) fest, dass es ohne die Ethnographien zu globalen Kräften, Verbindungen und Imaginationen unmöglich sei zu verstehen, wie Globalisierung aufrechterhalten und reproduziert sowie herausgefordert und transformiert wird. <br/>
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Die Anthropologie der Globalisierung produziert ihre Theorien großteils über '''ethnographische Feldforschung''' (vgl. Lewellen 2002). Diese epistemologische und methodische Herangehensweise ist ein '''entscheidendes Merkmal der Kultur- und Sozialanthropologie''' und macht diese, durch die Etablierung eines eigenen, spezifischen Zuganges, zu einem potentiellen Vorreiter in der '''wissenschaftlichen Analyse von Globalisierungsprozessen[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Zugaenge_der_KSA#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|[3]]]''' (vgl. z.B. Burawoy et al. 2000, Eriksen 2003). So stellt etwa Michael Burawoy (2000) fest, dass es ohne die Ethnographien zu globalen Kräften, Verbindungen und Imaginationen unmöglich sei zu verstehen, wie Globalisierung aufrechterhalten und reproduziert sowie herausgefordert und transformiert wird. <br/>
 
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[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.1 Ethnographische Feldforschung|[1] Siehe Kapitel 1.3.1]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.1 Ethnographische Feldforschung|[1] Siehe Kapitel 1.3.1]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.2 Teilnehmende Beobachtung|[2] Siehe Kapitel 1.3.2]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.2 Teilnehmende Beobachtung|[2] Siehe Kapitel 1.3.2]]<br/>
[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Zugaenge_der_KSA/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|[3] Siehe Kapitel 1.1 der Lernunterlage ''Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
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[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Zugaenge_der_KSA#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|[3] Siehe Kapitel 1.1 der Lernunterlage ''Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
 
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[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.8 Was ist "das Kulturelle"?|[1] Siehe Kapitel 1.1.8]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.8 Was ist "das Kulturelle"?|[1] Siehe Kapitel 1.1.8]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.4 "Kulturen" und Kultur|[2] Siehe Kapitel 1.1.4]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.4 "Kulturen" und Kultur|[2] Siehe Kapitel 1.1.4]]<br/>
[[Konsumption|[3] Siehe die Lernunterlage ''Konsumption'']]
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[[Konsumption|[3] Siehe die Lernunterlage ''Konsumption'']]<br/>
[[Konsum_in_Zeiten_der_Globalitaet/Homogen-Heterogen#4.1 Globaler Konsum: Weltweite Einheitlichkeit versus lokale Differenzierung?|[4] Siehe Kapitel 4.1 der Lernunterlage "Konsumption"]
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[[Konsum_in_Zeiten_der_Globalitaet/Homogen-Heterogen#4.1 Globaler Konsum: Weltweite Einheitlichkeit versus lokale Differenzierung?|[4] Siehe Kapitel 4.1 der Lernunterlage "Konsumption"]]<br/>
 
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[[File:einfpropaedksa-117_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: China Town, Toronto, Ph. Budka ]]
 
[[File:einfpropaedksa-117_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: China Town, Toronto, Ph. Budka ]]
 
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Ideen zur '''"Homogenisierung" und "Verwestlichung"''', besonders der kulturellen Welt, werden öfters mit Globalisierung in Zusammenhang gebracht (z.B. Ritzer 2004). Aus einer anthropologischen und ethnographischen Perspektive schaffen es diese Ideen, die eine globale Dominanz der "westlichen" Welt und einen einseitigen Strom vom Zentrum in die Peripherie implizieren, allerdings nicht tatsächliche Lebensumstände und Situationen zu erklären und zu verstehen. Denn wie beispielsweise Jonathan Xavier Inda und Renato Rosaldo (2002a: 25) argumentieren, gestalten sich '''Globalisierungsprozesse[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Prozessuale_Entwicklungen/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[1]]]''' als viel komplexer''' (vgl. auch Appadurai 1996). Es gibt kein kulturelles "Machtzentrum" in der Welt, sondern viele unterschiedliche Einflüsse, die sich gegenseitig befruchten. Globalisierung resultiert in miteinander verbundenen und verwobenen kulturellen Räumen, in welchen unterschiedliche Ströme von Bedeutungen und Ideen produziert, interpretiert und ausgetauscht werden. '''Globalisierung ist somit kein "westliches" oder euro-amerikanischen Phänomen oder Projekt sondern ein tatsächlich globales''' (vgl. Inda und Rosaldo 2002a: 26). <br/>
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Ideen zur '''"Homogenisierung" und "Verwestlichung"''', besonders der kulturellen Welt, werden öfters mit Globalisierung in Zusammenhang gebracht (z.B. Ritzer 2004). Aus einer anthropologischen und ethnographischen Perspektive schaffen es diese Ideen, die eine globale Dominanz der "westlichen" Welt und einen einseitigen Strom vom Zentrum in die Peripherie implizieren, allerdings nicht tatsächliche Lebensumstände und Situationen zu erklären und zu verstehen. Denn wie beispielsweise Jonathan Xavier Inda und Renato Rosaldo (2002a: 25) argumentieren, gestalten sich '''Globalisierungsprozesse[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[1]]]''' als viel komplexer''' (vgl. auch Appadurai 1996). Es gibt kein kulturelles "Machtzentrum" in der Welt, sondern viele unterschiedliche Einflüsse, die sich gegenseitig befruchten. Globalisierung resultiert in miteinander verbundenen und verwobenen kulturellen Räumen, in welchen unterschiedliche Ströme von Bedeutungen und Ideen produziert, interpretiert und ausgetauscht werden. '''Globalisierung ist somit kein "westliches" oder euro-amerikanischen Phänomen oder Projekt sondern ein tatsächlich globales''' (vgl. Inda und Rosaldo 2002a: 26). <br/>
 
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'''Globalisierung ist kein unidirektionaler Prozess''' (vgl. Eriksen 2007: 9). Er hat kein Ende und keinen intrinsischen Zweck und ist weder unbestritten, widerspruchsfrei noch allgegenwärtig. '''Globalisierung''', auch wenn von ökonomischen und technologischen Prozessen angetrieben, '''ist multidimensional'''. '''Globalisierung[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.1.1 Aspekte und Elemente der gegenwärtigen Globalisierung|[2]]]''' beinhaltet Prozesse der '''Homogenisierung[[Kultur_und_Globalisierung/Raum_und_Macht#7.1 Kultur, Raum und Macht|[3]]] und der Heterogenisierung.''' Das bedeutet Globalisierung macht uns einander gleichzeitig ähnlicher und unterschiedlicher: "... globalization does not entail the production of global uniformity or homogeneity. Rather it can be seen as a way of organizing heterogeneity. ... The local continues to thrive, although it must increasingly be seen as glocal, that is enmeshed in transnational processes" (Eriksen 2007: 10). <br/>
 
'''Globalisierung ist kein unidirektionaler Prozess''' (vgl. Eriksen 2007: 9). Er hat kein Ende und keinen intrinsischen Zweck und ist weder unbestritten, widerspruchsfrei noch allgegenwärtig. '''Globalisierung''', auch wenn von ökonomischen und technologischen Prozessen angetrieben, '''ist multidimensional'''. '''Globalisierung[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.1.1 Aspekte und Elemente der gegenwärtigen Globalisierung|[2]]]''' beinhaltet Prozesse der '''Homogenisierung[[Kultur_und_Globalisierung/Raum_und_Macht#7.1 Kultur, Raum und Macht|[3]]] und der Heterogenisierung.''' Das bedeutet Globalisierung macht uns einander gleichzeitig ähnlicher und unterschiedlicher: "... globalization does not entail the production of global uniformity or homogeneity. Rather it can be seen as a way of organizing heterogeneity. ... The local continues to thrive, although it must increasingly be seen as glocal, that is enmeshed in transnational processes" (Eriksen 2007: 10). <br/>
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'''Verweise:'''
 
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[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Prozessuale_Entwicklungen/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[1] Siehe Kapitel 1.1 der Lernunterlage ''Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
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[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[1] Siehe Kapitel 1.1 der Lernunterlage ''Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten Staat, Migration, Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie'']]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.1.1 Aspekte und Elemente der gegenwärtigen Globalisierung|[2] Siehe Kapitel 3.4.1.1]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.1.1 Aspekte und Elemente der gegenwärtigen Globalisierung|[2] Siehe Kapitel 3.4.1.1]]<br/>
 
[[Kultur_und_Globalisierung/Raum_und_Macht#7.1 Kultur, Raum und Macht|[3] Siehe Kapitel 7.1 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
 
[[Kultur_und_Globalisierung/Raum_und_Macht#7.1 Kultur, Raum und Macht|[3] Siehe Kapitel 7.1 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
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<li style="display: inline-block;">[[File:einfpropaedksa-122_2.jpg|thumb|250px|none|Foto: Weideflächen, Aran Inseln, Irland, E. Mader ]]</li>
 
<li style="display: inline-block;">[[File:einfpropaedksa-122_2.jpg|thumb|250px|none|Foto: Weideflächen, Aran Inseln, Irland, E. Mader ]]</li>
 
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<blockquote>"Der '''Arbeitsprozess[[Marxismus_historischer_Materialismus_Evolutionismus/Marx/Klassischer_Evolutionismus#2.1.2.2 Arbeitsprozess und Produktionsprozess|[1]]]''', wie wir ihn in seinen einfachen und abstrakten Momenten dargestellt haben, ist zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten, Aneignung des Natürlichen für menschliche Bedürfnisse, allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher unabhängig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesellschaftsformen gleich gemeinsam." (Karl Marx 1977: 198)</blockquote>
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<blockquote>"Der '''Arbeitsprozess[[Marxismus_historischer_Materialismus_Evolutionismus/Marx#2.1.2.2 Arbeitsprozess und Produktionsprozess|[1]]]''', wie wir ihn in seinen einfachen und abstrakten Momenten dargestellt haben, ist zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten, Aneignung des Natürlichen für menschliche Bedürfnisse, allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher unabhängig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesellschaftsformen gleich gemeinsam." (Karl Marx 1977: 198)</blockquote>
 
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'''Subsistenz''' als Bestreiten des materiellen Lebensunterhalts der Menschen in Auseinandersetzung mit der Natur, bzw. '''Subsistenzformen''' (Wirtschaftsweisen) als bestimmte Formen oder Typen des Bestreitens des materiellen Lebensunterhalts '''sind mit diversen sozialen und kulturellen Systemen verbunden'''. Studien zu dieser Thematik bilden eine Schnittstelle zwischen der Anthropologie der Natur, der '''Ökonomischen Anthropologie[[Themenbereiche_der_KSA/Oekonomische#3.6 Ökonomische Anthropologie|[2]]]''' und der Analyse sozialer Organisationsformen. <br/>
 
'''Subsistenz''' als Bestreiten des materiellen Lebensunterhalts der Menschen in Auseinandersetzung mit der Natur, bzw. '''Subsistenzformen''' (Wirtschaftsweisen) als bestimmte Formen oder Typen des Bestreitens des materiellen Lebensunterhalts '''sind mit diversen sozialen und kulturellen Systemen verbunden'''. Studien zu dieser Thematik bilden eine Schnittstelle zwischen der Anthropologie der Natur, der '''Ökonomischen Anthropologie[[Themenbereiche_der_KSA/Oekonomische#3.6 Ökonomische Anthropologie|[2]]]''' und der Analyse sozialer Organisationsformen. <br/>
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'''Verweise:'''
 
'''Verweise:'''
 
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[[Marxismus_historischer_Materialismus_Evolutionismus/Marx/Klassischer_Evolutionismus#2.1.2.2 Arbeitsprozess und Produktionsprozess|[1] Siehe Kapitel 2.1.2.2 der Lernunterlage ''Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie'']]<br/>
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[[Marxismus_historischer_Materialismus_Evolutionismus/Marx#2.1.2.2 Arbeitsprozess und Produktionsprozess|[1] Siehe Kapitel 2.1.2.2 der Lernunterlage ''Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie'']]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Oekonomische#3.6 Ökonomische Anthropologie|[2] Siehe Kapitel 3.6]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Oekonomische#3.6 Ökonomische Anthropologie|[2] Siehe Kapitel 3.6]]<br/>
 
[[Institutionalismus_und_Substantivismus/Substantivisten#4.3.3.2.1 Mobilität und Besitz: die !Kung San|[3] Siehe Kapitel 4.3.3.2.1 der Lernunterlage ''Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie'']]<br/>
 
[[Institutionalismus_und_Substantivismus/Substantivisten#4.3.3.2.1 Mobilität und Besitz: die !Kung San|[3] Siehe Kapitel 4.3.3.2.1 der Lernunterlage ''Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie'']]<br/>
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'''Die Kulturökologie zählt zu den materialistischen Ansätzen in der Anthropologie der Natur.''' Im Mittelpunkt dieser Studien steht '''Natur als Materie''' (''Physis'') und materielle Basis für das menschliche Leben bzw. Natur im Sinne von natürlicher Umwelt oder Habitat. Zentraler Untersuchungsgegenstand sind Interaktionsformen zwischen Mensch und Natur sowie ihre Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung. <br/>
 
'''Die Kulturökologie zählt zu den materialistischen Ansätzen in der Anthropologie der Natur.''' Im Mittelpunkt dieser Studien steht '''Natur als Materie''' (''Physis'') und materielle Basis für das menschliche Leben bzw. Natur im Sinne von natürlicher Umwelt oder Habitat. Zentraler Untersuchungsgegenstand sind Interaktionsformen zwischen Mensch und Natur sowie ihre Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung. <br/>
 
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Die von '''Julian Steward[https://web.archive.org/web/20120208103327/http://www.indiana.edu/~wanthro/theory_pages/Steward.htm  &#91;1&#93;]''' begründete '''Kulturökologie''' beruht auf einer Kombination von Forschungsansätzen. Dazu zählt das Verhältnis von Kultur und geographischer Region wie es im Konzept der Kulturregionen ('''''culture area approach''[[Grosse_Theorien_(1940-1970)/Kulturregionen/Religion#3.1.1 Der "culture area approach"|[2]]]''') der US-amerikanischen Kulturanthropologie dargelegt wird. Wesentliche Komponenten seiner theoretischen Ansätze bilden das Konzept eines "kulturellen Kerns" (''cultural core''), der von den jeweiligen Umweltbedingungen bestimmt wird, sowie verschiedener Ebenen der '''sozio-politischen Integration[http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/ethnologie/ethnologie-147.html  &#91;3&#93;]'''. <br/>
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Die von '''Julian Steward[https://web.archive.org/web/20120208103327/http://www.indiana.edu/~wanthro/theory_pages/Steward.htm  &#91;1&#93;]''' begründete '''Kulturökologie''' beruht auf einer Kombination von Forschungsansätzen. Dazu zählt das Verhältnis von Kultur und geographischer Region wie es im Konzept der Kulturregionen ('''''culture area approach''[[Grosse_Theorien_(1940-1970)/Kulturregionen#3.1.1 Der "culture area approach"|[2]]]''') der US-amerikanischen Kulturanthropologie dargelegt wird. Wesentliche Komponenten seiner theoretischen Ansätze bilden das Konzept eines "kulturellen Kerns" (''cultural core''), der von den jeweiligen Umweltbedingungen bestimmt wird, sowie verschiedener Ebenen der '''sozio-politischen Integration[http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/ethnologie/ethnologie-147.html  &#91;3&#93;]'''. <br/>
 
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[https://web.archive.org/web/20120208103327/http://www.indiana.edu/~wanthro/theory_pages/Steward.htm  &#91;1&#93; https://web.archive.org/web/20120208103327/http://www.indiana.edu/~wanthro/theory_pages/Steward.htm]<br/>
 
[https://web.archive.org/web/20120208103327/http://www.indiana.edu/~wanthro/theory_pages/Steward.htm  &#91;1&#93; https://web.archive.org/web/20120208103327/http://www.indiana.edu/~wanthro/theory_pages/Steward.htm]<br/>
[[Grosse_Theorien_(1940-1970)/Kulturregionen/Religion#3.1.1 Der "culture area approach"|[2] Siehe Kapitel 3.1.1 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
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[[Grosse_Theorien_(1940-1970)/Kulturregionen#3.1.1 Der "culture area approach"|[2] Siehe Kapitel 3.1.1 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
 
[http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/ethnologie/ethnologie-147.html  &#91;3&#93; http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/ethnologie/ethnologie-147.html]<br/>
 
[http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/ethnologie/ethnologie-147.html  &#91;3&#93; http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/ethnologie/ethnologie-147.html]<br/>
 
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<li style="display: inline-block;">[[File:einfpropaedksa-125_2.jpg|thumb|250px|none|Abbildung: "Blackbirds": Naturalisierende Darstellung afrikanischer Kinder (ca. 1890), Quelle: [wikimedia.org](http://commons.wikimedia.org/wiki/File:1890sc_Blackbirds_Poster.jpg)]]</li>
 
<li style="display: inline-block;">[[File:einfpropaedksa-125_2.jpg|thumb|250px|none|Abbildung: "Blackbirds": Naturalisierende Darstellung afrikanischer Kinder (ca. 1890), Quelle: [wikimedia.org](http://commons.wikimedia.org/wiki/File:1890sc_Blackbirds_Poster.jpg)]]</li>
 
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'''Die Klärung des Verhältnisses von Natur und Kultur zählt für '''Claude Lévi- Strauss[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Strukturalismus#2.5 Claude Lévi-Strauss und der französische Strukturalismus|[1]]]''' zu den grundlegenden Aufgaben der KSA.''' Sie bildet die Basis vieler Fragestellungen im Rahmen seiner '''strukturalen Anthropologie[[Grosse_Theorien_(1940-1970)/Strukturale_Anthropologie/Kolonialismus#3.3.1 Strukturale Anthropologie|[2]]]'''. Dabei wird der Mensch in strukturalen Analysen sowohl als biologisches Wesen als auch als gesellschaftliches Individuum betrachtet. '''Das Natürliche und das Kulturelle bilden Aspekte der Weltordnung.''' Das Verhältnis bzw. der Gegensatz von Natur und '''Kultur[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.4 "Kulturen" und Kultur|[3]]]''' ist ein zentraler Aspekt der Mythologie, des Denkens und der Sprache, die von '''binären Oppositionen[http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-430.html  &#91;4&#93;]''' geprägt sind (vgl. auch Descola 2005/2011, Oppitz 1993, Kauppert und Funcke 2008). <br/>
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'''Die Klärung des Verhältnisses von Natur und Kultur zählt für '''Claude Lévi- Strauss[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Strukturalismus#2.5 Claude Lévi-Strauss und der französische Strukturalismus|[1]]]''' zu den grundlegenden Aufgaben der KSA.''' Sie bildet die Basis vieler Fragestellungen im Rahmen seiner '''strukturalen Anthropologie[[Grosse_Theorien_(1940-1970)/Strukturale_Anthropologie#3.3.1 Strukturale Anthropologie|[2]]]'''. Dabei wird der Mensch in strukturalen Analysen sowohl als biologisches Wesen als auch als gesellschaftliches Individuum betrachtet. '''Das Natürliche und das Kulturelle bilden Aspekte der Weltordnung.''' Das Verhältnis bzw. der Gegensatz von Natur und '''Kultur[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.4 "Kulturen" und Kultur|[3]]]''' ist ein zentraler Aspekt der Mythologie, des Denkens und der Sprache, die von '''binären Oppositionen[http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-430.html  &#91;4&#93;]''' geprägt sind (vgl. auch Descola 2005/2011, Oppitz 1993, Kauppert und Funcke 2008). <br/>
 
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In seinem Buch ''Das Ende des Totemismus'' argumentiert '''Claude Lévi-Strauss[http://de.wikipedia.org/wiki/Claude_L%C3%A9vi-Strauss  &#91;5&#93;]''' (1962/1965), dass der '''Totemismus[http://de.wikipedia.org/wiki/Totemismus  &#91;6&#93;]''' weniger eine Institution von "primitiven" Gesellschaften darstellt, sondern vielmehr Ausdruck einer universellen klassifikatorischen Logik ist. Beobachtbare Differenzen zwischen Tier- und Pflanzenarten (Gestalt, Farbe, Habitat) dienen dazu Diskontinuitäten zwischen sozialen Gruppen in Begriffe zu fassen: "Der totemistische Code übersetzt die natürliche Differenz in eine soziologische Differenz." (ebd.: 19) '''Die Natur bildet in diesem Sinne einen "Leitfaden" oder eine "Denkmethode".''' <br/>
 
In seinem Buch ''Das Ende des Totemismus'' argumentiert '''Claude Lévi-Strauss[http://de.wikipedia.org/wiki/Claude_L%C3%A9vi-Strauss  &#91;5&#93;]''' (1962/1965), dass der '''Totemismus[http://de.wikipedia.org/wiki/Totemismus  &#91;6&#93;]''' weniger eine Institution von "primitiven" Gesellschaften darstellt, sondern vielmehr Ausdruck einer universellen klassifikatorischen Logik ist. Beobachtbare Differenzen zwischen Tier- und Pflanzenarten (Gestalt, Farbe, Habitat) dienen dazu Diskontinuitäten zwischen sozialen Gruppen in Begriffe zu fassen: "Der totemistische Code übersetzt die natürliche Differenz in eine soziologische Differenz." (ebd.: 19) '''Die Natur bildet in diesem Sinne einen "Leitfaden" oder eine "Denkmethode".''' <br/>
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[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Strukturalismus#2.5 Claude Lévi-Strauss und der französische Strukturalismus|[1] Siehe Kapitel 2.5]]<br/>
 
[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Strukturalismus#2.5 Claude Lévi-Strauss und der französische Strukturalismus|[1] Siehe Kapitel 2.5]]<br/>
[[Grosse_Theorien_(1940-1970)/Strukturale_Anthropologie/Kolonialismus#3.3.1 Strukturale Anthropologie|[2] Siehe Kapitel 3.3.1 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
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[[Grosse_Theorien_(1940-1970)/Strukturale_Anthropologie#3.3.1 Strukturale Anthropologie|[2] Siehe Kapitel 3.3.1 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.4 "Kulturen" und Kultur|[3] Siehe Kapitel 1.1.4]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.4 "Kulturen" und Kultur|[3] Siehe Kapitel 1.1.4]]<br/>
 
[http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-430.html  &#91;4&#93; http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-430.html]<br/>
 
[http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-430.html  &#91;4&#93; http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/mythen/mythen-430.html]<br/>
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Zu den wichtigsten ökonomischen Theorien, die auch eine Basis der Wirtschaftsanthropologie darstellen, zählen: <br/>
 
Zu den wichtigsten ökonomischen Theorien, die auch eine Basis der Wirtschaftsanthropologie darstellen, zählen: <br/>
 
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*  '''Politische Ökonomie/Marxismus[[Marxismus_historischer_Materialismus_Evolutionismus#2 Marxismus, historischer Materialismus, Evolutionismus|[1]]]''' (vgl. auch '''http://www.lateinamerika- studien.at/content/wirtschaft/ipo/ipo-1438.html[[Oekonomische Theorien/Politische Ökonomie/UK_Funktionalismus#2.4 Politische Ökonomie|[2]]]''')<br/>
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*  '''Politische Ökonomie/Marxismus[[Marxismus_historischer_Materialismus_Evolutionismus#2 Marxismus, historischer Materialismus, Evolutionismus|[1]]]''' (vgl. auch '''[[Oekonomische Theorien/Politische Ökonomie#2.4 Politische Ökonomie|[2]]]''')<br/>
*  '''Neoklassik/Rational Choice[[Neoklassik#3 Neoklassik oder Rational Choice|[3]]]''' (vgl. auch '''http://www.lateinamerika- studien.at/content/wirtschaft/ipo/ipo-753.html[[Oekonomische Theorien/Neoklassik/Diffusionismus_und_Kulturkreislehre#2.2 Neoklassik|[4]]]''')<br/>
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*  '''Neoklassik/Rational Choice[[Neoklassik#3 Neoklassik oder Rational Choice|[3]]]''' (vgl. auch '''[[Oekonomische Theorien/Neoklassik#2.2 Neoklassik|[4]]]''')<br/>
 
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Eine zentrale Forschungsrichtung der Ökonomischen Anthropologie ist der '''Institutionalismus''' oder '''Substantivismus[[Institutionalismus_und_Substantivismus/Substantivisten#4.3 Substantivisten|[5]]]'''. Die unter diesen Begriffen zusammengefassten theoretischen Ansätze gehen davon aus, dass die Ökonomie in die Gesamtheit aller Institutionen eingebettet ist. Dem gegenüber argumentieren VertreterInnen des '''Formalismus[[Neoklassik/Firth/Religion#3.1.1 Allgemeine Gesetzmäßigkeiten und spezifische ökonomische Systeme bei Firth|[6]]]''' in Anlehnung an die Position der Neoklassik, dass regionale ökonomische Besonderheiten nur Varianten von generellen Gesetzmäßigkeiten - die uneingeschränkt weltweit gelten - darstellen. Die Kontroversen zwischen diesen beiden Positionen dominierten vielfach die theoretischen Diskussionen in der Wirtschaftsethnologie im 20.Jahrhundert. <br/>
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Eine zentrale Forschungsrichtung der Ökonomischen Anthropologie ist der '''Institutionalismus''' oder '''Substantivismus[[Institutionalismus_und_Substantivismus/Substantivisten#4.3 Substantivisten|[5]]]'''. Die unter diesen Begriffen zusammengefassten theoretischen Ansätze gehen davon aus, dass die Ökonomie in die Gesamtheit aller Institutionen eingebettet ist. Dem gegenüber argumentieren VertreterInnen des '''Formalismus[[Neoklassik/Firth#3.1.1 Allgemeine Gesetzmäßigkeiten und spezifische ökonomische Systeme bei Firth|[6]]]''' in Anlehnung an die Position der Neoklassik, dass regionale ökonomische Besonderheiten nur Varianten von generellen Gesetzmäßigkeiten - die uneingeschränkt weltweit gelten - darstellen. Die Kontroversen zwischen diesen beiden Positionen dominierten vielfach die theoretischen Diskussionen in der Wirtschaftsethnologie im 20.Jahrhundert. <br/>
 
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Besonders umstritten war und ist in diesem Zusammenhang das Modell des '''"''homo oeconomicus''"[[Oekonomische Theorien/Neoklassik/Diffusionismus_und_Kulturkreislehre#2.2.5.2 Der homo oeconomicus|[7]]]''', dessen Anwendbarkeit im Rahmen der '''Wirtschaftsanthropologie[[Neoklassik/Der_Grosse_Streit/Kolonialismus#3.3.3.1 Kritik am homo oeconomicus aus nicht-formalistischer Perspektive|[8]]]''' immer wieder aus unterschiedlichen Gesichtspunkten debattiert wurde. <br/>
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Besonders umstritten war und ist in diesem Zusammenhang das Modell des '''"''homo oeconomicus''"[[Oekonomische Theorien/Neoklassik#2.2.5.2 Der homo oeconomicus|[7]]]''', dessen Anwendbarkeit im Rahmen der '''Wirtschaftsanthropologie[[Neoklassik/Der_Grosse_Streit#3.3.3.1 Kritik am homo oeconomicus aus nicht-formalistischer Perspektive|[8]]]''' immer wieder aus unterschiedlichen Gesichtspunkten debattiert wurde. <br/>
 
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[[Marxismus_historischer_Materialismus_Evolutionismus#2 Marxismus, historischer Materialismus, Evolutionismus|[1] Siehe Kapitel 2 der Lernunterlage ''Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie'']]<br/>
 
[[Marxismus_historischer_Materialismus_Evolutionismus#2 Marxismus, historischer Materialismus, Evolutionismus|[1] Siehe Kapitel 2 der Lernunterlage ''Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie'']]<br/>
[[Oekonomische Theorien/Politische Ökonomie/UK_Funktionalismus#2.4 Politische Ökonomie|[2] Siehe Kapitel 2.4 der Lernunterlage ''Internationale Politische Ökonomie'']]<br/>
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[[Oekonomische Theorien/Politische Ökonomie#2.4 Politische Ökonomie|[2] Siehe Kapitel 2.4 der Lernunterlage ''Internationale Politische Ökonomie'']]<br/>
 
[[Neoklassik#3 Neoklassik oder Rational Choice|[3] Siehe Kapitel 3 der Lernunterlage ''Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie'']]<br/>
 
[[Neoklassik#3 Neoklassik oder Rational Choice|[3] Siehe Kapitel 3 der Lernunterlage ''Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie'']]<br/>
[[Oekonomische Theorien/Neoklassik/Diffusionismus_und_Kulturkreislehre#2.2 Neoklassik|[4] Siehe Kapitel 2.2 der Lernunterlage ''Internationale Politische Ökonomie'']]<br/>
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[[Oekonomische Theorien/Neoklassik#2.2 Neoklassik|[4] Siehe Kapitel 2.2 der Lernunterlage ''Internationale Politische Ökonomie'']]<br/>
 
[[Institutionalismus_und_Substantivismus/Substantivisten#4.3 Substantivisten|[5] Siehe Kapitel 4.3 der Lernunterlage ''Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie'']]<br/>
 
[[Institutionalismus_und_Substantivismus/Substantivisten#4.3 Substantivisten|[5] Siehe Kapitel 4.3 der Lernunterlage ''Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie'']]<br/>
[[Neoklassik/Firth/Religion#3.1.1 Allgemeine Gesetzmäßigkeiten und spezifische ökonomische Systeme bei Firth|[6] Siehe Kapitel 3.1.1 der Lernunterlage ''Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie'']]<br/>
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[[Neoklassik/Firth#3.1.1 Allgemeine Gesetzmäßigkeiten und spezifische ökonomische Systeme bei Firth|[6] Siehe Kapitel 3.1.1 der Lernunterlage ''Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie'']]<br/>
[[Oekonomische Theorien/Neoklassik/Diffusionismus_und_Kulturkreislehre#2.2.5.2 Der homo oeconomicus|[7] Siehe Kapitel 2.2.5.2 der Lernunterlage ''Internationale Politische Ökonomie'']]<br/>
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[[Oekonomische Theorien/Neoklassik#2.2.5.2 Der homo oeconomicus|[7] Siehe Kapitel 2.2.5.2 der Lernunterlage ''Internationale Politische Ökonomie'']]<br/>
[[Neoklassik/Der_Grosse_Streit/Kolonialismus#3.3.3.1 Kritik am homo oeconomicus aus nicht-formalistischer Perspektive|[8] Siehe Kapitel 3.3.3.1 der Lernunterlage ''Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie'']]<br/>
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[[Neoklassik/Der_Grosse_Streit#3.3.3.1 Kritik am homo oeconomicus aus nicht-formalistischer Perspektive|[8] Siehe Kapitel 3.3.3.1 der Lernunterlage ''Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie'']]<br/>
 
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Mark A. Peterson (2003: 8-9) identifiziert '''drei wichtige Aspekte in der ethnographischen Forschung zu Medientechnologien''', die auch für ethnographische Feldforschung im Allgemeinen gelten: <br/>
 
Mark A. Peterson (2003: 8-9) identifiziert '''drei wichtige Aspekte in der ethnographischen Forschung zu Medientechnologien''', die auch für ethnographische Feldforschung im Allgemeinen gelten: <br/>
 
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1.  (Medien)'''Ethnographie[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Ethnographie/Boas#2.3 Ethnographie|[2]]]''' beinhaltet eine '''dichte, kontextualisierte und detaillierte Beschreibung''', in der Beobachtungen und Informationen kontinuierlich dokumentiert und reflexiv aufgearbeitet werden.<br/>
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1.  (Medien)'''Ethnographie[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Ethnographie#2.3 Ethnographie|[2]]]''' beinhaltet eine '''dichte, kontextualisierte und detaillierte Beschreibung''', in der Beobachtungen und Informationen kontinuierlich dokumentiert und reflexiv aufgearbeitet werden.<br/>
 
2.  Ethnographische Medienforschung versucht, so genau wie möglich das '''Alltagsleben von Menschen''' festzuhalten.<br/>
 
2.  Ethnographische Medienforschung versucht, so genau wie möglich das '''Alltagsleben von Menschen''' festzuhalten.<br/>
 
3.  Die ständige Anwesenheit des Ethnographen bzw. der Ethnographin im alltäglichen Leben von ForschungspartnerInnen bedeutet ein '''kontinuierlich reflexives Zusammentreffen zwischen Menschen''', das nicht immer konfliktfrei ist. Medienethnographie ist eine sehr intime Forschungsstrategie Daten zu erheben und Wissen zu gewinnen, die Forschende mitten in das private und berufliche Alltagsleben von Menschen platziert.<br/>
 
3.  Die ständige Anwesenheit des Ethnographen bzw. der Ethnographin im alltäglichen Leben von ForschungspartnerInnen bedeutet ein '''kontinuierlich reflexives Zusammentreffen zwischen Menschen''', das nicht immer konfliktfrei ist. Medienethnographie ist eine sehr intime Forschungsstrategie Daten zu erheben und Wissen zu gewinnen, die Forschende mitten in das private und berufliche Alltagsleben von Menschen platziert.<br/>
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[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.1 Ethnographische Feldforschung|[1] Siehe Kapitel 1.3.1]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.1 Ethnographische Feldforschung|[1] Siehe Kapitel 1.3.1]]<br/>
[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Ethnographie/Boas#2.3 Ethnographie|[2] Siehe Kapitel 2.3 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
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[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Ethnographie#2.3 Ethnographie|[2] Siehe Kapitel 2.3 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
 
[https://web.archive.org/web/20120301033927/http://anthropology.as.nyu.edu/object/fayeginsburg.html  &#91;3&#93; https://web.archive.org/web/20120301033927/http://anthropology.as.nyu.edu/object/fayeginsburg.html]<br/>
 
[https://web.archive.org/web/20120301033927/http://anthropology.as.nyu.edu/object/fayeginsburg.html  &#91;3&#93; https://web.archive.org/web/20120301033927/http://anthropology.as.nyu.edu/object/fayeginsburg.html]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Medien#3.8.5 Technologie im soziokulturellen Kontext|[4] Siehe Kapitel 3.8.5]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Medien#3.8.5 Technologie im soziokulturellen Kontext|[4] Siehe Kapitel 3.8.5]]<br/>
 
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==3.8.3 Historische Entwicklung==
 
==3.8.3 Historische Entwicklung==
 
[[File:einfpropaedksa-154_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: Printmedien, Toronto, Ph. Budka ]]
 
[[File:einfpropaedksa-154_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: Printmedien, Toronto, Ph. Budka ]]
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts befassten sich '''einige wenige SozialwissenschafterInnen[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Sozialwissenschaft/Klassischer_Evolutionismus#2.17 Sozialwissenschaft|[1]]]''' - zumeist im Rahmen größerer Forschungsprojekte - auch mit Medien und deren gesellschaftlicher und kultureller Relevanz. Dabei versuchten sie Fragen zu beantworten und bedienten sich methodischer Instrumente, die durchaus der '''Kultur- und Sozialanthropologie[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1 Was untersucht Kultur- und Sozialanthropologie?|[2]]]''' zugerechnet werden können (vgl. Peterson 2003). <br/>
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Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts befassten sich '''einige wenige SozialwissenschafterInnen[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Sozialwissenschaft#2.17 Sozialwissenschaft|[1]]]''' - zumeist im Rahmen größerer Forschungsprojekte - auch mit Medien und deren gesellschaftlicher und kultureller Relevanz. Dabei versuchten sie Fragen zu beantworten und bedienten sich methodischer Instrumente, die durchaus der '''Kultur- und Sozialanthropologie[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1 Was untersucht Kultur- und Sozialanthropologie?|[2]]]''' zugerechnet werden können (vgl. Peterson 2003). <br/>
 
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In der '''historischen Entwicklung der Medienanthropologie''' lassen sich zwei Stränge unterscheiden: <br/>
 
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'''Verweise:'''
 
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[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Sozialwissenschaft/Klassischer_Evolutionismus#2.17 Sozialwissenschaft|[1] Siehe Kapitel 2.17 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
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[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Sozialwissenschaft#2.17 Sozialwissenschaft|[1] Siehe Kapitel 2.17 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie: Empirische Forschung in den Sozialwissenschaften'']]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1 Was untersucht Kultur- und Sozialanthropologie?|[2] Siehe Kapitel 1.1]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1 Was untersucht Kultur- und Sozialanthropologie?|[2] Siehe Kapitel 1.1]]<br/>
 
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Obwohl es keine einheitliche '''Theorie der Praxis''' oder allgemein gültige Definitionen für Handlungstheorien gibt, lassen sich in einem praxistheoretischen Umfeld sehr wohl ähnliche Ansätze feststellen. Hier können Arbeiten, erkenntnistheoretische Ansätze und Forschungsstrategien von einflussreichen Sozial- und Geisteswissenschaftlern wie '''Pierre Bourdieu[http://en.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu  &#91;1&#93;]''', '''Michel Foucault[http://en.wikipedia.org/wiki/Michel_Foucault  &#91;2&#93;]''', '''Michel de Certeau[http://de.wikipedia.org/wiki/Michel_de_Certeau  &#91;3&#93;]''' oder '''Anthony Giddens[http://de.wikipedia.org/wiki/Anthony_Giddens  &#91;4&#93;]''' angeführt werden. So erweisen sich '''Bourdieus Handlungstheorie[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus#2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus|[5]]]''' (Bourdieu 1976), die darauf abzielt zwischen subjektivistischen und objektivistischen Erkenntnistheorien zu vermitteln, sowie die von ihm entwickelten Konzepte als besonders einflussreich; etwa als Strategie, Stellungen und Positionen in einer Sozialhierarchie zu deuten (vgl. Zips und Rest 2010). <br/>
 
Obwohl es keine einheitliche '''Theorie der Praxis''' oder allgemein gültige Definitionen für Handlungstheorien gibt, lassen sich in einem praxistheoretischen Umfeld sehr wohl ähnliche Ansätze feststellen. Hier können Arbeiten, erkenntnistheoretische Ansätze und Forschungsstrategien von einflussreichen Sozial- und Geisteswissenschaftlern wie '''Pierre Bourdieu[http://en.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu  &#91;1&#93;]''', '''Michel Foucault[http://en.wikipedia.org/wiki/Michel_Foucault  &#91;2&#93;]''', '''Michel de Certeau[http://de.wikipedia.org/wiki/Michel_de_Certeau  &#91;3&#93;]''' oder '''Anthony Giddens[http://de.wikipedia.org/wiki/Anthony_Giddens  &#91;4&#93;]''' angeführt werden. So erweisen sich '''Bourdieus Handlungstheorie[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus#2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus|[5]]]''' (Bourdieu 1976), die darauf abzielt zwischen subjektivistischen und objektivistischen Erkenntnistheorien zu vermitteln, sowie die von ihm entwickelten Konzepte als besonders einflussreich; etwa als Strategie, Stellungen und Positionen in einer Sozialhierarchie zu deuten (vgl. Zips und Rest 2010). <br/>
 
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'''Geschichte spielt bei praxistheoretischen Überlegungen eine wichtige Rolle.''' So betont etwa '''Sherry Ortner''' (2006: 9), bezugnehmend auf '''Marshall Sahlins[http://de.wikipedia.org/wiki/Marshall_Sahlins  &#91;6&#93;]''', dass eine Theorie der Praxis immer eine zentrale historische Komponente hat: "A theory of practice is a theory of history". Vergangene Ereignisse und (persönliche) Geschichte sind für Handlungstheorien also von großer Bedeutung. So umschreibt etwa auch Bourdieu den Habitus als "zu Natur gewordene Geschichte", die einen wesentlichen Teil des unbewussten Selbst ausmacht (vgl. z.B. '''Zips und Rest[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis/Boas#2.3.2 Habitus|[7]]]''' 2010). <br/>
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'''Geschichte spielt bei praxistheoretischen Überlegungen eine wichtige Rolle.''' So betont etwa '''Sherry Ortner''' (2006: 9), bezugnehmend auf '''Marshall Sahlins[http://de.wikipedia.org/wiki/Marshall_Sahlins  &#91;6&#93;]''', dass eine Theorie der Praxis immer eine zentrale historische Komponente hat: "A theory of practice is a theory of history". Vergangene Ereignisse und (persönliche) Geschichte sind für Handlungstheorien also von großer Bedeutung. So umschreibt etwa auch Bourdieu den Habitus als "zu Natur gewordene Geschichte", die einen wesentlichen Teil des unbewussten Selbst ausmacht (vgl. z.B. '''Zips und Rest[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.2 Habitus|[7]]]''' 2010). <br/>
 
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus#2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus|[5] Siehe Kapitel 2 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)'']]<br/>
 
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[http://de.wikipedia.org/wiki/Marshall_Sahlins  &#91;6&#93; http://de.wikipedia.org/wiki/Marshall_Sahlins]<br/>
 
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[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis/Boas#2.3.2 Habitus|[7] Siehe Kapitel 2.3.2 der Lernunterlage ''Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (KSA)'']]<br/>
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===3.8.4.2 Ritualtheorien===
 
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====3.8.6.4.2 Facebook aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive====
 
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Latest revision as of 14:31, 13 October 2022

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Einführung und Propädeutikum Kultur- und Sozialanthropologie

verfasst von Elke Mader, Wolfgang Kraus, Philipp Budka, und Matthias Reitter, Fakultät für Sozialwissenschaften, Wien
Logo Einfuehrung.gif

Diese Lernunterlage gibt einen einführenden Überblick zur wissenschaftlichen Disziplin der Kultur- und Sozialanthropologie (KSA) mit besonderem Schwerpunkt auf die Situation und die Arbeit des Instituts für Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien. Neben der Frage, womit sich Kultur- und Sozialanthropologie beschäftigt und wie sie sich theoriegeschichtlich entwickelt hat, werden ausgewählte Themenbereiche vorgestellt. Die Lernunterlage richtet sich vor allem an StudienanfängerInnen, kann aber ebenso als Informationsquelle oder Lehr- und Lernmittel für allgemein an der Kultur- und Sozialanthropologie Interessierte dienen.

An der Erstellung dieser Lernunterlage mitgewirkt haben als AutorInnen: Elke Mader, Wolfgang Kraus, Philipp Budka und Matthias Reitter. Redaktionell bearbeitet wurde die Unterlage von Anna Ellmer, Matthias Reitter und Philipp Budka.

Kapitel dieser Lernunterlage

1 Was ist Kultur- und Sozialanthropologie?
2 Theoriengeschichte der Kultur- und Sozialanthropologie
3 Themenbereiche


Kapitelübersicht

1 Was ist Kultur- und Sozialanthropologie?

1.1 Was untersucht Kultur- und Sozialanthropologie?
1.1.1 Die Kunde von den Völkern?
1.1.2 Die Lehre von den Ethnien?
1.1.3 Was ist Gesellschaft?
1.1.4 "Kulturen" und Kultur
1.1.5 Exkurs: "Kultur" im öffentlichen Diskurs
1.1.6 Der verlorene Gegenstand unseres Faches
1.1.7 KSA als Lehre von den kulturellen und sozialen Aspekten des Menschseins
1.1.8 Was ist "das Kulturelle"?
1.1.9 Was ist "das Soziale"?
1.1.10 Warum Kultur- und Sozialanthropologie?
1.2 Was will Kultur- und Sozialanthropologie wissen?
1.2.1 Die Prämisse der Diversität
1.2.2 Das Ziel wertfreien Verstehens
1.2.3 Zum Widerspruch von Prämisse und Ziel
1.2.4 Ethnozentrismus
1.2.5 Ethnozentrismus und das "anthropologische Projekt"
1.2.6 Methodologischer Skeptizismus
1.2.7 Methodologischer Relativismus
1.2.8 Relativismus und Universalismus
1.2.9 Exkurs: Homogenisierung, kulturelle Diversität und "Anthropology at Home"
1.3 Methoden: Wie gelangt Kultur- und Sozialanthropologie zu ihrem Wissen?
1.3.1 Ethnographische Feldforschung
1.3.2 Teilnehmende Beobachtung
1.3.3 Charakteristika qualitativer Forschungszugänge
1.3.4 Ethnographie als Kommunikation
1.4 Was kann Kultur- und Sozialanthropologie wissen?
1.4.1 Hermeneutik und die Interpretation kultureller Zusammenhänge
1.4.2 Interpretation und Objektivität
1.4.3 Hindernisse für Objektivität in der Kultur- und Sozialanthropologie
1.4.4 Validität
1.4.5 Der provisorische Charakter wissenschaftlichen Wissens
1.5 Literatur

2 Theoriengeschichte der Kultur- und Sozialanthropologie

2.1 Der klassische Evolutionismus
2.1.1 Lewis Henry Morgan und Henry Maine
2.1.2 Edward B. Tylor
2.1.3 Das Ende des klassischen Evolutionismus
2.2 Diffusionismus und Kulturkreislehre
2.3 Franz Boas und der US-amerikanische Kulturrelativismus
2.4 Der britische Funktionalismus
2.4.1 A. R. Radcliffe-Brown
2.4.2 Bronislaw Malinowski
2.5 Claude Lévi-Strauss und der französische Strukturalismus
2.6 Symbolische Anthropologie und konkurrierende Ansätze
2.7 Clifford Geertz und die Folgen
2.8 Literatur
2.8.1 Weiterführende Literatur

3 Themenbereiche

3.1 Religion
3.1.1 Religion und Ritual
3.1.2 Religion und Gesellschaft
3.1.2.1 Émile Durkheim
3.1.2.2 Religion, Gesellschaft und Politik
3.1.2.3 Religion und Konflikt
3.1.3 Religion als kulturelles Symbolsystem
3.1.4 Religion und Weltbild
3.1.5 Religion und spirituelle Erfahrung: Fallbeispiel Schamanismus
3.1.5.1 Schamanismus und "Ekstasetechnik"
3.1.5.2 Schamanismus, Weltbild und interreligiöse Beziehungen
3.1.6 Religionen im Internet
3.1.6.1 Afrikas Digitale Diaspora Religionen
3.1.7 Literatur
3.2 Ritual
3.2.1 Forschungskontexte und Begriffe
3.2.1.1 Genres ritueller Handlungen
3.2.1.2 Grenzen und Grenzüberschreitungen
3.2.1.3 Ritualdynamik
3.2.1.4 Ritualtransfer
3.2.2 Ritual und Religion
3.2.3 Rituale und Gesellschaft
3.2.3.1 Übergangsrituale
3.2.3.1.1 Soziale Dramen
3.2.4 Rituale und Symbole
3.2.4.1 Im Wald der Symbole
3.2.4.2 Körpersymbole
3.2.5 Rituale und Medien
3.2.5.1 "Rite out of Place" oder die Medialisierung von Ritualen
3.2.6 Literatur
3.3 Kolonialismus
3.3.1 Dimensionen des Kolonialismus
3.3.1.1 Colonial Frontier
3.3.1.2 Kolonialität
3.3.1.3 Kolonialität am Beispiel Lateinamerikas
3.3.1.4 Postkolonialismus
3.3.2 Kolonialismus und Kultur-und Sozialanthropologie
3.3.2.1 Kolonialismus als Rahmenbedingung des Faches
3.3.2.1.1 Chronisten und Missionare in Lateinamerika
3.3.2.2 Kolonialismus als Forschungsgegenstand
3.3.3 Eric Wolf: Kolonialismus, Ökonomie und Verflechtungen
3.3.4 Repräsentation von Kolonialismus im Spielfilm
3.3.4.1 Konflikt, Kultur und Transformation
3.3.5 Literatur
3.4 Globalisierung
3.4.1 Gegenwärtige Phase der Globalisierung
3.4.1.1 Aspekte und Elemente der gegenwärtigen Globalisierung
3.4.2 Thesen über und Perspektiven auf Globalisierung
3.4.3 Globalismus, Globalität und Globalisierung
3.4.4 Transnationalismus und Transnationalisierung
3.4.5 Dimensionen und Faktoren der Globalisierung
3.4.5.1 "Entwurzelung"
3.4.5.2 Beschleunigung
3.4.5.3 Standardisierung
3.4.5.4 Verflechtung
3.4.5.5 Bewegung
3.4.5.6 (Ver)Mischen
3.4.5.7 Verletzlichkeit
3.4.5.8 "Wiedereinbettung"
3.4.6 Anthropologie der Globalisierung
3.4.6.1 Das Globale und das Lokale
3.4.6.2 Historisches zu kultur- und sozialanthropologischen Globalisierungsstudien
3.4.6.3 Globalisierung und kultur- und sozialanthropologische Methodologie
3.4.6.4 Globalisierung und Kultur
3.4.6.4.1 "Globalkultur" oder die kulturellen Aspekte von Globalisierung
3.4.6.5 Kulturelle Globalisierung und die Kultur- und Sozialanthropologie
3.4.6.6 Homogenisierung und Heterogenisierung
3.4.6.7 Globale kulturelle Landschaften und (Handlungs)Räume
3.4.7 Literatur
3.4.7.1 Weiterführende Literatur
3.5 Anthropologie der Natur
3.5.1 Natur und Subsistenz
3.5.2 Kulturökologie
3.5.3 Natur und Weltbild
3.5.4 Natur ist "gut zum Denken": Claude Lévi-Strauss
3.5.4.1 Jenseits von Kultur und Natur: Philippe Descola
3.5.5 Perspektiven des Bauens oder Bewohnens: Tim Ingold
3.5.6 Glokale Natur: Lokales/traditionelles Wissen und globale Prozesse
3.5.6.1 Glokale Vernetzungen
3.5.7 Anthropologie und Klimawandel
3.5.7.1 Schneestern ohne Schnee? Ritual und Klimawandel in den Anden
3.5.8 Natur, Geschichte und Politik
3.5.8.1 Hybride Naturen und politische Akteure: Arturo Escobar
3.5.8.2 Indigene Naturpolitik
3.5.9 Schöne Natur: Landschaft, Repräsentation und Tourismus
3.5.9.1 Anthropologie der Landschaft
3.5.9.1.1 Die Alpen
3.5.9.2 Natur, Landschaft, Tourismus
3.5.10 Literatur
3.6 Ökonomische Anthropologie
3.6.1 Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie (Wirtschaftsanthropologie)
3.6.2 Theoretische Grundlagen: Ökonomie, Gesellschaft und Weltbild
3.6.2.1 Fallbeispiel: Tausch und Gabe - frühe Beiträge zur Ökonomischen Anthropologie
3.6.3 Literatur
3.7 Anthropologie der Mythen
3.7.1 Theoretische Perspektiven und Forschungsgeschichte
3.7.2 Fallbeispiel: Mythen im Kino
3.7.2.1 "American Dreamtime" - Hollywood-Mythen und die Konstruktion von Bedeutung im populären Kino
3.7.2.2 Mythische Figuren und Motive im Kino - Pirates of the Caribbean
3.7.3 Literatur
3.8 Medienanthropologie
3.8.1 Medientechnologien aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive
3.8.2 Medienethnographie
3.8.3 Historische Entwicklung
3.8.3.1 Frühe medienanthropologische Studien
3.8.3.2 Frühe medienethnographische Projekte
3.8.3.3 Medienanthropologie und die Sozial- und Kulturwissenschaften
3.8.4 Ausgewählte theoretische Konzepte und Zugänge
3.8.4.1 Theorie der Praxis
3.8.4.1.1 Medientechnologien in einer Theorie der Praxis
3.8.4.2 Ritualtheorien
3.8.5 Technologie im soziokulturellen Kontext
3.8.6 Digitale Medientechnologien als Forschungsfelder der Kultur- und Sozialanthropologie
3.8.6.1 Cyberanthropologie: Kybernetik und Cyberspace
3.8.6.2 Anthropologie der Cyberkultur
3.8.6.3 Digitale Anthropologie
3.8.6.4 Kultur- und sozialanthropologische Internetforschung
3.8.6.4.1 Internet als materielle Kultur
3.8.6.4.2 Facebook aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive
3.8.7 Literatur
3.9 Gender-Anthropologie
3.9.1 Anthropologie der Frauen
3.9.2 Sex vs. Gender
3.9.3 Geschlechtliche Arbeitsteilung
3.9.3.1 Geschlechtliche Arbeitsteilung und Cross-Cultural Studies
3.9.3.2 Geschlechtliche Arbeitsteilung, Mythen und Rituale
3.9.4 Gender und Macht
3.9.4.1 Komplementarität
3.9.5 Gender und Differenz
3.9.5.1 Intersektionalität
3.9.6 "Doing Gender" und Gender Performance
3.9.7 Gender in Mythen und Kino
3.9.7.1 Gender Images
3.9.7.2 Mythen, Liebe und Sexualität
3.9.8 Literatur


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