Difference between revisions of "STEOP - Propaedeutikum KSA"

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An der Erstellung dieser Lernunterlage mitgewirkt haben als '''AutorInnen''': Elke Mader, Wolfgang Kraus, Philipp Budka und Matthias Reitter. '''Redaktionell bearbeitet''' wurde die Unterlage von Anna Ellmer, Matthias Reitter und Philipp Budka. <br/>
 
An der Erstellung dieser Lernunterlage mitgewirkt haben als '''AutorInnen''': Elke Mader, Wolfgang Kraus, Philipp Budka und Matthias Reitter. '''Redaktionell bearbeitet''' wurde die Unterlage von Anna Ellmer, Matthias Reitter und Philipp Budka. <br/>
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==Kapitel dieser Lernunterlage==
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[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1 Was ist Kultur- und Sozialanthropologie?|1 Was ist Kultur- und Sozialanthropologie?]]<br/>
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[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Theoriengeschichte der Kultur- und Sozialanthropologie|2 Theoriengeschichte der Kultur- und Sozialanthropologie]]<br/>
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[[Themenbereiche_der_KSA#3 Themenbereiche|3 Themenbereiche]]<br/>
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==Kapitelübersicht==
 
==Kapitelübersicht==
 
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[[#Einführung und Propädeutikum Kultur- und Sozialanthropologie|&uarr; Nach oben]]<!--
 
[[#Einführung und Propädeutikum Kultur- und Sozialanthropologie|&uarr; Nach oben]]<!--
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Die '''historische Perspektive in der KSA beschäftigt sich mit '''kultureller und sozialer Diversität[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2.1 Die Prämisse der Diversität|[2]]]''' in zeitlicher Dimension'''. Sie setzt sich mit historischem Quellenmaterial auseinander, teils um die historischen Entwicklungen in bestimmten Regionen oder Gruppen zu rekonstruieren, teils weil sie davon ausgeht, dass die heutigen Verhältnisse in konkreten empirischen Feldern in ihrer historischen Gewordenheit interpretiert werden müssen. Vielfach wird sie ergänzend zu ethnographischen Methoden eingesetzt (vgl. Wernhart und Zips 2008). <br/>
 
Die '''historische Perspektive in der KSA beschäftigt sich mit '''kultureller und sozialer Diversität[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2.1 Die Prämisse der Diversität|[2]]]''' in zeitlicher Dimension'''. Sie setzt sich mit historischem Quellenmaterial auseinander, teils um die historischen Entwicklungen in bestimmten Regionen oder Gruppen zu rekonstruieren, teils weil sie davon ausgeht, dass die heutigen Verhältnisse in konkreten empirischen Feldern in ihrer historischen Gewordenheit interpretiert werden müssen. Vielfach wird sie ergänzend zu ethnographischen Methoden eingesetzt (vgl. Wernhart und Zips 2008). <br/>
 
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Der '''komparative (vergleichende[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Vergleich/Diffusionismus_und_Kulturkreislehre#2.24 Vergleich|[3]]]) Ansatz fragt nach Unterschieden und Ähnlichkeiten partikularer kultureller und sozialer Phänomene in Zeit und Raum''' und leitet daraus verallgemeinernde Aussagen unterschiedlicher Reichweite ab (vgl. Gingrich und Fox 2002). '''Radcliffe-Brown[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/UK_Funktionalismus#2.4.1 A. R. Radcliffe-Brown|[4]]]''', einer der Begründer der britischen funktionalistischen Schule, der ein stark universalistisches Forschungsprogramm vertrat, formulierte um die Mitte des 20. Jahrhunderts, das Ziel der "komparativen Methode" sei: "... to explore the varieties of forms of social life as a basis for the theoretical study of human social phenomena" (1951: 15). Die zu vergleichenden Falleinheiten können sehr unterschiedlich definiert werden: "soziale Systeme" oder Gesellschaften, als analog verstandene Institutionen und Prozesse in verschiedenen Gesellschaften, kulturelle Phänomene, materielle Objekte und dergleichen mehr. Ebenso kann die Variabilität der Vergleichsfälle auf sehr unterschiedlichen Ebenen angenommen werden: räumlich oder zeitlich, aber auch als soziale oder kulturelle Variation innerhalb eines gemeinsamen soziokulturellen Kontexts. <br/>
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Der '''komparative (vergleichende[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Vergleich#2.24 Vergleich|[3]]]) Ansatz fragt nach Unterschieden und Ähnlichkeiten partikularer kultureller und sozialer Phänomene in Zeit und Raum''' und leitet daraus verallgemeinernde Aussagen unterschiedlicher Reichweite ab (vgl. Gingrich und Fox 2002). '''Radcliffe-Brown[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/UK_Funktionalismus#2.4.1 A. R. Radcliffe-Brown|[4]]]''', einer der Begründer der britischen funktionalistischen Schule, der ein stark universalistisches Forschungsprogramm vertrat, formulierte um die Mitte des 20. Jahrhunderts, das Ziel der "komparativen Methode" sei: "... to explore the varieties of forms of social life as a basis for the theoretical study of human social phenomena" (1951: 15). Die zu vergleichenden Falleinheiten können sehr unterschiedlich definiert werden: "soziale Systeme" oder Gesellschaften, als analog verstandene Institutionen und Prozesse in verschiedenen Gesellschaften, kulturelle Phänomene, materielle Objekte und dergleichen mehr. Ebenso kann die Variabilität der Vergleichsfälle auf sehr unterschiedlichen Ebenen angenommen werden: räumlich oder zeitlich, aber auch als soziale oder kulturelle Variation innerhalb eines gemeinsamen soziokulturellen Kontexts. <br/>
 
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Die '''ethnographische Feldforschung''' - also die systematische Datenerhebung in intensivem Kontakt mit Menschen in konkreten empirischen Forschungsfeldern - schließlich ist nicht per se wichtiger als die beiden anderen Standbeine. Sie ist aber insofern von zentraler Bedeutung für unser Fach, als sie '''als typische Erhebungsmethode der KSA ein definierendes Kriterium der Disziplin''' bildet und diese am deutlichsten von anderen sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen unterscheidet. <br/>
 
Die '''ethnographische Feldforschung''' - also die systematische Datenerhebung in intensivem Kontakt mit Menschen in konkreten empirischen Forschungsfeldern - schließlich ist nicht per se wichtiger als die beiden anderen Standbeine. Sie ist aber insofern von zentraler Bedeutung für unser Fach, als sie '''als typische Erhebungsmethode der KSA ein definierendes Kriterium der Disziplin''' bildet und diese am deutlichsten von anderen sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen unterscheidet. <br/>
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<sup>verfasst von Wolfgang Kraus und Matthias Reitter</sup>
 
<sup>verfasst von Wolfgang Kraus und Matthias Reitter</sup>
 
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'''Die Kultur- und Sozialanthropologie zählt zu den '''empirischen Sozialwissenschaften[[Methodologische_Gegensatzpaare/Verstehen-Erklären#1.1.2 Sozialwissenschaft im Spannungsfeld zwischen Natur- und Geisteswissenschaften|[1]]]'''.''' Unter Empirie versteht man '''Wissen, das aus Erfahrung''' - also aus der systematischen Beobachtung der Welt - '''gewonnen wird'''. Viele andere Wissenschaften, wie etwa die Naturwissenschaften, arbeiten ebenfalls empirisch. Beispiele für nicht-empirische Wissenschaften wären Philosophie, Theologie, Mathematik oder Rechtswissenschaften. Aber auch nicht-empirische Disziplinen können empirische Teilbereiche haben, wie etwa die überwiegend normativ orientierten Rechtswissenschaften, die sich teilweise auch mit der Umsetzung von Recht in der sozialen Realität beschäftigen. <br/>
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'''Die Kultur- und Sozialanthropologie zählt zu den '''empirischen Sozialwissenschaften[[Methodologische_Gegensatzpaare/Verstehen-Erklären/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.2 Sozialwissenschaft im Spannungsfeld zwischen Natur- und Geisteswissenschaften|[1]]]'''.''' Unter Empirie versteht man '''Wissen, das aus Erfahrung''' - also aus der systematischen Beobachtung der Welt - '''gewonnen wird'''. Viele andere Wissenschaften, wie etwa die Naturwissenschaften, arbeiten ebenfalls empirisch. Beispiele für nicht-empirische Wissenschaften wären Philosophie, Theologie, Mathematik oder Rechtswissenschaften. Aber auch nicht-empirische Disziplinen können empirische Teilbereiche haben, wie etwa die überwiegend normativ orientierten Rechtswissenschaften, die sich teilweise auch mit der Umsetzung von Recht in der sozialen Realität beschäftigen. <br/>
 
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Diese Grenze ist also nicht immer eindeutig zu ziehen: '''Empirische und nicht- empirische Aspekte vermischen sich in verschiedenen Wissenschaften oft miteinander'''. Ähnliches gilt auch für die KSA. Anthropologisches Wissen wird nicht allein aus der Erfahrung gewonnen. Es bezieht sich zwar immer auf die reale, empirisch erfahrbare Welt. Es geht aber nicht nur vom beobachtbaren Erfahrungswissen aus. '''Ethnographische Daten setzen ganz entscheidend auch eine Interpretation des Erfahrenen voraus.''' Dieser Prozess des Wissenserwerbs durch Interpretation wird mit dem wissenschaftstheoretischen Begriff der '''Hermeneutik''' beschrieben. <br/>
 
Diese Grenze ist also nicht immer eindeutig zu ziehen: '''Empirische und nicht- empirische Aspekte vermischen sich in verschiedenen Wissenschaften oft miteinander'''. Ähnliches gilt auch für die KSA. Anthropologisches Wissen wird nicht allein aus der Erfahrung gewonnen. Es bezieht sich zwar immer auf die reale, empirisch erfahrbare Welt. Es geht aber nicht nur vom beobachtbaren Erfahrungswissen aus. '''Ethnographische Daten setzen ganz entscheidend auch eine Interpretation des Erfahrenen voraus.''' Dieser Prozess des Wissenserwerbs durch Interpretation wird mit dem wissenschaftstheoretischen Begriff der '''Hermeneutik''' beschrieben. <br/>
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==1.4.2 Interpretation und Objektivität==
 
==1.4.2 Interpretation und Objektivität==
 
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==1.4.3 Hindernisse für Objektivität in der Kultur- und Sozialanthropologie==
 
==1.4.3 Hindernisse für Objektivität in der Kultur- und Sozialanthropologie==
 
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[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_kann_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.4.2 Interpretation und Objektivität|[2] Siehe Kapitel 1.4.2]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_kann_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.4.2 Interpretation und Objektivität|[2] Siehe Kapitel 1.4.2]]<br/>
 
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==1.4.4 Validität==
 
==1.4.4 Validität==
 
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Der notwendige Wandel von gültigem Wissen bedeutet aber nicht, dass frühere Einsichten und Perspektiven für uns irrelevant sind oder dass sich in 30 Jahren niemand mehr für das interessieren wird, was heute geschrieben wird. Auch wenn dies hinter dem Innovationsdiskurs, mit dem WissenschaftlerInnen ihre Aktualität, die gesellschaftliche Relevanz ihrer Forschung und ihren Anspruch auf finanzielle Mittel legitimieren, manchmal in den Hintergrund tritt, beschäftigen wir uns auch heute noch intensiv mit dem, was vor Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten geschrieben wurde. Diese Auseinandersetzung ist manchmal vor allem historisch motiviert. Wenn wir heute z.B. '''Lewis Henry Morgan[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Klassischer_Evolutionismus#2.1.1 Lewis Henry Morgan und Henry Maine|[1]]]''' lesen, so kann es sein, dass wir in theoriengeschichtlicher Perspektive verstehen wollen, aus welchem Blickwinkel er zu welchen Ergebnissen kam, ohne nach deren heutiger Gültigkeit zu fragen. Ebenso können wir aber bei ihm - wie bei anderen AutorInnen der Vergangenheit - Datenmaterial finden, das uns, sofern es kritisch rezipiert wird, durchaus nützlich sein kann. Auch die theoretischen Konzepte, mit denen frühere VertreterInnen des Faches an ihr Material herangingen, können weiterhin von Interesse sein, selbst wenn wir aus heutiger Sicht und mit veränderten Interessen ihre Schwachstellen deutlicher erkennen können, als das den damaligen ZeitgenossInnen möglich war. <br/>
 
Der notwendige Wandel von gültigem Wissen bedeutet aber nicht, dass frühere Einsichten und Perspektiven für uns irrelevant sind oder dass sich in 30 Jahren niemand mehr für das interessieren wird, was heute geschrieben wird. Auch wenn dies hinter dem Innovationsdiskurs, mit dem WissenschaftlerInnen ihre Aktualität, die gesellschaftliche Relevanz ihrer Forschung und ihren Anspruch auf finanzielle Mittel legitimieren, manchmal in den Hintergrund tritt, beschäftigen wir uns auch heute noch intensiv mit dem, was vor Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten geschrieben wurde. Diese Auseinandersetzung ist manchmal vor allem historisch motiviert. Wenn wir heute z.B. '''Lewis Henry Morgan[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Klassischer_Evolutionismus#2.1.1 Lewis Henry Morgan und Henry Maine|[1]]]''' lesen, so kann es sein, dass wir in theoriengeschichtlicher Perspektive verstehen wollen, aus welchem Blickwinkel er zu welchen Ergebnissen kam, ohne nach deren heutiger Gültigkeit zu fragen. Ebenso können wir aber bei ihm - wie bei anderen AutorInnen der Vergangenheit - Datenmaterial finden, das uns, sofern es kritisch rezipiert wird, durchaus nützlich sein kann. Auch die theoretischen Konzepte, mit denen frühere VertreterInnen des Faches an ihr Material herangingen, können weiterhin von Interesse sein, selbst wenn wir aus heutiger Sicht und mit veränderten Interessen ihre Schwachstellen deutlicher erkennen können, als das den damaligen ZeitgenossInnen möglich war. <br/>
 
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Umgekehrt gilt: '''Alles anthropologische Wissen, das zum jetzigen Zeitpunkt anerkannt ist, ist mit größter Wahrscheinlichkeit nur vorläufig gültig'''. Somit ist es nicht nur unser Recht, sondern sogar unsere Pflicht, wissenschaftliche Aussagen und Perspektiven kritisch zu rezipieren und uns zu fragen, ob wir ihnen folgen können oder nicht. Dabei geht es um zweierlei: zum einen um die Plausibilität der '''empirischen Daten[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Empirie/Klassischer_Evolutionismus#2.1 Empirie|[2]]]''', zum anderen um die Begrifflichkeiten, Ideen und angenommenen Zusammenhänge, mittels welcher diese Daten organisiert und in einen erklärenden Zusammenhang gebracht werden - also um die Theorien. <br/>
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Umgekehrt gilt: '''Alles anthropologische Wissen, das zum jetzigen Zeitpunkt anerkannt ist, ist mit größter Wahrscheinlichkeit nur vorläufig gültig'''. Somit ist es nicht nur unser Recht, sondern sogar unsere Pflicht, wissenschaftliche Aussagen und Perspektiven kritisch zu rezipieren und uns zu fragen, ob wir ihnen folgen können oder nicht. Dabei geht es um zweierlei: zum einen um die Plausibilität der '''empirischen Daten[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Empirie#2.1 Empirie|[2]]]''', zum anderen um die Begrifflichkeiten, Ideen und angenommenen Zusammenhänge, mittels welcher diese Daten organisiert und in einen erklärenden Zusammenhang gebracht werden - also um die Theorien. <br/>
 
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Das große Feld anthropologischer Debatten betrifft immer wieder auch empirische Aussagen, vor allem aber die konkurrierenden und in Entwicklung begriffenen theoretischen Ansätze. Eine Theorie "ist eine Menge logisch miteinander verknüpfter Aussagen, die einen bestimmten Ausschnitt der Welt erklären" ( '''Halbmayer[[Einige_wissenschaftstheoretische_Grundlagen_der_empirischen_Sozialforschung/Theorien|[3]]]'''). Der '''Begriff "Theorie"''' wird aber auch in einem weiteren Sinn verwendet für die Summe unserer logisch möglichst konsistenten Annahmen über die Welt und über bestimmte Zusammenhänge in ihr, die es uns erlauben, unsere Beobachtungen zu strukturieren und zu systematisieren und aus ihnen erklärende Theorien im engeren Sinn abzuleiten. Theoretische Perspektiven sind in der KSA generell in höherem Ausmaß umstritten als empirische Beobachtungen. Eine kritische Rezeption wissenschaftlicher Aussagen bedeutet auch den Versuch, jene Ideen, Modelle und Ansätze zu erkennen und zu hinterfragen, mit denen in einem konkreten wissenschaftlichen Text operiert wird. Da diese theoretischen Werkzeuge vielfach zumindest teilweise implizit bleiben, ist auch dieser Versuch nicht selten ein interpretierender Vorgang. <br/>
 
Das große Feld anthropologischer Debatten betrifft immer wieder auch empirische Aussagen, vor allem aber die konkurrierenden und in Entwicklung begriffenen theoretischen Ansätze. Eine Theorie "ist eine Menge logisch miteinander verknüpfter Aussagen, die einen bestimmten Ausschnitt der Welt erklären" ( '''Halbmayer[[Einige_wissenschaftstheoretische_Grundlagen_der_empirischen_Sozialforschung/Theorien|[3]]]'''). Der '''Begriff "Theorie"''' wird aber auch in einem weiteren Sinn verwendet für die Summe unserer logisch möglichst konsistenten Annahmen über die Welt und über bestimmte Zusammenhänge in ihr, die es uns erlauben, unsere Beobachtungen zu strukturieren und zu systematisieren und aus ihnen erklärende Theorien im engeren Sinn abzuleiten. Theoretische Perspektiven sind in der KSA generell in höherem Ausmaß umstritten als empirische Beobachtungen. Eine kritische Rezeption wissenschaftlicher Aussagen bedeutet auch den Versuch, jene Ideen, Modelle und Ansätze zu erkennen und zu hinterfragen, mit denen in einem konkreten wissenschaftlichen Text operiert wird. Da diese theoretischen Werkzeuge vielfach zumindest teilweise implizit bleiben, ist auch dieser Versuch nicht selten ein interpretierender Vorgang. <br/>
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'''[[STEOP_-_Propaedeutikum_KSA|&crarr; Zurück zur Übersicht]]'''
 
'''[[STEOP_-_Propaedeutikum_KSA|&crarr; Zurück zur Übersicht]]'''
 
=3 Themenbereiche=
 
=3 Themenbereiche=
<sup>verfasst von Elke Mader und Phillip Budka</sup>
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<sup>verfasst von Elke Mader und Philip Budka</sup>
 
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Auf den folgenden Seiten werden ausgewählte '''Themenbereiche und Forschungsfelder der Kultur- und Sozialanthropologie''' kurz vorgestellt. '''Detailinformationen''' können über die gesetzten '''Verlinkungen''' sowie die am Ende jedes Themenbereichs angeführte '''Literaturliste''' gefunden werden. <br/>
 
Auf den folgenden Seiten werden ausgewählte '''Themenbereiche und Forschungsfelder der Kultur- und Sozialanthropologie''' kurz vorgestellt. '''Detailinformationen''' können über die gesetzten '''Verlinkungen''' sowie die am Ende jedes Themenbereichs angeführte '''Literaturliste''' gefunden werden. <br/>
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Schamanische Praktiken sind keineswegs statisch, sondern werden immer wieder an neue Konditionen angepasst. Ein Beispiel für die Vielfalt und Aktualität schamanischer Praktiken ist Tuva in Zentralsibirien (vgl. '''"Die Klinik der Schamanen"[http://www.youtube.com/watch?v=5pIOfhyVi_g  &#91;1&#93;]''' GEO 360, Ute Gebhardt 2005) an der Grenze zur Mongolei. Nachdem SchamanInnen und ihre Praktiken in Sibirien zur Zeit der Sowjetunion ausgegrenzt waren und teilweise verfolgt wurden, haben sie - nicht nur in Tuva - mittlerweile einen neuen Stellenwert und hohe Wertschätzung erlangt, wobei einerseits alte Traditionen revitalisiert und andererseits neue Aktionsfelder eröffnet wurden. <br/>
 
Schamanische Praktiken sind keineswegs statisch, sondern werden immer wieder an neue Konditionen angepasst. Ein Beispiel für die Vielfalt und Aktualität schamanischer Praktiken ist Tuva in Zentralsibirien (vgl. '''"Die Klinik der Schamanen"[http://www.youtube.com/watch?v=5pIOfhyVi_g  &#91;1&#93;]''' GEO 360, Ute Gebhardt 2005) an der Grenze zur Mongolei. Nachdem SchamanInnen und ihre Praktiken in Sibirien zur Zeit der Sowjetunion ausgegrenzt waren und teilweise verfolgt wurden, haben sie - nicht nur in Tuva - mittlerweile einen neuen Stellenwert und hohe Wertschätzung erlangt, wobei einerseits alte Traditionen revitalisiert und andererseits neue Aktionsfelder eröffnet wurden. <br/>
 
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'''Schamanismus wird meist mit und neben anderen Religionen praktiziert.''' So bestehen vielfältige Typen von interreligiösen Beziehungen zwischen schamanischen Praktiken und anderen religiösen Gefügen. Die Beziehungen und Interaktionen können durch Vermischung oder Abgrenzung geprägt sein und umfassen verschiedene Formen von Parallelismus (zwei oder mehrere Religionen werden von einer Person gleichzeitig praktiziert) und Synkretismus (Elemente aus verschiedenen Religionen vermischen sich). Beispiele für Synkretismus sind unter anderem das Verhältnis von Schamanismus und Buddhismus in Tuva, der Mongolei und Tibet (z.B. im Rahmen der '''Bön-Religion[[Ethnische_Religionen/Boen/Klassischer_Evolutionismus#2.1 Bön in Tibet|[2]]]''') sowie die Verbindungen von Schamanismus und Islam in Zentralasien oder im '''Iran[http://de.wikipedia.org/wiki/Iran  &#91;3&#93;]'''. <br/>
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'''Schamanismus wird meist mit und neben anderen Religionen praktiziert.''' So bestehen vielfältige Typen von interreligiösen Beziehungen zwischen schamanischen Praktiken und anderen religiösen Gefügen. Die Beziehungen und Interaktionen können durch Vermischung oder Abgrenzung geprägt sein und umfassen verschiedene Formen von Parallelismus (zwei oder mehrere Religionen werden von einer Person gleichzeitig praktiziert) und Synkretismus (Elemente aus verschiedenen Religionen vermischen sich). Beispiele für Synkretismus sind unter anderem das Verhältnis von Schamanismus und Buddhismus in Tuva, der Mongolei und Tibet (z.B. im Rahmen der '''Bön-Religion[[Ethnische_Religionen/Boen#2.1 Bön in Tibet|[2]]]''') sowie die Verbindungen von Schamanismus und Islam in Zentralasien oder im '''Iran[http://de.wikipedia.org/wiki/Iran  &#91;3&#93;]'''. <br/>
 
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Transkulturelle Interaktionen im Zuge der '''Globalisierung[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4 Globalisierung|[4]]]''' manifestieren sich auch im Rahmen eines '''spirituellen Tourismus''', der viele Parallelen zur Pilgerfahrt aufweist (vgl. Mader 2002). Dabei überschneiden sich religiöse bzw. spirituelle Anliegen mit der Suche nach Gesundheit bzw. Wellness sowie touristischen Erlebniswelten. <br/>
 
Transkulturelle Interaktionen im Zuge der '''Globalisierung[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4 Globalisierung|[4]]]''' manifestieren sich auch im Rahmen eines '''spirituellen Tourismus''', der viele Parallelen zur Pilgerfahrt aufweist (vgl. Mader 2002). Dabei überschneiden sich religiöse bzw. spirituelle Anliegen mit der Suche nach Gesundheit bzw. Wellness sowie touristischen Erlebniswelten. <br/>
 
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Zur Dynamik des Schamanismus in verschiedenen kulturellen und sozialen Kontexten vgl. u.a. '''Hoppal[http://www.folklore.ee/folklore/vol2/hoppal.htm  &#91;5&#93;]''' 1996, Van Bussel und Steinmann 1998. Für weitere Ausführungen zum Schamanismus (in Lateinamerika) siehe beispielsweise das Kapitel von Mader zu '''Kognition und Bewusstsein[http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/ethnologie/ethnologie-610.html  &#91;6&#93;]''' in der '''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas[[Kultur-_und_Sozialanthropologie_Lateinamerikas_-_Eine_Einführung|[7]]]'''. <br/>
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Zur Dynamik des Schamanismus in verschiedenen kulturellen und sozialen Kontexten vgl. u.a. '''Hoppal[http://www.folklore.ee/folklore/vol2/hoppal.htm  &#91;5&#93;]''' 1996, Van Bussel und Steinmann 1998. Für weitere Ausführungen zum Schamanismus (in Lateinamerika) siehe beispielsweise das Kapitel von Mader zu '''Kognition und Bewusstsein[[Schamanismus/Kognition_und_Bewusstsein#6.5 Kognition und Bewusstsein|[6]]]''' in der '''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas[[Kultur-_und_Sozialanthropologie_Lateinamerikas_-_Eine_Einführung|[7]]]'''. <br/>
 
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[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4 Globalisierung|[4] Siehe Kapitel 3.4]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4 Globalisierung|[4] Siehe Kapitel 3.4]]<br/>
 
[http://www.folklore.ee/folklore/vol2/hoppal.htm  &#91;5&#93; http://www.folklore.ee/folklore/vol2/hoppal.htm]<br/>
 
[http://www.folklore.ee/folklore/vol2/hoppal.htm  &#91;5&#93; http://www.folklore.ee/folklore/vol2/hoppal.htm]<br/>
[http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/ethnologie/ethnologie-610.html  &#91;6&#93; http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/ethnologie/ethnologie-610.html]<br/>
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[[Schamanismus/Kognition_und_Bewusstsein#6.5 Kognition und Bewusstsein|[6] Siehe Kapitel 6.5 der Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]<br/><br/>
 
[[Kultur-_und_Sozialanthropologie_Lateinamerikas_-_Eine_Einführung|[7] Siehe die Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]
 
[[Kultur-_und_Sozialanthropologie_Lateinamerikas_-_Eine_Einführung|[7] Siehe die Lernunterlage ''Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung'']]
 
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'''Verweise:'''
 
'''Verweise:'''
 
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[[Geschichte_der_Organisations-_und_Betriebsanthropologie/Manchester/Diffusionismus_und_Kulturkreislehre#2.2.1 Max Gluckman und die Manchester School|[1] Siehe Kapitel 2.2.1 der Lernunterlage "Einführung in die Organisations- und Betriebsanthropologie"]]
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[[Geschichte_der_Organisations-_und_Betriebsanthropologie/Manchester#2.2.1 Max Gluckman und die Manchester School|[1] Siehe Kapitel 2.2.1 der Lernunterlage "Einführung in die Organisations- und Betriebsanthropologie"]]<br/>
 
[http://en.wikipedia.org/wiki/Communitas  &#91;2&#93; http://en.wikipedia.org/wiki/Communitas]<br/>
 
[http://en.wikipedia.org/wiki/Communitas  &#91;2&#93; http://en.wikipedia.org/wiki/Communitas]<br/>
 
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==3.2.4 Rituale und Symbole==
 
==3.2.4 Rituale und Symbole==
 
[[File:einfpropaedksa-75_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: Austreiben "böser Geister" nach Neujahr (Teil eines größeren Komplexes von kalendarischen Riten am Balkan), Kukeri, Bulgarien, Quelle: [flickr.com](http://www.flickr.com/photos/aliarda/8469405588/)]]
 
[[File:einfpropaedksa-75_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: Austreiben "böser Geister" nach Neujahr (Teil eines größeren Komplexes von kalendarischen Riten am Balkan), Kukeri, Bulgarien, Quelle: [flickr.com](http://www.flickr.com/photos/aliarda/8469405588/)]]
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Die '''Geschichte der Ethnographie sowie der Kultur- und Sozialanthropologie in Lateinamerika[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden#1 Chronisten und Missionare|[1]]]''' beginnt mit den ersten Berichten von '''Conquistadoren, Chronisten und Missionaren''' über Land und Leute. Bei diesen Frühformen ethnographischen Schreibens und den dort formulierten Kulturtheorien handelt es sich zwar nicht um wissenschaftliche Texte im Sinne der modernen '''Kultur- und Sozialwissenschaften als akademische Disziplinen[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Theoriengeschichte der Kultur- und Sozialanthropologie|[2]]]''', die sich im 19. Jahrhunderts konstituierten, sie stellen jedoch eine wichtige Form der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen dar und haben die Entstehung dieser Wissenschaften wesentlich beeinflusst. <br/>
 
Die '''Geschichte der Ethnographie sowie der Kultur- und Sozialanthropologie in Lateinamerika[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden#1 Chronisten und Missionare|[1]]]''' beginnt mit den ersten Berichten von '''Conquistadoren, Chronisten und Missionaren''' über Land und Leute. Bei diesen Frühformen ethnographischen Schreibens und den dort formulierten Kulturtheorien handelt es sich zwar nicht um wissenschaftliche Texte im Sinne der modernen '''Kultur- und Sozialwissenschaften als akademische Disziplinen[[Theoriegeschichte_der_Kultur-_und_Sozialanthropologie#2 Theoriengeschichte der Kultur- und Sozialanthropologie|[2]]]''', die sich im 19. Jahrhunderts konstituierten, sie stellen jedoch eine wichtige Form der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen dar und haben die Entstehung dieser Wissenschaften wesentlich beeinflusst. <br/>
 
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Die Chroniken und Berichte entstanden im Zuge von Kontakten und Konfrontationen der EuropäerInnen mit den BewohnerInnen der "Neuen Welt". '''Der soziale und politische Kontext, in dem die frühen ethnographischen Texte entstanden, ist die gewaltsame Eroberung von Mittel- und Südamerika''' und das Implementieren des kolonialen Systems in Lateinamerika. Beispiele für solche Texte sind etwa die Rechenschaftsberichte an die Herrschenden (''relaciones''), das Bordbuch des '''Kolumbus[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2 Columbus und die willfährigen Wilden|[3]]]''' (1492/1970), '''Hans Stadens[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden#1.4 Hans Staden bei den "Menschenfresser-Leuten"|[4]]]''' Buch ''Die wahrhaftige Historie der wilden, nackten, grimmigen Menschenfresser-Leute'' (1557) oder die '''Chronik des Poma de Ayala[[Chronisten_und_Missionare/Poma_de_Alaya#1.5 Poma de Ayala oder die Chronik der Eroberten|[5]]]''' (1615). <br/>
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Die Chroniken und Berichte entstanden im Zuge von Kontakten und Konfrontationen der EuropäerInnen mit den BewohnerInnen der "Neuen Welt". '''Der soziale und politische Kontext, in dem die frühen ethnographischen Texte entstanden, ist die gewaltsame Eroberung von Mittel- und Südamerika''' und das Implementieren des kolonialen Systems in Lateinamerika. Beispiele für solche Texte sind etwa die Rechenschaftsberichte an die Herrschenden (''relaciones''), das Bordbuch des '''Kolumbus[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden#1.2 Columbus und die willfährigen Wilden|[3]]]''' (1492/1970), '''Hans Stadens[[Chronisten_und_Missionare/Hans_Staden#1.4 Hans Staden bei den "Menschenfresser-Leuten"|[4]]]''' Buch ''Die wahrhaftige Historie der wilden, nackten, grimmigen Menschenfresser-Leute'' (1557) oder die '''Chronik des Poma de Ayala[[Chronisten_und_Missionare/Poma_de_Alaya#1.5 Poma de Ayala oder die Chronik der Eroberten|[5]]]''' (1615). <br/>
 
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'''Wolf analysiert den Kolonialismus als ein weltumspannendes wirtschaftliches Gefüge von Produktion und Zirkulation verschiedenster Waren und der damit zusammenhängenden Akkumulation von Macht in bestimmten Zentren.''' Im Mittelpunkt seiner theoretischen Grundlagen steht die '''politische Ökonomie[[Themenbereiche_der_KSA/Oekonomische#3.6.1 Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie Wirtschaftsanthropologie|[2]]]''' und damit verbunden Fragen nach dem Verhältnis von Macht und Geschichte sowie nach Gruppenbeziehungen in komplexen Gesellschaften. <br/>
 
'''Wolf analysiert den Kolonialismus als ein weltumspannendes wirtschaftliches Gefüge von Produktion und Zirkulation verschiedenster Waren und der damit zusammenhängenden Akkumulation von Macht in bestimmten Zentren.''' Im Mittelpunkt seiner theoretischen Grundlagen steht die '''politische Ökonomie[[Themenbereiche_der_KSA/Oekonomische#3.6.1 Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie Wirtschaftsanthropologie|[2]]]''' und damit verbunden Fragen nach dem Verhältnis von Macht und Geschichte sowie nach Gruppenbeziehungen in komplexen Gesellschaften. <br/>
 
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Wolf thematisierte verschiedene ökonomische Bedingungen und Ziele der europäischen Expansion im Zuge der Kolonialisierung. Er untersucht dabei auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowohl verschiedener europäischer Staaten, als auch kolonialisierter Zonen. In diesem Sinne ist '''Eric Wolf[[Grosse_Theorien_(1940-1970)/Eric_Wolf/Globalisierung#3.4 Komplexe Gesellschaft, Verflechtungen und Macht bei Eric Wolf|[3]]]''' auch als ein '''Vorläufer von Globalisierungstheorien[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.6.2 Historisches zu kultur- und sozialanthropologischen Globalisierungsstudien|[4]]]''' zu verstehen, die ebenfalls von einer Intensivierung solcher Vernetzungsprozesse ausgehen. <br/>
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Wolf thematisierte verschiedene ökonomische Bedingungen und Ziele der europäischen Expansion im Zuge der Kolonialisierung. Er untersucht dabei auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowohl verschiedener europäischer Staaten, als auch kolonialisierter Zonen. In diesem Sinne ist '''Eric Wolf[[Grosse_Theorien_(1940-1970)/Eric_Wolf#3.4 Komplexe Gesellschaft, Verflechtungen und Macht bei Eric Wolf|[3]]]''' auch als ein '''Vorläufer von Globalisierungstheorien[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.6.2 Historisches zu kultur- und sozialanthropologischen Globalisierungsstudien|[4]]]''' zu verstehen, die ebenfalls von einer Intensivierung solcher Vernetzungsprozesse ausgehen. <br/>
 
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==3.4.3 Globalismus, Globalität und Globalisierung==
 
==3.4.3 Globalismus, Globalität und Globalisierung==
 
[[File:einfpropaedksa-99_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: Geld, Quelle: [wikimedia.org](http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f9/Money_Cash.jpg)]]
 
[[File:einfpropaedksa-99_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: Geld, Quelle: [wikimedia.org](http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f9/Money_Cash.jpg)]]
Der Soziologe '''Ulrich Beck[https://web.archive.org/web/20150711072957/http://www.ulrichbeck.net-build.net/index.php?page=person  &#91;1&#93;]''' (1997) unterscheidet "Globalismus", "Globalität" und "Globalisierung" voneinander. Er beabsichtigt damit Orthodoxien aufzubrechen, die im Zuge der Entwicklung und Etablierung der '''Nationalstaaten[[Staat_in_der_KSA/Entstehung/Oekonomische#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|[2]]]''' in der, wie er es nennt '''"Ersten Moderne"''', entstanden sind (vgl. Beck 1997: 26). Diese "Erste Moderne" ist charakterisiert durch institutionelle Unterscheidungen, beispielsweise zwischen Politik und Ökonomie sowie durch die Vorstellung von geschlossenen, territorial gebundenen Einheiten wie Nationalstaaten. <br/>
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Der Soziologe '''Ulrich Beck[https://web.archive.org/web/20150711072957/http://www.ulrichbeck.net-build.net/index.php?page=person  &#91;1&#93;]''' (1997) unterscheidet "Globalismus", "Globalität" und "Globalisierung" voneinander. Er beabsichtigt damit Orthodoxien aufzubrechen, die im Zuge der Entwicklung und Etablierung der '''Nationalstaaten[[Staat_in_der_KSA/Entstehung#3.6 Die Entstehung staatlicher Strukturen|[2]]]''' in der, wie er es nennt '''"Ersten Moderne"''', entstanden sind (vgl. Beck 1997: 26). Diese "Erste Moderne" ist charakterisiert durch institutionelle Unterscheidungen, beispielsweise zwischen Politik und Ökonomie sowie durch die Vorstellung von geschlossenen, territorial gebundenen Einheiten wie Nationalstaaten. <br/>
 
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Während '''Globalismus''' die Ideologie der Weltmarktherrschaft - des Neoliberalismus - und die damit verbundene Ablöse politischer durch ökonomische Ideologien meint, lässt sich unter '''Globalität''' die Tatsache verstehen, "dass wir (längst) in einer Weltgesellschaft leben", in der die Vorstellung von geschlossenen Territorien fiktiv ist (ebd.: 28). '''Globalisierung''' schließlich meint "die Prozesse, in deren Folge die Nationalstaaten und ihre Souveränität durch transnationale Akteure, ihre Machtchancen, Orientierungen, Identitäten und Netzwerke unterlaufen und querverbunden werden" (ebd.). '''Globalisierung in diesem Sinn ermöglicht also die globale Vernetzung transnationaler AkteurInnen sowie die Schaffung neuer Verbindungen und Räume.''' <br/>
 
Während '''Globalismus''' die Ideologie der Weltmarktherrschaft - des Neoliberalismus - und die damit verbundene Ablöse politischer durch ökonomische Ideologien meint, lässt sich unter '''Globalität''' die Tatsache verstehen, "dass wir (längst) in einer Weltgesellschaft leben", in der die Vorstellung von geschlossenen Territorien fiktiv ist (ebd.: 28). '''Globalisierung''' schließlich meint "die Prozesse, in deren Folge die Nationalstaaten und ihre Souveränität durch transnationale Akteure, ihre Machtchancen, Orientierungen, Identitäten und Netzwerke unterlaufen und querverbunden werden" (ebd.). '''Globalisierung in diesem Sinn ermöglicht also die globale Vernetzung transnationaler AkteurInnen sowie die Schaffung neuer Verbindungen und Räume.''' <br/>
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'''Globalisierung hat sich zu einem der wichtigsten Themen in der Kultur- und Sozialanthropologie[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1 Was untersucht Kultur- und Sozialanthropologie?|[1]]] entwickelt.''' Indem Globalisierung traditionelle Schlüsselthemen der Kultur- und Sozialanthropologie, wie Lokalkulturen, rurale Gemeinschaften sowie Jäger- und Sammlergesellschaften, verändert und deren (scheinbare) Begrenztheit in Frage stellt, öffnet sie der Wissenschaft neue Arbeitsfelder (vgl. Lewellen 2002). <br/>
 
'''Globalisierung hat sich zu einem der wichtigsten Themen in der Kultur- und Sozialanthropologie[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1 Was untersucht Kultur- und Sozialanthropologie?|[1]]] entwickelt.''' Indem Globalisierung traditionelle Schlüsselthemen der Kultur- und Sozialanthropologie, wie Lokalkulturen, rurale Gemeinschaften sowie Jäger- und Sammlergesellschaften, verändert und deren (scheinbare) Begrenztheit in Frage stellt, öffnet sie der Wissenschaft neue Arbeitsfelder (vgl. Lewellen 2002). <br/>
 
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Auch wenn Globalisierung ein wichtiges '''Forschungsthema[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Zugaenge_der_KSA/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|[2]]]''' für und in der Kultur- und Sozialanthropologie ist, wird sie sich, zumindest nach Ted C. Lewellen (2002), jedoch nicht zum dominierenden Paradigma in der Wissenschaft entwickeln. Die eigentliche Bedeutung von Globalisierung für die Kultur- und Sozialanthropologie liegt vielmehr darin, dass sie einen '''alternativen Verständniszugang''' ermöglicht und so Zugang zu Themenfeldern öffnet, die vormals ignoriert wurden. '''So stellt Globalisierung für die Kultur- und Sozialanthropologie eine weitere Analyseebene für unterschiedlichste soziokulturelle Phänomene dar.''' <br/>
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Auch wenn Globalisierung ein wichtiges '''Forschungsthema[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Zugaenge_der_KSA#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|[2]]]''' für und in der Kultur- und Sozialanthropologie ist, wird sie sich, zumindest nach Ted C. Lewellen (2002), jedoch nicht zum dominierenden Paradigma in der Wissenschaft entwickeln. Die eigentliche Bedeutung von Globalisierung für die Kultur- und Sozialanthropologie liegt vielmehr darin, dass sie einen '''alternativen Verständniszugang''' ermöglicht und so Zugang zu Themenfeldern öffnet, die vormals ignoriert wurden. '''So stellt Globalisierung für die Kultur- und Sozialanthropologie eine weitere Analyseebene für unterschiedlichste soziokulturelle Phänomene dar.''' <br/>
 
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In einer '''Anthropologie der Globalisierung''' lassen sich laut Lewellen (2002: 33- 37) und Michael Kearney (1995: 550) unter anderem folgende Forschungsfelder und Schlüsselthemen identifizieren: <br/>
 
In einer '''Anthropologie der Globalisierung''' lassen sich laut Lewellen (2002: 33- 37) und Michael Kearney (1995: 550) unter anderem folgende Forschungsfelder und Schlüsselthemen identifizieren: <br/>
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*  Gender<br/>
 
*  Gender<br/>
 
*  Verbreitung von Krankheiten und Epidemien (z.B. HIV/AIDS)<br/>
 
*  Verbreitung von Krankheiten und Epidemien (z.B. HIV/AIDS)<br/>
*  globale und globalisierte '''Städte[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/KSA_Felder/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.1 Mega-Cities und rurale Entvölkerung|[5]]]'''<br/>
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*  globale und globalisierte '''Städte[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/KSA_Felder#1.3.1 Mega-Cities und rurale Entvölkerung|[5]]]'''<br/>
 
*  transnationale '''religiöse Bewegungen[[Themenbereiche_der_KSA/Religion#3.1.2 Religion und Gesellschaft|[6]]]'''<br/>
 
*  transnationale '''religiöse Bewegungen[[Themenbereiche_der_KSA/Religion#3.1.2 Religion und Gesellschaft|[6]]]'''<br/>
 
*  Tourismus<br/>
 
*  Tourismus<br/>
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Michael Kearney (1995) zufolge bezieht sich Globalisierung auf die '''sozialen, ökonomischen, kulturellen und demographischen Prozesse''', die sowohl innerhalb von '''Nationalstaaten[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.4 Transnationalismus und Transnationalisierung|[1]]]''' stattfinden als auch deren Grenzen überschreiten. In diesem Kontext die Aufmerksamkeit alleine auf lokale Prozesse und Identitäten zu richten, bedeutet laut Kearney ein unvollständiges Verständnis des Lokalen. <br/>
 
Michael Kearney (1995) zufolge bezieht sich Globalisierung auf die '''sozialen, ökonomischen, kulturellen und demographischen Prozesse''', die sowohl innerhalb von '''Nationalstaaten[[Themenbereiche_der_KSA/Globalisierung#3.4.4 Transnationalismus und Transnationalisierung|[1]]]''' stattfinden als auch deren Grenzen überschreiten. In diesem Kontext die Aufmerksamkeit alleine auf lokale Prozesse und Identitäten zu richten, bedeutet laut Kearney ein unvollständiges Verständnis des Lokalen. <br/>
 
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Globalisierung lässt sich auch als '''Intensivierung von globalen Beziehungen''' verstehen, durch die distanzierte Lokalitäten miteinander verbunden werden (vgl. Giddens 1990). '''Das Verhältnis und die Verbindung zwischen dem Lokalen und dem Globalen sind hier entscheidend.''' Wir leben in einer geschrumpften Welt von Kontakten, Spannungen, Vergleichen, Kommunikation und Bewegung, die nicht (mehr) von Distanzen eingeschränkt ist. Gleichzeitig aber finden weiterhin Aktivitäten statt, die keine Auswirkung außerhalb des Lokalen haben. So würde eine weitere simple Definition von Globalisierung nach Eriksen (2007: 16) alle '''gegenwärtigen Prozesse[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Prozessuale_Entwicklungen/Was_will_Kultur-_und_Sozialanthropologie_wissen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[2]]]''' meinen, die Distanz (zwischen sozialen Lokalitäten) irrelevant machen. <br/>
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Globalisierung lässt sich auch als '''Intensivierung von globalen Beziehungen''' verstehen, durch die distanzierte Lokalitäten miteinander verbunden werden (vgl. Giddens 1990). '''Das Verhältnis und die Verbindung zwischen dem Lokalen und dem Globalen sind hier entscheidend.''' Wir leben in einer geschrumpften Welt von Kontakten, Spannungen, Vergleichen, Kommunikation und Bewegung, die nicht (mehr) von Distanzen eingeschränkt ist. Gleichzeitig aber finden weiterhin Aktivitäten statt, die keine Auswirkung außerhalb des Lokalen haben. So würde eine weitere simple Definition von Globalisierung nach Eriksen (2007: 16) alle '''gegenwärtigen Prozesse[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Prozessuale_Entwicklungen#1.2 Prozessuale Entwicklungen der Globalisierung|[2]]]''' meinen, die Distanz (zwischen sozialen Lokalitäten) irrelevant machen. <br/>
 
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'''Moderne Kommunikationsmedien[[Themenbereiche_der_KSA/Medien#3.8.1 Medientechnologien aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive|[3]]]''' tragen entscheidend zur Komprimierung von Zeit und Raum bei, beispielsweise durch Live-Berichterstattung oder Online- Spiele. Anthony Giddens (1990) argumentiert, dass durch neue Kommunikations- und Transporttechnologien Menschen in der Lage sind, ihr soziales Leben von lokalen ''Face-to-Face'' Interaktionen zu entfernten globalen Begegnungen zu erweitern. Moderne Lokalitäten sind so der Rahmen für distanzierte soziale Beziehungen, in denen Raum und Zeit gedehnt werden (Inda und Rosaldo 2002: 8). '''Das Lokale und das Globale sind also miteinander verbunden''' (vgl. beispielsweise Appadurai 1996, Robertson 1992, 1995). <br/>
 
'''Moderne Kommunikationsmedien[[Themenbereiche_der_KSA/Medien#3.8.1 Medientechnologien aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive|[3]]]''' tragen entscheidend zur Komprimierung von Zeit und Raum bei, beispielsweise durch Live-Berichterstattung oder Online- Spiele. Anthony Giddens (1990) argumentiert, dass durch neue Kommunikations- und Transporttechnologien Menschen in der Lage sind, ihr soziales Leben von lokalen ''Face-to-Face'' Interaktionen zu entfernten globalen Begegnungen zu erweitern. Moderne Lokalitäten sind so der Rahmen für distanzierte soziale Beziehungen, in denen Raum und Zeit gedehnt werden (Inda und Rosaldo 2002: 8). '''Das Lokale und das Globale sind also miteinander verbunden''' (vgl. beispielsweise Appadurai 1996, Robertson 1992, 1995). <br/>
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Globalisierung zwingt die Kultur- und Sozialanthropologie ihre '''methodologischen Werkzeuge''', wie '''ethnographische Feldforschung[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.1 Ethnographische Feldforschung|[1]]]''' und '''teilnehmende Beobachtung[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.2 Teilnehmende Beobachtung|[2]]]''', zu '''überdenken und manchmal neu zu definieren'''. Menschen befinden sich zunehmend in Bewegung und Kultur- und SozialanthropologInnen müssen ihnen folgen, um weiterhin an ihrem Lebensalltag teilnehmen zu können. Manche Gemeinschaften existieren nur für kurze Zeit und AnthropologInnen müssen ihren Zugang zu und ihre Anwesenheit in diesen '''fluktuierenden Vergemeinschaftungsformen''' adaptieren und beständig neu entwerfen. Anthropologische Globalisierungsstudien fördern dementsprechend auch andere Forschungsfelder und - themen: "The subjects of anthropological globalization studies are less likely to be communities or cultures than translocalities, border zones, migrations, diasporas, commodity chains, transnational corporations, foreign aid agencies, tourists, refugees, cyberspace, the influences of television and other communication media, the international processes of science, or commercialized art." (Lewellen 2002: 57) <br/>
 
Globalisierung zwingt die Kultur- und Sozialanthropologie ihre '''methodologischen Werkzeuge''', wie '''ethnographische Feldforschung[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.1 Ethnographische Feldforschung|[1]]]''' und '''teilnehmende Beobachtung[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Methoden_Wie_gelangt_Kultur-_und_Sozialanthropologie_zu_wissen#1.3.2 Teilnehmende Beobachtung|[2]]]''', zu '''überdenken und manchmal neu zu definieren'''. Menschen befinden sich zunehmend in Bewegung und Kultur- und SozialanthropologInnen müssen ihnen folgen, um weiterhin an ihrem Lebensalltag teilnehmen zu können. Manche Gemeinschaften existieren nur für kurze Zeit und AnthropologInnen müssen ihren Zugang zu und ihre Anwesenheit in diesen '''fluktuierenden Vergemeinschaftungsformen''' adaptieren und beständig neu entwerfen. Anthropologische Globalisierungsstudien fördern dementsprechend auch andere Forschungsfelder und - themen: "The subjects of anthropological globalization studies are less likely to be communities or cultures than translocalities, border zones, migrations, diasporas, commodity chains, transnational corporations, foreign aid agencies, tourists, refugees, cyberspace, the influences of television and other communication media, the international processes of science, or commercialized art." (Lewellen 2002: 57) <br/>
 
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Die Anthropologie der Globalisierung produziert ihre Theorien großteils über '''ethnographische Feldforschung''' (vgl. Lewellen 2002). Diese epistemologische und methodische Herangehensweise ist ein '''entscheidendes Merkmal der Kultur- und Sozialanthropologie''' und macht diese, durch die Etablierung eines eigenen, spezifischen Zuganges, zu einem potentiellen Vorreiter in der '''wissenschaftlichen Analyse von Globalisierungsprozessen[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Zugaenge_der_KSA/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|[3]]]''' (vgl. z.B. Burawoy et al. 2000, Eriksen 2003). So stellt etwa Michael Burawoy (2000) fest, dass es ohne die Ethnographien zu globalen Kräften, Verbindungen und Imaginationen unmöglich sei zu verstehen, wie Globalisierung aufrechterhalten und reproduziert sowie herausgefordert und transformiert wird. <br/>
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Die Anthropologie der Globalisierung produziert ihre Theorien großteils über '''ethnographische Feldforschung''' (vgl. Lewellen 2002). Diese epistemologische und methodische Herangehensweise ist ein '''entscheidendes Merkmal der Kultur- und Sozialanthropologie''' und macht diese, durch die Etablierung eines eigenen, spezifischen Zuganges, zu einem potentiellen Vorreiter in der '''wissenschaftlichen Analyse von Globalisierungsprozessen[[Globalisierung_als_Herausforderung_an_die_KSA/Zugaenge_der_KSA#1.1 Zugänge der Kultur- und Sozialanthropologie|[3]]]''' (vgl. z.B. Burawoy et al. 2000, Eriksen 2003). So stellt etwa Michael Burawoy (2000) fest, dass es ohne die Ethnographien zu globalen Kräften, Verbindungen und Imaginationen unmöglich sei zu verstehen, wie Globalisierung aufrechterhalten und reproduziert sowie herausgefordert und transformiert wird. <br/>
 
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[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.8 Was ist "das Kulturelle"?|[1] Siehe Kapitel 1.1.8]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.8 Was ist "das Kulturelle"?|[1] Siehe Kapitel 1.1.8]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.4 "Kulturen" und Kultur|[2] Siehe Kapitel 1.1.4]]<br/>
 
[[Was_ist_Kultur-_und_Sozialanthropologie/Was_untersucht_Kultur-_und_Sozialanthropologie#1.1.4 "Kulturen" und Kultur|[2] Siehe Kapitel 1.1.4]]<br/>
[[Konsumption|[3] Siehe die Lernunterlage ''Konsumption'']]
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[[Konsumption|[3] Siehe die Lernunterlage ''Konsumption'']]<br/>
[[Konsum_in_Zeiten_der_Globalitaet/Homogen-Heterogen#4.1 Globaler Konsum: Weltweite Einheitlichkeit versus lokale Differenzierung?|[4] Siehe Kapitel 4.1 der Lernunterlage "Konsumption"]
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[[Konsum_in_Zeiten_der_Globalitaet/Homogen-Heterogen#4.1 Globaler Konsum: Weltweite Einheitlichkeit versus lokale Differenzierung?|[4] Siehe Kapitel 4.1 der Lernunterlage "Konsumption"]]<br/>
 
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'''Die Kulturökologie zählt zu den materialistischen Ansätzen in der Anthropologie der Natur.''' Im Mittelpunkt dieser Studien steht '''Natur als Materie''' (''Physis'') und materielle Basis für das menschliche Leben bzw. Natur im Sinne von natürlicher Umwelt oder Habitat. Zentraler Untersuchungsgegenstand sind Interaktionsformen zwischen Mensch und Natur sowie ihre Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung. <br/>
 
'''Die Kulturökologie zählt zu den materialistischen Ansätzen in der Anthropologie der Natur.''' Im Mittelpunkt dieser Studien steht '''Natur als Materie''' (''Physis'') und materielle Basis für das menschliche Leben bzw. Natur im Sinne von natürlicher Umwelt oder Habitat. Zentraler Untersuchungsgegenstand sind Interaktionsformen zwischen Mensch und Natur sowie ihre Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung. <br/>
 
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Die von '''Julian Steward[https://web.archive.org/web/20120208103327/http://www.indiana.edu/~wanthro/theory_pages/Steward.htm  &#91;1&#93;]''' begründete '''Kulturökologie''' beruht auf einer Kombination von Forschungsansätzen. Dazu zählt das Verhältnis von Kultur und geographischer Region wie es im Konzept der Kulturregionen ('''''culture area approach''[[Grosse_Theorien_(1940-1970)/Kulturregionen/Religion#3.1.1 Der "culture area approach"|[2]]]''') der US-amerikanischen Kulturanthropologie dargelegt wird. Wesentliche Komponenten seiner theoretischen Ansätze bilden das Konzept eines "kulturellen Kerns" (''cultural core''), der von den jeweiligen Umweltbedingungen bestimmt wird, sowie verschiedener Ebenen der '''sozio-politischen Integration[http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/ethnologie/ethnologie-147.html  &#91;3&#93;]'''. <br/>
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Die von '''Julian Steward[https://web.archive.org/web/20120208103327/http://www.indiana.edu/~wanthro/theory_pages/Steward.htm  &#91;1&#93;]''' begründete '''Kulturökologie''' beruht auf einer Kombination von Forschungsansätzen. Dazu zählt das Verhältnis von Kultur und geographischer Region wie es im Konzept der Kulturregionen ('''''culture area approach''[[Grosse_Theorien_(1940-1970)/Kulturregionen#3.1.1 Der "culture area approach"|[2]]]''') der US-amerikanischen Kulturanthropologie dargelegt wird. Wesentliche Komponenten seiner theoretischen Ansätze bilden das Konzept eines "kulturellen Kerns" (''cultural core''), der von den jeweiligen Umweltbedingungen bestimmt wird, sowie verschiedener Ebenen der '''sozio-politischen Integration[http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/ethnologie/ethnologie-147.html  &#91;3&#93;]'''. <br/>
 
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Zu den wichtigsten ökonomischen Theorien, die auch eine Basis der Wirtschaftsanthropologie darstellen, zählen: <br/>
 
Zu den wichtigsten ökonomischen Theorien, die auch eine Basis der Wirtschaftsanthropologie darstellen, zählen: <br/>
 
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*  '''Politische Ökonomie/Marxismus[[Marxismus_historischer_Materialismus_Evolutionismus#2 Marxismus, historischer Materialismus, Evolutionismus|[1]]]''' (vgl. auch '''http://www.lateinamerika- studien.at/content/wirtschaft/ipo/ipo-1438.html[[Oekonomische Theorien/Politische Ökonomie#2.4 Politische Ökonomie|[2]]]''')<br/>
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*  '''Politische Ökonomie/Marxismus[[Marxismus_historischer_Materialismus_Evolutionismus#2 Marxismus, historischer Materialismus, Evolutionismus|[1]]]''' (vgl. auch '''[[Oekonomische Theorien/Politische Ökonomie#2.4 Politische Ökonomie|[2]]]''')<br/>
*  '''Neoklassik/Rational Choice[[Neoklassik#3 Neoklassik oder Rational Choice|[3]]]''' (vgl. auch '''http://www.lateinamerika- studien.at/content/wirtschaft/ipo/ipo-753.html[[Oekonomische Theorien/Neoklassik#2.2 Neoklassik|[4]]]''')<br/>
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*  '''Neoklassik/Rational Choice[[Neoklassik#3 Neoklassik oder Rational Choice|[3]]]''' (vgl. auch '''[[Oekonomische Theorien/Neoklassik#2.2 Neoklassik|[4]]]''')<br/>
 
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Eine zentrale Forschungsrichtung der Ökonomischen Anthropologie ist der '''Institutionalismus''' oder '''Substantivismus[[Institutionalismus_und_Substantivismus/Substantivisten#4.3 Substantivisten|[5]]]'''. Die unter diesen Begriffen zusammengefassten theoretischen Ansätze gehen davon aus, dass die Ökonomie in die Gesamtheit aller Institutionen eingebettet ist. Dem gegenüber argumentieren VertreterInnen des '''Formalismus[[Neoklassik/Firth#3.1.1 Allgemeine Gesetzmäßigkeiten und spezifische ökonomische Systeme bei Firth|[6]]]''' in Anlehnung an die Position der Neoklassik, dass regionale ökonomische Besonderheiten nur Varianten von generellen Gesetzmäßigkeiten - die uneingeschränkt weltweit gelten - darstellen. Die Kontroversen zwischen diesen beiden Positionen dominierten vielfach die theoretischen Diskussionen in der Wirtschaftsethnologie im 20.Jahrhundert. <br/>
 
Eine zentrale Forschungsrichtung der Ökonomischen Anthropologie ist der '''Institutionalismus''' oder '''Substantivismus[[Institutionalismus_und_Substantivismus/Substantivisten#4.3 Substantivisten|[5]]]'''. Die unter diesen Begriffen zusammengefassten theoretischen Ansätze gehen davon aus, dass die Ökonomie in die Gesamtheit aller Institutionen eingebettet ist. Dem gegenüber argumentieren VertreterInnen des '''Formalismus[[Neoklassik/Firth#3.1.1 Allgemeine Gesetzmäßigkeiten und spezifische ökonomische Systeme bei Firth|[6]]]''' in Anlehnung an die Position der Neoklassik, dass regionale ökonomische Besonderheiten nur Varianten von generellen Gesetzmäßigkeiten - die uneingeschränkt weltweit gelten - darstellen. Die Kontroversen zwischen diesen beiden Positionen dominierten vielfach die theoretischen Diskussionen in der Wirtschaftsethnologie im 20.Jahrhundert. <br/>
 
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Besonders umstritten war und ist in diesem Zusammenhang das Modell des '''"''homo oeconomicus''"[[Oekonomische Theorien/Neoklassik/Diffusionismus_und_Kulturkreislehre#2.2.5.2 Der homo oeconomicus|[7]]]''', dessen Anwendbarkeit im Rahmen der '''Wirtschaftsanthropologie[[Neoklassik/Der_Grosse_Streit#3.3.3.1 Kritik am homo oeconomicus aus nicht-formalistischer Perspektive|[8]]]''' immer wieder aus unterschiedlichen Gesichtspunkten debattiert wurde. <br/>
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Besonders umstritten war und ist in diesem Zusammenhang das Modell des '''"''homo oeconomicus''"[[Oekonomische Theorien/Neoklassik#2.2.5.2 Der homo oeconomicus|[7]]]''', dessen Anwendbarkeit im Rahmen der '''Wirtschaftsanthropologie[[Neoklassik/Der_Grosse_Streit#3.3.3.1 Kritik am homo oeconomicus aus nicht-formalistischer Perspektive|[8]]]''' immer wieder aus unterschiedlichen Gesichtspunkten debattiert wurde. <br/>
 
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Mark A. Peterson (2003: 8-9) identifiziert '''drei wichtige Aspekte in der ethnographischen Forschung zu Medientechnologien''', die auch für ethnographische Feldforschung im Allgemeinen gelten: <br/>
 
Mark A. Peterson (2003: 8-9) identifiziert '''drei wichtige Aspekte in der ethnographischen Forschung zu Medientechnologien''', die auch für ethnographische Feldforschung im Allgemeinen gelten: <br/>
 
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1.  (Medien)'''Ethnographie[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Ethnographie/Boas#2.3 Ethnographie|[2]]]''' beinhaltet eine '''dichte, kontextualisierte und detaillierte Beschreibung''', in der Beobachtungen und Informationen kontinuierlich dokumentiert und reflexiv aufgearbeitet werden.<br/>
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1.  (Medien)'''Ethnographie[[Grundlagen_sozialwissenschaftlicher_Methodologie_-_Glossar/Ethnographie#2.3 Ethnographie|[2]]]''' beinhaltet eine '''dichte, kontextualisierte und detaillierte Beschreibung''', in der Beobachtungen und Informationen kontinuierlich dokumentiert und reflexiv aufgearbeitet werden.<br/>
 
2.  Ethnographische Medienforschung versucht, so genau wie möglich das '''Alltagsleben von Menschen''' festzuhalten.<br/>
 
2.  Ethnographische Medienforschung versucht, so genau wie möglich das '''Alltagsleben von Menschen''' festzuhalten.<br/>
 
3.  Die ständige Anwesenheit des Ethnographen bzw. der Ethnographin im alltäglichen Leben von ForschungspartnerInnen bedeutet ein '''kontinuierlich reflexives Zusammentreffen zwischen Menschen''', das nicht immer konfliktfrei ist. Medienethnographie ist eine sehr intime Forschungsstrategie Daten zu erheben und Wissen zu gewinnen, die Forschende mitten in das private und berufliche Alltagsleben von Menschen platziert.<br/>
 
3.  Die ständige Anwesenheit des Ethnographen bzw. der Ethnographin im alltäglichen Leben von ForschungspartnerInnen bedeutet ein '''kontinuierlich reflexives Zusammentreffen zwischen Menschen''', das nicht immer konfliktfrei ist. Medienethnographie ist eine sehr intime Forschungsstrategie Daten zu erheben und Wissen zu gewinnen, die Forschende mitten in das private und berufliche Alltagsleben von Menschen platziert.<br/>
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[[Themenbereiche_der_KSA/Medien#3.8.5 Technologie im soziokulturellen Kontext|[4] Siehe Kapitel 3.8.5]]<br/>
 
[[Themenbereiche_der_KSA/Medien#3.8.5 Technologie im soziokulturellen Kontext|[4] Siehe Kapitel 3.8.5]]<br/>
 
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==3.8.3 Historische Entwicklung==
 
==3.8.3 Historische Entwicklung==
 
[[File:einfpropaedksa-154_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: Printmedien, Toronto, Ph. Budka ]]
 
[[File:einfpropaedksa-154_1.jpg|thumb|250px|right|Foto: Printmedien, Toronto, Ph. Budka ]]
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Obwohl es keine einheitliche '''Theorie der Praxis''' oder allgemein gültige Definitionen für Handlungstheorien gibt, lassen sich in einem praxistheoretischen Umfeld sehr wohl ähnliche Ansätze feststellen. Hier können Arbeiten, erkenntnistheoretische Ansätze und Forschungsstrategien von einflussreichen Sozial- und Geisteswissenschaftlern wie '''Pierre Bourdieu[http://en.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu  &#91;1&#93;]''', '''Michel Foucault[http://en.wikipedia.org/wiki/Michel_Foucault  &#91;2&#93;]''', '''Michel de Certeau[http://de.wikipedia.org/wiki/Michel_de_Certeau  &#91;3&#93;]''' oder '''Anthony Giddens[http://de.wikipedia.org/wiki/Anthony_Giddens  &#91;4&#93;]''' angeführt werden. So erweisen sich '''Bourdieus Handlungstheorie[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus#2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus|[5]]]''' (Bourdieu 1976), die darauf abzielt zwischen subjektivistischen und objektivistischen Erkenntnistheorien zu vermitteln, sowie die von ihm entwickelten Konzepte als besonders einflussreich; etwa als Strategie, Stellungen und Positionen in einer Sozialhierarchie zu deuten (vgl. Zips und Rest 2010). <br/>
 
Obwohl es keine einheitliche '''Theorie der Praxis''' oder allgemein gültige Definitionen für Handlungstheorien gibt, lassen sich in einem praxistheoretischen Umfeld sehr wohl ähnliche Ansätze feststellen. Hier können Arbeiten, erkenntnistheoretische Ansätze und Forschungsstrategien von einflussreichen Sozial- und Geisteswissenschaftlern wie '''Pierre Bourdieu[http://en.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu  &#91;1&#93;]''', '''Michel Foucault[http://en.wikipedia.org/wiki/Michel_Foucault  &#91;2&#93;]''', '''Michel de Certeau[http://de.wikipedia.org/wiki/Michel_de_Certeau  &#91;3&#93;]''' oder '''Anthony Giddens[http://de.wikipedia.org/wiki/Anthony_Giddens  &#91;4&#93;]''' angeführt werden. So erweisen sich '''Bourdieus Handlungstheorie[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus#2 Die Praxeologie Pierre Bourdieus|[5]]]''' (Bourdieu 1976), die darauf abzielt zwischen subjektivistischen und objektivistischen Erkenntnistheorien zu vermitteln, sowie die von ihm entwickelten Konzepte als besonders einflussreich; etwa als Strategie, Stellungen und Positionen in einer Sozialhierarchie zu deuten (vgl. Zips und Rest 2010). <br/>
 
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'''Geschichte spielt bei praxistheoretischen Überlegungen eine wichtige Rolle.''' So betont etwa '''Sherry Ortner''' (2006: 9), bezugnehmend auf '''Marshall Sahlins[http://de.wikipedia.org/wiki/Marshall_Sahlins  &#91;6&#93;]''', dass eine Theorie der Praxis immer eine zentrale historische Komponente hat: "A theory of practice is a theory of history". Vergangene Ereignisse und (persönliche) Geschichte sind für Handlungstheorien also von großer Bedeutung. So umschreibt etwa auch Bourdieu den Habitus als "zu Natur gewordene Geschichte", die einen wesentlichen Teil des unbewussten Selbst ausmacht (vgl. z.B. '''Zips und Rest[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis/Boas#2.3.2 Habitus|[7]]]''' 2010). <br/>
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'''Geschichte spielt bei praxistheoretischen Überlegungen eine wichtige Rolle.''' So betont etwa '''Sherry Ortner''' (2006: 9), bezugnehmend auf '''Marshall Sahlins[http://de.wikipedia.org/wiki/Marshall_Sahlins  &#91;6&#93;]''', dass eine Theorie der Praxis immer eine zentrale historische Komponente hat: "A theory of practice is a theory of history". Vergangene Ereignisse und (persönliche) Geschichte sind für Handlungstheorien also von großer Bedeutung. So umschreibt etwa auch Bourdieu den Habitus als "zu Natur gewordene Geschichte", die einen wesentlichen Teil des unbewussten Selbst ausmacht (vgl. z.B. '''Zips und Rest[[Die_Praxeologie_Pierre_Bourdieus/Praxis#2.3.2 Habitus|[7]]]''' 2010). <br/>
 
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Latest revision as of 14:31, 13 October 2022

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Einführung und Propädeutikum Kultur- und Sozialanthropologie

verfasst von Elke Mader, Wolfgang Kraus, Philipp Budka, und Matthias Reitter, Fakultät für Sozialwissenschaften, Wien
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Diese Lernunterlage gibt einen einführenden Überblick zur wissenschaftlichen Disziplin der Kultur- und Sozialanthropologie (KSA) mit besonderem Schwerpunkt auf die Situation und die Arbeit des Instituts für Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien. Neben der Frage, womit sich Kultur- und Sozialanthropologie beschäftigt und wie sie sich theoriegeschichtlich entwickelt hat, werden ausgewählte Themenbereiche vorgestellt. Die Lernunterlage richtet sich vor allem an StudienanfängerInnen, kann aber ebenso als Informationsquelle oder Lehr- und Lernmittel für allgemein an der Kultur- und Sozialanthropologie Interessierte dienen.

An der Erstellung dieser Lernunterlage mitgewirkt haben als AutorInnen: Elke Mader, Wolfgang Kraus, Philipp Budka und Matthias Reitter. Redaktionell bearbeitet wurde die Unterlage von Anna Ellmer, Matthias Reitter und Philipp Budka.

Kapitel dieser Lernunterlage

1 Was ist Kultur- und Sozialanthropologie?
2 Theoriengeschichte der Kultur- und Sozialanthropologie
3 Themenbereiche


Kapitelübersicht

1 Was ist Kultur- und Sozialanthropologie?

1.1 Was untersucht Kultur- und Sozialanthropologie?
1.1.1 Die Kunde von den Völkern?
1.1.2 Die Lehre von den Ethnien?
1.1.3 Was ist Gesellschaft?
1.1.4 "Kulturen" und Kultur
1.1.5 Exkurs: "Kultur" im öffentlichen Diskurs
1.1.6 Der verlorene Gegenstand unseres Faches
1.1.7 KSA als Lehre von den kulturellen und sozialen Aspekten des Menschseins
1.1.8 Was ist "das Kulturelle"?
1.1.9 Was ist "das Soziale"?
1.1.10 Warum Kultur- und Sozialanthropologie?
1.2 Was will Kultur- und Sozialanthropologie wissen?
1.2.1 Die Prämisse der Diversität
1.2.2 Das Ziel wertfreien Verstehens
1.2.3 Zum Widerspruch von Prämisse und Ziel
1.2.4 Ethnozentrismus
1.2.5 Ethnozentrismus und das "anthropologische Projekt"
1.2.6 Methodologischer Skeptizismus
1.2.7 Methodologischer Relativismus
1.2.8 Relativismus und Universalismus
1.2.9 Exkurs: Homogenisierung, kulturelle Diversität und "Anthropology at Home"
1.3 Methoden: Wie gelangt Kultur- und Sozialanthropologie zu ihrem Wissen?
1.3.1 Ethnographische Feldforschung
1.3.2 Teilnehmende Beobachtung
1.3.3 Charakteristika qualitativer Forschungszugänge
1.3.4 Ethnographie als Kommunikation
1.4 Was kann Kultur- und Sozialanthropologie wissen?
1.4.1 Hermeneutik und die Interpretation kultureller Zusammenhänge
1.4.2 Interpretation und Objektivität
1.4.3 Hindernisse für Objektivität in der Kultur- und Sozialanthropologie
1.4.4 Validität
1.4.5 Der provisorische Charakter wissenschaftlichen Wissens
1.5 Literatur

2 Theoriengeschichte der Kultur- und Sozialanthropologie

2.1 Der klassische Evolutionismus
2.1.1 Lewis Henry Morgan und Henry Maine
2.1.2 Edward B. Tylor
2.1.3 Das Ende des klassischen Evolutionismus
2.2 Diffusionismus und Kulturkreislehre
2.3 Franz Boas und der US-amerikanische Kulturrelativismus
2.4 Der britische Funktionalismus
2.4.1 A. R. Radcliffe-Brown
2.4.2 Bronislaw Malinowski
2.5 Claude Lévi-Strauss und der französische Strukturalismus
2.6 Symbolische Anthropologie und konkurrierende Ansätze
2.7 Clifford Geertz und die Folgen
2.8 Literatur
2.8.1 Weiterführende Literatur

3 Themenbereiche

3.1 Religion
3.1.1 Religion und Ritual
3.1.2 Religion und Gesellschaft
3.1.2.1 Émile Durkheim
3.1.2.2 Religion, Gesellschaft und Politik
3.1.2.3 Religion und Konflikt
3.1.3 Religion als kulturelles Symbolsystem
3.1.4 Religion und Weltbild
3.1.5 Religion und spirituelle Erfahrung: Fallbeispiel Schamanismus
3.1.5.1 Schamanismus und "Ekstasetechnik"
3.1.5.2 Schamanismus, Weltbild und interreligiöse Beziehungen
3.1.6 Religionen im Internet
3.1.6.1 Afrikas Digitale Diaspora Religionen
3.1.7 Literatur
3.2 Ritual
3.2.1 Forschungskontexte und Begriffe
3.2.1.1 Genres ritueller Handlungen
3.2.1.2 Grenzen und Grenzüberschreitungen
3.2.1.3 Ritualdynamik
3.2.1.4 Ritualtransfer
3.2.2 Ritual und Religion
3.2.3 Rituale und Gesellschaft
3.2.3.1 Übergangsrituale
3.2.3.1.1 Soziale Dramen
3.2.4 Rituale und Symbole
3.2.4.1 Im Wald der Symbole
3.2.4.2 Körpersymbole
3.2.5 Rituale und Medien
3.2.5.1 "Rite out of Place" oder die Medialisierung von Ritualen
3.2.6 Literatur
3.3 Kolonialismus
3.3.1 Dimensionen des Kolonialismus
3.3.1.1 Colonial Frontier
3.3.1.2 Kolonialität
3.3.1.3 Kolonialität am Beispiel Lateinamerikas
3.3.1.4 Postkolonialismus
3.3.2 Kolonialismus und Kultur-und Sozialanthropologie
3.3.2.1 Kolonialismus als Rahmenbedingung des Faches
3.3.2.1.1 Chronisten und Missionare in Lateinamerika
3.3.2.2 Kolonialismus als Forschungsgegenstand
3.3.3 Eric Wolf: Kolonialismus, Ökonomie und Verflechtungen
3.3.4 Repräsentation von Kolonialismus im Spielfilm
3.3.4.1 Konflikt, Kultur und Transformation
3.3.5 Literatur
3.4 Globalisierung
3.4.1 Gegenwärtige Phase der Globalisierung
3.4.1.1 Aspekte und Elemente der gegenwärtigen Globalisierung
3.4.2 Thesen über und Perspektiven auf Globalisierung
3.4.3 Globalismus, Globalität und Globalisierung
3.4.4 Transnationalismus und Transnationalisierung
3.4.5 Dimensionen und Faktoren der Globalisierung
3.4.5.1 "Entwurzelung"
3.4.5.2 Beschleunigung
3.4.5.3 Standardisierung
3.4.5.4 Verflechtung
3.4.5.5 Bewegung
3.4.5.6 (Ver)Mischen
3.4.5.7 Verletzlichkeit
3.4.5.8 "Wiedereinbettung"
3.4.6 Anthropologie der Globalisierung
3.4.6.1 Das Globale und das Lokale
3.4.6.2 Historisches zu kultur- und sozialanthropologischen Globalisierungsstudien
3.4.6.3 Globalisierung und kultur- und sozialanthropologische Methodologie
3.4.6.4 Globalisierung und Kultur
3.4.6.4.1 "Globalkultur" oder die kulturellen Aspekte von Globalisierung
3.4.6.5 Kulturelle Globalisierung und die Kultur- und Sozialanthropologie
3.4.6.6 Homogenisierung und Heterogenisierung
3.4.6.7 Globale kulturelle Landschaften und (Handlungs)Räume
3.4.7 Literatur
3.4.7.1 Weiterführende Literatur
3.5 Anthropologie der Natur
3.5.1 Natur und Subsistenz
3.5.2 Kulturökologie
3.5.3 Natur und Weltbild
3.5.4 Natur ist "gut zum Denken": Claude Lévi-Strauss
3.5.4.1 Jenseits von Kultur und Natur: Philippe Descola
3.5.5 Perspektiven des Bauens oder Bewohnens: Tim Ingold
3.5.6 Glokale Natur: Lokales/traditionelles Wissen und globale Prozesse
3.5.6.1 Glokale Vernetzungen
3.5.7 Anthropologie und Klimawandel
3.5.7.1 Schneestern ohne Schnee? Ritual und Klimawandel in den Anden
3.5.8 Natur, Geschichte und Politik
3.5.8.1 Hybride Naturen und politische Akteure: Arturo Escobar
3.5.8.2 Indigene Naturpolitik
3.5.9 Schöne Natur: Landschaft, Repräsentation und Tourismus
3.5.9.1 Anthropologie der Landschaft
3.5.9.1.1 Die Alpen
3.5.9.2 Natur, Landschaft, Tourismus
3.5.10 Literatur
3.6 Ökonomische Anthropologie
3.6.1 Theoretische Grundlagen der Ökonomischen Anthropologie (Wirtschaftsanthropologie)
3.6.2 Theoretische Grundlagen: Ökonomie, Gesellschaft und Weltbild
3.6.2.1 Fallbeispiel: Tausch und Gabe - frühe Beiträge zur Ökonomischen Anthropologie
3.6.3 Literatur
3.7 Anthropologie der Mythen
3.7.1 Theoretische Perspektiven und Forschungsgeschichte
3.7.2 Fallbeispiel: Mythen im Kino
3.7.2.1 "American Dreamtime" - Hollywood-Mythen und die Konstruktion von Bedeutung im populären Kino
3.7.2.2 Mythische Figuren und Motive im Kino - Pirates of the Caribbean
3.7.3 Literatur
3.8 Medienanthropologie
3.8.1 Medientechnologien aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive
3.8.2 Medienethnographie
3.8.3 Historische Entwicklung
3.8.3.1 Frühe medienanthropologische Studien
3.8.3.2 Frühe medienethnographische Projekte
3.8.3.3 Medienanthropologie und die Sozial- und Kulturwissenschaften
3.8.4 Ausgewählte theoretische Konzepte und Zugänge
3.8.4.1 Theorie der Praxis
3.8.4.1.1 Medientechnologien in einer Theorie der Praxis
3.8.4.2 Ritualtheorien
3.8.5 Technologie im soziokulturellen Kontext
3.8.6 Digitale Medientechnologien als Forschungsfelder der Kultur- und Sozialanthropologie
3.8.6.1 Cyberanthropologie: Kybernetik und Cyberspace
3.8.6.2 Anthropologie der Cyberkultur
3.8.6.3 Digitale Anthropologie
3.8.6.4 Kultur- und sozialanthropologische Internetforschung
3.8.6.4.1 Internet als materielle Kultur
3.8.6.4.2 Facebook aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive
3.8.7 Literatur
3.9 Gender-Anthropologie
3.9.1 Anthropologie der Frauen
3.9.2 Sex vs. Gender
3.9.3 Geschlechtliche Arbeitsteilung
3.9.3.1 Geschlechtliche Arbeitsteilung und Cross-Cultural Studies
3.9.3.2 Geschlechtliche Arbeitsteilung, Mythen und Rituale
3.9.4 Gender und Macht
3.9.4.1 Komplementarität
3.9.5 Gender und Differenz
3.9.5.1 Intersektionalität
3.9.6 "Doing Gender" und Gender Performance
3.9.7 Gender in Mythen und Kino
3.9.7.1 Gender Images
3.9.7.2 Mythen, Liebe und Sexualität
3.9.8 Literatur


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